Die einen Schüler und ihre Lehrer sind schon in den Sommerferien, in anderen Bundesländern kommen die noch. Nein, es soll hier nicht die ewige Litanei von den nicht nur im Sommer mit Urlaub gesegneten Lehrern wiedergekäut werden. Aber einige unter den Lehrkräften fallen im wahrsten Sinne des Wortes in ein Sommerloch. In dem sie nicht mehr das sind, was sie bis zu den Ferien waren, also Lehrer in Lohn und Brot. Sondern ganz profan: Arbeitslose. Und wenn sie Glück haben, bekommen sie Arbeitslosengeld I aus der Arbeitslosenversicherung, manche müssen auch auf Hartz IV zurückgreifen – und wenn der Sommer vorbei ist, dann bekommen sie vielleicht einen neuen Arbeitsvertrag, denn dann beginnt ja wieder die Schule.
Und auf eins kann man sich seit Jahren verlassen – auf solche Berichte: Tausende Lehrer gehen arbeitslos in die Sommerferien. Manche Bundesländer halten an der Praxis fest, Lehrer mit befristeten Verträgen in den Sommerferien in die Arbeitslosigkeit zu entlassen. Und das verwundert nicht wirklich: »In Baden-Württemberg sind es nach Angaben eines Sprechers des Kultusministeriums 3300 Lehrer, deren Arbeitsvertrag spätestens mit dem Beginn der diesjährigen Sommerferien endet. Ein Beschäftigung und Bezahlung dieser Vertretungslehrer auch in den Sommerferien würde das Land nach seinen Worten 12,5 Millionen Euro kosten.« Die man sich gerne ersparen möchte, auf Kosten der Betroffenen oder der Arbeitslosenversicherung oder des Steuerzahlers an anderer Stelle.
Natürlich geht es vor allem ums Geld. Sparmaßnahmen an Schulen: Mit den Ferien kommt die Entlassung, so hat Armin Himmelrath seinen Artikel dazu überschrieben. Auch bei ihm gibt es den Hinweis auf Baden-Württemberg, wo die Zahlen besonders hoch sind. Und wieder werden wir mit diesem Föderalismus von seiner komplexitätssteigernden Wirkung konfrontiert. Es geht nicht um alle Bundesländer, sondern auffällig sind (noch) einige wenige, während das in anderen kein Problem (mehr) zu sein scheint: »So will Rheinland-Pfalz ab 2019 alle Vertretungslehrer auch in den Ferien bezahlen. Und in Nordrhein-Westfalen werden die Sommerferien in aller Regel schon jetzt in die Vertragszeit miteinbezogen, sodass ein Sprecher der Landes-GEW bestätigt: „Das ist in NRW kein großes Problem.“«
Um die Größenordnung des Phänomens einschätzen zu können, lohnt wieder einmal der Blick in die Arbeitsmarktberichterstattung der Bundesagentur für Arbeit (BA). Die hat sogar am Ende des vergangenen Jahres eine eigene Veröffentlichung dazu publiziert, in der die Zahlen für 2017 aufgearbeitet worden sind:
➔ Bundesagentur für Arbeit (2017): Lehrerarbeitslosigkeit in den Sommerferien, Nürnberg, Dezember 2017
Es fällt auf, dass die Zahl arbeitsloser Lehrkräfte regelmäßig in den Sommerferien stark ansteigt. Nach den Sommerferien geht die Arbeitslosenzahl wieder zurück, so die BA. Und da geht es immerhin um ein paar tausend Lehrkräfte: »2017 meldeten sich in den Sommerferien rund 4.900 Lehrkräfte arbeitslos.« Nach den Sommerferien beendet eine ähnliche Anzahl von Personen die Arbeitslosigkeit wieder durch die Aufnahme einer Beschäftigung. Auf den Zeitraum eines Jahres bezogen, erfolgte damit rund jede dritte Arbeitslosmeldung aus Beschäftigung während der Sommerferien (35 Prozent). Und es werden auch Namen genannt, wo das besonders in Erscheinung getreten ist: »Erkennbar ist das Phänomen der Sommerferienarbeitslosigkeit 2017 insbesondere in Baden- Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Hamburg.« Aus diesen drei Ländern kommen 61 Prozent der Sommerferien-Arbeitslosmeldungen.
Während in Baden-Württemberg 71 Prozent aller Personen, die sich von Oktober 2016 bis September 2017 nach einer Beschäftigung arbeitslos melden, mit den Sommerferien arbeitslos geworden sind, sieht es in anderen Bundesländern anders aus: In fünf Bundesländern hat sich 2017 die Zahl der Arbeitslosmeldungen in den Sommerferien verringert. Hierzu gehören insbesondere Hessen und Rheinland-Pfalz mit einem Rückgang um rund drei Viertel.
