Auch vor dem Landesarbeitsgericht scheitert das Universitätsklinikum Bonn mit einer Klage gegen den Streik der Beschäftigten

Seit Wochen streiken nicht-ärztliche Beschäftigte an den sechs Unikliniken des Landes Nordrhein-Westfalen – nicht für mehr Geld, sondern für einen „Entlastungstarifvertrag“ (vgl. dazu den Beitrag Zum Streik von nicht-ärztlichen Beschäftigten der Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen und einem Spaltpilz zwischen Pflege und Nicht-Pflege vom 12. Juni 2022). Während die Medienberichterstattung über den Arbeitskampf mehr als überschaubar ist – die meisten Kräfte der Presse sind offensichtlich gebunden an den Flughäfen des Landes, um die dortigen Warteschlangen und abgesagten Flüge in Augenschein zu nehmen – warten die Streikenden immer noch auf ein ernsthaftes Angebot von der Arbeitgeberseite. Und die geht lieber gerichtlich gegen die Streik-Aktionen des eigenen Personals vor.

Die erste Instanz, bei der man den Streik stoppen wollte, war das Arbeitsgericht Bonn. Von dort kam dann Mitte Juni diese unmissverständliche Ansage: »Das Arbeitsgericht Bonn wies mit Urteil vom 14.06.2022 den Antrag des Universitätsklinikums Bonn auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück. Damit ist die ver.di Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft berechtigt, weiterhin zu Streikmaßnahmen der Tarifbeschäftigten aufzurufen und nicht verpflichtet, ihren Streikaufruf vom 20.05.2022 zu widerrufen.« Unter der Überschrift Arbeitsgericht Bonn: Streikmaßnahmen am Universitätsklinikum Bonn zulässig wurde uns mitgeteilt: Zunächst wird festgestellt, dass die Gewerkschaft ver.di »mit ihren Tarifforderungen nicht gegen die relative Friedenspflicht verstoße, da die Tarifforderungen nicht bereits Gegenstand eines laufenden Tarifvertrages seien. Auch bestehe insoweit kein hinreichend enger Sachzusammenhang zu einem bereits abgeschlossenen Tarifvertrag. Ziel der Tarifforderungen sei es, präventiv Belastungen der Arbeitnehmer zu vermeiden.« Und der Streikaufruf verstoße »auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar sei hierbei zu berücksichtigen, dass die Lage für die betroffenen Patienten immer dringlicher werde. Jedoch wird die geltende Notdienstvereinbarung von den Tarifparteien eingehalten, was einen wesentlichen Anhaltspunkt für die Verhältnismäßigkeit darstelle.«

Statt diese Entscheidung zu akzeptieren, zog man seitens des Universitätsklinikums Bonn zur nächsten Instanz: dem Landesarbeitsgericht Köln. Das Universitätsklinikum Bonn hält die Streikmaßnahmen für rechtswidrig, weil die Streikforderungen teilweise nicht hinreichend bestimmt und tariflich nicht regelbar seien. Der Streik verstoße zudem gegen die Friedenspflicht und sei in seinem Ausmaß unverhältnismäßig. Wie bereits vor dem Arbeitgericht Bonn beantragte man den Erlass einer einstweiligen Verfügung zum Widerruf des Streikaufrufs und zur Unterlassung weiterer Streikmaßnahmen. Es gab eine knapp siebenstündigen Anhörung der Parteien am 29. Juni 2022. Aber auch hier bekommt man das, was man verdient: Landesarbeitsgericht Köln: Berufung zurückgewiesen Streikmaßnahmen am Uniklinikum Bonn zulässig, so ist die heutige Mitteilung des LAG Köln überschrieben.

Das Landesarbeitgericht hat die Berufung der Uniklinik Bonn gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts Bonn nun zurückgewiesen:

➔ Die Streikforderungen seien teilweise nicht hinreichend bestimmt und tariflich nicht regelbar? Das sieht das LAG Köln anders: Die Tarifforderungen der beklagten Gewerkschaft ver.di sind hinreichend bestimmt. »Die Arbeitgeberseite könne sich hinreichend darauf einstellen, wie sie auf die formulierten Tarifziele reagiere, um einen Arbeitskampf zu vermeiden. Die Funktion des Arbeitskampfs bestehe nur darin, die eigentlichen Tarifverhandlungen anzuschieben; die konkrete Ausgestaltung sei Sache der Tarifverhandlungen. In diesem Sinne führten die Parteien auch seit Monaten Tarifgespräche, wenn auch noch ergebnislos«, so das Gericht.

