Wenn der Jens der „lieben Franziska“ und dem (sicher genauso lieben) Hubertus das Wort erteilt, dann geht es bei einem bundesministeriell so gewichtigen Auftritt um ein Thema, das eine besondere politische Bedeutung haben muss. Also um die Pflege.
Man darf und muss an dieser Stelle an den 1. Juli 2018 erinnern, da wurde uns über ein bewegendes Interview in der Bild am Sonntag mitgeteilt: Drei Minister leisten den Pflege-Schwur. Die Ziele: mehr Pfleger, bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne. Und keiner kann sagen, dass die keinen Plan haben. Also theoretisch. Der Plan geht in Kurzform so: 1. Mehr Unterstützung für Pflegebedürftige & Angehörige (Pflegestärkungsgesetze), 2. Ausbildung verbessern (Pflegeberufegesetz), 3. Stellen schaffen (Sofortprogramm Pflege), 4. Stellen besetzen (Konzertierte Aktion Pflege), 5. Standards definieren (Personaluntergrenzen).
Hier geht es um die „Konzertierte Aktion Pflege“ (KAP). Was muss man sich darunter vorstellen? Dazu erläutert das Bundesgesundheitsministerium: »Die Konzertierte Aktion Pflege bezieht alle Akteure ein: Pflegeberufs- und Pflegeberufsausbildungsverbände, Verbände der Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser, die Kirchen, Pflege- und Krankenkassen, Betroffenenverbände, die Berufsgenossenschaft, die Bundesagentur für Arbeit sowie die Sozialpartner. Sie sollen gemeinsam mit Bund und Ländern konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Situation der beruflich Pflegenden entwickeln und deren Umsetzung verbindlich festhalten. Die Maßnahmen sollen binnen eines Jahres gemeinsam mit weiteren Expertinnen und Experten in einem Dachgremium und fünf themenbezogenen Arbeitsgruppen entwickelt werden.« Berufskritiker haben hier vielleicht sofort wieder die unzähligen Berater und Theorie-Strategen vor Augen, die sich die meiste Zeit mit der Produktion von Powerpoint-Folien und Ablaufplänen samt „kritischer Meilensteine“ beschäftigen.
Aber der Jens Spahn hat uns beruhigt: „Wir wollen da kein Kaffeekränzchen abhalten“ und man leide auch nicht unter „Kommissionitis“, hat Jens Spahn gesagt, wohl an solche Veröffentlichung denkend: Angela Merkels Bundes-Kommissionsrepublik. Albert Funk hingegen ordnet die KAP in eine historische Linie ein, die bei der heutigen Pressekonferenz der drei Minister auch von Hubertus Heil (SPD) expressis verbis angesprochen wurde: »Spahn knüpfte mit der Benennung der Runde an die Konzertierte Aktion an, welche die erste große Koalition 1967 ins Leben rief, um angesichts einer eher moderaten Wirtschaftskrise Gewerkschaften und Arbeitgeber an einen Tisch zu bringen und die keynesianische Steuerungs- und Lenkungspolitik abzusichern, welche Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) und Finanzminister Franz Joseph Strauß (CSU) ins Werk setzen wollten.« Es geht hier um nicht weniger als ein Stück Erbgut der alten Bundesrepublik.
