McKinsey unterhält ein globales Netz aus ehemaligen Mitarbeitern – und wird langsam unheimlich. Die Berater-Alumni sitzen in den Schaltzentralen von Unternehmen und Politik, bewegen Milliarden, steuern ganze Volkswirtschaften. So beginnt der Artikel McKinsey ist überall von Michael Freitag und Dietmar Student, der bereits im Oktober 2012 veröffentlicht wurde. Hier wird an vielen Beispielen beschrieben, wie es diese globale Unternehmensberatung schafft, überall die Finger reinzubekommen. Man kann das „Geschäftsgeheimnis“ der Meckies relativ einfach beschreiben – und bei aller Distanz bis Abneigung muss man dabei fast schon ehrfurchtsvoll zur Kenntnis nehmen, dass es denen gelungen ist, eine Art Perpetuum mobile der (Folge-)Auftrags- und damit Geldbeschaffung in die Welt zu setzen. »In den Vorständen internationaler Konzerne, auf Ministerposten, in Kulturorganisationen, Stiftungen und auch in Internetfirmen wie Autoscout 24: Die Jünger McKinseys sind überall«, schreiben Freitag und Student. Und liefern auch ein paar eindrucksvolle Zahlen:
»Mehr als 25.000 ehemalige McKinsey-Berater besetzen in 120 Ländern meist hochrangige Positionen; bei McKinsey selbst sind aktuell nur 9000 Berater registriert. Weltweit haben es rund 7000 Ex-Meckies in höchste Führungspositionen geschafft; 200 leiten Firmen, die mehr als eine Milliarde Dollar im Jahr umsetzen; die Top-Five-CEOs kommen zusammen auf mehr als 400 Milliarden Dollar; sie führen Boeing (USA), BHP Billiton (Australien), Vodafone (Großbritannien), Eni (Italien) und die Deutsche Post.«
Die McKinsey-Berater beraten und dringen dann ein in die Unternehmen, oftmals über die Schiene Vorstandsassistenz. Wenn die dann weiter aufsteigen, sitzen sie später an Positionen, von denen aus sie selbst wieder Aufträge vergeben können – und an wen? Keine Frage, ein sich selbst erhaltendes und expandierendes Geschäftsmodell.
Nun könnte man an dieser Stelle einwerfen, gut, in der Wirtschaft ist das so, die machen da ihre Geschäfte und wenn die Unternehmen so blöd sind, Tagessätze im vierstelligen Euro-Bereich für junge, „smarte“ Berater zu zahlen – ihr Problem.
Aber es bleibt ja nicht bei diesem Phänomen in der Welt der Profit-Wirtschaft. Die Meckies dringen seit Jahren – protegiert von höchsten politischen Stellen – auch zunehmend in Kernbereiche der Staatswesens ein. Mit dem gleichen Geschäftsmodell, mit dem sie in der „normalen“ Wirtschaft ihre krakenhafte Erfolgsgeschichte haben schreiben können.
Sie kommen als Berater und platzieren ihre Leute in einem zweiten oder dritten Schritt in den öffentlichen Institutionen. Die wechseln also das Lager bei diesem – nun ja – „Marsch durch die Institutionen“, nicht aber ihre Verbundenheit mit der McKinsey-Welt.
Ein großes offenes Scheunentor in die besondere Welt der hier vor allem interessierenden sozialpolitisch wichtigen Institutionen öffnete sich mit dem, was umgangssprachlich als „Hartz-Reform“ der Arbeitsverwaltung, also der Umbau der alten Bundesanstalt für Arbeit zur neuen Bundesagentur für Arbeit, bezeichnet wird. Bei dem Um- bzw. Abbau der alten sozialstaatlichen Behörde Arbeitsamt wurden Heerscharen von Unternehmensberater von Roland Berger wie auch McKinsey eingesetzt und nicht wenige von ihnen landeten nach den Beratungen in der neuen Welt der Bundesagentur für Arbeit auf Führungspositionen. Teilweise haben sie sich diese selbst erst geschaffen mit ihren Beratungen, das ist ein grundsätzliches, aber nahliegendes Übel, wenn es diese Seitenwechsler gibt bzw. geben kann.
Von maßgeblicher Bedeutung in diesem Prozess war und ist der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, der sich von Anfang an mit einer Prätorianergarde aus den Reihen der Beratungsfirmen umgeben hat und diese auch protegiert. Und da ist es für die wie ein Zusammenfall von Weihnachten und Geburtstag, dass Herr Weise seit einiger Zeit auch noch Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist, in Personalunion mit seinem Posten bei der BA.
