Kurzarbeit zwischen arbeitsmarktpolitischer Wunderwaffe und der bangen Frage, ob es diesmal auch so läuft wie 2009

Die Corona-Pandemie wütet derzeit besonders heftig in den USA und die dort verhängten Maßnahmen schlagen ungebremst auf den Arbeitsmarkt durch, der noch vor wenigen Wochen in den allerhöchsten Tönen hinsichtlich der offiziellen Quantitäten gelobt wurde: So hatte die Zahl der Arbeitskräfte noch im Februar 2020 einen Höchststand von 164,6 Millionen Personen erreicht. Die offizielle Arbeitslosenquote wurde gleichzeitig mit sensationell niedrigen 3,5 Prozent ausgewiesen. Und wenige Wochen später muss man zur Kenntnis, dass nun fast jeder Zehnte in den USA ohne eine Erwerbsarbeit dasteht und dass der Arbeitsausfall bei den Unternehmen ohne irgendeine Abbremsung in die offene Arbeitslosigkeit geführt hat und diese weiter anschwellen lässt: So haben allein in den letzten drei Wochen mindestens 16 Millionen Menschen in den USA Arbeitslosenhilfe beantragt. Vgl. dazu bereits den Beitrag Unbelievable. Eine „Grafik des Schreckens“ wird innerhalb einer Woche noch schrecklicher: COVID-19 verursacht eine historische Krise auf dem Arbeitsmarkt in den USA vom 2. April 2020 – und die dort dokumentierte Abbildung, der verdeutlicht, dass es so einen Absturz auf dem US-amerikanischen Arbeitsmarkt bislang noch nie gegeben hat.

Nun wird mit Blick auf die USA immer wieder darauf hingewiesen, dass man dort neben anderen Besonderheiten eben auch nicht über so ein schlagkräftiges arbeitsmarktpolitisches Instrument wie die Kurzarbeit in Deutschland verfügen würde, so dass man einen Arbeitsausfall in den Unternehmen nicht entsprechend abfedern kann, so dass den Betrieben nur das schnelle Entlassen bleibt. In Deutschland hingegen würde das ganz anders aussehen. Allerdings, das sei hier gleich vorweggenommen, haben die USA und Deutschland eines gemeinsam: Dort wie hier gibt es eine erschreckende Grafik, die auf wirklich einmalige Vorgänge hindeuten. In den USA sind es die Millionen bisherigen Arbeitnehmer, die in die offene Arbeitslosigkeit gestoßen werden – bei uns in Deutschland ist es die Zahl an Unternehmen, die sich unter das Dach der Kurzarbeit zu retten versuchen.

Nachtrag am 15.04.2020: Bis zum 13.04.2020 haben rund 725.000 Betriebe bei den Agenturen für Arbeit Kurzarbeit angemeldet. Damit ist die Zahl der Betriebe, die Kurzarbeit planen, gegenüber der Vorwoche um knapp 12 Prozent gestiegen. Die Daten basieren auf Sonderauswertungen der Bundesagentur für Arbeit und bilden nicht die amtliche Statistik ab, meldet die Bundesagentur für Arbeit. Die Anzeigen kommen aus nahezu allen Branchen. Schwerpunkte sind weiterhin der Einzelhandel und das Gastgewerbe. Inzwischen bearbeiten über 8.000 BA-Beschäftigte Kurzarbeitsanzeigen und rechnen Kurzarbeit ab. Das sind zehn Mal so viele wie in normalen Zeiten.

Das, was wir in diesen Tagen erleben, hat es noch nie in der Arbeitsmarkt-Geschichte unseres Landes gegeben. Am 31. März 2020 meldete sich die Bundesagentur für Arbeit (BA) unter der Überschrift Zahl der Kurzarbeitsanzeigen vervielfacht sich mit diesen Erläuterungen zu Wort:

»Die Anzeigen auf Kurzarbeit, die bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) aufgrund der aktuellen Lage eingehen, sind seit Beginn der Ausgangsbeschränkungen auf ein neues Höchstniveau angestiegen. Heute hat die BA gemeinsam mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine erste Auswertung für den März veröffentlicht. Demnach sind im März bundesweit rund 470.000 Anzeigen auf Kurzarbeit bei der BA eingegangen.
Zum Vergleich: Im Jahr 2019 zeigten durchschnittlich etwa 1.300 Betriebe pro Monat Kurzarbeit an. Im Februar 2020 lag die Zahl der Kurzarbeitsanzeigen noch bei 1.900. Die Nachfrage ist in allen Bundesländern hoch.«

