Neues aus der Lieferbotengesellschaft: Die Gorillas Worker wollen einen Betriebsrat und bekommen Hilfestellung vom Arbeitsgericht. Und in eine Branche mit Fragezeichen fließen weiter Milliarden-Wettbeträge von Investoren

Eine herbe Niederlage kommt oftmals in staubtrockenen Worten daher: »Das Arbeitsgericht Berlin hat den Antrag der Arbeitgeberin auf Abbruch der Betriebsratswahl bei einem Fahrradlieferdienst … zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, ein Abbruch der Wahl durch Erlass einer einstweiligen Verfügung sei nur ausnahmsweise möglich, wenn ganz erhebliche Fehler feststellbar seien, die zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl führen würden … Aufgrund der hier von Arbeitgeberseite vorgetragenen Fehler gebe es keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit«, so das Arbeitsgericht Berlin in einer Mitteilung unter der Überschrift Kein Abbruch der Betriebsratswahl, die am 17.11.2021 veröffentlicht wurde.

Um welche Arbeitgeberin es sich hier handelt? Es geht um Gorillas, ein 2020 gegründetes Unternehmen mit Sitz in Berlin, das einen Lieferdienst für Lebensmittel und andere Supermarktwaren in Großstädten betreibt. Dazu gehören eine Online-Bestellplattform, kleine Auslieferungslager in zentralen Lagen und Fahrradkuriere. Die sollen in Berlin sicherstellen, dass der bestellte Einkauf in zehn Minuten an der Haustür des Kunden ist. Und es geht um die Fahrradkuriere, die „Rider“, sowie die „Picker“ in den Lagern, denn die haben in den vergangenen Monaten auf sich aufmerksam gemacht mit „wilden Streikaktionen“ und der Absicht, einen Betriebsrat zu gründen (vgl. dazu bereits den Beitrag Wenn dein starkes Rad es will, stehen viele Rider still. Die Wiederauferstehung „wilder Streiks“ und dann auch noch beim Lebensmittel-Lieferdienst „Gorillas“? vom 12. Juni 2021). Gorillas beschäftigt derzeit etwa 2.000 Mit­ar­bei­te­r allein in Berlin, 75 Prozent davon sind Fah­re­r oder Lagermitarbeiter. Über genaue Zahlen, auch über Berlin hinaus, schweigt das Unternehmen. Anfang Oktober hatte Gorillas laut Angaben der Gewerkschaft Verdi 350 Rider entlassen. Als Begründung wurden seitens des Unternehmens die „unangekündigten wilden Streiks“ genannt.

Das Start-up-Unternehmen Gorillas habe eine saftige Niederlage einstecken müssen, so Moritz Aschemeyer in seinem Artikel Pleite für Lieferdienst Gorillas: »Die für kommende Woche angesetzte Betriebsratswahl kann wie geplant stattfinden, entschied das Gericht. Genau das hatte Gorillas zu verhindern versucht.« Ein Hauptargument des Unternehmens, die Wahl zu verbieten, stellt ab auf organisatorische Maßnahmen, mit denen man gerade die Wahl eines Betriebsrates aktiv verhindern wollte:

»Vor allem … sei unklar, so die Argumentation von Gorillas, für welche Beschäftigten der Wahlvorstand überhaupt zuständig sei. Denn zum 1. Oktober hatte das Unternehmen das operative Geschäft, darunter auch die Kurier*innen, an die neu gegründete Gorillas Operations Germany GmbH & Co. KG ausgelagert. Zudem wurde erst diese Woche ein Franchisemodell eingeführt, bei dem jedes Warenlager als eigenständige Unternehmenseinheit agieren soll.«

Die Stoßrichtung des Unternehmens ist offensichtlich: Durch die Aufsplitterung der Belegschaft durch eine betriebliche Umstrukturierung will man zum einen Verwirrung stiften, für wen eigentlich ein Betriebsrate gewählt wird bzw. werden kann, zum anderen müssten bei erfolgreicher Zerkleinerung des Unternehmens in mehreren, kleinen Unternehmen entsprechende Betriebsräte gewählt werden. Genau diesen Effekt macht sich das Unternehmen in seiner Klage vor dem Arbeitsgericht dann auch zunutze: „Es ist völlig unklar, für welchen Betrieb denn nun ein Betriebsrat gegründet werden soll.“

