Viele reden über die Notwendigkeit, dass es zu einem Pflegestreik kommen müsse, damit sich wirklich mal was ändert – und das schon seit vielen Jahren (vgl. nur als ein Beispiel von vielen den Beitrag „Es macht einen krank“ von Zacharias Zacharakis, der am 2. Februar 2017 veröffentlicht wurde: »Noch nie haben sich Pflegekräfte an Deutschlands Krankenhäusern zu einem gemeinsamen Großstreik verabredet. Das dürfte sich bald ändern. Die Forderung: mehr Personal.«). Allerdings ist das leichter dahingesagt als organisiert. Es gibt viele Hürden, die genommen werden müssten (vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Pflegestreik? Zwischen Theorie und Praxis der starken Arme, die theoretisch alles lahmlegen können, praktisch aber mit vielen Hürden konfrontiert werden vom 22. August 2021). Das kann man wie in einem Lehrbuch live in Berlin studieren. Dort gab es nach einem im Mai 2021 gestellten 100 Tage-Ultimatum (vgl. dazu Berliner Pflegekräfte stellen 100-Tage-Ultimatum im Wahlkampf), das man offensichtlich nicht ernst genommen hat, eine erste Warnstreikaktion – und bereits die sollte auf arbeitsgerichtlichen Wege verhindert werden, was letztendlich aber gescheitert ist (der Vivantes-Vorstand hatte im August eine einstweilige Verfügung erwirkt, wonach ein Warnstreik vorübergehend untersagt wurde. In zweiter Instanz hoben Richter diesen Beschluss auf).
Aus der Hauptstadt erreicht uns nun diese Meldung: 98 Prozent für Pflegestreik bei Charité und Vivantes: »Verdi beendet Urabstimmung – nun steht ein unbefristeter Streik der Pflegekräfte in Berlins Vivantes-Krankenhäusern und der Universitätsklinik bevor«, berichtet Hannes Heine.
»In Berlins landeseigenen Krankenhäusern könnte schon ab Donnerstag ein unbefristeter Pflegestreik starten.« Man bereite sich auf einen Streik vor, der deutlich umfassender sein werde, als die tageweisen Arbeitskämpfe der vergangenen Wochen, so Meike Jäger von der Gewerkschaft ver.di. Man sei zu einem „Erzwingungsstreik“ bereit.
➔ Um was geht es der Gewerkschaft? »Für die Klinikbelegschaften fordert ver.di einen Tarifvertrag Entlastung, der Mindestpersonalbesetzungen für Stationen und Bereiche regelt, einen Belastungsausgleich für den Fall, dass diese nicht eingehalten werden sowie eine Verbesserung der Ausbildungsbedingungen. In den Tochtergesellschaften von Vivantes will die Gewerkschaft erreichen, dass sich die Arbeitsbedingungen und die Entlohnung aller Beschäftigten nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) richten.« Urabstimmung: ver.di-Mitglieder bei Charité und Vivantes stimmen für Streik, 06.09.2021
Und Hannes Heine fasst die Forderungen so zusammen: »Die Beschäftigten in den Vivantes-Tochterfirmen für Reinigung, Transport und Küche wollen für sich den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVÖD) wie er in den Vivantes-Stammhäusern gilt. Im Einzelfall bedeutet das Hunderte Euro mehr im Monat.
Politisch bedeutsamer ist der von Verdi geforderte „Entlastungstarifvertrag“, den die Pflegekräfte in den Vivantes-Kliniken als auch der Charité fordern. Dabei geht es um einen fixen, einklagbaren Schlüssel für mehr Pflegekräfte, der zehn bis 15 Prozent mehr Personal an den Krankenbetten erforderlich machen würde. Für Charité und Vivantes hieße das, mindestens 1000 examinierte Pflegekräfte müssten rekrutiert werden.«
Das Ergebnis der Urabstimmung ist nun wirklich mehr als eindeutig: »Die Gewerkschaft teilte im Detail mit: In der Charité stimmten 97,8 Prozent der teilnehmenden Verdi-Mitglieder für Streik, in den Vivantes-Kliniken 98,5 Prozent und in den Vivantes-Tochterfirmen für Reinigung, Transporte und Küche 98,8 Prozent.«
In einem nächsten Schritt »wird sich die Gewerkschaft mit den Vorständen von Charité und Vivantes auf Notdienst-Vereinbarungen verständigen.«
Dazu die Gewerkschaft: »Um einen geordneten Streik zu ermöglichen, sei ver.di weiterhin zum Abschluss von Notdienstvereinbarungen bereit, die sowohl die Patientensicherheit als auch das Streikrecht der Beschäftigten garantieren, betont Tim Graumann, der für ver.di die Notdienstverhandlungen führt. „Ich hoffe sehr, dass Vivantes nicht erneut versucht, mit juristischen Tricks gegen die eigenen Beschäftigten und ihr Streikrecht vorzugehen. Dafür gäbe es weder in der Belegschaft noch in der Bevölkerung oder bei den politischen Entscheidungsträgern irgendein Verständnis.“«
»Wie wirksam der Ausstand sein wird, hängt aber nicht nur vom Umfang der Notdienste ab, sondern vor allem von der Organisationsmacht der Gewerkschaft selbst. Jede dritte Pflegekraft auf den Vivantes- und Charité-Stationen dürfte vagen Schätzungen zufolge inzwischen Verdi beigetreten sein«, so Hannes Heine in seinem Bericht.
Die Gewerkschaft ver.di rechnet mit deutlich mehr als 1.000 bis 2.000 Beschäftigten, die in den Streik treten werden, so die Verdi-Verhandlungsführerin Meike Jäger.