Sein Auftrag ist klar: Er soll das BAMF genau so umbauen und „modernisieren“, wie er das mit der BA hingelegt hat. Da ist es aus seiner Perspektive nur rational und schlüssig, auf die zurückzugreifen, die ihm schon in der Vergangenheit zu Diensten waren. Und damit eröffnet er ihnen ein zweites, absehbar für viele Jahre relevantes und mit hohen Mitteleinsätzen versehenes Handlungsfeld staatlichen Tuns: die Flüchtlinge.
Und in diesem Feld sehen wir wieder die gleiche Vorgehensweise von McKinsey, allerdings mit einer „Vorschaltphase“, die man aber auch ganz nüchtern, also betriebswirtschaftlich als Vorab-Investition zur Markterschließung verstehen kann. Die Meckies haben in dem Moment, als alle Systeme überlastet waren (und sind) angesichts der schieren Menge an Menschen, die in kürzester Zeit hier als Flüchtlinge aufgelaufen sind, ihre Beratungsdienste „pro bono“ zur Verfügung gestellt, darunter versteht man ja üblicherweise freiwillig geleistete, professionelle Arbeit ohne oder mit stark reduzierter Bezahlung für das Gemeinwohl. Und das hört und liest sich ja erst einmal positiv. Aber das hat natürlich nur eine zweifache Funktion: Zum einen sammelt McKinsey auf diesem Weg wertvolle Erfahrungen und Daten aus einem Bereich, der ihnen ja nun wirklich nicht bekannt ist, denn das die als Experten für Flüchtlinge gelten, kann man nicht ernsthaft behaupten. Mit den vorzufinanzierenden Projekten erwirbt die Firma zugleich Referenzprojekte, die in späteren Phasen, beispielsweise bei Ausschreibungen, ein echtes Pfund darstellen. Zum anderen hat man natürlich einen Imagegewinn durch solche scheinbaren „pro bono“-Aktionen. Scheinbar deshalb, weil es natürlich darum geht, sich die investierte Summe in mehrfacher Höhe später durch echte Aufträge wieder zurückzuholen.
Bereits am 23. September 2015 hatte ich auf der Facebook-Seite von „Aktuelle Sozialpolitik“ anlässlich der „Doppelbestellung“ von Weise als BA- und BAMF-Leiter einen kritischen Beitrag gepostet und darin angemerkt, dass »der eigentliche Coup ist möglicherweise nicht die Frage, ob Herr Weise nun Präsident oder „nur“ Leiter genannt werden muss, sondern die Tatsache, dass eine seiner ersten „Amtshandlungen“ das Anheuern der Unternehmensberater von McKinsey war, wohlgemerkt mit der Aufgabe – „zunächst unentgeltlich“ – Lösungen für eine „Optimierung“ der Asylprozesse zu erarbeiten. Wieder einmal – wie schon bei den „Hartz-Reformen“ und dem Umbau der Bundesanstalt für Arbeit zur Bundesagentur für Arbeit – sitzen die Söldner aus der Unternehmensberatungsbranche im Herz staatlicher Umbauprozesse.«
Da tauchte es damals schon auf, das „zunächst unentgeltlich“. Nur am Anfang eben.
Aber wenn die Prozesse erst einmal am Laufen sind, dann ist das wie so eine schiefe Ebene nach unten, an die Futtertröge der öffentlichen Hand.
Und Berlin als „Hotspot“ einer beim Umgang mit den vielen Flüchtlingen offensichtlich überforderten öffentlichen Hand bietet sich sowohl für die „Markterschließungs-“ wie auch „Durchdringungsstrategie“ perfekt an, gibt es dort doch mit dem „Lageso“, also dem Landesamt für Gesundheit und Soziales, die perfekte Kulisse eines ständig in den Medien befindlichen versagenden staatlichen Apparates, der an den Nerven der (Aufträge vergebenden) Politiker zehrt.
