Neue alte Zahlen aus dem Land der Rechtsansprüche und des strukturellen Mangels: Die Kitas und ihr Personal

Was für eine Erfolgsgeschichte, folgt man diesen Zahlen: »Mit dem Kita-Ausbau ist von 2008 bis 2018 die Zahl des pädagogischen Personals um 54 Prozent angestiegen, von 379.146 auf 582.125 … Zudem zeigt sich seit 2013 – dem Jahr der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Krippenplatz – eine im bundesweiten Durchschnitt verbesserte Personalsituation in den Kitas.« So steht das am Anfang dieser Pressemitteilung der Bertelsmann-Stiftung: Kitapersonal braucht bessere Arbeitsbedingungen. »Konkret heißt das: Am 1. März 2013 war eine vollzeitbeschäftigte pädagogische Fachkraft in Krippengruppen rein rechnerisch noch für 4,6 ganztagsbetreute Kinder zuständig. Am 1. März 2018 waren es 4,2 Kinder. Auch in Kindergartengruppen gab es eine Verbesserung: verantworteten Erzieherinnen und Erzieher 2013 die Förderung von 9,6 Kindern, waren es im Jahr 2018 nur noch 8,9 Kinder.« Das hört sich doch endlich mal nach einer guten Nachricht an. Nun ahnt man schon, was kommen muss: Aber.

Genauer gesagt: ein doppeltes Aber. Zum einen werden erhebliche zusätzliche Personalbedarfe für die vor uns liegenden Jahre konstatiert, man denke hier an die wachsende Nachfrage nach Kita-Plätzen sowie die weitere Expansion in nachgelagerte Betreuungsbereiche (Stichwort: geplanter Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung an den Grundschulen) – aber schon die bestehende Personalausstattung in den Kindertageseinrichtungen muss als defizitär charakterisiert werden:

»Je nach Bundesland unterscheidet sich die Betreuungssituation in Kitas erheblich. Eine Studie offenbart großen Nachholbedarf im Osten.« Und die Überschrift operationalisiert dann die quantitativen Konsequenzen: In deutschen Kitas fehlen 120.000 Erzieherinnen. »Hochgerechnet müssten der Bertelsmann-Stiftung zufolge … bundesweit 120.000 zusätzliche Erzieherinnen eingestellt werden. Sehr viele davon im Osten«, so Thomas Vitzthum in seinem Artikel.

Aber der aufmerksame Leser wird über den Link zur Originalquelle sofort festgestellt haben: Moment, der zitierte Artikel wurde doch am 25. Juli 2014 veröffentlicht, das ist nun ja schon ein paar Jahre alt. Zugleich ist das hier kein Versehen, denn es sollte lediglich illustriert werden, dass auch die neuen Zahlen kein neues Problem adressieren, sondern ein sich seit Jahren immer wieder erneuernder Hinweis auf strukturelle Mangellagen im Kita-System. Und für das Jahr 2019 wird dann berichtet: »Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung fällt der Personalmangel im Osten stärker als im Westen aus.« Der Artikel, der sich auf die neuesten Zahlen der Bertelsmann-Stiftung bezieht, beziffert dann den Mangel schon in der Überschrift so: In Deutschlands Kitas fehlen 106.500 Erzieher. Etwas genauer dann im Text: »Für eine kindgerechte Betreuung brauche es bundesweit 106.500 zusätzliche Fachkräfte-Vollzeitstellen in den Kindertagesstätten.« Neben der Tatsache, dass es um rechnerische Vollzeit-Stellen geht, die man dann noch Gewichten müsste mit den Teilzeit-Anteilen bei tatsächlichen Beschäftigten, fällt besonders die Begrifflichkeit „kindgerechte Betreuung“ auf. Was hat es damit auf sich?