Und nur wenige Tage später, am 9. April 2020, hat die BA dann unter der Überschrift Zahl der Anzeigen für Kurzarbeit wächst weiter dynamisch mitgeteilt: »Immer mehr Betriebe melden Kurzarbeit an. Bundesagentur für Arbeit (BA) veröffentlicht weitere Sonderauswertung.« Dabei muss man konstatieren, dass die Überschrift die Dramatik der Zahlen fast schon vernebelt:

»Bis zum 06. April 2020 haben rund 650.000 Betriebe bei den Agenturen für Arbeit Kurzarbeit angemeldet. Damit ist die Zahl der Betriebe, die Kurzarbeit planen, gegenüber dem letzten Vergleichswert von vor einer Woche nochmals um knapp 40 Prozent gestiegen. Bis zum 27. März 2020 waren im Zuge der Corona-Krise insgesamt Kurzarbeitsanzeigen von rund 470.000 Betrieben eingegangen.«

Nun müssen wir an dieser Stelle eine kurze methodische Erläuterung einschieben: Bei den bislang präsentierten Daten handelt es sich um Anzeigen von Betrieben, also dass sie beabsichtigen, Kurzarbeit und die damit verbundenen Leistungen der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nehmen zu wollen. Für wie viele Personen insgesamt die Betriebe Kurzarbeit angemeldet haben, lässt sich anhand der Daten derzeit nicht ermitteln, so der Hinweis der BA. Denn hinter einer Anzeige über Kurzarbeit kann ein Betrieb stehen, der Hunderte oder gar Tausende in Kurzarbeit schickt oder ein Unternehmen, bei dem es um zwei oder drei Mitarbeiter geht. Auf alle Fälle kann und muss man davon ausgehen, dass die Zahl der Kurzarbeiter, die übrigens nur mit einem mehrmonatigen Zeitverzug in der amtlichen Statistik ausgewiesen werden kann, weshalb man sich für den aktuellen Rand mit Hochrechnungen/Schätzungen behelfen muss, deutlich größer sein wird als die Zahl der Anzeigen durch Betriebe. Dies kann man auch rückblickend erkennen, wenn man sich die Jahre von 1992 bis 2018* anschaut hinsichtlich der jeweils jahresdurchschnittlichen Zahl an Kurzarbeitern und der von Betrieben mit Kurzarbeit:

*) Das Jahr 2019 ist in dieser Abbildung noch nicht berücksichtigt, denn gesicherte Werte die Zahl der Kurzarbeiter betreffend lagen Anfang April 2020 nur für die Monate bis einschließlich September 2019 vor, alle Monate danach müssen aus methodischen Gründen hochgerechnet bzw. geschätzt werden und sind deshalb alle noch vorläufig und mit Unsicherheiten behaftet. Vgl. dazu ausführlicher die Hinweise in dem Beitrag Wenn Arbeitgeber nach mehr Staat rufen: Mit Kurzarbeit wertvolle Arbeitskräfte in viralen Zeiten hamstern und die Unternehmen auch bei den Sozialbeiträgen entlasten? vom 8. März 2020.

Im Krisenjahr 2009 wurde mit jahresdurchschnittlich 1,144 Millionen Kurzarbeitern der bisherige Rekordwert erreicht. Bei diesem Wert hat man neben der Hauptform des konjunkturellen Kurzarbeitergeldes auch die Sonder-Formen des Saison-Kurzarbeitergeldes (in den Wintermonaten für bestimmte Branchen) und des Transfer-Kurzarbeitergeldes berücksichtigt. Wenn man die ausklammert, dann belief sich der Durchschnittswert für 2009 auf 1,078 Millionen. Über die Monate des Krisenjahres 2009 hat es beim konjunkturellen Kurzarbeitergeld diese Verteilung gegeben:

Von 2008 ausgehend konnte man damals einen starken Aufwuchs der Zahl der Kurzarbeiter sehen, die dann im Mai 2009 mit 1,443 Millionen ihren Höchststand erreichte und danach wieder abnahm. Bereits im Dezember 2009 gab es dann mit etwas über 800.000 Kurzarbeiter schon deutlich weniger – und zwölf Monate später, also im Dezember 2010, wurden nur noch 162.000 Kurzarbeiter gemeldet.

