Scheinselbständig, nicht scheinselbständig … Pflegekräfte als Honorarkräfte und eine uneinheitliche Rechtsprechung

Also in der Pflege und bei der Beschäftigung von Pflegekräfte geht ja einiges durcheinander. Das werden viele denken, wenn sie mit solchen Informationen versorgt werden: »In Brandenburg arbeiten offenbar immer mehr Pflegekräfte als selbstständige Freiberufler oder bei Zeitarbeitsfirmen. Und in immer mehr Alten- und Pflegeheimen kommen Leiharbeiter zum Einsatz«, kann man beispielsweise diesem Artikel mit Blick auf Brandenburg entnehmen: Immer mehr Leiharbeiter in der Pflege. Und nicht wenige werden von solchen Meldungen überrascht sein, wenn man an das übliche Image der Leiharbeit denkt: »Keine Nachtschichten mehr, kein Einspringen am Wochenende, beste Bezahlung – mit paradiesischen Arbeitsbedingungen werben Leiharbeitsfirmen um Altenpflegekräfte. Die profitieren dabei vom Fachkräftemangel« so Tina Friedrich und Jan Wiese in ihrem Beitrag Leiharbeit in der Altenpflege boomt: Pflegekräfte auf Pump. Speziell zu der Entwicklung einer zunehmenden Zahl an Leiharbeitskräften in der Pflege, vor allem in der Altenpflege, vgl. bereits diesen Beitrag vom 5. Juli 2018: Schlechte Leiharbeit, gute Leiharbeit? Von Leiharbeitern bei Daimler und in der Pflege. Und (schein)selbständige Pflegekräfte werden gerichtlich erneut ausgebremst.

Und auch die gibt es neben den Leiharbeitern in der Pflege: Honorarkräfte. Freiberufliche Pflegekräfte, die sich als Selbstständige an Einrichtungen verkaufen und dafür ein Honorar bekommen. Und das kann durchaus üppig ausfallen, je nach Personalnot der Krankenhäuser und Pflegeheime. Aber ist das überhaupt zulässig, als „selbständige“ Pflegekraft inmitten eines Teams von anderen, abhängig beschäftigten Pflegekräften und anderen Berufsgruppen in einer Einrichtung zu arbeiten? Sind das nicht „scheinselbständige“ Kräfte?

Die Deutsche Rentenversicherung sieht das regelmäßig so – und erfährt auf der Ebene der Sozialgerichte durchaus Zustimmung zu dieser Eingruppierung.

Ein Teil der Problematik wird in diesen Ausführungen erkennbar: »Bei der Arbeit als freiberufliche Krankenschwester besteht eine Gefahr der Scheinselbstständigkeit. Daher sollte man beachten, dass wenn man über 80 % des Jahres für einen einzigen Arbeitgeber arbeitet, davon ausgegangen wird, dass man unter dem Begriff der Scheinselbstständigkeit arbeitet. Dies bedeutet, dass man von der Deutschen Rentenversicherung anhand verschiedener Kriterien mit einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis eingestuft werden kann.« Nun stellt das ab auf das Kriterium, dass der Selbstständige nur einen oder einen maßgeblichen Auftraggeber hat.

Aber es gibt noch eine andere Seite der Problematik. Schaut man beispielsweise in den § 7 SGB IV, dann findet man dort einen wichtigen Hinweis, wie eine nichtselbstständige Beschäftigung abgegrenzt wird. In Absatz 1 heißt es: »Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.« Genau dieser Aspekt wurde offensichtlich in einer Entscheidung des Landessozialgerichts NRW aufgegriffen, das am 2. Juli 2018 unter der Überschrift Keine selbständige Krankenpflegetätigkeit im Krankenhaus konstatiert: »Bedient sich ein Krankenhausträger zum Ausgleich von Auftragsspitzen oder wegen genereller Personalunterdeckung in der Pflege sog. Honorarkräfte sind diese regelmäßig sozialversicherungspflichtig.«

Zum Sachverhalt erfahren wir: »Der Kläger war im Jahr 2010 über einen Zeitraum von knapp vier Monaten als Krankenpfleger auf zwei Stationen eines neurologischen Fachkrankenhauses tätig. Er beantragte nachträglich die Feststellung, dass er diese Arbeit als Selbstständiger verrichtet und daher nicht der Sozialversicherungspflicht unterlegen habe. Dies lehnte der Rentenversicherungsträger ab, weil er von einem Beschäftigungsverhältnis ausging. Das Landessozialgericht bestätigte nun die Vorinstanz und ließ die Revision nicht zu. Es sah die Voraussetzungen einer abhängigen, sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ebenfalls als gegeben an.«

