»Lange wurde der Staat kaputtgespart. Heute ist er bei Großprojekten überfordert, ohne Unternehmensberater geht fast nichts mehr. McKinsey, Roland Berger & Co. bestimmen das Leben im Land mit, von der Straßenmaut bis zur Asylpolitik. Und verdienen damit Milliarden.« So beginnt eine Ende Januar 2019 veröffentlichte Titelgeschichte des SPIEGEL unter der bezeichnenden Überschrift „Die Berater-Republik“.
Im Innenministerium planen sie, wie Deutschland online geht, im Verkehrsministerium, wie Straßenmaut kassiert wird, im Bundesamt für Migration, wie Asylbewerber verwaltet werden. Insgesamt gibt der Staat inzwischen jährlich rund drei Milliarden Euro für Unternehmensberater aus, schätzt Dietmar Fink, Professor für Unternehmensberatung und -entwicklung an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Allein in den vergangenen sieben bis acht Jahren habe sich das Gesamtvolumen ungefähr verdoppelt, so der SPIEGEL. In den vergangenen Monaten wurden immer neue Affären um Beratereinsätze im Regierungsdienst bekannt, allen voran im Bundesverteidigungsministerium. Ursula von der Leyen hatte schon auf ihren früheren Kabinettsposten, also Familie und Arbeit, einen deutlich ausgeprägten Hang, Beratertruppen an die ministerielle Front zu werfen. In der Bundeswehr aber hat sie erst dermaßen über(ge)trieben, dass es nun sogar einen Untersuchungsausschuss im Bundestag gibt, der Licht in diese Schattenwelt bringen soll. Der Bundesrechnungshof stellte in mehreren Berichten fest, dass das Wehrressort von Ursula von der Leyen (CDU) millionenschwere Aufträge an Berater rechtswidrig vergeben hatte. Hier geht es um Vetternwirtschaft und Geldverschwendung, was am Ende der Ministerin das Ende bereiten kann. Aber darüber hinaus geht es um ein viel größeres und weitaus bedrohlicheres Problem, das in der SPIEGEL-Titelgeschichte so beschrieben wird: »Die Berater setzen nicht nur Projekte um, sondern machen Politik, beeinflussen, wie wir leben, ohne demokratische Kontrolle. Und der Staat läuft in die Falle: Er lagert Kompetenz um Kompetenz aus, wird abhängig vom Wissen an- derer und lernt am Ende selbst nichts mehr dazu. Er lernt nur Unfähigkeit.«
Und das muss im Kontext eines Schlankheitswahns der zurückliegenden Jahre gesehen werden, die dazu geführt habe, so eine immer wieder vorgetragene These, dass sich der Staat selbst elementar beschnitten hat: »Ausgezehrt, weil er immer schlanker werden sollte. Im Bereich des Bundes wurden allein in den vergangenen zehn Jahren mehr als 50.000 Stellen abgebaut. Der Deutsche Beamtenbund beklagt eine Personallücke von 200.000 Menschen im öffentlichen Dienst.«
Gleichzeitig wird überall eine steigende Komplexität und eine enorme Beschleunigung diagnostiziert und oft auch beklagt, die zu einer strukturellen Überforderung der öffentlichen Hand geführt haben – und die muss man nun wieder kompensieren, die Effekte wieder einzufangen versuchen. Eben über die Rekrutierung aus den Streitkräften der vielen „Berater“ (ein übrigens nicht geschützter Begriff und damit eben kein Professionalitätshinweis). Nun kann man es schon grundsätzlich problematisch finden, dass die im November 2018 seitens der Bundeskanzlerin vorgestellte Digitalstrategie für Deutschland im Wesentlichen von einer Berater-Truppe der Firma Roland Berger auf den Weg und in eine bestimmte Form gebracht wurde. Vielleicht mag der eine oder andere an dieser Stelle noch das Gefühl haben, dass der Einsatz von Unternehmensberatern, die ja viel mit Digitalisierung zu tun haben (müssten), irgendwie fachlich noch erklärt werden kann – obgleich ein kurzes Nachdenken den Finger auf die klaffend offene Wunde des offensichtlichen Interessenkonflikts lenken muss, denn mit „Beratung“ rund um den Catch-all-Begriff „Digitalisierung“ verdienen die Beraterfirmen immer mehr Geld und insofern werden sie natürlich ein Interesse daran haben, den Beratungsbedarf im Kontext einer Digitalstrategie besonders zu würdigen, liegt darin doch eine Gelddruckmaschine par excellence verborgen.