Dazu Anton Reiter unter der Überschrift Gorillas will in Berlin Franchise-Modell einführen: »Das Liefer-Start-up Gorillas versucht seit Längerem, den Aufbau eines Betriebsrats zu verhindern. Nun soll aus jedem Berliner Warenlager ein eigenes Unternehmen werden. Kritiker vermuten einen Zusammenhang.« Und weiter: »Die sogenannten Warehouses, wie der Lieferdienst seine innerstädtischen Lagerhallen nennt, sollen ab dem 16. November „in eigenständige Unternehmenseinheiten“ eingeteilt werden. Alle klassischen Aufgaben einer Firma sollen dann durch Franchisenehmer erfüllt werden, darunter die Schicht- und Stellenplanung. „Für die Unternehmenseinheit sind Warehouse Manager verantwortlich“, schreibt Gorillas.« Das Unternehmen hatte in einem beim Arbeitsgericht Berlineingereichten Schriftsatz argumentiert, seine 18 Berliner Lager, im Konzernsprech Warehouses genannt, nun in eigenständige Unternehmen umgewandelt zu haben. Die Angestellten mussten entsprechende neue Verträge unterschreiben.

Dabei ist das schon der zweite Schritt, der erste Schritt war eine Zweiteilung des Unternehmens: Gorillas hat bereits eine kurzfristige Neustrukturierung durchgesetzt, die Anfang Oktober in Kraft trat. Seitdem beschäftigt eine zweite Firma alle Kuriere und die Mitarbeiter in den Lagerhäusern. Schon damals lag die Vermutung nahe, dass sich der Schritt in erster Linie gegen die Arbeitnehmervertreter richtete. Nun folgt, nur wenige Wochen später, die nächste Umstrukturierung. Der Arbeitsrechtler Martin Bechert wird mit diesem Fazit zitiert: „Union Busting wie aus dem Drehbuch“. Man zerstückle sein Unternehmen so stark, dass die Interessensvertretung der einzelnen Kuriere keine Chance auf Organisation habe. „Es ist eine systematische Vereinzelung der Arbeitnehmer“, so Bechert.

»Und wie sieht es mit der Interessensvertretung in den neuen Mini-Unternehmen aus? Auch die sei weiterhin möglich, Mitarbeiter könnten sich immerhin durch »direkte Gespräche, interne Feedback-Kanäle und weitere Formate, die in ihrem Lager zur Verfügung stehen, Gehör verschaffen«, schreibt Gorillas. Daneben bestehe auch die Möglichkeit, eine formelle Arbeitnehmervertretung einzuführen – vorausgesetzt, dass sich bis dahin nicht wieder die Strukturen ändern.«

»Gorillas spricht von mehr „Eigenständigkeit, Gestaltungsspielraum und Flexibilität“ für die einzelnen „Teams“ – hat aber womöglich ganz anderes im Sinn. Die Zerschlagung der Zentralstruktur dürfte auch die Bemühungen der Angestellten unterlaufen, einen Betriebsrat zu gründen«, so Erik Peter in seinem Artikel Mini-Gorillas vs. Rider-Rechte. Und wenn man schon umstrukturiert, dann offensichtlich gleich „richtig“ – steuersparende Effekte werden dann auch noch anvisiert: »Für Gorillas geht die Expansion weiter. Als neues Dach dient der Firma eine niederländische Holding. Dieser wohl auch steuersparende Schritt solle die „nächste Wachstumsphase optimal unterstützen“.«

In diesem Kontext ist nun die für viele unerwartete Entscheidung des Berliner Arbeitsgerichts ein Rückschlag für das Unternehmen – das illustriert auch diese Darstellung von Erik Peter unter der Überschrift Gorilla mit Knebel: »War es eine vorschnelle Sektlaune oder der grundsätzliche Ausdruck einer überheblichen, arbeitnehmerfeindlichen Stimmung in der Managementabteilung von Gorillas? Am Dienstagabend jedenfalls verschickte diese eine Rundmail an alle Beschäftigten, in der es hieß, dass die für nächste Woche geplante Wahl des Betriebsrates nicht stattfinden wird. Doch die Start-up-Führungsriege hat ihre Rechnung ohne das Berliner Arbeitsgericht gemacht.« Etwa 50 Rider und Beschäftigte der Warenlager, darunter auch der gewählte neunköpfige Wahlvorstand, waren vor dem Gerichtsgebäude in Tiergarten erschienen. »Der Prozess markierte den vorläufigen Höhepunkt ihres Engagements für bessere Arbeitsbedingungen. Immer wieder hatte das Gorillas Workers Collective in den vergangenen Monaten Proteste und Streiks organisiert, nun sollten die eher anarchistischen Strukturen in die Gründung eines ordentlichen Betriebsrates münden.«

