Der „Corona-Effekt“ auf dem Ausbildungsmarkt. Der wird nicht nur im Jahr 2020 von Bedeutung sein, sondern lange nachwirken

Bereits im Frühjahr wurde von einigen angemahnt, angesichts der Herausforderungen durch die Corona-Krise deutliche Zeichen der Hilfestellung für das duale System der Berufsausbildung zu setzen. Man müsse klotzen und nicht kleckern, um einen Einbruch auf dem „Ausbildungsmarkt“ (die Anführungszeichen sollen signalisieren, dass es sich bei Berufsausbildungen nicht wirklich um einen „Markt“ im klassischen Sinne handelt) zu vermeiden. Spät, sehr spät im Verlauf des Jahres hat die Politik dann mit einem Prämienprogramm reagiert, in typisch deutscher Manier kleingeschreddert und mit Voraussetzungen und Bedingungen gespickt, die zur Nicht-Beteiligung an dem Programm einladen (gemeint ist das Corona-Bundesprogramm „Ausbildungsplätze sichern“).

Wie dem auch sei, nun haben wir eine erste Bilanz des Ausbildungsjahres 2020 geliefert bekommen. Vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) mit Sitz in Bonn. Und die Zahlen sehen nicht gut aus.

»Der Ausbildungsmarkt musste im Zuge der Covid 19-Pandemie und ihrer Bekämpfung erhebliche Einbußen verkraften. Das Ausbildungsangebot sank 2020 um 50.700 Plätze bzw. 8,8% auf 527.400, und die Zahl der jungen Menschen, die eine Ausbildungsstelle nachfragten, verringerte sich um 53.000 bzw. 8,9% auf 545.700.«

»Zugleich nahmen die Schwierigkeiten zu, das Ausbildungsangebot der Betriebe und die Nachfrage der jungen Menschen zusammenzuführen: Zum Stichtag 30. September waren 59.900 bzw. 11,7% der betrieblichen Ausbildungsplatzangebote immer noch nicht besetzt (Vorjahr: 53.100 bzw. 9,4%). Von den jungen Menschen, die Ausbildungsplätze nachfragten, befanden sich 78.200 bzw. 14,3% weiterhin auf der Suche (Vorjahr 73.700 bzw. 12,3%).«

Mit diesem Ergebnis: »Als Folge des sinkenden Angebots, der sinkenden Nachfrage sowie der zunehmenden Passungsprobleme zwischen beiden Marktseiten fiel die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge um 57.600 bzw. 11,0% niedriger aus als ein Jahr zuvor (2019: 525.000). Mit nunmehr 467.500 lag sie in Deutschland erstmals unter 500.000.«

Darüber berichtet das BIBB unter der Überschrift Die Entwicklung des Ausbildungsmarktes im Jahr 2020. Diese Entwicklung wurde natürlich umfangreich aufgearbeitet und ist in dieser Veröffentlichung dokumentiert:

➔ Stephanie Oeynhausen, Bettina Milde, Joachim Gerd Ulrich, Simone Flemming und Ralf-Olaf Granath (2020): Die Entwicklung des Ausbildungsmarktes im Jahr 2020. Analysen auf Basis der BIBB-Erhebung über neu abgeschlossene Ausbildungsverträge und der Ausbildungsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit zum Stichtag 30. September, Bonn: Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), 15.12.2020

Das BIBB weist auf einen bedeutsamen Vergleich hin: »Von ihrem Ausmaß her ist die starke Schrumpfung des Ausbildungsmarktes in etwa vergleichbar mit dem Einbruch in Zusammenhang mit der Weltfinanzkrise 2008/2009 … Damals sanken das Ausbildungsplatzangebot innerhalb eines Jahres um 54.000 Plätze (-8,5%) und die Nachfrage der jungen Menschen um 59.400 (-8,3%). Die Zahl der neuen Ausbildungsverträge nahm um 52.000 bzw. 8,4% ab.«

Der negative Effekt der Coronakrise ist also quantitativ größer als der der Finanzkrise in den Jahren 2008/2009. Die Erfahrung in und mit der damaligen Krise war, dass der damit verbundene Rückgang der tatsächlichen abgeschlossenen Ausbildungsverträge nicht wieder korrigiert werden konnte, das Niveau der Zahl der Verträge blieb deutlich unter dem Krisenniveau. Und wenn sich dieses Muster nach der Corona-Krise wiederholen sollte, dann wird es eine weitere Verschlechterung im Anschluss an die derzeitigen Turbulenzen geben.

