Ein befristetes bedingungsloses Corona-Krisen-Grundeinkommen oder eine bedingungsarme Grundsicherung oder gar nichts davon?

Jetzt ist das bedingungslose Grundeinkommen auch im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages auf- oder eingeschlagen. Auslöser ist diese Petition vom 14. März 2020: Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens. Die Mitzeichnungsfrist lief bis zum 17. April 2020 und in diesem Zeitraum wurde die Petition von 176.134 Menschen online unterzeichnet, so dass das für eine Befassung des zuständigen Ausschusses erforderliche Quorum von mindestens 50.000 mehr als erreicht wurde. Um was genau geht es dabei?

Hier der Text der Petition im Original (➞ Text und Begründung):

»Mit der Petition wird gefordert, dass aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona Pandemie und der damit verbundenen Einkommensausfälle für viele Bürgerinnen und Bürger, kurzfristig und zeitlich begrenzt, aber solange wie notwendig, ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürgerinnen und Bürger eingeführt wird. Das Grundeinkommen muss existenzsichernd sein und die gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Vorstellbar ist ein Betrag von 1000 € pro Person.«

Am 26. Oktober 2020 hat sich nun der Petitionsausschuss des Bundestages der Sache angenommen – danach ging es dann um die Anhebung der Altersgrenze für die Teilnahme im Mammographie-Screening-Programm zur Früherkennung von Brustkrebs bei Frauen in Deutschland von 69 auf 75 Jahre sowie der Forderung nach einer besseren medizinischen und pflegerischen Betreuung von Kindern und Jugendlichen.

Die Petition wurde von der langjährigen Aktivistin für ein bedingungsloses Grundeinkommen, Susanne Wiest, initiiert, die das Anliegen dann auch im Ausschuss verteidigt hat. Die ganze Anhörung kann man als Video anschauen. Der Zeitpunkt war überaus „passend“: »Weil die Zahl der Corona-Infizierten wieder steigt, fürchten viele Firmen und Geschäfte, dass sie abermals schließen müssen. Hunderttausende Kulturschaffende, Konzertveranstalter und Selbstständige verdienen bereits seit März kaum Geld«, so Hannes Koch in seinem Artikel Bedingungslose Hilfe in der Krise.

Der Bundestag berichtet zusammenfassend zuerst von der ablehnenden Haltung des Vertreters der Bundesregierung:

»Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist aus Sicht der Bundesregierung nicht geeignet, um eventuelle Lücken bei den Corona-Hilfen zu stopfen. Das machte Gerald Becker-Neetz, Leiter der Unterabteilung Ia Soziale Marktwirtschaft, Zukunft des Sozialstaates und Forschung beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), deutlich. Die Bundesregierung überprüfe permanent die Zielgenauigkeit der Corona-Hilfsmaßnahmen und steuere bei Bedarf nach, sagte der Ministeriumsvertreter.«

Was sagen diejenigen, die sich mit der Petition auf den Weg gemacht haben, die Corona-Krise zu nutzen für ihr Anliegen?

»Aus Sicht der Petentin Susanne Wiest muss hingegen angesichts der Corona-Krise „kurzfristig und zeitlich begrenzt, aber so lange wie notwendig“ ein bedingungsloses Grundeinkommen gewährt werden. Ein Ende der Krise, „die für viele Menschen auch zu einer schweren wirtschaftlichen Existenzkrise geworden ist“, sei nicht in Sicht, sagte Wiest vor den Abgeordneten. Die getroffenen Hilfsmaßnahmen seien nicht zielgenau, kritisierte sie. Ihre Beantragung werde in der Bevölkerung als kompliziert, bürokratisch und zeitaufwendig wahrgenommen. „Oft kommt Hilfe nicht dort an, wo sie gebraucht wird. Viele Menschen fallen komplett durch das Raster“, sagte die Petentin. Gerade in der jetzigen komplizierten Situation bräuchten alle Menschen „eine sichere finanzielle Basis, die uns trägt“.«

Die Petentin hatte den Wirtschaftswissenschafter Prof. Dr. Bernhard Neumärker von der Universität Freiburg im Geleit. Der »erläuterte sein Modell eines Netto-Grundeinkommens, das seiner Aussage nach „sofort umsetzbar ist“. Jeder Bürger würde demnach monatlich 550 Euro erhalten, „Kinder etwas weniger“. Damit seien alle Menschen abgesichert, so Neumärker. Das Modell finanziere sich aus jetzt schon gewährten Mitteln, die lediglich umgeschichtet werden müssten, sagte er. Eine Reform des Renten- und Gesundheitssystems sei nicht nötig.«

Auf die Frage, warum alle Menschen, statt nur die wirklich bedürftigen, von einem bedingungslosen Grundeinkommen profitieren sollten, sagte die Petentin: „Die Bedarfsprüfungen und Regeln für die Zugangsberechtigung schaffen eine große Unsicherheit. Das wollen wir in einer Demokratie nicht. Da gehören alle dazu.“

