Ein „kleine Verbesserung“ ihrer finanziellen Lage oder „deutlich mehr Geld“? Für die 120.000 Beschäftigten in der Systemgastronomie gibt es einen neuen Tarifvertrag

Es sind schon beeindruckende Zahlen, wenn sie denn stimmen. Über 30 Prozent der Menschen ab 14 Jahre besuchen mindestens einmal im Monat eine der McDonald’s-Filialen. Offensichtlich funktioniert das Konzept der standardisierten Erwartbarkeit. Es sind nicht nur McDonald’s und mit deutlichem Abstand Burger King, sondern auch Starbucks, Kentucky Fried Chicken oder Vapiano. Dem Markt geht es gut. Für die deutsche Systemgastronomie wird ein Nettoumsatz von fast 14 Mrd. Euro ausgewiesen. In diesem Teil der Gastronomie sind rund 120.000 Menschen beschäftigt. Das ist jeder zehnte Beschäftigte in der Gastronomie insgesamt.

Und für diese Beschäftigten wurden in den vergangenen Monaten Tarifverhandlungen geführt. Dazu berichtet das WSI-Tarifarchiv: »Die NGG forderte am 01.10.19 für die Systemgastronomie in der untersten Tarifgruppe T1 eine Entgelterhöhung auf mindestens 12 €/Stunde. Damit soll ein deutlicher Abstand zum gesetzlichen Mindestlohn erreicht werden. Der aktuelle Entgelttarifvertrag wurde von der NGG zum 31.12.19 gekündigt. In der 1. Verhandlungsrunde am 04.12.19 legten die Arbeitgeber folgendes Angebot vor: einen Einstiegslohn von 9,48 €/Stunde, womit dieser gerade einmal 0,13 €/Std. über dem gesetzlichen Mindestlohn liegen würde. Dann sollte in den folgenden 3 Jahren die Tarifgruppe T1 um insgesamt 0,75 €/Stunde erhöht werden. Die anderen Tarifgruppen sollten Erhöhungen von 2,5 bis 2,7 % pro Jahr erhalten. Die NGG wies dieses Angebot als völlig indiskutabel zurück. Die 2. Verhandlungsrunde am 16.01. wurde nach zehn Stunden ergebnislos vertagt, da die Arbeitgeber ihr Angebot aus der 1. Verhandlungsrunde unverändert wieder vorgelegt haben, während die NGG weiterhin mindestens 12 €/Stunde fordert. Auch die 3. Verhandlungsrunde am 13./14.02. wurde ergebnislos abgebrochen. Die Arbeitgeber wären erst 2024 bereit, einen Einstiegslohn von 12 €/Std. anzubieten, dies wurde von der NGG als „respekt- und verantwortungslos“ zurückgewiesen.«

Über die nicht nur symbolisch zu verstehende Forderung nach mindestens 12 Euro pro Stunde seitens der Gewerkschaft NGG wurde hier am 4. Dezember 2019 berichtet: Viele machen es. Für wenig Geld. Die Systemgastronomie und die gewerkschaftliche Forderung nach mindestens 12 Euro für eine Stunde. Neues aus dem Niedriglohnsektor. Warum diese Forderung von großer Bedeutung ist, muss man vor dem Hintergrund sehen, dass wir es hier mit einem Kernbereich des Niedriglohnsektors zu tun haben. Dazu nur folgendes Zahlenbeispiel:

12 Euro Einstiegslohn die Stunde erscheint vielen Menschen erst ein mal nicht exorbitant hoch. Aber, so Birger Nicolai in seinem Artikel 30 Jahre Burger braten – und als Rentner nur Grundsicherung: Gegenüber der jetzigen Bezahlung entspricht dies einer Lohnsteigerung um knapp 28 Prozent. Auf Monatsbasis wären es 439 Euro mehr Geld für jeden Beschäftigten der niedrigsten Gehaltsgruppe. Im vergangenen Jahr lag der Einstiegslohn bei 9,25 Euro pro Stunde und damit nur sechs Cent über dem damals geltenden gesetzlichen Mindestlohn von 9,19 Euro. Seit dem 1. Januar 2020 ist der gesetzliche Mindestlohn auf 9,35 Euro angestiegen – allein schon deshalb wäre der Tarifvertrag hinfällig geworden, da die 9,25 Euro für den Einstiegslohn unter dem Mindestlohn liegen.