»Eines muss man Gorillas zugestehen: Sie lassen nichts unversucht. Wenn es darum geht, die Rechte der eigenen Beschäftigten zu beschneiden, ist das Unternehmen auf beschämende Weise kreativ. Seit Neuestem probiert das Lieferdienst-Start-up ein Franchise-System aus. Die 18 Berliner Lager sind nun eigenständige Unternehmen. Mit der Zerstückelung in einzelne Betriebe verfolgt Gorillas ein klares Ziel: Es soll keinen Betriebsrat geben, der für alle Mitarbeiter zuständig ist. Am besten soll es gar keine Vertretung geben«, so beginnt die Kommentierung von Fabian Hartmann unter der Überschrift Es ist gut, dass das Arbeitsgericht Gorillas in die Schranken weist. »Das, was Gorillas macht, ist ein klarer Fall von Union Busting, also systematischer Behinderung von Gewerkschaftsarbeit und Interessenvertretung. Mit sozialer Marktwirtschaft hat ein solches Verhalten nichts zu tun. Es ist gut, dass das Berliner Arbeitsgericht dem am Mittwoch einen Riegel vorgeschoben hat. Zumindest die geplante Betriebsratswahl kann in der kommenden Woche erfolgen.« Allerdings sieht auch Hartmann die Achillesferse: »… die Aufteilung in Unter-Firmen ist nicht per Gerichtsbeschluss rückgängig zu machen. Wird der Betriebsrat gewählt, könnte er dastehen wie ein König ohne Reich.«

»Hinter Gorillas steht schließlich ein knallhartes Geschäftsmodell«*

*) Zitat aus dem Artikel Es ist gut, dass das Arbeitsgericht Gorillas in die Schranken weist von Fabian Hartmann

Abschließend noch der Blick aus einer Vogelperspektive auf diese eigenartige Branche, die da vor unseren Augen expandiert. Parallel zu den Berichten über die Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin konnte man solche Meldungen zur Kenntnis nehmen: Größter US-Essenslieferdienst kommt nach Deutschland: »In Stuttgart beginnt Doordash aus San Francisco einen Test für Restaurantauslieferungen. Klappt das, sollen weitere Städte folgen.« Es handelt sich dabei nicht um irgendein Unternehmen: Mit einem Marktanteil von 56 Prozent ist Doordash der größte Lebensmittellieferdienst in den Vereinigten Staaten. Und das beginnt seine Expansion nach Deutschland in Stuttgart.

➞ Wie soll das ablaufen? »Andy Fang, Mitgründer und Chief Technologie Officer von Doordash, sagte: „Stuttgart hat eine ausgesprochen vielfältige Gastronomie.“ Mit der Doordash-App können die Kunden in Stuttgart nun bei lokalen Anbietern bestellen, darunter Masseria, Carls Brauhaus, Enchilada, Mela Kaffee, Frittenwerk und Wirtshaus Drive sowie bei deutschlandweiten Gastro-Ketten wie KFC, Burger King, Backwerk oder L’Osteria. Doordash bieten den Stuttgarter Händlern außerdem Zugang zu dem Online-Bestellsystem Storefront. Händler können Storefront zu ihren Webseiten hinzufügen und so Online-Bestellungen ermöglichen. „Wenn wir erfolgreich in Stuttgart sind, dienen uns die hier gesammelten Erfahrungen auch in anderen Städten“, sagte Fang.« Zum Start in Deutschland wird Storefront für Geschäfte bis Ende des Jahres provisionsfrei sein, Kosten für Gebühren bei der Zahlungsabwicklung werden den Händlern berechnet. Konkurrent Lieferando benachteiligt die Restaurants, oft kleine Familienbetriebe: Bei Auslieferung der Restaurants durch eigene Fahrer kassiert Lieferando 13 Prozent des Bestellwertes. Bei Auslieferung durch Lieferando-Fahrer werden 30 Prozent abgezogen. Welchen Anteil Doordash berechnet, ist noch nicht bekannt.« Auch die Fahrer tauchen in der Ankündigung auf: »“Ich möchte klarstellen, dass wir in Deutschland Kurierfahrer Vollzeit über eine Agentur beschäftigen“, sagte Fang der Deutschen Presse-Agentur. „Wir bieten ihnen Trainings für die Sicherheit und sie bekommen die Ausrüstung, die sie für ihren Job brauchen – Helme, Handschuhe, Winterjacken. Sie erhalten auch E-Bikes.“ Zuerst würden 30 Fahrer beschäftigt.«