Nun kann man das natürlich relativieren vor dem Hintergrund der allgemeinen Zahlen, auf die auch die BA hinweist: Fast 800.000 Lehrkräfte waren im Schuljahr 2016/17 an allgemeinbildenden und an berufsbildenden Schulen tätig. Rund ein Drittel aller Lehrkräfte arbeitet als Angestellte, etwa zwei Drittel sind verbeamtet. Und natürlich kann man an diesem Beispiel auch erneut studieren, was in Systemen mit extrem sicheren Arbeitsverhältnissen (und dazu gehören nicht nur die verbeamteten Lehrer, auch die auf Dauer angestellten Lehrkräfte sind so gut wie nie von Arbeitslosigkeit betroffen, wenn sie es mal geschafft haben) passiert, wenn man den personalwirtschaftlichen Steuerungsmechanismen ihren Lauf lässt: es wird eine zweite flexible Belegschaftsschicht geschaffen wie in anderen „normalen“ Unternehmen auch, die sich vor allem dadurch „auszeichnen“, dass es im Grunde keine Trennungskosten gibt oder gar rechtliche Trennungshindernisse, die einen einengen könnten.Insofern ein durchaus rationales Verhalten innerhalb des Systems. Und by the way – an den Hochschulen ist diese Spaltung in einen überaus gut abgesicherten Kernbereich (vor allem die Professoren) und einer in höchstem Maße prekär beschäftigten Mitarbeiterschaft noch weitaus krasser ausgeprägt als an den Schulen.
Apropos noch krasser – da lohnt der Blick in die Kelleretagen unseres Bildungssystems, bei dem die Probleme der temporär in die überbrückende Arbeitslosigkeit geschickten Lehrer aus den „normalen“ Schulen bei allen negativen Folgen für die einzelnen Betroffenen fast schon erträglich daherkommen, haben doch viele eine gewisse Wahrscheinlichkeit auf dem Tisch liegen, dass sie nach einer mehr oder weniger langen Phase der Unsicherheit und der Instabilität der Arbeit dann doch mal auf einer Planstelle landen werden.
Dazu die Bildungsgewerkschaft GEW, die auch in diesen Tagen die Lehrer-Arbeitslosigkeit beklagt hat. Denn die vertreten auch andere Beschäftigtengruppen außerhalb des allgemeinen oder berufsbildenden Schulsystems. Beispielsweise die Lehrkräfte, die in dem weiten und wahrhaft unübersichtlichen Feld der Weiterbildung arbeiten. „Planen kann ich nichts“, so hat Anja Wilks ihren Beitrag dazu überschrieben: »Es gibt weder bundesweite Standards noch allgemeingültige Tarifverträge: Wer in der Weiterbildung arbeitet, bekommt häufig wenig Geld, kaum Rente und muss mit viel Unsicherheit leben.«
Und wie so oft helfen Beispiele aus der Praxis, um eine Annäherung an die hier aufgerufenen Probleme herstellen zu können. Ein solches präsentiert uns Anja Wilks mit diesem Fall: »Vergangenen Donnerstag saß wieder eine aufgelöste Kollegin in Kristin Gehrt-Bischs Beratungszimmer: „Wie soll ich das alles schaffen?“ Besuche in Praktikumsbetrieben und Schulen, Bewerbungstrainings und Berufsvorbereitung, Einzelgespräche und Unterrichtsplanung, Dokumentation und Verwaltung. Drei Berufseinstiegskurse, 45 Jugendliche, in 25 Stunden Teilzeitjob. Gehrt-Bisch schüttelte den Kopf und antwortete ihr: „Kollegin, das kann nicht gehen.“ Gehrt-Bisch ist Betriebsrätin bei den Beruflichen Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft (bfz), einem Weiterbildungsträger mit 3.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an 23 Standorten. Seit vier Jahren kümmert sich die Seminarleiterin Sozialpädagogik in der Niederlassung Ingolstadt um die Probleme von 265 Kolleginnen und Kollegen.«
»Die Arbeitsverdichtung wächst vielen über den Kopf, „manchmal ist ein Dozent für drei Klassen gleichzeitig zuständig“, die räumliche Ausstattung ist bescheiden, die Computertechnik veraltet, es fehlen Diensthandys, Personalräume, zuweilen Mitarbeitertoiletten. 30 Prozent der Beschäftigten arbeiten auf Honorarbasis, die meisten Festangestellten haben befristete Verträge. Und mit einem Gehalt zwischen 1.900 und 2.600 Euro brutto im Monat für einen Vollzeitjob wird es nicht nur heute knapp, sondern auch in Zukunft: Damit erwirtschaftet man nicht mal einen Rentenpunkt im Jahr, Altersarmut ist programmiert.«
Da steht natürlich in einem krassen Spannungsverhältnis zu der – zumindest in Sonntagsreden beschworenen – Bedeutung der Weiterbildung in unserer Gesellschaft.