Das verdeutlicht, wie niedrig die Vergütung derzeit ist. Und auch der Hinweis, dass hier doch nur vom Einstiegslohn gesprochen wird und oftmals die unterste Lohngruppen kaum besetzt sind, trägt in diesem Fall nicht: Anders als in anderen Branchen ist die unterste Lohngruppe bei McDonald`s und Co. mehr als ein Tabellenwert. Denn das Gros der Beschäftigen ist nach Angaben der Gewerkschaft in den Lohngruppen 1 bis 4 eingruppiert und das bedeutete im vergangenen Jahr 9,25 bis 10,60 Euro pro Stunde.

Von der Forderung zum Tarifabschluss – am Jahresende 2023 gibt es 12 Euro pro Stunde (in der Lohngruppe 2)

Mitarbeiter von McDonald’s, Nordsee, Starbucks und Co. haben mit zahlreichen öffentlichen Aktionen und Warnstreiks gezeigt, dass sie sich nicht mehr mit einem Lohn, der ein paar Cents über dem Mindestlohn liegt, zufriedengeben werden, so die NGG am 28. Februar 2020 unter der kämpferischen Überschrift Am Montag „Schlichtung“ zwischen Gewerkschaft und McDonald’s, Starbucks und Co.: 12 Euro pro Stunde mindestens! Der stellvertretende NGG-Vorsitzende Freddy Adjan wird mit den Worten zitiert: „Die Arbeit in der Systemgastronomie ist besonders stressig und körperlich anstrengend, trotzdem reicht der Lohn nicht aus, um davon ordentlich zu leben. Und das, obwohl wir es hier mit milliardenschweren Konzernen zu tun haben und die Umsätze der Branche immer weiter steigen.“

Und nun wird eine Tarifeinigung vermeldet: Beschäftigte bekommen bald zehn Euro Lohn, so ist eine der Meldungen dazu überschrieben: »Angestellte bei McDonald’s, Nordsee und anderen Ketten verdienten bisher nur den Mindestlohn. Nun bessert sich ihre finanzielle Lage ein klein wenig.« Wieso „ein klein wenig“?

»Für Angestellte in Selbstbedienungsketten wie McDonald’s, Burger King, Nordsee oder Starbucks steigt der Tariflohn zum 1. Juli 2020 in der unteren Tarifgruppe auf zehn Euro pro Stunde. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und der Bundesverband der Systemgastronomie (BdS) verständigten sich auf einen entsprechenden Tarifvertrag mit Laufzeit bis Ende Juni 2024. In mehreren Stufen steigt der Tariflohn in der Gruppe 2 demnach bis zum 1. Dezember 2023 auf zwölf Euro. In diese Gruppe kommen Beschäftigte laut NGG automatisch nach einem Jahr Betriebszugehörigkeit.«

Was sagt die Gewerkschaft selbst? Die NGG hat ihre Pressemitteilung so überschrieben: Einigung im Tarifkonflikt: Deutlich mehr Geld für Beschäftigte von McDonald’s, Burger King und Co. – und das „deutlich mehr Geld“ wird mit diesem Hinweis untermauert: »Demnach steigen die Löhne und Ausbildungsvergütungen bei McDonald’s, Burger King, Starbucks und Co. ab dem 1. Juli 2020 bis zum 30. Juni 2024 um 27,7 Prozent.«

Die vor dem Hintergrund der 12 Euro-Forderung wichtigen Lohnsteigerungen verdeutlicht die folgende Abbildung:

➞ Die bisherige tarifvertragliche Regelung (vgl. den Entgelttarifvertrag für die Systemgastronomie ab 1.1.2017) sah für die Tarifgruppe 1 ab dem 1. Januar 2019 einen Stundenlohn in Höhe von 9,25 Euro sowie für die Tarifgruppe 2 einen Stundenlohn von 9,40 Euro vor. Aufgrund der Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Januar 2020 musste auch der Stundenlohn in der Tarifgruppe 1 auf den Mindestlohnwert von 9,35 Euro angehoben werden. Die in der Abbildung dargestellten Lohnsteigerungen beziehen sich auf Beschäftigte in der Tarifgruppe 2, die bis Juli 2020 weiter 9,40 Euro in der Stunde bekommen. Im vergangenen Jahr (2019) kam ein Vollzeitbeschäftigter in der Systemgastronomie in der Tarifgruppe 1 auf ein Bruttomonatsentgelt von 1.563 Euro, in der Tarifgruppe 2 waren bzw. sind es noch 1.589 Euro.

Im vergangenen Jahr kam ein alleinstehender Vollzeitbeschäftigter in der Systemgastronomie nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben auf ein Nettomonatseinkommen in Höhe von 1.168 Euro. Wohlgemerkt, für eine Vollzeitarbeit und die sicher nicht auf einem Schonarbeitsplatz.

Auch mit den Lohnsteigerungen im nun neuen Tarifvertrag bleiben viele Beschäftigte in der Systemgastronomie unterhalb der Niedriglohnschwelle. Die Niedriglohnschwelle lag bereits im Jahr 2018 für Hauptbeschäftigungen bei nominal rund 11,40 Euro brutto pro Stunde (Berechnungsbasis: SOEP-Daten).

Was sagt die Gewerkschaft? Freddy Adjan, stellvertretender NGG-Vorsitzender, erklärte zum Tarifabschluss: „Die geforderten 12 Euro mindestens pro Stunde werden erreicht – allerdings deutlich später als von uns gefordert. Die vereinbarten überdurchschnittlichen Lohnerhöhungen haben es der Tarifkommission nicht möglich gemacht, dieses Ergebnis abzulehnen: Spätestens zum 1. Dezember 2023 erhält ein Beschäftigter in Tarifgruppe 2 zum Beispiel 440 Euro mehr pro Monat.“

Wenn man die ersten Informationen über den Tarifabschluss in der Systemgastronomie sortiert, dann fallen diese Punkte besonders auf:

➔ Die geforderten 12 Euro pro Stunde ab der Tarifgruppe 2, also nicht für den Einstiegslohn nach Tarifgruppe 1, werden nach einer längeren Übergangsphase erreicht, aber erst ab Dezember 2023.

➔ Auch dieser Tarifabschluss ordnet sich ein in den generellen Trend immer längerer Laufzeiten von Tarifverträgen ein – in diesem Fall vier Jahre! Vgl. dazu auch den Beitrag Zum Tarifabschluss im Einzelhandel, den strukturellen Problemen einer Branche und der Hoffnung auf Hilfe von oben vom 15. Juli 2019. Dort findet man diese Abbildung mit den Laufzeiten von Vergütungstarifverträgen über alle Branchen:

Es wird jetzt nicht wirklich erstaunen, dass die Arbeitgeberseite gerade den Aspekt der langen Laufzeit besonders hervorhebt: »Der Tarifabschluss sieht eine Erhöhung von durchschnittlich circa 5% pro Jahr, verteilt über 54 Monate Tarifvertragslaufzeit, vor und bringt für … über 830 Mitgliedsunternehmen Planungssicherheit«, so die Zusammenfassung in der Mitteilung Schlichtungsverfahren für Systemgastronomie erfolgreich beendet. Und Sandra Mühlhause, Präsidentin des Bundesverbandes der Systemgastronomie (BdS), hebt den für die Arbeitgeber besonders relevanten Aspekt nochmals deutlich hervor: „Ein gutes Ergebnis für die Branche mit ihren 120.000 Beschäftigten! Jetzt haben wir Planungssicherheit für die kommenden Jahre. Das ist entscheidend.“