»Längere Zeit war Lieferando in Deutschland nahezu der einzige Anbieter für Restaurantlieferungen. Inzwischen ist der Markt für Essenslieferungen umkämpfter. Neben Wolt ist auch der Berliner Konzern Delivery Hero unter seiner Marke Foodpanda wieder auf dem hiesigen Markt unterwegs. Dieser hatte erst 2019 sein gesamtes Deutschlandgeschäft verkauft. Delivery Hero bietet sowohl Restaurant- als auch Lebensmittellieferungen des täglichen Bedarfs an. In diesem Marktsegment ist Lieferando bislang nicht tätig. Dort sind bereits Wettbewerber wie Gorillas, Flink oder Getir aktiv. Auch Wolt plant eine Erweiterung des Angebots über zubereitete Gerichte hinaus.«

Apropos Wolt: Am 9. November 2021 kündigte Doordash die Übernahme von Wolt für über 8,1 Milliarden US-Dollar an.

Hier geht es offensichtlich um richtig große Beträge. Man kann das auf den Punkt bringen: Perverse Schlacht um unsere Haustür: Lieferdienste zocken ab und verbrennen Millionen, so die Überschrift eines Artikels von Oliver Stock. »Es vergeht kaum ein Monat, in dem nicht ein neuer Lieferdienst ankündigt, erst den deutschen Markt und dann die Welt zu erobern. Bisher sind die Eroberer allerdings vor allem Verlierer: Sie verbrennen das Geld der Investoren wie in einem Hochofen. Und ihre Fahrerinnen und Fahrer leisten Knochenarbeit für einen Hungerlohn.«

Und hier taucht auch Gorillas auf: »Der auf Plakaten allgegenwärtige 10-Minuten-Lieferdienst Gorillas verbrennt – pro Tag – geschätzt eine Million Euro.« Ein anderes Beispiel aus der sich konstituierenden Lieferbotenbranche: »Der in diesem Jahr von Dr. Oetker aufgekaufte Lieferdienst Flaschenpost hat seinen bisher ersten und einzige Konzernabschluss veröffentlicht. Für das Jahr 2019 wies er einen Verlust aus, der beinahe so hoch war wie der Umsatz: 70 Millionen bei 94 Millionen Euro Umsatz. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind es nicht, die den Verlust nach oben treiben. Denn die speist er mit knapp mehr als dem Mindestlohn ab und beschäftigt sie oft mit befristeten Kettenverträgen. Das ist an sich verboten, Startups können aber eine Ausnahme in Anspruch nehmen.«

Und es hört nicht auf: »Gleichzeitig überschwemmen neue Anbieter den Marktplatz vor der Haustür: Rewe hat sich entschlossen, beim Lieferdienst Flink einzusteigen, um dem Konkurrenten Edeka, der mit den Minitransportern des niederländischen Startups Picnic unterwegs ist, nicht allein die Straße zu überlassen. Der neue türkische Anbieter Getir will noch in diesem Jahr seine Liefertruppe auf 1000 Mitarbeiter aufstocken. Und ein britisch-amerikanische Lieferdienst mit dem auf deutsch kruden Namen „Gopuff“ will ab sofort in großem Stil vor allem Drogerieartikel persönlich an die Frau oder den Mann im Home-Office überreichen.«

»Sie alle haben das gleiche Geschäftsmodell: Sie kaufen billig ein, was nur bei großen Mengen funktioniert. Sie dürfen keine teure Belegschaft mit sich herumschleppen, das mögen die Investoren nicht.«

Und auch bei den ganz großen Summen taucht Gorillas wieder auf: »Laut dem US-Datenanbieter Pitchbook haben Investoren im ersten Halbjahr 2021 weltweit rund drei Milliarden Dollar in mehr als 40 Lieferdienste gepumpt. 1,3 Milliarden davon gingen an Gorillas, Flink und Getir. Die Tendenz dürfte im laufenden zweiten Halbjahr noch steigen, da allein Gorillas in Berlin nach eigenen Angaben in diesem Monat bei einer Finanzierungsrunde ein Milliarde Dollar eingesammelt hat. Es sei die größte Finanzierungsrunde eines nicht börsennotierten Unternehmens in der europäischen Lieferdienst-Branche, stellt Gorillas selbstbewusst fest.«