➔ Der Streik sei rechtswidrig mangels tariflicher Regelbarkeit aufgrund ausschließender gesetzlicher Regelungen, wie im Pflegeberufegesetz? Nein, sagt das Gericht: »Diese gesetzlichen Regelungen stünden nach Wortlaut sowie ihrem Sinn und Zweck insbesondere einer zur Stärkung der Ausbildungsqualität beabsichtigten günstigeren Regelung der Tarifvertragsparteien nicht entgegen. Es handele sich hierbei um eine angestrebte Verbesserung von Arbeits- bzw. Ausbildungsbedingungen, die – anders als Ausbildungsinhalte – dem Schutzbereich des Art 9 Abs. 3 GG unterfalle.«

➔ »Der Streik für einen „Tarifvertrag Entlastung“ verstoße nicht gegen die tarifvertragliche Friedenspflicht. Weder der TV-L noch die einschlägigen Ausbildungstarifverträge TVA-L Gesundheitsberufe und dem TVA-L Pflege regelten (abschließend) das Streikziel einer präventiven, vorbeugenden Verhinderung des Entstehens spezifischer Belastungssituationen.«

Und schlussendlich: Was ist mit dem Vorwurf seitens des Klinikums, dass die Lage für die betroffenen Patienten immer dringlicher werde?

Dazu das Landesarbeitsgericht: Der Streik sei »derzeit nicht unverhältnismäßig.«

➔ »Das Streikrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG unterliege Einschränkungen, soweit verfassungsrechtlich geschützte Güter Dritter – hier Patientenrechte nach Art. 2 Abs. 2 GG – betroffen seien. Es bedürfe eines Ausgleichs der beiderseitig verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen im Wege der praktischen Konkordanz. Dieser Grundsatz fordere, dass nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal durchgesetzt werde. Alle Interessen müssten einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren. Im Bereich der Daseinsvorsorge eines Klinikbetriebs bedeute dies, dass vorrangig eine angemessene, ausreichende und geeignete Notversorgung sicher zu stellen sei.«

Bereits das Arbeitsgericht Bonn hatte dazu ausgeführt: »Jedoch wird die geltende Notdienstvereinbarung von den Tarifparteien eingehalten, was einen wesentlichen Anhaltspunkt für die Verhältnismäßigkeit darstelle.«

An dieser Stelle gibt es die einzige Veränderung gewissermaßen zugunsten des ansonsten unterlegenen Universitätsklinikums Bonn, denn:

Eine Notversorgung, die der Anforderung, dass vorrangig eine angemessene, ausreichende und geeignete Notversorgung sicher zu stellen sei, entspreche, »hätten die Parteien in konstruktiver Art und Weise im Verhandlungstermin am 29. Juni 2022 vereinbart, indem sie unter anderem die Notversorgung qualitativ und quantitativ durch die Erhöhung des Mindestbetriebs von 16 Operationssälen auf 25 Operationssäle nebst entsprechendem Fachpersonal verbesserten.«

Zu den ersten Reaktionen auf die heutige Entscheidung kann man dem Bericht Gericht hat entschieden – Klinikpersonal darf streiken entnehmen:

„Damit wird bestätigt, dass Streiks auch im Gesundheitsbereich legales Mittel der Auseinandersetzung sind und die Tarifautonomie gestärkt“, sagte die Leiterin des Verdi-Landesbezirks NRW, Gabriele Schmidt. Der Bonner Klinikvorstand habe „seine Energie darauf verschwendet den Streik mit juristischen Winkelzügen zu beenden“, statt Lösungen am Verhandlungstisch zu suchen. „Das weckt Zweifel daran, ob die Bonner Klinikleitung wirklich ernsthaft an einem Verhandlungskompromiss gelegen ist.“ Die Belegschaft macht geltend, dass das Mittel des Streiks ein Grundrecht ist, das sie sich nicht nehmen lassen will. „Wie sonst können wir bessere Bedingungen durchsetzen?“

Nach Angaben der Gewerkschaft seien an den sechs bestreikten Unikliniken inzwischen über 1.800 Betten gesperrt und über 50 Bereiche und Stationen geschlossen.

Das Universitätsklinikum Bonn (UKB) weist darauf hin, dass die Warteliste inzwischen mit über 1.000 Patienten gefüllt sei, die auf Operationen warten (müssen). Auch wenn man nun auch vor dem Landesarbeitsgericht gescheitert ist mit dem Ansinnen, die Streikaktionen grundsätzlich verbieten zu lassen, betont man nun die „Verbesserung“ für die Uniklinik durch die veränderte Notdienstvereinbarung: »Mit der Regelung, dass nunmehr 25 Operationssäle betriebsbereit bleiben müssen, habe man aber eine substanzielle Verbesserung der Notdienstkapazitäten erreicht. Dafür habe sich der Gang zum Gericht gelohnt, befand der Ärztliche Direktor und Vorstandsvorsitzende des Klinikums, Wolfgang Holzgreve.«

Was soll man auch sonst sagen.