Vielleicht gut gemeint, aber … Die (nicht nur) coronabedingte Krise der Berufsausbildung und das Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“

Es ist ja nicht so, dass nicht frühzeitig gewarnt wurde. Dass die Corona-Krise, die gerade in dem für das Ausbildungsjahr so wichtigen Frühjahr 2020 als erste Welle über uns gekommen ist, negative Folgen für die berufliche Ausbildung haben wird, lag auf der Hand und wurde auch thematisiert. »Die schon lange vor der Corona-Krise erkennbaren Strukturprobleme des an sich so erfolgreichen (dualen) Berufsausbildungssystems haben sich vor der Krise weiter verstärkt und das in einer Schieflage befindliche System wird durch die Auswirkungen der aktuell laufenden Corona-Krise noch weiter unter Druck gesetzt«, so dieser Beitrag hier bereits vom 16. April 2020: Die (in Sonntagsreden und anderen Ländern) vielgepriesene deutsche Berufsausbildung: Nach der Corona-Krise so richtig in Schieflage? Darin dieser Hinweis: „Vergesst die Auszubildenden nicht!“, warnt das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Das gelte auch für diejenigen, die derzeit eine Ausbildung suchen und „mit der Unsicherheit leben müssen, wann und wie Tests und Vorstellungsgespräche stattfinden und ob der gefundene Ausbildungsbetrieb überhaupt die Coronakrise überlebt – insbesondere, wenn es sich um einen kleinen Selbstständigen handelt“, so die WZB-Direktorin für Arbeitsmarkt und Ausbildung, Heike Solga.

Mittlerweile wissen wir, welche Schneisen die Corona-Krise in das System der Berufsausbildung geschlagen hat. Im vergangenen Jahr fiel die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge um 57.600 bzw. 11,0% niedriger aus als ein Jahr zuvor (2019: 525.000). Mit nunmehr 467.500 lag sie in Deutschland erstmals unter 500.000.

Bereits im Frühjahr 2020 wurde von mir angemahnt, angesichts der Herausforderungen durch die Corona-Krise deutliche Zeichen der Hilfestellung für das duale System der Berufsausbildung zu setzen. Man müsse klotzen und nicht kleckern, um einen Einbruch auf dem „Ausbildungsmarkt“ zu vermeiden bzw. den Rückgang auf die unvermeidbare Größenordnung zu begrenzen..

Spät, sehr spät im Verlauf des Jahres hat die Politik dann mit einem Prämienprogramm reagiert, in typisch deutscher Manier kleingeschreddert und mit Voraussetzungen und Bedingungen gespickt, die zur Nicht-Beteiligung an dem Programm einladen (gemeint ist das Corona-Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“). Um diese Einordnung nachzuvollziehen, lohnt ein Blick auf die fünf Bausteine des Bundesprogramms:

Förderungen werden für folgende Zeiträume möglich sein:
Zu 1+2 Ausbildungsprämien: für das Ausbildungsjahr 2020/2021.
Zu 3 Vermeidung von Kurzarbeit: bis zum 30. Juni 2021.
Zu 4 Auftrags- und Verbundausbildung: bis zum 30. September 2021.
Zu 5 Übernahmeprämie: bis zum 30. Juni 2021
Welches Budget steht zur Verfügung? Die Regierungsparteien haben die fünf Maßnahmen mit ihrem Beschluss vom 3. Juni 2020 formuliert und stellten für diese insgesamt bis zu 500 Mio. Euro zusätzlich bereit.
Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung: Wissenswertes zum Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“ (Abruf am 08.02.2021)

Ankündigungen und das Auflegen von Programmen ist das eine – oftmals ist die öffentliche Berichterstattung dann zufrieden und eilt zur nächsten Baustelle. Aber man sollte immer auch noch einmal hinschauen, was denn in der Umsetzung daraus (nicht) geworden ist. „Vorläufig kann man von „Ausbildungsplätze sichern“ als einem erfolglosen Programm sprechen“, so beispielsweise Andreas Hammer in seinem Blog-Beitrag Corona-Pandemie macht Ausbildungsgaratie erforderlich. Er vermutet bei der Ursachenanalyse: „Vermutlich ist der finanzielle Anreiz für die Betriebe zu gering.“ Neben diesem Aspekt muss man aber auch die Komplexität des Bundesprogramms in Rechnung stellen. Dazu nur als ein Beispiel aus der Beschreibung der allgemeinen Voraussetzungen:

»Ein Ausbildungsbetrieb kann mehrere Prämienarten für seine Ausbildungsplätze in Anspruch nehmen und für einen Ausbildungsplatz sowohl eine Prämie als auch einen Zuschuss zur Ausbildungsvergütung erhalten … Ein Ausbildungsbetrieb kann zwar verschiedene Kombinationen der drei Prämien für seine Ausbildungsplätze erhalten, für denselben Ausbildungsplatz kann allerdings nur eine einzige Prämie ausgezahlt werden. Alle (von der BA administrierten) Förderungen können nach Abschluss des Ausbildungsvertrages beantragt werden. Der Antrag muss spätestens drei Monate nach erfolgreichem Abschluss der Probezeit, die in der Re- gel ein bis vier Monate dauert, gestellt werden.« Und noch filigraner wird es dann bei den speziellen Voraussetzungen. Beispiel Ausbildungsprämie und Ausbildungsprämie plus: Um diese Prämien bekommen zu können, »muss das Ausbildungsverhältnis in der Zeit vom 24. Juni 2020 bis zum 15. Februar 2021 beginnen und der Betrieb erheblich von der Corona-Krise betroffen sein. Letzteres heißt, im Betrieb wurde im Jahr 2020 mindestens in einem Monat Kurzarbeit durchgeführt oder der Umsatz des Ausbildungsbetriebs ist im Zeitraum April bis Dezember 2020 durchschnittlich um mindes- tens 50% in zwei oder 30% in fünf zusammenhängenden Monaten gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2019 eingebrochen.« (Quelle: Bundesagentur für Arbeit: Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“, Nürnberg, Januar 2021, S. 6).

Die Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht Daten zum Bundesprogramm. Wenn man sich die genauer anschaut, dann ist der Befund mehr als ernüchternd:

Methodische Hinweise der BA: Die Zahl der positiven Entscheidungen kann als Frühindikator interpretiert werden, sie liefert schon in einem früheren Stadium des Programms Erkenntnisse zur Nachfrage des Instruments durch die Unternehmen. Grundsätzlich sollten erst die ausgezahlten Prämien für fachliche Interpretationen genutzt werden, da erfahrungsgemäß 20 bis 25 % der begonnenen Ausbildungsverhältnisse nicht über die Probezeit hinaus fortbestehen.

Mit Stand Januar 2021 wurden 29.499 Anträge auf Prämien und 3.219 Anträge auf eine Zuschuss positiv beschieden – eine überschaubare Größenordnung. Von dem damit verbundenen Geldbeträgen sind bei den Prämien erst die Hälfte schon bei den Betrieben angekommen, beim Zuschuss sind noch mehr als 40 Prozent offen. Hinzu kommt, dass fast jeder vierte Antrag bei den Prämien abgelehnt werden musste, beim Zuschuss sind es sogar zwei Drittel der Anträge.

Leider war das zu erwarten vor dem Hintergrund, wie kompliziert und zugleich hasenfüßig klein dimensioniert man das Programm aufgelegt hat. Das wird sich wie so vieles später möglicherweise bitter rächen. Auf die verheerenden Spätfolgen eines einbrechenden „Ausbildungsmarktes“ wurde hier schon in dem Beitrag Der „Corona-Effekt“ auf dem Ausbildungsmarkt. Der wird nicht nur im Jahr 2020 von Bedeutung sein, sondern lange nachwirken vom 16. Dezember 2020 hingewiesen: Dort wurde ein Vergleich mit dem Einbruch in der letzten großen Krise und den damaligen Erfahrungen hinsichtlich der längerfristigen Auswirkungen präsentiert: »Von ihrem Ausmaß her ist die starke Schrumpfung des Ausbildungsmarktes in etwa vergleichbar mit dem Einbruch in Zusammenhang mit der Weltfinanzkrise 2008/2009 … Damals sanken das Ausbildungsplatzangebot innerhalb eines Jahres um 54.000 Plätze (-8,5%) und die Nachfrage der jungen Menschen um 59.400 (-8,3%). Die Zahl der neuen Ausbildungsverträge nahm um 52.000 bzw. 8,4% ab.« (Quelle: BIBB). Der negative Effekt der Coronakrise ist quantitativ größer als der in der Finanzkrise in den Jahren 2008/2009. Die Erfahrung in und mit der damaligen Krise war, dass der mit ihr verbundene Rückgang der tatsächlichen abgeschlossenen Ausbildungsverträge nicht wieder korrigiert werden konnte, das Niveau der Zahl der Verträge blieb deutlich unter dem Krisenniveau. Und wenn sich dieses Muster nach der Corona-Krise wiederholen sollte, dann wird es eine weitere Verschlechterung im Anschluss an die derzeitigen Turbulenzen geben.