Ob sich diese Investitionen für die Geldgeber rechnen werden, ist jedoch pure Spekulation. Und für Fragezeichen gibt es viele Gründe. Oliver Stock liefert dazu die folgende Einschätzung: »Wie immer, wenn sich ein Markt neu bildet, trennt sich nach etwa drei Jahren die Spreu vom Weizen. Erst treffen die jungen Unternehmen in der Boomphase auf Investoren, die aufgrund des zinslosen Geldes fast verzweifelt auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten sind. Jede mögliche Rendite ist besser als keine oder gar Strafzinsen, wenn das Geld auf der Bank liegt, lautet ihr gesammelter Erfahrungsschatz der letzten zehn Jahre. Nach der Boom- kommt die Konsolidierungsphase, in dem der Stärkere den Kleineren kauft oder verdrängt. Es gibt viele Verlierer und wenig Gewinner, die dann allerdings auch Geld verdienen und sich an die Regeln halten müssen. Bis dahin jedoch ist es noch ein langer Weg. Derzeit sortieren sich die Lieferdienste, um mit möglichst gut ausgebildeten Muskeln in die Konsolidierungsphase überzugehen.
Marktbeobachter, die sich drastisch ausdrücken, rechnen dabei jedoch mit einem „Blutbad“. Sie bezweifeln, dass die Unternehmen jemals schwarze Zahlen schreiben können. „Wenn ein Fahrradkurier für eine Liefergebühr von 1,80 Euro zehn Minuten zum Kunden hin- und wieder zurückfährt und Unternehmen dafür eine gigantische Werbeschlacht veranstalten, kann man damit kein Geld verdienen“, sagt Otto Strecker, Experte für Lebensmittelmarketing und Vorstand der AFC Consulting Group AG in Bonn.«

Natürlich wird sich der eine oder andere an dieser Stelle fragen, warum dann trotzdem so viel Geld investiert wird, die Anleger müssten das doch auch wissen oder ahnen? „Es gibt einfach zu viel Geld.“ Ein „Problem“, das viele gerne hätten. »Die Hoffnung all derer, die in Geld schwimmen und nicht wissen wohin damit, ist wie die auf den Sechser im Lotto: Sie glauben, ausgerechnet sie haben das Startup gefunden, das am Ende als Monopolist auf dem Markt die Preise diktiert. Man könnte auch sagen: Gorillas auf Futtersuche profitieren vom Raubtierkapitalismus der Startupsammler.« Und der Weg dahin besteht aus dem Einsammeln von Marktanteilen.

Für alle Freunde des Wahnsinns kommen dann solche Kombinationen zustande: »Der Dax-Konzern Delivery Hero, der in seiner zehnjährigen Geschichte noch keinen Cent verdient hat, beteiligt sich an Gorillas, wo Investorengeld vernichtet wird wie anderswo Altpapier im Reißwolf.«

Nun muss man kein Atom Mitleid haben mit Investoren, die mit unglaublichen Geldbeträgen zocken wie in einer Spielbank.

Aber man könnte natürlich die Grundsatzfrage aufwerfen: Was soll das eigentlich für eine Gesellschaft sein, in der man sich Lebensmittel innerhalb von zehn Minuten (was sowieso nur in Großstädten und unter Ausbeutungsbedingungen realisierbar ist) von Fahrradkurieren, die sich selbst permanent im großstädtischen Verkehr in Lebensgefahr begeben, liefern lässt – wohlgemerkt in großen Städten, in denen man mit etwas Bewegung überall entsprechende Einkaufsmöglichkeiten vor der Haustür finden und nutzen kann. Ist diese Rückkehr einer Dienstbotengesellschaft (mit dem Unterschied, das die Inanspruchnahme der Dienstboten insofern „demokratisiert“ ist, als das jetzt auch Leute darauf zugreifen können, die zu früheren Zeiten selbst als Dienstboten hätten arbeiten müssen) nicht eher Ausdruck einer pathologischen Entwicklung, die vielleicht dem Zeitgeist schmeichelt, aber in mehrfacher Hinsicht haltlos ist? Könnte man fragen. Und man könnte auch Antworten finden.