Aber wir sprechen hier über einen völlig intransparenten Bereich: Wie viele Menschen in der Weiterbildungsbranche arbeiten, lässt sich nicht genau beziffern. Hochrechnungen der Wissenschaft gehen von rund 600.000 bis 700.000 Beschäftigten aus, von denen knapp 30.000 in der beruflichen Weiterbildung nach Sozialgesetzbuch (SGB) II und III, also für Jobcenter und Arbeitsagenturen, arbeiten. Die staatlich finanzierte Weiterbildung ist chronisch unterfinanziert. »Eine Folge: Bei den Festangestellten sind Fristverträge häufig, die Einkommen liegen im Vergleich zur privat finanzierten Weiterbildung erheblich niedriger. Viele hauptberufliche Freelancer verdienen nicht mehr als 1.750 Euro brutto.«
Anja Wilks berichtet von kleinen Fortschritten in den zurückliegenden Jahren, die Bedingungen für die Lehrkräfte etwas zu verbessern: Den Gewerkschaften GEW und ver.di ist es gelungen, einen branchenspezifischen Mindestlohn für die öffentlich geförderte berufliche Weiterbildung nach SBG II/III zu erstreiten. Nur: Dieser liegt mit gut 15 Euro immer noch 20 Prozent unter der Bezahlung nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Und das angesichts der Tatsache, dass 60 Prozent der Erwachsenenbildner sogar einen Hochschulabschluss haben.
Und an einen Teilbereich der Weiterbildungsbranche, der in den vergangenen Jahren besonders im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit stand, erinnert die Gewerkschaft GEW auch noch in diesen Tagen: »Eine ungezählte Anzahl Sprachlehrkräfte arbeitet zu völlig unterschiedlichen Bedingungen. Die meisten sind prekär beschäftigt, auf Honorarbasis, ohne arbeitsrechtlichen Schutz und mit unzureichender sozialer Sicherung«, so die Klage von GEW-Mann Oliver Brüchert in seinem Beitrag Fair oder prekär? Meist prekär. Die Zahl der Sprachlehrkräfte wird statistisch nicht erfasst. Schon das ist Zeichen genug. Dabei bilden sie einen zentralen Übergangspunkt in unserer Gesellschaft: Sie unterrichten Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache (DaF/DaZ) in Integrationskursen, an Volkshochschulen und Goethe-Instituten, sowie andere Fremdsprachen an Hochschulen, Sprachschulen und in betrieblichen Bildungseinrichtungen.
Auch hier zeigt sich eine ganz erhebliche Bandbreite der Arbeitsbedingungen. Da gibt es Sprachlehrerinnen und -lehrer, die als „Lehrkräfte für besondere Aufgaben“ (LfbA) an den Hochschulen arbeiten und und er Regel nach dem Tarifvertrag der Länder (TV-L) Entgeltgruppe EG13 vergütet werden, an Fachhochschulen kann die Lehrverpflichtung nochmal deutlich höher liegen als an den Universitäten und vor allem die Eingruppierung erfolgt in manchen Bundesländern in die EG11 des TV-L.
Aber es gibt auch andere: »Viele Sprachlehrkräfte an Hochschulen werden … auf Basis von Lehraufträgen beschäftigt. Als Lehrbeauftragte erhalten sie pro Unterrichtsstunde eine Vergütung, die meist irgendwo zwischen 20 und 45 Euro liegt; Vor- und Nachbereitung sind damit abgegolten. In den vorlesungsfreien Zeiten erhalten sie keine Bezahlung. Ihre Sozial- und Krankenversicherung müssen Lehrbeauftragte komplett selbst finanzieren.« Wie massiv die Folgen dieser unterschiedlichen Beschäftigung sein können, verdeutlicht dieses Rechenbeispiel: »Um ein vergleichbares Nettoeinkommen wie eine Lehrkraft für besondere Aufgaben zu erzielen, müssten sie während des Semesters bis zu 60 Stunden die Woche unterrichten – und während der vorlesungsfreien Zeit ihr Geld an einem anderen Arbeitsplatz verdienen.«
Und es geht weiter: »Ähnlich ist die Situation von Honorarlehrkräften bei privaten Trägern sowie an Volkshochschulen. Ihre Honorare liegen teils weit unter 30 Euro pro UE; nur für Integrationskurse gilt seit 2016 ein Mindesthonorar von 35 Euro. Kaum eine Sprachlehrkraft erzielt auf Basis von Honorarverträgen ein Einkommen, das dem einer festangestellten Lehrkraft entspricht: Um nach Abzug aller Sozialversicherungsbeiträge und Steuern auf das Einkommensniveau einer Lehrkraft in der EG11 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD) zu kommen, müssten – je nach Berufserfahrung – 42 bis 68 Euro pro UE bezahlt werden; um auf das Niveau der EG13 des TVöD zu kommen, 53 bis 76 Euro.«
So sieht es da aus, ganz unten in der Hierarchie des Bildungs“systems“, was so nur funktionieren kann, weil wir letztendlich gar kein auch nur ansatzweise konsistentes System und damit Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten haben.