»Während Katja Kipping, Parteichefin der Linken, und Beate Müller-Gemmeke von den Grünen wohlwollend nachfragten, äußerten sich die Abgeordneten von Union, SPD, FDP und AfD kritisch. Pascal Kober, sozialpolitischer Sprecher der FDP, betonte, er erhielte dadurch quasi eine „Diätenerhöhung“, die er gar nicht brauche«, berichtet Hannes Koch in seinem Artikel. Dazu die Petentin Wiest mit einer fast schon putzigen Antwort:

»Wer keinen Bedarf für ein solches Grundeinkommen habe, könne dieses „ganz entspannt zurückspenden“, sagte Wiest. Dies wäre auch ein Wechsel vom Misstrauen, mit dem den Bürgern oft begegnet werde, „hin zu Vertrauen“.«

Der Versuch der bedingungslosen Grundeinkommensapologeten ist teilweise auf Zustimmung gestoßen. So in der Kommentierung Grundeinkommen: Es ist Zeit, die großen Fragen zu stellen von Tanja Brandes. Sie argumentiert, »dass es nicht die arbeitsscheuen Faulpelze sind, die sich für die Idee erwärmen. Die meisten Unterstützer eines bedingungslosen Grundeinkommens sind jung, gut gebildet und politisch eher links. Und ja, es sind vor allem die einkommensschwächeren Menschen in Deutschland. Schon diese Kombination sollte stutzig machen, und sie ist ein erneuter Hinweis darauf, dass Bildung allein in Deutschland kein Garant dafür ist, ein sorgenfreies Leben zu führen. Nicht erst die Corona-Krise hat gezeigt, dass vor allem Menschen, die im Kultur- und Dienstleistungsbereich arbeiten, durchs Raster fallen, wenn es hart auf hart kommt. Daran ändern die immer neuen Beteuerungen diverser Politiker, wie wichtig diese Lebensbereiche für die Gesellschaft seien, wenig.«

Brandes bilanziert für sich: »Am Ende steht hinter der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen aber nichts weniger als das Bedürfnis, eine der großen Menschheitsfragen zu beantworten: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Und trauen wir den Menschen zu, diese Gesellschaft wirklich mitgestalten zu wollen? Wann, wenn nicht jetzt, wäre der richtige Zeitpunkt, nach Antworten auf diese Fragen zu suchen?«

Das klingt alles nicht wirklich überzeugend. Also schauen wir einmal aus einer anderen Perspektive auf das verminte Gelände mit diesem „bedingungslosen Grundeinkommen“ und ziehen die Brille von Jürgen Schupp, Senior Research Fellow des Sozio-oekonomischen Panels am Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), auf denn der hat die Anhörung im Ausschuss unter der Überschrift „Bedingungsarme Grundsicherung verlängern statt befristetes Krisengrundeinkommen für alle“ so kommentiert: Die Bundesregierung wäre nicht gut beraten, das habe auch die Anhörung gezeigt, einen institutionellen Regimewechsel der sozialen Sicherung „am offenen Herzen“ vorzunehmen.

Aber Schupp hat auch einen konkreten Alternativvorschlag. Und der geht so:

»Besser beraten wäre sie damit, den Zugang zu bestehenden Elementen zu vereinfachen. Zum einen sollte das zeitlich befristete, bedingungsärmere Beantragungs- und Auszahlungsverfahrens von Grundsicherungsleistungen verlängert werden. Zum anderen sollte geprüft werden, ob der Zugang vor allem für diejenigen Gruppen, die nicht durch sozialversicherungspflichtige Beschäftigung abgesichert sind, noch verbessert und vereinfacht werden kann.
Die befristete Aussetzung von Sanktionen, die vereinfachte Vermögensprüfung und auch die Erstattung der Wohnkosten sollten also vielmehr genutzt werden, diese Leistungen auch neuen Gruppen wie Solo-Selbständigen, Kulturschaffenden oder Honorarkräften zu öffnen – und zwar mit einer Kultur von mehr Vertrauen seitens der Behörden. Die Klärung der Debatte, ob ein solches bedingungsärmeres System der sozialen Sicherung auch längerfristig die überlegene Alternative zu garantistischen Grundeinkommensmodellen darstellt, sollte auf die Zeit nach der Corona-Krise vertagt werden, wenn auch Fragen eines möglichen Missbrauchs der bestehenden Regelungen empirisch beantwortet werden können.«

Das ist nicht nur eine bloße Zurückweisung des Anliegens der Petition, sondern der Versuch, die in der ersten Phase der Corona-Pandemie eingeführten Erleichterungen beim Zugang zur bestehenden Grundsicherung a) in die Zukunft fortzuschreiben und b) zu stabilisieren. Dazu auch die Beiträge Hartz IV als temporärer Rettungsanker für die in ihrer Existenz bedrohten Coronavirus-Krisenopfer? Und was für (andere) einkommensschwache Haushalte getan werden könnte bzw. müsste vom 23. März 2020 sowie Der „vereinfachte Zugang“ zur Grundsicherung nach SGB II wird verlängert – (vorerst) bis zum 30. September 2020 vom 17. Juni 2020.