»Ein zentraler Faktor für die Kita-Qualität ist der Personalschlüssel: 2018 betreute laut Analyse eine Fachkraft zum Stichtag 1. März rechnerisch 8,9 Kinder zwischen drei und sechs Jahren. Bei den Kleinsten unter drei Jahren kam eine Erzieherin – in der großen Mehrheit sind es Frauen – auf 4,2 Kinder. Schon dieser statistische, eher theoretische Wert reiche nicht aus, sagte Studienautorin Kathrin Bock-Famulla. Empfehlenswert sei eine Erzieherin für 7,5 Jungen und Mädchen in Kindergartengruppen (drei bis sechs Jahre) und eine Kraft für drei Krippenkinder (bis zwei Jahre).« Hier wird also mit (scheinbaren) Ist-Werten der Personalausstattung und davon abweichenden, anzustrebenden Soll-Werten gearbeitet.

Um das einzusortieren, muss man einige methodische Anmerkungen machen. Im Mittelpunkt steht offensichtlich der „Personalschlüssel“. Was ist damit gemeint? Und vor allem: Wie muss man den interpretieren?

Dazu erfahren wir von der Bertelsmann-Stiftung im Rahmen des von ihr betriebenen Ländermonitors Frühkindliche Bildung: »Ein zentrales, vielfach diskutiertes strukturelles Qualitätsmerkmal von frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung ist der sogenannte Personalschlüssel in KiTas. Dieser Indikator gibt das Verhältnis von der Anzahl der betreuten Kinder zu einer Fachkraft wieder.« Unter „Anzahl der betreuten Kinder zu einer Fachkraft“ kann sich jeder was vorstellen. Allerdings muss auch hier wieder ein Aber eingefügt werden, wenn man sich die genaue Definition anschaut:

Personalschlüssel: »Für einen Vergleich der Personalkapazitäten zwischen Einrichtungen oder Bundesländern wird das Konstrukt des Personalschlüssels genutzt; dieser ermöglicht es, rechnerisch den in unterschiedlichen KiTa-Gruppen vorhandenen Personalressourceneinsatz abzubilden. Für die Berechnung des Personalschlüssels wird die vertraglich vereinbarte Wochenarbeitszeit des pädagogischen Personals zu den vertraglich vereinbarten wöchentlichen Betreuungsstunden der Kinder einer KiTa-Gruppe in Beziehung gesetzt.« Viele werden bewusst-unbewusst die Vorstellung haben, dass man also über den Personalschlüssel ablesen kann, wie viele Fachkräfte an und mit den Kindern arbeiten (können). Dem ist aber nicht so, denn: »Die Wochenarbeitszeit des pädagogischen Personals umfasst grundsätzlich die Zeit für alle Aufgaben, und zwar sowohl die unmittelbare pädagogische Praxis mit den Kindern als auch die mittelbaren pädagogischen Aufgaben, wie beispielsweise Elterngespräche, Beobachtung und Dokumentation, Teamgespräche sowie Vorbereitungszeiten; zudem beinhaltet sie auch sogenannte Ausfallzeiten durch Urlaub, Fort- und Weiterbildung sowie Krankheit.«

Wenn es einem um die berechtigte Frage, wie viele Fachkräfte an und mit den Kindern arbeiten können, geht, dann braucht man eine andere wichtige Größe:
Fachkraft-Kind-Relation: Personalressourcen, die ausschließlich für die direkte Arbeit mit den Kindern zur Verfügung stehen. Das hört sich einfacher an, als es zu ermitteln ist, denn hier muss ein ganz großes Aber eingebaut werden: »Da allerdings … keine Informationen über die Verwendung der Arbeitszeit des Personals für die drei Aufgabenfelder unmittelbare Arbeit mit den Kindern, mittelbare pädagogische Aufgaben und Ausfallzeiten gibt, können die tatsächlichen Fachkraft-Kind-Relationen in den KiTas nicht ermittelt werden.« Also muss man zu einem Verfahren greifen, um eine Annäherung an die Fachkraft-Kind-Relation zu erreichen: »Vor diesem Hintergrund hat die Bertelsmann Stiftung auf der Basis von Annahmen über Arbeitszeitanteile für die unmittelbare pädagogische Arbeit drei Szenarien für Fachkraft-Kind-Relationen berechnet; dabei wird angenommen, dass für die unmittelbaren Arbeitsaufgaben 75 %, 67 % oder 60 % der gesamten Arbeitszeit genutzt werden können. Die Szenarien ergeben sich aus vorliegenden Studien sowie Empfehlungen für die Arbeitszeitanteile der verschiedenen Aufgabenbereiche.«