Was war das Besondere an der Kurzarbeit in der Finanz- und Wirtschaftskrise des Jahres 2009?

Man kann rückblickend sagen: Die Kurzarbeit des Jahres 2009 hat wie in einem Lehrbuch die idealtypischen Funktionen des arbeitsmarktpolitischen Instruments der Kurzarbeit zu Tage gefördert. Und die bestehen vor allem darin, dass man von einem volks- und betriebswirtschaftlichen, also von einem Doppelgewinn sprechen kann. Was genau ist damit gemeint?

Es geht darum, dass es volkswirtschaftlich Sinn macht, in einer Zeit, in der durch eine schwere Wirtschaftskrise Beschäftigte in großem Umfang eigentlich in die offene Arbeitslosigkeit entlassen werden müssten, das zu verhindern und die Betroffenen in ihrem Beschäftigungsverhältnis zu halten und den Unternehmen den Arbeitsausfall, durch den ja keine Wertschöpfung stattfinden kann, über eine in diesem Fall Versicherungsleistung zu kompensieren. Denn die Kosten für die Volkswirtschaft durch einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit – vor allem auch in Verbindung mit deren mittel- und langfristig erheblichen Folgekosten – sind erheblich und können durch eine Inanspruchnahme von Kurzarbeit reduziert werden.
Und das macht auch betriebswirtschaftlich Sinn, denn die Unternehmen können ihr eingearbeitetes und oftmals mit erheblichen betriebsinternen Humankapital ausgestattes Personal halten und deren Arbeitsvermögen dann wieder voll nutzen, wenn die Talsohle der Krise durchschritten wurde und es wieder aufwärts geht. Und die Unternehmen werden durch das Instrument der Kurzarbeit auch gang handfest entlastet, denn ansonsten hätten sie zum einen teilweise erhebliche Trennungskosten zu stemmen, viel wichtiger aber sind die Aufwendungen, die zu einem späteren Zeitpunkt, wenn es wieder aufwärts geht, anfallen würden im Bereich der dann erforderlichen Personalbeschaffungskosten. Das alles kann man sich sparen, wenn die Zeit bis dahin überbrückt werden kann.

Und schon sind wir beim Kern dessen angekommen, was als Voraussetzung dafür bezeichnet werden muss, wenn man den Charakter der Kurzarbeit als einer arbeitsmarktpolitischen Wunderwaffe zu entschlüsseln versucht: Die macht vor allem dann Sinn, wenn der volks- und betriebswirtschaftliche Arbeitsausfall ein temporärer ist, also nur eine begrenzte, überschaubare Zeit in Anspruch nimmt. Dann kann die Brückenfunktion der Kurzarbeit tatsächlich hervorragend wirken.

Die Kurzarbeit war 2009 eine geeignete Antwort auf die vorübergehende, durch den Einbruch der Finanzmärkte ausgelöste Schwäche – in Deutschland vor allem der Auslandsnachfrage. Aber Kurzarbeit war vor allem deshalb erfolgreich, weil bereits in der zweiten Jahreshälfte 2009 und so richtig dann 2010 die Nachfrage gerade für die exportorientierten deutschen Unternehmen aufgrund der umfangreichen Konjunkturprogramme in Asien – vor allem in China – enorm nach oben ging und man dann die über Kurzarbeit gehaltenen Belegschaften optimal nutzen konnte. Das verweist auf den Überbrückungscharakter, den dieses Instrument hat – im positiven Sinne, aber auch mit der Einschränkung, dass es sich wenn, dann für überschaubare Zeiträume eignet, denn die Arbeitgeber werden zwar entlastet, in dem ein Teil der Haltekosten sozialisiert wird, aber dennoch haben sie einen Aufwand zu tragen.