Man kann das natürlich auch weniger ehrfurchtsvoll betrachten und zu dem Ergebnis kommen, dass eine KAP, in der alle relevanten Akteure vertreten sind, entweder das funktionale Ziel hat, durch Einbinden und Austarieren der Interessen zu einem Kompromiss zu kommen, den möglichst viele Akteuere mittragen können und der dann gesetzgeberisch leichter durch die vielgestaltige und mit teilweise sehr einflussreichen Lobbygruppen durchzogene Interessengemengelage zu lavieren ist – oder aber, nicht minder funktional, um eine Art Arbeitsbeschaffungsprogramm aufzulegen, bei dem sich zahlreiche Beteiligte abarbeiten können und müssen an langen und unübersichtlichen Tagesordnungen, um erschöpft am Ende einige zwischenzeitlich bereits geschliffene und teilweise kleingeschredderte Maßnahmen gemeinsam zu verabschieden, die dann seitens des Gesetzgebers „intensiv geprüft“ und „in Erwägung“ gezogen werden. Bis dahin hat man allerdings eine Menge Zeit genommen und am effektivsten wäre dieser Ansatz, wenn die Ergebnisse möglich nah am Ende einer laufenden Legislaturperiode in die öffentliche Manege geworfen werden, so dass man immer auf die unbedingte Absicht einer Umsetzung in der kommenden Legislaturperiode verweisen kann.
Es gibt fairerweise eine weitere Option, die man benennen muss: Wir haben es mit einem höchst komplexen und auf nationaler Ebene nur begrenzt (bis gar nicht) lösbaren Problem zu tun und die Politik „da oben“ muss angesichts der öffentlichen Aufmerksamkeit und des Drucks irgendwelche Aktivitäten vorweisen und Handlungsstärke simulieren. Und dass es sich bei „der“ Pflege um ein höchst komplexes Feld handelt, das in vielerlei Hinsicht regional oder gar nur lokal aufgestellt ist, wird plausibel erscheinen, wenn man einen Moment darüber nachdenkt. Damit können dann aber Aktivitäten, die auf der nationalen Ebene beschlossen werden, nur sehr begrenzt wirksam sein – außer vielleicht, sie sind sehr voluminös dimensioniert, worüber noch zu sprechen sein wird.
Wie dem auch sei – die „Konzertierte Aktion Pflege“ versucht über mehrere Arbeitsgruppen, das ganze Feld zu bestellen: „Ausbildung und Qualifizierung“, „Personalmanagement, Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung“, „Innovative Versorgungsansätze und Digitalisierung“, „Pflegekräfte aus dem Ausland“ sowie „Entlohnungsbedingungen in der Pflege“. Das sind die Themen, die da abgearbeitet werden sollen.
Und nun haben wir erste Ergebnisse der „Konzertierten Aktion Pflege“ und die beziehen sich auf das so wichtige Feld der Pflegeausbildung. Schauen wir uns das genauer an.
Einen Vorgeschmack auf das, was nun die drei Bundesminister präsentiert haben, konnte man schon diesem Bericht von Anno Fricke über den Auftritt der Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, zuständig für die Pflegeausbildung, bei der Eröffnung des Kongress Pflege 2019 von Springer Pflege entnehmen, der am 25. Januar 2019 veröffentlicht wurde: 100 Maßnahmen für bessere Pflege-Ausbildung. »Die Zahl der Auszubildenden und der Ausbildungseinrichtungen in der Pflege sollen demnach um zehn Prozent steigen. Für die Nachqualifizierung von Rückkehrern in den Pflegeberuf sollen 5000 zusätzliche Plätze bereitgestellt werden. Darauf hat sich die Konzertierte Aktion Pflege (KAP) offenbar geeinigt. Genaueres wollen die beteiligten Ministerien am Montag mitteilen … Insgesamt seien 100 Maßnahmen festgelegt worden, wie die Ausbildung besser aufgestellt werden könne. Das gesamte Programm solle bis 2023 umgesetzt werden, sagte Giffey.«
Und dieser von der reinen Zahl her beeindruckende Strauß an Maßnahmen – wobei man sich schlussendlich sogar noch ob bewusst oder ungeplant auf 111 Maßnahmen gesteigert hat – wurde in diese Vereinbarung gegossen, die von den drei Ministern heute unterzeichnet wurde:
➔ BMFSFJ (2019): Ausbildungsoffensive Pflege (2019 –2023). Vereinbarungstext. Ergebnis der Konzertierten Aktion Pflege/AG 1, Berlin: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit Bundesministerium für Gesundheit und Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Rahmen der Konzertierten Aktion Pflege, Januar 2019
Wen man sich die Vielzahl an Einzelvorschlägen anschaut, dann drängt sich der Eindruck auf, dass hier vor allem an der Pflegeausbildung punktuell unterstützend gearbeitet werden soll. Man könnte auch defätistisch anmerken, dass die Erstellung irgendwelcher Konzepte und Imagekampagnen eine lohnenswerte Investition sein wird, denn da werden Gelder fließen.