Was das – rechnerisch – bedeutet, kann man der Abbildung am Anfang dieses Beitrags am Beispiel der Kinder unter drei Jahren entnehmen. Die „Krippenkinder“ werden deshalb hier als Beispiel hervorgehoben, weil zum einen der Ausbau der Plätze für diese Altersgruppe in den vergangenen Jahren (vor allem in Westdeutschland) im Kontext des seit dem 1. August 2013 gültigen individuellen Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr im Mittelpunkt stand, zum anderen handelt es sich bei den sehr jungen Kindern um die verletzlichste Gruppe, bei diesen Kindern ist eine ausreichende personelle Ausstattung von besonderer Bedeutung und ein Unterschreiten bestimmter Standards kann für einen Teil der Kinder zur Kindeswohlgefährdung führen.

In der Abbildung dargestellt sind die gemessen am Median durchschnittlichen rechnerischen Personalschlüssel in den einzelnen Bundesländern und was die – abhängig von den drei Annahmen – für die Fachkraft-Kind-Relationen bedeuten. Schon auf der Ebene der von der Bertelsmann-Stiftung empfohlenen Personalschlüssel für die unter dreijährigen Kinder kann man erkennen, dass bis auf Baden-Württemberg keines der Bundesländer in der Lage ist, die Soll-Werte zu erreichen. Bereits auf den ersten Blick zu erkennen sind die ausgeprägten Abweichungen im Sinne deutlich schlechterer Personalschlüssel – neben Berlin betrifft das alle ostdeutschen Bundesländer. Zusammengefasst: Während die Personalschlüssel in den westdeutschen Bundesländern insgesamt um 20 Prozent über den anzustrebenden Werten liegen, betrug diese Abweichung in den ostdeutschen Bundesländern sogar 93%.

➔ Beispiel Sachsen: »Zwischen 2008 und 2018 hat sich die Zahl des pädagogischen Personals in den sächsischen Kitas nur leicht erhöht: von 22.813 auf 27.186 … Im selben Zeitraum ist die Zahl der Kita-Kinder von 144.601 auf 182.256 gestiegen … Am 1. März 2018 war eine vollzeitbeschäftigte pädagogische Fachkraft in Krippengruppen rein rechnerisch für 6,2 ganztagsbetreute Kinder zuständig.« Aber wir haben ja bereits erfahren, dass der Personalschlüssel nicht ausreicht, um die für die Kinder relevante Personalausstattung abzubilden: »Allerdings sieht das Betreuungsverhältnis im Kita-Alltag immer ungünstiger aus, da nicht die gesamte Arbeitszeit für die Betreuung der Kinder zur Verfügung steht. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass rund ein Drittel der Arbeitszeit einer Erzieherin außerhalb der pädagogischen Praxis benötigt wird: zum einen etwa für Elterngespräche, Qualitätsentwicklung oder Bildungsdokumentationen, zum anderen für Urlaub und Fortbildungen. In Krippengruppen muss dann beispielsweise in Sachsen eine Mitarbeiterin 9,2 unter dreijährige Kinder betreuen.« Und die 9,2 gelten auch nur dann, wenn man für die nicht unmittelbar mit dem Kind verbrachte Arbeitszeit 33 Prozent der Gesamtarbeitszeit anlegt. Zum Vergleich Baden-Württemberg: »Zwischen 2008 und 2018 hat sich die Zahl des pädagogischen Personals in den baden-württembergischen Kitas nahezu verdoppelt, von 48.910 auf 89.397 … Am 1. März 2018 war eine vollzeitbeschäftigte pädagogische Fachkraft in Krippengruppen rein rechnerisch für 3,0 ganztagsbetreute Kinder zuständig.« Und wie sieht es mit der Fachkraft-Kind-Relation im Ländle aus? »In Krippengruppen muss … eine Mitarbeiterin 4,5 unter dreijährige Kinder betreuen.«
Die Fachkraft-Kind-Relation in Sachsen ist also bei den unter dreijährigen Kindern mehr als doppelt so schlecht wie in Baden-Württemberg. Das sind wahrhaft grottenschlechte Werte.

