Immer wieder erscheinen auch hier Berichte über Private-Equity-Investoren, Hedge Fonds und internationale Pflegekonzerne, die gewaltige Summen in deutsche Pflegeheime und Pflegeimmobilien investieren auf der Suche nach einer verlässlichen Renditequelle für das reichlich vorhandene, anlagesuchende Kapital, mit dem dort hantiert werden kann. Dazu als eine Beispiel der Beitrag Das Kapital sucht sich seinen Weg in lukrative Anlagen: Private-Equity-Investoren und die Altenpflege mal wieder vom 15. Oktober 2021, in dem über eine neue Studie berichtet wurde. Und diese Studie zeichnet sich auf dadurch aus, dass nicht nur eine Bestandsaufnahme der Investitionen in die Altenpflege und wie dort Gewinne abgeschöpft werden, vorgelegt wurde, sondern auch Empfehlungen ausgesprochen werden, wie man mit dieser Entwicklung umgehen kann, wenn man denn will. Die Kritik an der seit Jahren beklagten Entwicklung ist berechtigt und nachvollziehbar, vor allem angesichts der Tatsache, dass wir hier nicht über die Produktion von irgendwas reden, sondern über eine existenzielle Sorgearbeit für Menschen, die überaus verletzlich und ausgeliefert sind. Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass mit der Betreuung und Pflege alter Menschen keine „Gewinne“ gemacht werden dürfen – wobei das nur auf den ersten Blick eine richtige und nachvollziehbare Forderung ist, denn auch die nicht profitorientierten Anbieter von Pflegeleistungen müssen sehr wohl einen angemessenen Gewinn bzw. Überschuss erwirtschaften können, es kommt dann auf zwei Parameter an: auf die Gewinnverwendung und auf die „angemessene“ Gewinnhöhe. Da beginnt dann die unangenehme, aber notwendige Kärrnerarbeit.
Schauen wir also auf die Ebene vor Ort. Aus Bremen erreicht uns diese Meldung: »Die Bremer Sozialsenatorin will den Personalmangel in Pflegeheimen bekämpfen. Ihre Idee ist, Hedgefonds durch eine neue Bauverordnung abzuschrecken.« Die Bauverordnung soll’s richten, so hat Paul Petsche seinen Artikel überschrieben. »Die Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) hat nun eine neue Bauverordnung für Pflegeheime vorgelegt, mit der die Situation in Bremer Einrichtungen verbessert werden soll … Der Verordnung zufolge sollen Einrichtungen der Altenpflege in Bremen „künftig nur noch mit maximal 80 Plätzen und ausschließlich mit Einzelzimmern“ gebaut werden dürfen. „Mit der Begrenzung der Platzzahlen wollen wir Bremen als Standort für Hedgefonds und Großinvestoren ein bisschen unattraktiv machen“, sagt Stahmann. Die Pflege sei in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr zum Gegenstand wirtschaftlicher Interessen geworden. Das gehe zu Lasten der Qualität, sagt Stahmann.«
Die Einzelzimmer sollen mindestens 14 Quadratmeter groß sein. Nach der neuen Bauverordnung zum Bremischen Wohn- und Betreuungsgesetz – sie soll ab Februar 2022 gelten – »sollen zudem in sämtlichen Privatzimmern sowie in den Gemeinschaftsräumen aller Einrichtungen der Altenpflege Zugänge zum Internet sichergestellt sein«, so dieser Bericht: Bremen führt Obergrenze für neue Altenpflegeheime ein. »Die neue Bauverordnung soll laut Stahmann zudem einen Impuls für die quartiersnahe Versorgung bringen. Kleinere Pflegeeinrichtungen im eigenen Quartier böten alten Menschen die „Chance, weiterhin am sozialen Leben in ihrer angestammten sozialen Umgebung teilzuhaben“. Das ginge nicht mit 150-Betten-Häusern.«
➞ »Im Bundesland Bremen haben nach Mitteilung der Sozialsenatorin derzeit 29 von 101 Einrichtungen der Altenpflege mehr als 80 Plätze. Größtes Haus ist eine Einrichtung in Bremerhaven, die ihre Zahl an Plätzen mit 204 angibt, davon 136 in Einzel- und 68 in Doppelzimmern.«
»Nach der neuen Bauverordnung dürfen zwar in neuen Altenpflegeheimen keine Doppelzimmer mehr gebaut werden. Es soll aber die Möglichkeit geben, zwei Zimmer zu einer „Nutzungseinheit“ zusammenzuschließen, etwa für Paare. Stahmann: „Niemand soll gezwungen werden, mit einer fremden Person in einem Zimmer zu leben, aber wir wollen Paare oder enge Freundinnen und Freunde auch nicht trennen.“«
Paul Petsche zitiert in seinem Artikel Heinz Rothgang, Professor an der Universität Bremen, der betont, dass nicht alle privaten Träger problematisch sind. Die Pflegewirtschaft in Deutschland sei immer noch sehr mittelständisch geprägt, die Lage habe sich aber durch den Auftritt der Investoren verschlechtert. Man müsse zwischen seriösen, inhabergeführten Privatunternehmen und den großen Private-Equity-Firmen differenzieren.
Vor letzteren soll Bremens Bauverordnung zur Platzbegrenzung schützen. Denn größere Heime seien tendenziell wirtschaftlicher. Somit sei der Neubau von kleineren Heimen weniger attraktiv für jene großen Investoren, die an Profit interessiert sind.
Gibt es Bedenken bzw. Zweifel an dem Bremer Ansatz?