Der Ablauf war dann wie aus einem Drehbuch entnommen: Im Dezember des vergangenen Jahres – die Bilder der vielen vor dem Lageso wartenden Flüchtlinge flackerten fast jeden Abend über de Bildschirme der Nation – wurde McKinsey zu Hilfe gerufen: »Das Lageso will die neue Warteschlange auflösen, und dafür soll sich McKinsey etwas einfallen lassen«, so Timo Kather und Annette Kögel in ihrem Artikel Mit Hilfe von Herbert Grönemeyer und McKinsey. Und die Meckies haben versucht, was zu liefern, beispielsweise das hier:
»Die neueste Idee: Besonders lange, also seit Mitte November tagtäglich vergebens auf Vorsprache beim Sachbearbeiter wartende Flüchtlinge werden seit Mittwoch am Haus A vorgezogen – und in einem Wartezelt davor mit einem blauen Handgelenkband markiert. Den anderen Terminkunden, die „erst“ seit Dezember jeden Tag und jede Nacht in der Kälte stehen, soll in ihrer Landessprache vermittelt werden, dass sie erst im Januar wiederkommen sollen.«
Das mit dem Handgelenkband haben die Berater wahrscheinlich aus ihrem letzten Türkei-Urlaub mitgebracht, denn in den all inclusive-Hotels steuert und sortiert man ja auch mittels der Handgelenksbänder.
Der nächste Schritt war dann konsequent und wurde im Januar dieses Jahres gemeldet: Die Übernahme der Führung des heftig kritisierten Lageso durch einen McKinsey-Mann selbst: Sebastian Muschter ist neuer Chef, so ein Porträt von Fatina Keilani: »Seit September ist er schon im Thema, denn seitdem ist das Pro-Bono-Team von McKinsey über einen Vertrag mit der Senatskanzlei in Berlin aktiv. Er hat bereits den „Masterplan Berlin für Integration“ mit ausgearbeitet. Die Hilfsaktion wurde jetzt um sechs Monate bis Juli verlängert. Das heißt: Bisher wurde Muschter von McKinsey bezahlt, arbeitete aber für Berlin, ab Montag bezahlt Berlin ihn selbst. Bei McKinsey scheidet er aus.«Und sie fährt fort: »Von seinen Themen her passt Muschter auf den Job. Er hat schon Frank-Jürgen Weise beraten, den früheren Leiter der Bundesagentur für Arbeit und jetzigen Chef des Bundesamtes für Flüchtlinge; er hat sich mit Optimierungsprozessen in der Verwaltung befasst, mit eGovernment und der Transformation von Strukturen.«
Und der nächste Schritt lässt nicht auf sich warten: McKinsey soll Berlin bei der Integration beraten, können wir nun der Presse entnehmen. »Weil die Verwaltung die „komplexe Aufgabe“ der Flüchtlingsintegration nicht bewältigen kann, soll die Unternehmensberatung McKinsey helfen – für 238.000 Euro«, berichtet Ulrich Zawatka-Gerlach. »Bis März soll der Masterplan vorliegen. In den Bereichen Bildung, Arbeit, Wohnen und Ehrenamt bestehe „unmittelbarer Handlungsdruck“, steht in einer Vorlage der Senatskanzlei an das Abgeordnetenhaus. Der Hauptausschuss des Landesparlaments soll schon am heutigen Mittwoch 238.000 Euro für McKinsey lockermachen.«
Da werden sich die einen oder anderen jetzt verwundert die Augen reiben: McKinsey-Berater als Experten für sozialpolitische Handlungsfelder? Hätte es da nicht ganz andere Personen und Organisationen gegeben, die über jahrelange Expertise auch inhaltlicher Art verfügen?
Interessant ist die offizielle Begründung von Senatskanzleichef Björn Böhning, warum die Wahl auf dieses Unternehmen gefallen ist:
»McKinsey wurde ausgewählt, weil das Unternehmen seit einigen Monaten auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sowie die schwedische Regierung berät.«
Nur eine Anmerkung zu der „Schweden-Referenz“ des Unternehmens: Dazu konnte man bereits im vergangenen Jahr diesen Artikel zur Kenntnis nehmen: Schnelles Abschieben mit McKinsey. Die Schweden haben bereits vor Jahren die Antwort bekommen, auf die jetzt viele Politiker in Deutschland hoffen: Ja, man kann die Erledigung Abertausender Asylanträge genauso beschleunigen wie die „Produktion“ in anderen Behörden oder privatwirtschaftlichen Unternehmen. 2008 bekamen die McKinsey-Leute einen Auftrag zur Durchleuchtung vom „Migrationsverket“. Und die von ihnen vorgeschlagene Umstellung der Organisation der Bearbeitung der Asylverfahren nach den Prinzipien des „Lena Management“ schien schnell Früchte zu tragen: »Die durchschnittliche Wartezeit bis zur Entscheidung über einen Asylantrag sank drastisch von neun Monaten auf drei«, konnte 2010 vermeldet werden. Genau so eine Absenkung brauchen wir doch auch.