Für alle, die eine kompakte Darstellung der Situation in den einzelnen Bundesländern suchen: Das Statistische Bundesamt veröffentlicht jährlich eine Übersicht über die Personalschlüssel in den Kindertageseinrichtungen der einzelnen Bundesländer. Zu den aktuellen Werten:
➔ Statistisches Bundesamt (2019): Die Personalschlüssel in den Kindertageseinrichtungen – Methodische Grundlagen und aktuelle Ergebnisse 2018, Wiesbaden 2019

Die Schätzung der Bertelsmann-Stiftung von 106.000 fehlenden Fachkräften in den Kindertageseinrichtungen ist nicht nur vor dem Hintergrund zu sehen, dass wir derzeit 582.000 pädagogische Fachkräfte in den Kitas beschäftigt haben – mithin also müssten mehr als 18 Prozent zusätzliche Fachkräfte gewonnen und beschäftigt werden. Zugleich muss man anerkennen, dass im Zuge des Ausbauprozesses (vor allem in Westdeutschland) seit 2008 die Zahl der pädagogischen Fachkräfte bereits von 379.000 auf 582.000 angestiegen ist, ein Plus von mehr als 50 Prozent! Diese enorme Zahl an zusätzlichen Fachkräften konnte nur unter größten Anstrengungen realisiert werden. Aus den meisten Regionen wird berichtet, dass nunmehr der Arbeitsmarkt leer ist, viele Kräfte aus der Reserve sind in den zurückliegenden Jahren bereits aktiviert worden, dieses Reservoir für zusätzliche Kräfte ist leer.

Mit der Personalentwicklung im Kita-Bereich beschäftigt sich auch das Fachkräftebarometer Frühe Bildung, das von der am Deutschen Jugendinstitut (DJI) ansässigen Weiterbildungsinitiative Frühkindliche Fachkräfte (WIFF) herausgegeben wird. Nach 2014 und 2017 wurde im Sommer dieses Jahres die dritte Ausgabe veröffentlicht:

➔ Autorengruppe Fachkräftebarometer (2019): Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2019, München: Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, 2019

Dort finden sich einige interessante Aspekte, die auf Licht und Schatten hinweisen: »Die Gehälter in der Frühen Bildung übersteigen mit einer Zunahme von 16% seit 2012 den Preisindex (+5%) und liegen über der durchschnittlichen Gehaltsentwicklung von 11% … Wie auch in den vergangenen Jahren sind 13% des pädagogischen und leitenden Personals befristet angestellt und damit häufiger als auf dem Gesamtarbeitsmarkt (9%). Eine hohe Anzahl an Neueinstellungen, die bisweilen zunächst befristet erfolgen, sowie vor allem ein überdurchschnittlich hoher Anteil an Elternzeitvertretungen tragen zu der Quote bei.«

»Trotz des enormen Ausbaus kam es zu keinen Abstrichen bei der Qualifikation des Personals. Weiterhin sind sieben von zehn pädagogisch und leitend Tätigen ausgebildete Erzieherinnen oder Erzieher. Die zweitstärkste Gruppe, mit einem Anteil von 11%, bilden die Kinderpflegerinnen und Kinderpfleger der Berufsfachschulen, wobei diese fast nur bei den westdeutschen Kita-Beschäftigten zu finden sind.« Und wie ist das mit den akademisch qualifizierten Kindheitspädagogen? Seit 2006 ist deren Zahl um 23.300 Personen (+206%) gewachsen – allerdings relativiert sich der beeindruckend daherkommende Prozentwert des Anstiegs, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass sich der Anteil einschlägig qualifizierter Akademiker damit von 3 auf 6% erhöht hat. (S.9). Ergänzend dazu: »Die auf das Arbeitsfeld Kita zugeschnittenen früh- bzw. kindheitspädagogischen Studiengänge befinden sich in einer Stabilisierungsphase: Seit 2014 gibt es bundesweit rund 70 Bachelor-Studiengänge. 2017 nahm ein Höchstwert von knapp 3.500 Studierenden ein Bachelor-Studium der Kindheitspädagogik auf. Die Zahl der Absolventinnen und Absolventen liegt seit 2015 bei etwa 2.400 pro Jahr.« (S. 12)