Dabei ist zur berücksichtigen, dass der niveauabsenkende Effekt durch die Corona-Krise die bereits vor der aktuellen Krise vorhandenen Strukturprobleme vor allem des dualen Berufsausbildungssystems noch verstärken wird. Dazu bereits der Beitrag Die (in Sonntagsreden und anderen Ländern) vielgepriesene deutsche Berufsausbildung: Nach der Corona-Krise so richtig in Schieflage? vom 16. April 2020, also inmitten der ersten Welle. Der Berufsbildungsbericht 2020 hatte mit Blick auf die Entwicklung bis 2019, also vor Corona, leider darauf hinweisen müssen, dass eine seit Jahren zu beobachtende ungute Entwicklung ungebremst weiterläuft: Die Zahl der ausbildenden Betriebe ist weiter auf dem Sinkflug. Boten 2009 noch 23,3 Prozent aller Betriebe eine Ausbildung an, waren es neun Jahre später noch 19,7 Prozent (wobei in dem Beitrag aus dem April 2020 auch angemerkt wurde, dass es immer mehrere Gründe geben kann und gibt, die hinter solchen Entwicklungen stehen, so auch eine Verschiebung in der Branchen- und Betriebsgrößenstruktur, denn wenn die Zahl und der Anteil bestimmter (und oftmals kleiner) Dienstleistungsunternehmen steigt, dann beeinflusst das den Anteil der auszubildenden Betriebe, denn viele dieser Unternehmen wollen oder können auch gar nicht ausbilden). Aber: »Selbst von den großen Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern bildet demnach ein Fünftel gar keine Auszubildenden mehr aus«, so dieser Artikel: Zahl der Ausbildungsbetriebe sinkt auf unter 20 Prozent. Schon vor der Corona-Krise wurde kritisiert, dass die meisten Dax-Konzerne ihre Lehrlingsausbildung in den letzten Jahren deutlich reduziert haben.

Fazit: Die schon vor Corona vorhandene Abwärtsspirale bei der dualen Berufsausbildung wurde durch Corona verstärkt und Corona ist bekanntlich noch nicht vorbei, möglicherweise werden im Jahr 2021 bei einer holprigen und sich hinziehenden Erholung der Wirtschaft zahlreiche Betriebe verzögert in die Insolvenz gehen, die bislang viel ausgebildet haben, zumindest in den besonders negativ betroffenen Branchen wie beispielsweise die Gastronomie. Dann wird es erneut auf Seiten des Angebots an Ausbildungsplätzen Abbauprozesse geben. Das gleiche steht zu befürchten, wenn sich die Beschränkungen weit über den Januar 2021 fortsetzen, denn dann wird die damit einhergehende Unsicherheit nicht nur einen Teil der Betriebe vorsichtig werden lassen bei der ansonsten vielleicht getätigten Einstellung von Auszubildenden, sonder auch auf Seiten der Nachfrage nach Ausbildungsplätzen könnte es weitere Einbrüche geben, weil sich erneut junge Menschen von der Suche nach einer Ausbildung verabschieden (wie wir das bereits in diesem Jahre zur Kenntnis nehmen mussten) und dann abwandern in andere Bereiche, wie der Aufnahme eines Studiums oder dem Abgleiten in un- und angelernte Tätigkeiten, um erst einmal Geld zu verdienen.

Man würde wirklich gerne von anderen Perspektiven berichten können.