Intensivstationen und die zweite Covid-19-Welle

»Es liegen jetzt mehr an Covid-19 erkrankte Menschen auf norddeutschen Intensivstationen als im Frühjahr. Mediziner befürchten, dass die Belastung für Klinken größer wird als bei der ersten Welle«, meldet der NDR: Neuer Höchststand von Corona-Patienten auf Intensivstationen. „Wir haben die Zahlen der ersten Welle erreicht und werden sie übertreffen, vielleicht sogar um ein Vielfaches“, so Stefan Kluge, der Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Und ergänzt: „Wir wissen, dass die Zahl der Neuinfektionen sich circa nach zehn Tagen auf die Zahl der Intensivbetten auswirkt. Ein Patient, der heute Symptome zeigt, hat ungefähr ein Risiko von zwei Prozent, dann auf der Intensivstation zu landen.“
»Krankenhäuser haben für schwere Corona-Fälle in Hightech-Geräte investiert. Doch oft fehlt es an Personal, um sie zu bedienen. Patienten werden quer durchs Land verschoben«, so der SPIEGEL unter der Überschrift Die ersten Intensivstationen sind voll. In drei Wochen werden alle noch verfügbaren Betten auf Intensivstationen in deutschen Krankenhäusern belegt sein – davon gehen Ärzte aus, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schreibt. Und das könne der Teil-Lockdown auch nicht mehr verhindern.

Hier der Blick auf die Entwicklung der COVID-19-Patienten auf den Intensivstationen in Deutschland:

Hintergrund dieser Prognose sei eine einfache Rechnung der Ärzte: Corona-Infizierte landen erst Wochen nach Ansteckung auf Intensivstationen, da der Sauerstoffgehalt erst nach und nach dramatisch abnimmt. Und die Corona-Zahlen steigen gerade immer weiter – auf erstmals mehr als 23.000 neue Fälle am Samstag, dem 7. November 2020. Für diesen Tag werden 2.839 Patienten mit Covid-19 auf Intensivstationen ausgewiesen. Berechnungen von Epidemiologen zufolge verdoppelt sich die Zahl der schweren Fälle allerdings alle zehn Tage. Wenn diese Rechnung stimmt, dann folgt daraus: In bereits drei Wochen werden 10.000 Patienten auf Intensivstationen liegen.

➔ Hintergrundinformationen zur Situation der Intensivstationen und vor allem dem Mangel an entsprechend qualifizierten Personal findet man in diese Beiträgen:
Diesseits und jenseits der Momentaufnahme auf den Intensivstationen: Von leeren Betten, Pflegepersonal als „Flaschenhals“ und Versäumnissen der Vergangenheit vom 1. November 2020 sowie
Ein Schlaglicht auf die Frustration: Probleme der Intensivstationen aus Sicht des Personals. Und in Niedersachsen tritt man den Pflegekräften in den Hintern vom 2. November 2020.

Auch aus unseren Nachbarländern werden Alarmmeldungen bekannt. Beispiel Österreich: »Immer mehr Corona-Patienten füllen Österreichs Spitalsbetten und Intensivstationen. Politiker und Experten warnen vor der drohenden Überlastung«, so dieser Artikel: Spitalsbetten und Intensivstationen: Knapp vor dem Kontrollverlust: »Die Zunahme der Infektionen wirkt sich auf die Belegung der Spitalsbetten aus. 421 Corona-Patienten lagen am Freitag österreichweit auf den Intensivstationen. In Vorarlberg und Tirol sind die ersten in einigen Spitälern bereits ausgelastet. Noch sind die Länder zwar in der Lage, diese Engpässe landesintern auszugleichen, indem etwa Stationen zusammengelegt, nicht dringliche Eingriffe verschoben und Neuaufnahmen reduziert werden, sofern es möglich ist. „Aber wenn dieser Trend anhält, würden wir in der zweiten Novemberhälfte an die Kapazitätsgrenzen gelangen“, warnt der Gesundheitsminister.«

Und bereits am 27. Oktober 2020 unter der Überschrift Corona: Es wird eng auf Europas Intensivstationen: »In vielen Ländern nähern sich die Krankenhäuser ihren Kapazitätsgrenzen. Besonders hart trifft es Belgien und Tschechien – dort arbeiten sogar Corona-infizierte Ärzte und Krankenpfleger weiter.« Aus Belgien wird berichtet: »So sind in der belgischen Provinz Lüttich Dutzende Ärzte und Pfleger in den völlig überlasteten Kliniken nach Angaben von Gewerkschaftern trotz Corona-Infektion im Dienst. „Wir müssen wählen zwischen einer schlechten und einer sehr schlechten Lösung“, sagte Philippe Devos vom Verband der medizinischen Gewerkschaften. Die sehr schlechte Lösung sei, Patienten gar nicht zu behandeln.« Und aus Tschechien: »Mehr als 13.000 Mitarbeiter im Gesundheitswesen haben sich nach Angaben der Ärztekammer selbst mit Corona infiziert. Die meisten arbeiten weiter, wenn sie keine Symptome zeigen.«

»In mehreren Nachbarländern laufen die Krankenhäuser bald voll mit beatmeten Covid-19-Kranken – zum Teil ist es schon so weit. Erste Patienten werden wieder nach Deutschland geschickt«, so die Süddeutsche Zeitung bereits am 23. Oktober 2020 unter der Überschrift „Das Wasser steht ihnen bis zum Hals“. Beispiel Niederlande: »Fast jedes zweite Bett auf Intensivstationen in den Niederlanden ist mit einem an Covid-19 erkrankten Patienten belegt. Die Krankenhäuser in der Region Nordwesten, zu der Almere gehört, könnten den Zustrom neuer Patienten kaum bewältigen, teilte das Koordinierungszentrum für die Verteilung von Patienten in Rotterdam mit. „Das Wasser steht ihnen bis zum Hals.“ Schon im Frühjahr waren Patienten in deutsche Kliniken verlegt worden. Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen haben daher angeboten, wieder Patienten zu übernehmen.«

Auch aus der Schweiz erreichen uns solche Meldungen: Intensivbetten werden knapp: Schweizer Kanton Genf im Ausnahmezustand. »Die hohen Corona-Infektionszahlen in der Schweiz bringen mittlerweile die Krankenhäuser in Teilen des Landes an ihre Grenzen. Im Wallis konnten … erste Patienten nicht mehr auf die Intensivstationen aufgenommen werden.« Und gestern, am 6. November 2020, meldet Zeit Online unter der Überschrift Um welches Leben wird gekämpft?: »Bereits am Wochenende könnte das letzte Bett auf einer Schweizer Intensivstation belegt sein.« Und auch diese Problemdiagnose kennt man bei uns in Deutschland: »“Der Flaschenhals der Pandemie ist das Personal und nicht das Beatmungsgerät. Es braucht Fachpersonen, die die Maschinen bedienen können“, sagt Yvonne Ribi, die Geschäftsführerin des Schweizer Berufsverbandes der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK. Als Beispiel nennt sie das Spital Sitten, in dem zwar noch vier Intensivbetten bereitstünden, aber nicht eingesetzt werden können. Weil das Personal fehlt.«