Auch hier wird darauf hingewiesen, dass keine schlechtere Personalausstattung in den Einrichtungen zu beobachten sei (was eine durchaus naheliegende Gefahr wäre angesichts des enormen quantitativen Ausbaus der Betreuungsangebote). Aber: Die Fortschritte beim Personalschlüssel seien vor allem zwischen 2012 und 2015 erzielt worden und zuletzt ins Stocken geraten. (S.9)

Und wie sieht es mit dem Nachwuchs in der zentralen Gruppe der Erzieherinnen und Erzieher aus? Wobei an dieser Stelle zugleich darauf hingewiesen werden muss, dass die Erzieher-Ausbildung nicht nur für die Kitas qualifiziert, sondern für den gesamten Bereich der Kinder- und Jugendhilfe und folglich ein gewisser Teil der neuen Fachkräfte beispielsweise für Einrichtungen der Hilfen zur Erziehung in der „klassischen“ Jugendhilfe rekrutiert werden.
»Im Schuljahr 2017/18 haben über 38.000 Personen eine Ausbildung zur Erzieherin oder zum Erzieher begonnen – mehr als jemals zuvor. 32.000 Personen haben im Schuljahr 2016/17 die Ausbildung abgeschlossen. Während die Zahl der Absolventinnen und Absolventen seit 2013/14 weiter jährlich um ca. 2.000 steigt, stagniert seit dem Schuljahr 2013/14 die Zahl der Anfängerinnen und Anfänger.«

Und es werden strukturelle Probleme benannt: »Seit 2006 ist die Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler, die das allgemeinbildende Schulsystem verlassen, um 12% zurückgegangen … Gleichzeitig werden dabei höhere Schulabschlüsse erreicht. 2016 haben 41% das allgemeinbildende Schulsystem mit einer Hochschulzugangsberechtigung verlassen. Somit schrumpft das Potenzial für die klassischen frühpädagogischen Ausbildungen, die überwiegend einen mittleren Schulabschluss voraussetzen. Auch der Übergang vom Ausbildungssystem in den Teilarbeitsmarkt Frühe Bildung … erweist sich als Hürde. Absolventinnen und Absolventen von Berufsfachschulen können nicht überall in das Berufsfeld einmünden und Personen mit Hochschulabschluss finden in aller Regel keine ihrem Abschluss entsprechende Stelle.« (S. 12).

Das muss eingeordnet werden im Kontext der Tatsache, dass die Nachfrage nach Kindertagesbetreuung nicht nur generell ansteigen wird, da immer mehr Eltern für ihre (immer jüngeren) Kinder eine stundenweise Betreuung in einer Kita in Anspruch nehmen und das auch zunehmend länger pro Tag und zugleich durch die immer frühere Inanspruchnahme die Plätze in den Einrichtungen auch länger binden. Der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz entfaltet seine eigene innere Dynamik und führt zu einem weiteren anhaltenden Ausbaudruck, der dann aber auch mit entsprechendem Personal hinterlegt werden muss. Zugleich werden viele Fachkräfte in den kommenden Jahren in den Ruhestand abgehen und müssen ersetzt werden.

Und nun kommt – möglicherweise – ein weiterer Rechtsanspruch hinzu, dessen Realisierung erhebliche zusätzliche Personalressourcen binden würde. Dazu aus dem Fachkräftebarometer dieser Passus: »Nach dem Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr bis zum Schuleintritt liegt der politische Fokus nunmehr auf einem weiteren Rechtsanspruch: auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter. Dieser soll bis 2025 verwirklicht werden. Bereits in den vergangenen Jahren ist das Angebot ausgeweitet worden … Insgesamt sind etwa 90.000 Beschäftigte in Bildungs- und Betreuungsangeboten für Grundschulkinder tätig. Im Fall eines Rechtsanspruchs muss ihre Zahl noch deutlich ausgeweitet werden.« Wo sollen die herkommen? (S. 13)