Und noch etwas ist gerade mit dem Blick auf die aktuellen Verwüstungen aufgrund der Corona-Krise von großer Bedeutung, wenn man auf das Krisenjahr 2009 und die besondere Rolle der Kurzarbeit schaut: Selbst in dieser turbulenten Zeit war die Zahl der Betriebe, auch bei jahresdurchschnittlich über eine Million Kurzarbeiter in jedem Monat, mehr als Überschaubar, was man dieser Abbildung entnehmen kann:

Die relativ geringe Zahl an Betrieben mit Kurzarbeit im Jahr 2009 erklärt sich vor allem daraus, dass es damals vor allem Betriebe des verarbeitenden Gewerbes, also der Industrie, waren, die Kurzarbeit für zumeist sehr viele Beschäftigte in Anspruch genommen haben.

Selbst in der ersten Jahreshälfte des Krisenjahres 2009 waren es bundesweit nicht mehr als 61.000 Betriebe, die konjunkturelles Kurzarbeitergeld in Anspruch genommen haben. Spätestens an dieser Stelle wird der eine oder andere misstrauisch, unruhig oder besorgt, wenn man die aktuelle Situation denkt.

Denn 2009 hat nur eine überschaubare Zahl an Betrieben das Instrument der Kurzarbeit genutzt – für ein Vielfaches an Arbeitnehmern, die anteilig und zeitweise im jeweiligen Betrieb und bei Aufrechterhaltung des Beschäftigungsverhältnisses „geparkt“ wurden.

Nun aber sprechen wir in diesen April-Tagen des Jahres 2020 von Anzeigen in einer bislang unvorstellbaren Größenordnung: 650.000 Betriebe haben Kurzarbeit angezeigt seit Beginn der Ausgangsbeschränkungen Mitte März dieses Jahres (bis zum 6. April 2020). Und es werden nicht die letzten sein.

Und ein überaus gewichtiger Unterschied zu den Erfahrungen, die wir 2009 mit dem Instrument der Kurzarbeit gesammelt haben, sei hier hervorgehoben: Damals befanden sich vor allem die großen, exportorientierten Industrieunternehmen in einer ausgeprägten Schieflage und durch die Inanspruchnahme von Kurzarbeit konnte deren Beschäftigtenzahl stabilisiert werden. Das war ideal, weil der zu überbrückende Zeitraum überschaubar blieb. Aber das „normale“ Leben lief weiter. Wir konnten einkaufen, Restaurants besuchen, die vielen personenbezogenen Dienstleister vom Friseur bis zum Musiklehrer gingen auch in der Krise 2009 ihren Geschäften nach und insgesamt wurde der Absturz der Wirtschaftsleistung durch den Konsum und die vielen nicht unmittelbare betroffenen Dienstleister erheblich abgebremst.

Das ist der entscheidende Unterscheid zwischen 2020 und 2009: Durch den Shutdown des öffentlichen und geschäftlichen Lebens werden heute vor allem die beschäftigungsintensiven Dienstleister getroffen und die Paralyse weiter Teile der Binnenwirtschaft ist eine ganz neue und fundamental andere Dimension der Krise in der Gegenwart. Das schlägt sich auch in einer veränderten Zusammensetzung der Kurzarbeit anmeldenden Betriebe nieder. Dazu die BA in der Pressemitteilung vom 31. März 2020:

»Die Anzeigen kommen aus nahezu allen Branchen, anders als in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009, als vor allem das verarbeitende Gewerbe betroffen war. Branchenschwerpunkte sind unter anderem der Handel und das Hotel- und Gaststättengewerbe.« Die aktuellen Schwerpunkte Einzelhandel und Gastgewerbe wurden auch am 9. April 2020 nochmals von der BA hervorgehoben.

Die derzeit natürlich nicht zu beantwortende, aber dennoch unbedingt zu stellende Frage lautet vor diesem Hintergrund: Wird es bei den Unternehmen dieser Branchen genau so ablaufen (können), wie wir das 2009 Bein den großen Industrieunternehmen haben beobachten können? Wird es also nur darum gehen, einige wenige Wochen zu überbrücken, bis alles wieder hochgefahren wird? Was passiert, wenn sich das noch zeitlich streckt, wenn auch mit einigen schrittweisen Freigaben durchsetzt? Wenn über Monate die Einnahmen wegbrechen und was passiert dann mit den vielen Unternehmen auch, aber nicht nur des Hotel- und Gaststättenbereichs, wo man schon lange vor der jetzigen Krise unter Normalbedingungen mit hohen Verbindlichkeiten und sehr niedrigen Margen konfrontiert war?