Die Argumentation des LSG NRW, nach der eine abhängige Beschäftigung (und damit verbunden eine Sozialversicherungspflicht) beschieden wurde, geht so:

»Ausschlaggebend hierfür sei die vollständige Eingliederung des Klägers in die organisatorischen Abläufe der neurologischen Stationen. Dienstpläne und Schichtzeiten seien auch für ihn verbindlich gewesen. Die Pflege habe sich zudem an den patientenbezogenen Therapieplänen orientiert und in allen entscheidenden Punkten ärztlichen Vorgaben unterlegen. Die in diesem engen Rahmen möglicherweise gegenüber angestellten Pflegekräften etwas größeren Freiheiten des Klägers seien nicht ausreichend, um eine weitgehende Weisungsfreiheit anzunehmen, wie sie typisch für einen selbstständigen Unternehmer sei. Er habe vielmehr seine Pflegeleistung nicht eigenverantwortlich organisieren können. Da der Kläger zudem nach geleisteten Stunden bezahlt worden sei, habe er auch kein unternehmertypisches wirtschaftliches Risiko getragen.«

Das Landessozialgericht knüpft damit an seine Rechtsprechung zu den Intensivpflegern an (Urteil vom 26.11.2014 – L 8 R 573/12). Vgl. dazu aus dem Jahr 2014 diese Mitteilung des LSG NRW: Intensivpfleger nicht selbständig tätig. Grundlegende Entscheidung des Landessozialgerichts zum Arbeitnehmerstatus von Pflegekräften. »Immer häufiger werden in deutschen Krankenhäusern Belastungsspitzen im Pflegebereich durch den Einsatz „freier“, vermeintlich auf selbständiger Basis arbeitender Pflegekräfte aufgefangen. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat nunmehr mit Urteil vom 26.11.2014 entschieden, dass jedenfalls auf einer Intensivstation eingesetzte Pflegekräfte dort als – gegebenenfalls befristet beschäftigte – Arbeitnehmer tätig werden und die Klinik daher für sie Sozialversicherungsbeiträge zahlen muss.«

Also alles klar. Oder doch nicht?

Im Mai 2017 wurde man aus einem anderen Landesteil mit dieser Meldung konfrontiert: Pfleger ist nicht scheinselbständig. Das Landessozialgericht Schleswig-Holstein hat »drei Urteile gefällt, die klarstellen: Pflegekräfte können durchaus in Heimen als Selbstständige tätig sein.« Die Bedeutung dieser Entscheidungen aus dem vergangenen Jahr Mus auch vor dem Hintergrund der „Operation Bernstein“ gesehen werden: »In Schleswig-Holstein und anderen Bundesländern wurden im April 2016 mehr als 100 Objekte durchsucht, gegen 118 Pflegeeinrichtungen und Kliniken Ermittlungen eingeleitet. Die werden voraussichtlich noch Jahre dauern: Hunderte von Arbeitsverhältnissen müssen darauf abgeklopft werden, ob sie abhängige Beschäftigungsverhältnisse waren.«

Zum Sachverhalt erfahren wir: »Einer der Betroffenen ist Bartlomiej Grzybek. Er hat nach seiner Ausbildung als Krankenpfleger ein Jahr lang als Angestellter gearbeitet. Dann hatte er genug. „Ich wollte nicht mehr in den Dienstplan eingepfercht sein, wollte über Arbeit, Freizeit und Urlaub selbst bestimmen“, sagt der 31-Jährige. Seit 2006 sucht er sich Aufträge in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern – und sieht sich immer wieder dem Vorwurf der Scheinselbständigkeit ausgesetzt.«

Und in seinem Fall hat das LSG Schleswig-Holstein zu seinen Gunsten entschieden – mit dieser Begründung: »Bartlomiej Grzybek, so urteilt das Gericht, ist in dem Heim selbständig tätig gewesen. Für das Gericht sind dabei zwei Kriterien ausschlaggebend: Der Krankenpfleger kann mehrere Auftraggeber nachweisen, und sein Stundensatz lag deutlich über dem Verdienst von festangestellten Pflegekräften. „Das Bundessozialgericht hat kürzlich in einer Entscheidung klargestellt, dass das Arbeitseinkommen ein wesentliches Indiz zur Abgrenzung zwischen Selbstständigkeit und sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung darstellt“, erklärte der Vorsitzende Richter Hinnerk Timme.«