Immerhin werden scheinbar, weil nur auf den ersten Blick beeindruckende Zielgrößen genannt, die man erreichen möchte. Und dem politischen Impuls folgend, mit der einen großen Zahl hausieren zu gehen, wird die auch heute wie eine Monstranz den Medien vor die Füße geworfen: 10 Prozent mehr. Genauer: So soll die »Zahl der ausbildenden Einrichtungen bis zum Ende der „Ausbildungsoffensive Pflege“ im Jahr 2023 im Bundesdurchschnitt um 10 % gegenüber dem Referenzjahr 2019« gesteigert werden – ebenso »die Zahl der Auszubildenden bis zum Ende der „Ausbildungsoffensive Pflege“ im Jahr 2023 im Bundesdurchschnitt um mindestens 10 % gegenüber dem Referenzjahr 2019.« Prozentzahlen haben es so an sich, dass sie relativ sind. Deshalb kurz ein aufschlussreicher Blick auf das Ausbildungsgeschehen der letzten Jahre:
Auch wenn es bei der Altenpflege einen leichten Trend nach oben gibt, so muss man doch insgesamt von einer stagnierenden Entwicklung bei denen sprechen, die eine Pflegeausbildung angefangen haben. Und nur damit das hier unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wird: Die Zahlen dürfen nicht so gelesen werden, dass die auch alle die Ausbildung abschließen. Gerade bei den Gesundheits- und Krankenpfleger/innen sind wir mit teilweise erheblichen Abbruchquoten konfrontiert und selbst ein Abschluss beantwortet noch nicht die Frage, ob und wenn ja wie lange die Pflegekräfte „am Bett“ arbeiten (werden). Unabhängig von allem, was an zusätzlichen Bedarfen noch in den kommenden Jahren auf uns zukommen wird, muss man feststellen, dass das System in den zurückliegenden Jahren angesichts des bereits eingetretenen Wachstums an zusätzlichen Patienten und Pflegebedürftigen wie auch aufgrund der altersbedingten Ersatzbedarfe beim vorhandenen Pflegepersonal schon deutlich stärker mit einer Expansion der Ausbildungszahlen hätte aufwarten müssen.
Und ein Blick in einzelne Bundesländer fördert mehr als beunruhigenden Entwicklungen zu Tage. Hier nur zwei Beispiele: Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Für Nordrhein-Westfalen kann man der im Januar 2019 veröffentlichten Landesberichterstattung Gesundheitsberufe Nordrhein-Westfalen 2017 entnehmen, »dass es in der Ausbildung nur in der Altenpflege einen weiteren Anstieg der Ausbildungszahlen gegeben hat. Die Gesundheits- und Krankenpflege und die Kinderkrankenpflege zeigen seit Jahren keine Steigerungsraten, obwohl bereits in der Gesundheitsberichterstattung 2015 auf den Mangel hingewiesen wurde, hat sich in den Krankenpflegeschulen nichts getan.« Und aus Rheinland-Pfalz wird sogar das hier berichtet: »Zu Beginn des Schuljahres 2018/19 befanden sich in Rheinland-Pfalz rund 3.500 junge Menschen in einer Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin bzw. zum Gesundheit- und Krankenpfleger. Wie das Statistische Landesamt in Bad Ems mitteilt, waren das 170 Auszubildende bzw. fünf Prozent weniger als im Vorjahr.« Wohlgemerkt, ein Rückgang um fünf Prozent, noch nicht einmal eine Stagnation.