Äußerst kritisch bewerten selbst führende ehemalige Berater die zunehmende Abhängigkeit des Staates: „Die Verwaltung wurde kaputtgespart, die ministerielle Seele ist weg“, sagt Markus Klimmer, er hat in Deutschland für McKinsey einst das Geschäft mit der öffentlichen Hand („Public Sector“) maßgeblich aufgebaut. Der Politik bleibe kaum noch eine andere Wahl, als sich auf Berater zu verlassen. „Das System ist pervertiert“, so Klimmer. „Das Public-Sector-Geschäft ist so groß geworden, dass es die Hasardeure anzieht“, so eine kritische Anmerkung in dem Artikel Staat zahlt jährlich drei Milliarden Euro für Berater.
Aus einer explizit sozialpolitischen Sicht wird der metastasierende Berater-Einsatz besonders problematisch, wenn er nicht nur höchst sensible Bereiche des gesellschaftlichen Lebens adressiert, sondern die auch noch in die Powerpoint-Folien-Welt der Berater mit ihren aufgehübschten Prozessmodellierungen oftmals jenseits aller Widrigkeiten der Praxis vor Ort und vor allem in der Regel völlig unbeeindruckt von so störenden Komponenten wie Rechtsansprüche oder individuelle Problemlagen abdrückt, wo am Ende das herauskommt, was auch bei der Beratung eines Herstellers von Klospülungen zu erwarten ist: mehr Effizienz durch Rationalisierung und andere Prozessoptimierungen, möglichst natürlich verbunden mit geringeren Personalkosten als vorher (allerdings nicht auf der Beraterseite).
Das wurde hier immer wieder kritisiert. Beispiel Flüchtlinge. Im Februar 2016 wurde der Beitrag McKinsey kommt. Und soll jetzt die Flüchtlingsintegration in Berlin erledigen, weil die Verwaltung die „komplexe Aufgabe“ nicht bewältigen könne veröffentlicht. Und dann kam es, wie es kommen musste: Am 28. Oktober 2016 folgte dieser Beitrag: Ran an die mit Steuermitteln gefüllten Futtertröge oder: Wir machen auch Flüchtlinge … Die Unternehmensberaterrepublik und ein sich verselbständigendes Staatsversagen, in dem vieles aus der aktuellen Debatte über die „Berater-Republik“ schon aufgegriffen wurde. Und zur Abrundung dann dieser Beitrag vom 5. Dezember 2016 mit dem nicht wirklich überraschenden Ergebnis: Eine bodenlose Frechheit: Die Bundesregierung verramscht hoheitliche Kernaufgaben an eine Unternehmensberatertruppe. Und die kassiert ein fettes Honorar – für Schaumschlägerei.
Nun schauen viele andere Menschen mehr als kritisch auf diese Entwicklung – von denjenigen, die es schon mal erlebt haben, wenn Beratertruppen in ihre Unternehmen eingefallen sind, mal ganz abgesehen. Und dabei geht es eben auch um ein weit verbreitetes Unbehagen, warum der Staat offensichtlich nicht in der Lage ist, mit seinem Fachpersonal viele der Fragen selbst zu bearbeiten und zu beantworten. Und wenn die das nicht können, so eine weit verbreitete Stimmung, warum werden dann trotzdem noch „so viele“ Beamte beschäftigt? Fragen über Fragen.
Andere versuchen, erst gar nicht zu fragen, sondern Fakten zu schaffen. Dazu gehört offensichtlich der amtierende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Denn von dem wird das hier berichtet – und bereits die Überschrift des Artikels von Gregor Waschinski im Handelsblatt wird so manchen Blutdruck nach oben treiben: Beratungsfirmen sollen mehr Einfluss im Gesundheitswesen bekommen. Noch mehr Einfluss? Bereits heute haben wir gerade im Gesundheitswesen eine eigene Beraterindustrie am Wirken.
