Es sollte angekommen sein, dass sich die Kräfteverhältnisse auf vielen Arbeitsmärkten zu verschieben beginnen. Anders ausgedrückt: Nun sind die Arbeitnehmer dran, weil sie weniger werden, vor allem bei den Fachkräften, sie könnten nun ganz andere Bedingungen erstreiten, wobei der Konjunktiv hier besonders unterstrichen werden muss, denn das ist kein Selbstläufer. Das betrifft nicht nur Bereiche wie die Pflege, sondern auch Handwerker und Facharbeiter werden zur Mangelware. Selbst un- und angelernte Arbeitskräfte werden zunehmend knapp. Corona hat in manchen Branchen wie ein Brandbeschleuniger gewirkt, da es Abwanderungsbewegungen in größerem Umfang gegeben hat. Der Hotel- und Gaststättenbereich – im vergangenen Jahr ziemlich gebeutelt von den Betriebsschließungen und selbst nach der Öffnung begrenzt durch die Auflagen – ist hier ein besonders betroffenes Beschäftigungssegment, nicht wenige haben die Betriebe verlassen und sich in andere Branchen umorientiert. Bessere Bezahlung, bessere Arbeitszeitbedingungen – warum soll man dann wieder zurückkommen?
Natürlich könnte der eine oder die andere an dieser Stelle den erwartbaren Einwand vortragen, dass dann eben die „andere“ Seite die Löhne erhöhen und de Bedingungen verbessern muss, damit wieder (mehr) Arbeitskräfte kommen. Nun ist das offensichtlich einfacher geschrieben, als getan. Aber nun erreichen uns aus dem Gastgewerbe interessante Meldungen.
»Weil in der Corona-Pandemie viel Personal in andere Branchen gewechselt ist, kämpfen Hotels und Gaststätten derzeit mit einem massiven Mangel an Beschäftigten.« Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) Rheinland-Pfalz will »unter anderem deutliche Lohnerhöhungen für Auszubildende, Fach- und Hilfskräfte«, so diese Meldung: Gehälter und Preise im Gastgewerbe sollen deutlich steigen. Man habe einen „Sieben-Punkte-Plan“ erarbeitet und nach dem soll es einen echten Sprung geben: So »sollen Fachkräfte künftig mindestens 15 Euro pro Stunde verdienen (bislang 11 Euro), Hilfskräfte sollen 12 Euro (bisher 9,60 Euro) erhalten. Auch die Löhne der Auszubildenden sollen steigen: auf 1.000 Euro im ersten Jahr, 1.100 Euro im zweiten und 1.200 Euro im dritten Jahr. Laut DEHOGA entspricht dies Steigerungen von 60, 42, und 30 Prozent gegenüber den aktuellen Vergütungen.«
»Hotels und Gaststätten müssten aus der „Billiglohn-Image-Ecke“ herauskommen, wird Verbandspräsident Gereon Haumann zitiert. Durch höhere Löhne, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie und bessere Personalführung in den Betrieben solle ein attraktiveres Arbeitsumfeld geschaffen werden.«
Aber schauen wir einmal genauer hin.
In der Originalquelle wird von „exorbitanten Gehaltserhöhungen in allen Entgeltgruppen“ gesprochen:
➔ DEHOGA Rheinland-Pfalz (2021): Sieben Meilensteine zur Mitarbeitergewinnung im Gastgewerbe. Schulterschluss von Gastgebern, Gästen und Politik, Bad Kreuznach, 31. August 2021
»Die Entgelte für ausgebildete Fachkräfte sollen auf 15,00 Euro (aktuell 11,00 Euro) je Stunde und auf monatlich 2.535 Euro (+ 36,4%, aktuell 1.859 Euro) angehoben werden. Damit wird die Attraktivität einer Ausbildung im Gastgewerbe zusätzlich gesteigert.