Dabei muss auch gesehen werden: »Bei schulischen Angeboten erweisen sich bereits jetzt die schlechten Arbeitsbedingungen als Hemmschuh für die Personalgewinnung: 72% der Stellen werden in Teilzeit angeboten, davon 13% mit einem Umfang von weniger als zehn Stunden pro Woche. Die Befristungsquote liegt bei 20% … Während die Beschäftigen in Horten tariflich bezahlt werden, gibt es wenig Informationen über die Vergütung der Beschäftigten in schulischen Ganztagsangeboten. Demensprechend unattraktiv ist die Tätigkeit dort für gut ausgebildete Kräfte: 13% verfügen über keinen Berufsabschluss. Bei einem weiteren Ausbau werden die Beschäftigungsbedingungen sowie die Qualität von Bildung und Betreuung am Nachmittag einmal mehr zum Kernproblem.« (S. 13)

➔ Nur als Anmerkung, falls jemand auf die Idee kommen sollte, als Variante für die Umsetzung des im Koalitionsvertrag eigentlich vereinbarten, derzeit aber nicht in die Startlöcher kommenden Rechtsanspruchs auf eine Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter eine Abwicklung überwiegend über die Lehrkräfte in den Grundschulen vorzuschlagen: Auch hier sind wir mitten im Mangelland Deutschland. Gerade für den Grundschulbereich wird ein eklatanter Lehrermangel in den kommenden Jahren prognostiziert. Vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Rechnen als Problemfall der Bildungspolitik. Der Lehrermangel wird in den kommenden zehn Jahren noch größer als bislang schon erwartet vom 10. September 2019. Im Jahr 2025 fehlen mindestens 26.300 Absolventen für das Grundschullehramt, so das Ergebnis neuer Berechnungen. Wohlgemerkt – ein Defizit unter den bestehenden Bedingungen, die eigentlich anzustrebende Ganztagsbetreuung ist da noch gar nicht eingerechnet. Man müsste also auf andere Kräfte zurückgreifen, wenn man den Rechtsanspruch dann doch noch in absehbarer Zeit einführen will. Aber woher sollen die kommen?

Abschließend wieder zurück zu den Kita-Plätzen für die Kinder vor dem Schuleintritt, vor allem für die unter dreijährigen Kinder. Mit viel Müh und Not konnte der bisherige Ausbau gestemmt werden. Und schon kommt eine weitere große Welle: »Fehlten 2014 bundesweit erst 190.000 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren, so sind es derzeit fast 320.000 Plätze. Und dass, obwohl die zuständigen Städte und Gemeinden die Zahl der Betreuungsplätze seit 2014 um rund 155.000 auf 818.000 ausgebaut haben. Doch das reicht nicht, um den steigenden Bedarf zu decken. Denn lebten Ende 2013 zwei Millionen unter Dreijährige in Deutschland, ist ihre Zahl fünf Jahre später auf 2,4 Millionen gestiegen.« So das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer Pressemitteilung zu einer neuen Kurz-Studie: Knapp 320.000 Kita-Plätze fehlen. Der Anstieg sei neben der Zuwanderung auch auf eine steigende Geburtenrate zurückzuführen, so das IW. »Die Betreuungsquote – also das Verhältnis aller Kinder unter drei Jahren zu denen, die tatsächlich betreut werden – ist in den vergangenen fünf Jahren um nur zwei Prozentpunkte auf 34 Prozent gestiegen. Vergleicht man das Angebot mit dem Bedarf, ergibt sich bei den Zweijährigen eine Differenz von 16 Prozentpunkten, bei den Einjährigen von knapp 25 Prozentpunkten. Werden Kinder unter einem Jahr hinzugerechnet, ergibt sich eine bundesweite Betreuungslücke von 13 Prozent aller Kinder unter drei Jahren.«

Wie das IW rechnet, kann man in dieser kurzen Veröffentlichung nachlesen:

➔ Wido Geis-Thöne (2019): Kinderbetreuung – Fast 320.000 Plätze für unter Dreijährige fehlen. IW-Kurzbericht 69/2019, Köln: Institut der deutschen Wirtschaft (IW), 27.09.2019

Folgt man der Darstellung, dann stellen sich eine Menge dringender Fragen, wie wir sie auch aus benachbarten Feldern der personenbezogenen Dienstleistungen wie der Pflege kennen.