Und die Begründung macht auch verständlich, warum in den beiden anderen Fällen, die im vergangenen Jahr zur Entscheidung anstanden, das LSG anders, also zugunsten einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, entschieden hat: »Die eine bekam mit einem Stundenhonorar von 13 Euro nur geringfügig mehr als die Angestellten. Zudem war sie ausschließlich bei dem Elmshorner Heim tätig. Für das Gericht war sie damit eine abhängig Beschäftigte – das Heim muss für sie Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen.
Im dritten Fall war die Pflegekraft zunächst selbständig für mehrere Auftraggeber aktiv. Dann übernahm sie im Elmshorner Heim eine leitende Funktion mit vorgegebener Stundenzahl und zu einem Festgehalt, das deutlich unter dem zuvor gezahlten Honorar lag. Mit dem Abschluss dieses Vertrages, so urteilte das Gericht, wurde die Pflegekraft von einer Selbständigen zu einer abhängig Beschäftigten. Gegen die Urteile ist keine Revision möglich.«

Und am 23. November 2018 wird von einer neuen Entscheidung des LSG Schleswig-Holstein berichtet: Pflegekräfte können selbstständig sein: »Können Pflegekräfte als Selbstständige arbeiten? Die Rentenversicherung Bund hat das immer wieder bestritten. Auch bei Natalia Schueller. Nach sechs Jahren hat die Krankenschwester nun Gewissheit. Das Landessozialgericht Schleswig hat am Donnerstag klar gemacht, wann Pflegekräfte selbständig sind«, so Heike Stüben in ihrem Artikel.

Zum Sachverhalt: »Natalia Schueller will selbst entscheiden, wo, wann und wie viel sie arbeitet. Wie viele andere Pflegekräfte machte sich die Krankenschwester aus dem Raum Schleswig selbstständig, warb bundesweit mit ihrer Dienstleistung, übernahm Aufträge in Heimen und Kliniken in mehreren Bundesländern.
Als sie 2011 ein Angebot von einer Reha-Klinik im Harz erhielt, konnte sie für eine Woche fast 1800 Euro Honorar aushandeln. Doch der Klinikbetreiber wollte sicher gehen und bat um eine Statusabfrage bei der Rentenversicherung Bund. Und dort stufte man Natalia Schueller als „abhängig Beschäftigte“ ein. Damit drohte ein Verfahren wegen Scheinselbstständigkeit. Natalia Schueller klagte gegen die Rentenversicherung und das Sozialgericht in Schleswig gab ihr Recht: Sie sei als Selbstständige einzustufen. Doch die Rentenversicherung ging in Berufung.«

Und die wurde nun vom LSG entschieden. Das Gericht sieht »die wesentlichen Kriterien für eine Selbstständigkeit erfüllt: Sie hat ihre Dienstleistung frei auf dem Markt angeboten, hatte verschiedene Auftraggeber, hat selbst Dienstzeiten und Honorar ausgehandelt. Und: Ihr Honorar lag weit über dem Entgelt des Stammpersonals.«

Die Deutsche Rentenversicherung hat zwei wichtige Indizien für eine abhängige Beschäftigung vorgetragen: »Die Krankenschwester sei in den Dienstablauf integriert gewesen und ihr unternehmerisches Risiko sei Null gewesen, weil sie gar kein Kapital investiert habe.«

Das LSG dazu: »Der Vorsitzende Richter Hinnerk Timme sah das anders: „Für die Dienstleistung Pflege ist kein Kapital in größerem Umfang notwendig. Dieses Kriterium greift hier nicht.“ Und eine gewisse Anpassung an Dienstabläufe sei notwendig für die Tätigkeit – hier gebe es Pro- und Contra-Argumente. Ergäbe sich bei den Kriterien kein klares Bild, komme es auch auf den Willen der Beteiligten an. „Und der ist hier eindeutig.“«

»Die Rentenversicherung zog daraufhin die Berufung zurück. Die Krankenschwester hofft nun, dass die Rentenversicherung künftig in vergleichbaren Fällen Pflegekräften den Status Selbstständigkeit zubilligt – und Heime und Kliniken sich nach der Razzia 2016 wieder trauen, selbstständige Honorarkräfte zu nutzen.«

Ob das nun aber angesichts der uneinheitlichen Rechtsprechung auf der Ebene der Landessozialgerichte der Fall sein wird, darüber kann man nur spekulieren. Auf alle Fälle ist die bisherige heterogene Rechtsprechung sicher kein befriedigender Zustand.