Auch bei den Einstiegslöhnen für angelernte Hilfskräfte in der untersten Entgeltgruppe sind entsprechende Lohnsteigerungen vorgesehen. So soll das Entgelt in dieser Gruppe auf 12,00 Euro je Stunde (aktuell 9,60 Euro) und damit auf 2.028 Euro (+25%, aktuell 1.622 Euro) angehoben werden. Die unterste Lohnstufe wird zukünftig jedoch immer mindestens 5% über dem gesetzlichen Mindestlohn liegen.«
Die DEHOGA Rheinland-Pfalz bringt das auf eine durchaus griffige Formel: „Also: Nie mehr nur Mindestlohn!“
Nun wird der eine oder andere skeptisch anmerken, wo der mögliche Haken bei dieser Sache ist. Lesen wir also weiter: »Diese exorbitanten Gehaltserhöhungen in allen Entgeltgruppen führen zu entsprechenden Kostensteigerungen der Personalbudgets von bis zu 30% und erfordern neben weiteren Maßnahmen auch eine Überprüfung der Zulagen des Manteltarifvertrages«, heißt es in dem Papier.
Interessanterweise wird hier von der Arbeitgeberseite auch eine Allgemeinverbindlicherklärung einer solchen (möglichen) Vereinbarung gefordert: »m Wettbewerbsverzerrungen bei den Lohnkosten in der Branche zu verhindern, wird die Allgemeinverbindlichkeit dieser Tarife angestrebt.
Aber nicht nur die Lohnfrage wird von der DEHOGA adressiert. Auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie: »Die Bedeutung von planbarer und ausreichender Freizeit wird gerade für die Beschäftigten im Gastgewerbe immer wichtiger. Vereinbarkeit von Beruf und Familie, von Arbeit und Freizeit werden wir durch intelligente und verlässliche Dienstpläne abbilden müssen.« Nach den Vorstellungen der Arbeitgeberseite könnte das bedeuten: »Dabei wird zukünftig eine 4-Tage Woche ebenso möglich sein wie eine 6-Tage Woche; erstere eher mit täglich 10 Stunden und letztere eher mit 6 Stunden täglich. Je nach Jahreszeit und Saison aber auch anders. Es braucht passgenaue Arbeitszeitmodelle, die auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der jeweiligen Mitarbeiter ausgerichtet sind. Dabei ist eine unterbrechungsfreie ganzjährige Beschäftigung anzustreben, um aus Saisonarbeitsplätzen sichere und wertige Dauerarbeitsplätze zu machen.«
Natürlich ist es so, dass alles seinen Preis hat. Die rheinland-pfälzische DEHOGA argumentiert so: »Die notwendigen exorbitanten Lohnsteigerungen erfordern auskömmliche, faire Preise mit Steigerungen von 9 bis 15 Prozent. Diese werden durch eine Wertschätzungskampagne des DEHOGA begleitet. „Faire Preise für gute Löhne“ statt „Geiz ist geil“ ist angesagt!«
Und abschließend wird auch die Politik anvisiert – und man liegt nicht falsch bei der Annahme, dass es wieder einmal das Arbeitszeitgesetz ist, das hier aus Sicht des Gastgewerbes verändert werden sollte:
»Politik kann das strukturelle Problem der Winterarbeitslosigkeit im Gastgewerbe durch eine Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes lösen. Wochenarbeitszeiten und Jahresarbeitszeitkonten sind geeignete Instrumentarien um saisonale Schwankungen abzufedern und Dauerarbeitsplätze zu schaffen. Überstunden in den Hochsaisonzeiten gewährleisten durch Freizeitausgleich in den schwachen Saisonzeiten ganzjährige Beschäftigung.«
Und nicht nur ein den Bedürfnissen der Arbeitgeber angepasstes Arbeitszeitgesetz steht auf der Wunschliste – auch die erleichterte Zuwanderung und Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte wird angemahnt: »Politik kann die Zuwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt signifikant erleichtern … Dazu sollte Politik als Einreisekriterium – auch für außereuropäische Herkunftsländer – einzig auf das Vorliegen eines rechtsverbindlichen Arbeits- oder Ausbildungsvertrages abstellen. Dabei ist die Zielgruppe deutlich über die des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes hinaus zu fassen.«
Natürlich kann man den Vorstoß sofort relativieren, auch hinsichtlich der am Anfang skizzierten Lohnerhöhungen, die in den Raum gestellt werden. Beispielsweise dadurch, dass man darauf hinweist, dass die für die unterste Entgeltgruppe bei den Einstiegslöhnen vorgeschlagene Erhöhung von derzeit 9,60 Euro auf 12 Euro lediglich den für das kommende Jahr von der sich derzeit bildenden Ampel-Koalition bereits im Sondierungspapier vereinbarte einmalige Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns gleichsam vorwegnehmend einpreist in das Lohngefüge. Dann muss es natürlich auch darüber entsprechende Anhebungen geben, will man das Gefälle nicht zu stark einebnen. Allerdings wird auch vorgeschlagen, dass die „unterste Lohnstufe … zukünftig jedoch immer mindestens 5% über dem gesetzlichen Mindestlohn liegen“ soll.