Also sind die doch Experten bei McKinsey und können über Wasser laufen?
Sie haben erst einmal nichts weiter gemacht als eine „Toyotaisierung“ der schwedischen Ausländerbehörde: Genau wie bei bei dem japanischen Autohersteller »gibt es jetzt beim schwedischen Ausländeramt präzise Mengen- und Zeitvorgaben für alle Organisationsebenen – und offenbar auch Punkte samt Beförderung oder Festanstellung für besonders schnelle und „produktive“ Mitarbeiter.«
»Ein Sachbearbeiter berichtete …, es gelte für die Bearbeitung eines Antrages 2,5 Stunden als verbindliche Maßeinheit. Das Blatt zitierte aus der Mail eines „Betriebschefs“: „Zur Sicherstellung unserer Ziele haben wir einen Produktionsplan. Die Einhaltung wird überwacht, Abweichungen sind zu melden.“ Andere Chefs ordneten gleich direkt an, möglichst viele permanente Aufenthaltsgenehmigungen auszustellen, weil das am schnellsten gehe.
Von umgekehrten Konsequenzen berichtete „Dagens Arena“ über die ebenfalls stramm neu durchorganisierte Abschiebung ausgewiesener Asylbewerber. Die Mitarbeiter des Ausländeramtes, Polizisten und Gefängnispersonal würden bei ihrer Zusammenarbeit für möglichst schnelles Durchschleusen der Betroffenen ohne „Flaschenhälse“ belohnt. Als Konsequenz „behandeln sie die Menschen wie einen Block ohne menschliche Eigenschaften“, fasste die Reporterin ihren Eindruck aus der neuen Anstalt Märsta für Abzuschiebende zusammen.«
Genau so wird Herr Weise jetzt auch den enormen politischen Erwartungsdruck auf ihn und „sein“ BAMF versuchen zu entsprechen: Die einfachen Fälle werden vorgezogen und „weggeschafft“, neue einfache Fälle werden prioritär behandelt, weil sich darüber im Durchschnitt über alle die Bearbeitungszeiten von der Antragstellung bis zur Entscheidung deutlich verkürzen lässt – Schweden lässt grüßen. Das kann und wird aber bedeuten, dass die schwereren Fälle genau so lang, vielleicht sogar noch länger auf eine Bescheidung werden warten müssen.
Und das man mit diesem Strohfeuer-Ansatz nicht wirklich punkten kann auf Dauer, das haben übrigens die Schweden auch lernen müssen nach ihrer anfänglichen Begeisterung für die Meckies:
Die vielen Neuankömmlinge, die im vergangenen Jahr nach Schweden gekommen sind, werden »mit zehn Monaten Wartezeit rechnen (müssen). Migrationsminister Morgan Johansson sagte im Rundfunk unumwunden, auch mit den 1.000 neuen Mitarbeitern sei eine geringere Wartezeit nicht zu machen. Stattdessen müsse man jetzt „für eine sinnvolle Wartezeit sorgen“. Zum Beispiel durch Sprachunterricht, Aufräumen in Grünanlagen oder „irgendwas anderes Praktisches“.«
Aber warum soll man nicht erst einmal auch bei uns mit diesem Ansatz abräumen und Geld verdienen. Wie auch bei dem, was in vielen Unternehmen angerichtet worden ist: Die Scherben nach der Party müssen dann andere zusammenkehren.
Abgesehen davon bleibt der nicht mehr nur schale Beigeschmack, dass man einer Unternehmensberatung ermöglicht, sich an den Töpfen des Staates zu bedienen. Und dann auch noch in einem Handlungsfeld der Sozialpolitik, das nicht nur brisant, sondern auch von existenzieller Bedeutung ist für die Menschen. Man könnte natürlich an dieser Stelle auch die Frage aufwerfen, wo denn die Expertise und Berücksichtigung der Organisationen und Verbände bleibt, die schon seit vielen Jahren in der Flüchtlingshilfe arbeiten. Aber so bitter das klingt – die haben wahrscheinlich einen zentralen Makel: Sie haben kein Geschäftsmodell.