Dem Artikel kann man entnehmen: »Versteckt im Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung (TSVG) findet sich eine Passage, mit der Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Aufsichtsbehörden wie dem Bundesversicherungsamt ermöglicht, ihre Prüfaufgaben an Beratungsunternehmen auszulagern.« Das stößt nicht nur bei der Opposition, sondern auch innerhalb des Regierungslagers sauer auf. Die großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften weiten ihr Geschäftsfeld im Krankenkassenbereich sowieso schon seit Jahren aus. Nun werde die Zuständigkeit von externen Beratern noch einmal erweitert, so beispielsweise die Kritik der SPD-Gesundheitspolitikerin Hilde Mattheis.
Waschinski berichtet über die Sichtweise des Ministeriums: Das Bundesgesundheitsministerium hält es dagegen für ratsam, „in besonderen Fällen“ Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, spezialisierte Rechtsanwaltskanzleien oder IT-Berater mit Prüfungen zu beauftragen. Das Bundesversicherungsamt und die Aufsichtsbehörden der Länder könnten auf „besondere Problemstellungen“ stoßen, „die Spezialwissen erfordern und bei denen durch eine externe Bewertung des Prüfthemas die Verbesserung der Ergebnisqualität und Prüfdauer zu erwarten ist“. Gerade das Prüfthema Informationstechnologie, also Fragen der Digitalisierung und des Datenschutzes, erfordere „aufgrund seiner Komplexität eine umfassende Qualifikation und Spezialwissen“, heißt es in der Begründung des Ministeriums. „Insofern ist es für die Prüfdienste sinnvoll, auch zu diesem Thema die Unterstützung von externen Spezialisten in Anspruch nehmen zu können.“
Und die Kritiker? »Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) empfiehlt in seiner Stellungnahme, die geplante Neuregelung zu streichen. Zwar sei es aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes „nachvollziehbar und unkritisch“, Beratungsfirmen zum Beispiel die Prüfung des Jahresabschlusses zu übertragen. Die „Prüfung besonderer Sachverhalte, etwa zur Erforderlichkeit oder Wirtschaftlichkeit bestimmter Geschäfts- oder Betriebsabläufe“ sei dagegen problematisch. Die Beratungsfirmen würden oft auch Geschäftsbeziehungen zu Vertragspartnern der Krankenkassen, zu Pharmafirmen oder Krankenhausträgern unterhalten.« Der Spitzenverband der Krankenkassen sieht die Gefahr, dass die Beratungsfirmen über die von den Aufsichtsbehörden veranlassten Prüfungen „strategisch verwertbares Knowhow über die Geschäfts- und Vertragspolitik der gesetzlichen Krankenkassen und ihrer Verbände erlangen“.
Man sollte sich an dieser Stelle klar machen, was genau das Neue ist, denn Berater und Wirtschaftsprüfer sind doch sowieso schon unterwegs im Gesundheitswesen. Der Vorstoß des Bundesgesundheitsministeriums zielt auf eine weitere Privatisierung hoheitlicher Aufgaben, denn es geht hier um die staatliche Aufsicht und der Auslagerung der Aufgabenerfüllung an private, gewinnorientierte Berater und Wirtschaftsprüfer. Also nicht (nur) um eine generelle Beratung von Unternehmen wie Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen oder Krankenkassen.