Ja, auch die werden vorgetragen: »Doch nicht alle sind in Bremen mit der neuen Bauverordnung zufrieden. Reinhard Leopold, Sprecher der Angehörigen-Initiative „Heim-Mitwirkung“, hält eine Begrenzung auf 80 Plätze für wenig hilfreich. Er verweist auf die Pflegestatistik des Statistischen Bundesamtes. Da ist die durchschnittliche Größe von Pflegeheimen unter privaten Trägern bei 58 Pflegebedürftigen angegeben, gemeinnützige und öffentliche sind dagegen größer. Somit scheint es, als seien private Träger durch die Platzbegrenzung am wenigsten betroffen. Statt der Plätze müsse man die Renditen begrenzen, meint Leopold.«
Aus Sicht der Sozialbehörde wird die Verordnung langfristig trotzdem helfen. Die Pflegestatistik bilde schließlich den heutigen Bestand ab, nicht die künftige Entwicklung. Mit der Bauverordnung werde „noch ein Deckel draufgemacht, bevor das Kind in den Brunnen fällt“, so wird der Sprecher der Sozialbehörde in Bremen zitiert.
Aber: »Ob die Hoffnung berechtigt ist, da ist Pflegeforscher Rothgang unsicher. Für die großen Konzerne sei es momentan sowieso kaum profitabel, Pflegeheime neu zu bauen. Stattdessen würden sie bestehende Heime aufkaufen oder in betreutes Wohnen in Kombination mit Tagespflege investieren. Wie Leopold fordert er, dass die Politik die hohen Renditen der Konzerne auf einen einstelligen Prozentsatz begrenzen müsse.«
An dieser Stelle wird dann versucht, den Ball wieder aus dem lokalen Spielfeld nach oben zu kicken: »Die Bremer Sozialbehörde betont, sie könne auf Landesebene nicht verhindern, dass Heime aufgekauft werden. Ebenso wenig könne sie die hohen Gewinnspannen der Konzerne rechtlich einschränken. Sie will jedoch auf Bundesebene auf Verbesserungen hinwirken.«
Die Ampel-Koalition darf dann an dieser Stelle mal übernehmen, wenn sie denn will. Im nun vorliegenden Koalitionsvertrag 2021-2015 findet man auf den Seiten 80 ff. die Ausführungen zu den vereinbarten Vorhaben im Themenfeld „Pflege und Gesundheit“. Hinweise zu der angesprochenen und von vielen geteilten Forderung, die Gewinnspannen in der Pflege einzuschränken, sucht man hier vergeblich. Aber das könnte ja noch nachgeliefert werden, wenn die neue Regierung erst einmal im Amt ist. Der Konjunktiv sei hier besonders hervorgehoben.
Anmerkung: Bremen ist keineswegs Vorreiter bei der beschriebenen Entwicklung einer Begrenzung der Größe der Pflegeeinrichtungen. Eine Übersicht über die einzelnen Gesetze und Verordnungen der Bundesländer findet man auf dieser Seite des BIVA: Länder-Heimgesetze. Beispiel Nordrhein-Westfalen: Eine Begrenzung auf 80 Plätze findet man im Wohn- und Teilhabegesetz des Landes und der Duchführungsverordnung sowie den Baurichtlinien. Das war auch bereits Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen. Als Beispiel dazu sei auf diesen Beitrag aus dem Jahr 2017 verwiesen: NRW darf Größe von Pflegeheimen begrenzen: »Ein Antrag auf Förderung für den Neubau eines Altenheims in Aachen wurde von der Städteregion abgelehnt. Der Grund: Das Heim mit 124 vorgesehenen Plätzen sei zu groß. Im Sinne des Wohn- und Teilhabegesetzes würden nur kleinere, dezentrale Heime gefördert werden. Einem Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen zufolge ist die Beschränkung auf 80 Plätze für stationäre Pflegeheime zulässig.« Dem Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen zufolge (Az.: 2 K 596/15) darf das Land Nordrhein-Westfalen die Größe von stationären Pflegeeinrichtungen auf 80 Plätze begrenzen.
»Die „Franziska Schervier“ Altenpflege gGmbH hatte einen Antrag auf Förderung für einen Neubau des Seniorenzentrums Lourdesheim in Aachen-Burtscheid gestellt. Dieser wurde jedoch von der Städteregion Aachen abgelehnt, da der Antragsteller 124 Plätze für das Altenheim vorgesehen hat, jedoch seien nur 80 Plätze zulässig. So sieht es das Wohn- und Teilhabegesetz vor, daher blieb die Klage des Investors erfolglos. Auch verfassungsrechtlich sei diese Vorgabe nicht zu beanstanden, da kein Verstoß gegen die Berufsfreiheit gemäß Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) vorliegt. Dieses Grundrecht ist zwar durch die Ablehnung berührt worden, jedoch ist sie in Abwägung mit dem Gemeinwohl gerechtfertigt. Schließlich verfolgt die Landesregierung das Ziel, die Wohnqualität der Bewohner von Pflegeeinrichtungen zu verbessern, sodass Einrichtungen dieser Größe nicht gefördert werden. Vielmehr sollen kleinere, dezentrale Heime geschaffen werden, in denen die Bewohner in gewohnter Umgebung leben können.«
Die damalige Gesundheits- und Pflegeministerin von NRW, Barbara Steffens (Die Grünen) begrüßte das Urteil: „Das Gericht hat die Pflegepolitik des Landes bestätigt, die auf Pflegeeinrichtungen mit überschaubarer Größe und einem Standort möglichst in gewachsenen Stadtvierteln mit Anbindung an das Wohnumfeld setzt. Wer meint, man müsse mit einem Pflegeheim wie bei einer industriellen Produktion durch Ausweitung von Kapazitäten Synergien schaffen und Gewinne steigern, verkennt, worum es hier geht.“