Nun kann man sagen, dass aber jetzt immerhin die Ausbildungskapazitäten und -realitäten um 10 Prozent gesteigert werden sollen durch die zahlreichen Maßnahmen, auf die man sich in der KAP verständigt hat. Nur könnte das im worse case-Szenario die gleiche Qualität haben wie die Bekanntgabe des „Nun-aber-wirklich-Eröffnungsdatums“ des Berliner Flughafens. Sich also in Luft auflösen. Das kann vor allem über zwei Schneisen verursacht werden:
➔ Zum einen kann möglicherweise die auch heute von den Ministern wieder einmal gefeierte Reform der bisherigen drei Ausbildungsberufe in der Pflege mit dem Pflegeberufereformgesetz unterm Strich sogar zu weniger Pflegekräften führen. Dies aufgrund der eigenartigen und als „Kompromissmodell“ aufgrund des Widerstands vor allem der privaten Pflegeheimbetreiber am Ende des Gesetzgebungsprozesses wieder durchlöcherten generalistischen Pflegeausbildung (vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Reform der Pflegeausbildung: Nicht Fisch, nicht Fleisch. Von der Dreigliedrigkeit zum 1.+2. (+3.) Generalistik- bzw. (ab 3.) Y-Optionsmodell vom 24. Juni 2017).
➔ Zum anderen aber – und hier mit Blick auf die nunmehr vorliegende Vereinbarung der KAP – sind wesentliche Voraussetzungen einer Zielerreichung gerade nicht gesichert. Dazu gehört vor allem die Finanzierung. Denn neue und vor allem zusätzliche Pflegekräfte fallen ja nicht vom Himmel, sondern dafür braucht man Ausbildungsstätten und entsprechendes Personal. Und wie soll die Aufstockung, die man heute so vollmundig verkündet hat, finanziert werden auf Seiten der damit verbundenen Kosten?
So heißt es in der Vereinbarung schon auf Seite 2 mit Blick auf die vielen Einzelmaßnahmen, die in den drei Handlungsfeldern der Arbeitsgruppe 1 der KAP erarbeitet wurden, in einer aufschlussreichen Fußnote: »Die Länder müssen das Budgetrecht der Landesparlamente beachten. Soweit zur Umsetzung der Beiträge der Länder zusätzliche Mittel oder Stellen erforderlich sind, stehen diese daher unter dem Vorbehalt der Bereitstellung entsprechender Mittel oder Stellen durch den jeweiligen Haushaltsgesetzgeber.« Und auf der Seite 4 findet man zuerst diesen Hinweis: »Die Umsetzung des Pflegeberufereformgesetzes stellt die Pflegeschulen in der Anlaufphase vor große finanzielle Herausforderungen. Es wird daher seitens der Pflegeschulen erwartet, dass die fehlende Anschubfinanzierung der Pflegeschulen sichergestellt wird.« Und dann heißt es: »Die Länder stehen nach geltender Rechtslage in der Pflicht, die Investitions- und Mietkosten der Pflegeschulen zu tragen, die nicht aus dem Ausgleichsfonds refinanzierbar sind. Sie halten aber an ihrer Auffassung fest, dass der Bund in Abänderung der derzeitigen Rechtslage für eine einheitliche, alle Pflegeschulen gleichbehandelnde gesetzliche Regelung zur Refinanzierung der Investitions- und Mietkosten zu sorgen hat.«
Man ahnt schon, in was das in den kommenden Monaten enden wird – ein Geschachere darum, wer was bezahlt und ob überhaupt.