Aber immerhin kann man das ausgehend vom Ist-Zustand als einen ordentlichen Vorstoß bezeichnen, vor allem, wenn solche Hausnummern vor Verhandlungen in den Raum gestellt werden. Und die sollen kommen: »Die Gremien des DEHOGA Rheinland-Pfalz haben … ihrer Arbeitgeberkommission ein weites Verhandlungsmandat erteilt, um noch in diesem Jahr mit der NGG sowohl einen neuen Entgelt- als auch einen neuen Manteltarifvertrag zu vereinbaren.«
Und was sagt die bisherige Realität der Tarifverhandlungen in der Branche?
An benachbarter Stelle wird man dann mit den Realitäten des in dieser Branche wahrlich nicht einfachen Tarifgeschäfts konfrontiert.
Am 11. Oktober 2021 hat der Landesbezirk Südwest der Gewerkschaft Nahrung – Genuss – Gaststätten (NGG) unter der Überschrift Will der DEHOGA wirklich Fachkräfte gewinnen? Tarifverhandlung seitens der Arbeitgeber abgesagt berichtet: Der für den 15. Oktober 2021 vereinbarte Termin für die 2. Tarifverhandlung wurde von der DEHOGA Baden-Württemberg abgesagt und auf unbestimmte Zeit verschoben. Der DEHOGA Baden-Württemberg rechtfertigt die Absage damit, dass man erst auf dem DEHOGA Delegiertentag am 22. November 2021 über die Forderungen der Gewerkschaft NGG beraten wolle. Offensichtlich wird hier seitens der Arbeitgeber auf Zeit gespielt – dabei weist die Gewerkschaft darauf hin, dass fast 20 Prozent der Beschäftigten in Baden-Württemberg die Branche verlassen haben.
Um welche konkreten Forderungen geht es hier?
Alexander Münchow, der Landesbezirkssekretär im Landesbezirk Südwest und Verhandlungsführer der NGG wird mit den Worten zitiert, »wir brauchen Löhne von mindestens 12 Euro in den untersten Lohngruppen und eine entsprechende Anhebung für die Fachkräfte. Armutslöhne und schlechte Arbeitsbedingungen müssen im Hotel- und Gastgewerbe endlich der Vergangenheit angehören.«
»Die NGG-Tarifkommission Baden-Württemberg fordert mindestens 12 Euro pro Stunde in den unteren Lohngruppen und entsprechend spürbar mehr Geld für Fachkräfte. Aktuell werden in der untersten Lohngruppe 10,09 Euro bezahlt. Fachkräfte in der Ecklohngruppe erhalten aktuell 12,50 Euro. Darüber hinaus fordert die NGG … für Auszubildende … u.a. eine überproportionale Anhebung der Ausbildungsvergütungen und eine unbefristete Übernahme nach der Ausbildung.«
Und was bieten die Arbeitgeber im Ländle (derzeit)?
»Aktuell bietet der DEHOGA Baden-Württemberg eine Steigerung der Löhne und Gehälter von 4,5 Prozent auf 14 Monate an. Das wären in der untersten Lohngruppe 10,55 Euro. Bei den Ausbildungsvergütungen bietet der Arbeitgeberverband 800 Euro im 1. Ausbildungsjahr, 900 Euro im 2. Ausbildungsjahr und 1.000 im 3. Ausbildungsjahr.«
Das ist alles noch eine ordentliche Hausnummer weg von dem, was die DEHOGA Rheinland-Pfalz in ihrem 7-Punkte-Rettungspapier für die Branche bereits Ende August 2021 gefordert hat. Und das in einem Bundesland, was wahrlich nicht so gut bestückt ist wie Baden-Württemberg.
Man darf gespannt sein, ob das nur eine PR-Maßnahme war oder ob sich in den Verhandlungen mit der Gewerkschaft NGG tatsächlich der Pfad hin zu „exorbitanten Gehaltssteigerungen“ im Gastgewerbe realisieren lassen. Denn vielen Niedriglohnsektor-Beschäftigten in der Branche wäre es zu wünschen.