Aber während man sich sicher sein kann, dass die Forderung der Petentin nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, und sei es auch nur befristet, im Parlament kaum auf Resonanz stoßen wird, muss man im Lichte der bisherigen Erfahrungen hinsichtlich des Umgangs mit den Menschen, die im Grundsicherungsbezug sind, wohl davon ausgehen, dass auch der differenzierte Vorschlag von Jürgen Schupp vom Tisch gewischt werden wird. Also von Seiten der Regierungsparteien. Man muss an dieser Stelle daran erinnern, dass bereits beim Höhepunkt der ersten Corona-Welle eine vergleichsweise bescheidende Forderung nach einem ebenfalls befristeten „Corona-Zuschlag“ in Höhe von 200 bzw. 100 Euro pro Monat für Hartz IV-Empfänger seitens der Regierungsfraktionen abgeblockt worden ist. Vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Am ausgestreckten Arm … Die Bundesregierung und der Nicht-Zuschlag für Menschen in der Grundsicherung. Die bleiben beim Sozialschutz-Paket II weiter außen vor vom 12. Mai 2020.

Wenn man noch nicht einmal eine befristete Zulage für die heutigen (und auch die neuen) Hartz IV-Empfänger durchgehen lässt, dann muss man sich nicht wundern, dass die Verantwortlichen auch bei der in diesem Jahr erforderlichen Anpassung der Regelbedarfe im SGB II und XII aufgrund der nunmehr ausgewerteten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe sowie der seitdem erfolgten Preissteigerungen lediglich eine unbedingt erforderliche überschaubare Erhöhung der Regelbedarfe und damit der Leistungen zum 1. Januar 2021 vorgenommen haben – bei einer im Hintergrund erneut zu beklagenden Kleinschredderung der Berechnungsgrundlagen.

Der monatliche Regelsatz für Alleinstehende wird auf 446 Euro im Monat steigen – 14 Euro mehr als der Hartz IV-Regelsatz im Jahr 2020. Wer mit einem anderen bedürftigen Erwachsenen – etwa dem Ehepartner – in einer Wohnung lebt, erhält ab 2021 401 Euro monatlich. Aktuell sind es 389 Euro. Der Regelsatz für Kinder bis 5 Jahre steigt im kommenden Jahr um 33 auf 283 Euro monatlich. Für Kinder von 6 bis 13 Jahren gibt es eine Erhöhung der Leistung um 1 Euro (309 Euro). Jugendliche bis einschließlich 17 Jahre erhalten dann 373 statt 328 Euro. Auch in Verbindung mit der zweiten Säule des Leistungssystems, also der Übernahme der angemessenen Kosten der Unterkunft wird man auch im Jahr 2021 mit Beträgen konfrontiert, die deutlich unter den in der Petition geforderten 1.000 Euro liegen.

Dabei wäre ein Aufgreifen des Vorschlags von Jürgen Schupp hilfreich und sinnvoll. Denn derzeit laufen mehrere Entwicklungslinien zusammen, durch die möglicherweise eine Teilgruppe der Selbstständigen, die tätigkeitsbedingt besonders hart getroffen sind von der Corona-Krise, über einen „Unternehmerlohn“ vor dem Gang zum Jobcenter bewahrt werden sollen. »Ein fiktiver Unternehmerlohn als Ersatz für die Beantragung der Grundsicherung war bislang in der Koalition kein Thema. Sowohl die SPD als auch die Union lehnten diese Hilfe ab, obwohl sie in einigen Ländern aus Landesmitteln schon gezahlt wird«, berichtet Albert Funk unter der Überschrift Kommt der Corona-Unternehmerlohn? Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will sich im Rahmen der Fortführung der Überbrückungshilfen von Januar an dafür einsetzen, dass es eine solche Sonderregelung geben könnte. Zur Höhe eines Unternehmerlohns sagte der Wirtschaftsminister nichts.

In einigen Bundesländern wird ein „Unternehmerlohn“ aus Landesmitteln schon gezahlt – etwa in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Thüringen. »In Baden-Württemberg und Thüringen gibt es maximal 1.180 Euro pro Monat, wobei die Zahlung im Südwesten nach den Umsatzeinbußen gestaffelt ist. In Nordrhein-Westfalen wurden in einem im Juli für drei Monate aufgelegten Programm 1.000 Euro je Monat gezahlt.«