Und das so etwas ganz handfeste Folgen haben kann (und wird), lässt sich gerade in einem anderen Bereich der Gesundheitsberufe besichtigen – dem Rettungsdienst. Dazu dieser Beitrag aus dem Deutschen Ärzteblatt: Rettungsdienst in Nordrhein-Westfalen klagt über Fachkräftemangel: „Auf ausgeschriebene Stellen melden sich kaum Bewerber“, sagte eine Sprecherin des Deutschen Roten Kreuz (DRK) Nordrhein. Auch Johanniter und Feuerwehr suchen händeringend Notfallsanitäter. Was sind die Gründe für diese Entwicklung (neben den Arbeitsbedingungen in diesem Bereich)? »Der Beruf des Notfallsanitäters war 2014 neu geschaffen worden und soll den bisherigen Rettungsassistenten ersetzen. Unstimmigkeiten bei der Finanzierung führen nach Angaben der Hilfsorganisationen zu Verzögerungen bei der Aus- und Weiterbildung und damit zu einer Verstärkung des Fachkräftemangels.« Da ist sie also wieder, die Finanzierungsfrage. »Zwar sehen die gesetzlichen Regelungen vor, dass die Krankenkassen die Kosten für die Notfallsanitäterausbildung übernehmen müssen. Doch diese wehren sich dagegen. „Es kann nicht sein, dass die Krankenkassen die Notfallsanitäterausbildung zu 100 Prozent finanzieren sollen“, sagte eine Sprecherin des Verbands der Ersatzkassen (vdek). „Das ist für uns eine Gemeinschaftsaufgabe, an der das Land sich beteiligen muss.“ Das Land und die Kommunen dagegen pochen auf die Gesetzeslage. Die Finanzierungsverantwortung liege eindeutig bei den Kassen, erklärt der Städtetag.« Und eine weitere negative Erfahrung mit föderalisierten und kommunalisierten Systemen kann man hier auch wieder machen – die einen etwas hui, die anderen pfui: »Als Folge der Unstimmigkeiten gebe es bei den Kommunen nun einen Flickenteppich, sagte Jörg Schmidt, Landesvorsitzender des Arbeitskreis Rettungsdienste der Berufsfeuerwehren. Während einige Kommunen – etwa Köln – bei der Finanzierung der Ausbildung in Vorleistung getreten seien, warteten andere zunächst ab.« Und was sagt das nordrhein-Westfälische Gesundheitsministerium? Man sei zuversichtlich, „die noch verbliebenen Fragestellungen einiger Beteiligter (…) in naher Zukunft abschließend klären zu können.“ Wertvolle Zeit geht zwischenzeitlich verloren – wie auch in der Pflege.
Wie war das noch mit den großen Schneisen, die man eigentlich schlagen müsste, die kräftigen und überzeugenden Botschaften, die man in diesen Zeiten an die Frau und an den Mann bringen müsste? Auch wenn man sich hier gebetsmühlenartig wiederholt, aber an einer deutlichen Lohnsteigerung in einem ersten Schritt für die Altenpflege im Sinne einer Anhebung auf das Niveau der Gesundheits- und Krankenpflege und in einem zweiten Schritt für alle darüber hinaus geht kein Weg vorbei. Das hätte man schon längst angesichts des Pflegenotstands auf den Weg bringen müssen. Auch und natürlich gegen den Widerstand auf Seiten der Vertreter der privaten Betreiber von Pflegeeinrichtungen und -diensten. Auch wenn es wirklich mehr als kompliziert ist mit der Implementation eines flächendeckenden Tarifs für die Altenpflege. Dazu ausführlicher der Beitrag Ein flächendeckender Tarifvertrag für die stationäre und ambulante Altenpflege? Es ist und bleibt kompliziert vom 19. Januar 2019.