Dazu der Bundesverband der Innungskrankenkassen (IKK) in einer Stellungnahme zu den Änderungsanträgen, über die das in den Gesetzentwurf, der gerade im Bundestag behandelt wird, transportiert wurde: »Kritisch sehen die Innungskrankenkassen … den Änderungsantrag, mit dem nicht nur das BMG einzelne Prüfthemen, die die Kassen betreffen, extern vergeben kann, sondern dies zukünftig auch Prüfbehörden der Länder und das BVA erlaubt sein soll. Eine Vergabe ist dabei auch an IT-Berater und Wirtschaftsprüfer möglich. IKK e.V.-Geschäftsführer Jürgen Hohnl sagt: „Anstatt immer weitere Prüfinstanzen zu beauftragen, sollte das Verfahren der Prüfungen grundsätzlich kritisch hinterfragt werden. Es gibt eine Fülle von sich überlagernden Prüfungen, die eher die Bürokratie verschärfen anstatt Verbesserungen bringen.“ Außerdem müssen die Kassen bereits selber Wirtschaftsprüfer einsetzen. „Bedenklich ist außerdem, dass dadurch hoheitliche Aufgaben der staatlichen Aufsicht an Externe delegiert werden!“ meint Hohnl.«
Die Gesundheitspolitiker der Union versuchen, ihrem Gesundheitsminister beizuspringen, berichtet Waschinski: „Bei Prüfungen, für die Spezialkenntnisse benötigt werden wie beispielsweise im IT-Bereich, halte ich es sinnvoll, dass externe Experten hinzugezogen werden können“, wird beispielsweise der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag, Erwin Rüddel (CDU), zitiert. Es sei wichtig, dass die Qualität der Prüfung auch dann gewährleistet werde, wenn die benötigten Kenntnisse bei den Aufsichten nicht gegeben seien. Und die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Karin Maag (CDU), weist darauf hin, dass die Verantwortung für die Prüfungen der Krankenkassen bei den staatlichen Stellen verbleibe, selbst wenn die Aufgabe an externe Berater ausgelagert werde. Es sei schlicht „unwirtschaftlich“, in den Aufsichtsbehörden für seltene Spezialfragen etwa aus dem IT-Bereich oder Steuerrecht dauerhaft eigene Experten zu beschäftigen.
Das klingt pragmatisch – verwischt aber gekonnt die eigentliche Problematik. Die ist eben nicht darin zu sehen, dass überhaupt Berater eingesetzt werden. Denn das wird sich nie vermeiden lassen, es gibt sogar gute Gründe dafür, sich an der einen oder anderen Stelle sachkundige Expertise von außen zu holen, wenn es beispielsweise um Prozess- und Qualitätsverbesserungen geht. Wenn denn die Berater auch wirklich sachkundig sind und nicht nur die immer gleichen Powerpoint-Folien von Schlachthäusern bis hin zu Pflegeeinrichtungen modifizieren und darüber (die ebenfalls immer gleiche, im Sozial- und Gesundheitswesen besonders folgenschwere eindimensionale Wirtschaftlichkeits-) Kompetenz simulieren.
Denn es geht hier – wohlgemerkt – um staatliche Aufsichtsaufgaben, die den Kernbereich der staatlichen Tätigkeit berühren und die besonders rechtfertigungsbedürftig sind, wenn sie denn nicht vom Staat in eigener, auch personeller Verantwortung durchgeführt werden. Eine Relativierung des Ansinnens, auch diesen Bereich für die vollkommen intransparente Welt der Beratungsfirmen zu öffnen, führt nicht nur zu einem Gewöhnungseffekt gegenüber dem generellen Ansatz eines Outsourcing staatlicher Kernaufgaben an private, gewinnorientierte Unternehmen, sondern lenkt zugleich auch ab von den eigentlich zu stellenden Grundsatzfragen: Muss das System der Prüfungen so bleiben, wie es heute geworden ist – verbunden mit der Feststellung, dass eine solche „Entlastung“ der Aufsichtsbehörden dazu führen kann (und wird), dass man das System munter weiter ausdifferenziert und schrittweise immer undurchschaubarer macht, weil man ja die damit verbundenen Aufgaben auslagern und sich selbst entlasten kann. Und man lenkt ab von den katastrophalen Folgen einer Entkernung des öffentlichen Dienstes, die uns zunehmend auf die Füße fällt.
Natürlich könnte man auch hier auf andere, alternative Gedanken kommen, also einerseits eine radikale Aufgabenkritik und eine Präferenz für Bürokratieabbau (was an anderer Stelle sonst immer gerne vom Staat gefordert wird), verbunden mit einer eben nicht nur quantitativen, sondern vor allem einer qualitativen Renaissance eines „guten“ öffentlichen Dienstes. Insofern geht es also eben nicht nur um eine Teilveränderung im Gesundheitswesen, sondern um die Frage, ob wir noch mehr Bestandteile des Systems in dem Haifischbecken kommerzieller Interessen versenken wollen.