Die Funktionäre der privatgewerblichen Pflegeunternehmen versuchen angesichts des zunehmenden politischen Drucks in Richtung Allgemeinverbindlichkeit eines noch nicht vorhandenen Tarifwerks mit Nebelkerzen um sich zu werfen. Da kommen dann solche Berichte heraus: Pflegearbeitgeber verlangen Einführung von Pflegemindestlohn. Moment mal, einen Branchen-Mindestlohn in der Pflege, denn gibt es doch schon, wird der eine oder andere einwerfen. Stimmt: Seit dem 1. Januar 2019 liegt der im Westen unseres Landes bei 11,05 Euro pro Stunde, im Osten bei 10,55 Euro (für das kommende Jahr 2020 ist bereits eine Anhebung vereinbart. Dann werden es 11,35 Euro im Westen und 10,85 Euro im Osten sein). Das sind natürlich Lohnuntergrenzen, die vor allem die Vergütungssituation der Pflegehelfer/innen abbilden .
Den privaten Arbeitgebern wollen nun genau diesen Ansatz – der Staat legt eine für alle verbindliche Lohnuntergrenze fest – auf die Pflegefachkräfte erweitern und generalisieren:
»Der Arbeitgeberverband Pflege habe dazu bei Sozialminister Hubertus Heil (SPD) die Einberufung einer neuen Mindestlohnkommission beantragt, teilte der Verband am Freitag in Berlin mit. Der Verband vertritt die umsatzstärksten Unternehmensgruppen der Pflegewirtschaft. «Wir müssen uns jetzt verstärkt auch um die Pflegefachkräfte kümmern», sagte der Präsident des Arbeitgeberverbands Pflege, Thomas Greiner. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) habe kürzlich 2.500 Euro als möglichen Einstieg für die Fachkräfte genannt. „Wir halten diese Zahl für eine gute Verhandlungsgrundlage in einer neuen Mindestlohnkommission.“ Verständlich, denn da liegt ja auch heute schon das Median-Einkommen in der Altenpflege. Und ein solcher Vorstoß soll eben versuchen, die Aufmerksamkeit wieder von dem Thema flächendeckender Tarifvertrag zu ziehen. Das wäre aber fatal. Denn der hätte ein ganz andere Qualität als nur eine Lohnuntergrenze in diesem Fall für Pflegefachkräfte. Da geht es nur um eine Grenze nach unten, bei einem Tarifvertrag wird das ganze Gehaltsgefüge normiert und auch Leistungen neben dem Gehalt im engeren Sinne. genau das wollen die privaten Arbeitgeber verhindern.
Und neben einer besseren Vergütung kann und müsste man auch noch eine zweite, überaus wichtige Schneise in den Wald schlagen: eine über die kommenden Jahren hinweg gesetzlich verbindlich festzuschreibende sukzessive Verbesserung der (übrigens derzeit eben nicht über einzelne Einrichtungen hinweg definierte) Personalschlüssel für die Pflegeheime und ambulanten Pflegediensten. Damit sich alle darauf verlassen können, dass in der Pflege nicht nur an der Vergütungsschraube ordentlich gedreht, sondern auch verbindlich bessere Arbeitsbedingungen in den kommenden Jahren garantiert werden.
Und nur der notwendigen Vollständigkeit halber: Wenn man diese seit langem angemahnten und dringlichen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen auf den Weg bringen will, dann hat das entsprechende Kostensteigerungen zur Folge – und im bestehenden Altenpflegesystem mit der Pflegeversicherung als gedeckelter Teilleistungsversicherung bedeutet das eine enorme Belastung für die Pflegebedürftigen, für deren Angehörige und für dem letzten Ausfallbürgen, also der Hilfe zur Pflege als Leistungsbereich der kommunalen Sozialhilfe (SGB XII). Dazu nur als ein Beispiel aus diesem Blog der Beitrag Jetzt ist aber wirklich alles gut bis 2022 bei der Finanzierung der Pflege. Daran kann und muss man zweifeln vom 8. Dezember 2018.
Aber das war ja jetzt auch nur ein „Zwischenbericht“ aus der Konzertierten Aktion Pflege. Und bis zum Juli 2019 sollen alle anderen Arbeitsgruppen ihre Arbeit abgeschlossen haben. Wir dürfen also weiter hoffen.