Es könnte so einfach sein, wenn nicht … Man kennt das und erneut bekommen wir ein Lehrstück dazu frei Haus geliefert: »Der Bundestag hat sich am Donnerstag, 11. Oktober 2018, zum wiederholten Mal mit der sogenannten Doppelverbeitragung von Betriebsrenten befasst und einhellig die Auffassung vertreten, dass die hoch umstrittene Regelung reformiert werden sollte. Allerdings ist unklar, in welcher Form die seit 2004 geltende Regelung verändert werden soll und wie das zu finanzieren ist.« Das berichtet der Pressedienst des hohen Hauses unter der Überschrift Beiträge auf Betriebsrenten sind unter den Fraktionen umstritten, die dann doch Differenzen zum Ausdruck bringt.
Grundlage für die Debatte war ein schon vor vielen Monaten eingebrachter Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Ziel, „die doppelte Beitragszahlung auf Direktversicherungen und Betriebsrenten in der Anspar- und Auszahlungsphase“ abzuschaffen (vgl. Bundestags-Drucksache 19/242 vom 12.12.2017). Nun ist ein Antrag der Linken im Bundestag im Regelfall was für das Altpapier, denn weil der von denen kommt, landet er im Regelfall in der Tonne. Hier ist es aber nicht nur etwas anders. Selbst im sicher nicht den Linken nahestehenden Handelsblatt wird man dann mit so einer Lobeshymne konfrontiert – zugleich ein Tiefschlag gegen die regierende Große Koalition: Wie ein Antrag der Linken die GroKo-Posse um Betriebsrenten enthüllt: »Der Bundestag debattiert über die doppelte Beitragspflicht für Betriebsrentner. Seit Monaten verschleppt der zuständige Gesundheitsausschuss eine Entscheidung.«
Ganz kurz zum Sachverhalt, um den es hier geht: Blicken wir zurück in die Zeiten der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder, konkret in das Jahr 2004. Zu Beginn dieses Jahres trat das „Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ in Kraft. Seinerzeit waren die Sozialkassen klamm und die rot-grüne Bundesregierung suchte fieberhaft nach neuen Einnahmequellen. Unter der damals zuständigen Ministerin Ulla Schmidt (SPD) wurde auf der Suche nach zusätzlichen Geldern für die Gesetzliche Krankenversicherung die volle Beitragspflicht für Einkünfte aus der betrieblichen Altersvorsorge eingeführt – und das auch rückwirkend für alle Altverträge. Dass das als ein massiver Vertrauensbruch, als eine Art kalte Enteignung, von den dadurch Betroffenen wahrgenommen wurde und wird, überrascht jetzt nicht wirklich.
Wir haben eine doppelte Ungerechtigkeit aufgrund der damaligen Änderungen: Seit 2004 gelten alle Kapitalleistungen als beitragspflichtige Versorgungsbezüge. Es gilt die Beitragspflicht unabhängig davon, ob die Versorgungsbezüge laufend oder einmalig ausgezahlt werden. Da die Zahlungen nicht nur in der Auszahlungs-, sondern auch in der Ansparphase schon der Beitragspflicht unterlagen, ist von einer „Doppelverbeitragung“ die Rede. Die Reform führte dazu, dass Versicherte ab 2004 den vollen Beitragssatz zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu zahlen hatten statt bis dahin den halben.
»6,3 Millionen Bundesbürger (haben) den Rat der Politik befolgt und eine Direktversicherung oder andere Formen der betrieblichen Altersvorsorge abgeschlossen. Teile des Gehalts werden so fürs Alter angespart. Dass viele auf ihre Verträge auch noch den vollen Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag abführen müssen, – also neben ihrem Anteil auch noch den des Arbeitgebers –, haben sie nicht gewusst. In aller Regel kommt das böse Erwachen erst bei Auszahlung des Kapitals.« So Stefan Vetter in seinem Artikel mit der prägnanten und hier auch aufgegriffenen Überschrift „Das ist staatlich organisierter Raub“.
Nun wird der eine oder andere an dieser Stelle längst ein Déjà-vu-Gefühl haben – wurde nicht erst vor einigen Monaten in diesem Blog ein Beitrag veröffentlicht, in dem über eine Behandlung des Themas im Bundestag schon mal berichtet wurde? Genau: Wird ein „staatlich organisierter Raub“ endlich beendet? Die Doppelverbeitragung von Betriebsrenten ist mal wieder Thema im Bundestag, so der Beitrag vom 21. April 2018. Und um ganz genau zu sein – schon am 2. Februar 2018 gab es hier das zu lesen: „Staatlich organisierter Raub“? Ein Teil der Betriebsrenten und das Problem ihrer doppelten Verbeitragung für die Kranken- und Pflegeversicherung.
Und der Bundestag hat nicht nur am 1. Februar 2018 erstmals im Parlament über den Antrag der Linken diskutiert, der nun offensichtlich erneut im Parlament wie eine Art Schlossgespenst aufgetaucht ist, sondern am 25. April 2018 wurde sogar eine öffentliche Anhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages durchgeführt (vgl. dazu den Bericht des Bundestages unter der Überschrift Streit über Beiträge zu Betriebsrenten).
Und nun wieder? Dazu erfahren wir vom Bundestag:
»Die Vorlage wurde im Gesundheitsausschuss schon länger beraten, ohne dass es zu einem Abschluss gekommen wäre. Am vergangenen Mittwoch, 10. Oktober, beschloss der Ausschuss mit den Stimmen von Union und SPD erneut, den Antrag wieder von der Tagesordnung zu nehmen, weil noch Beratungsbedarf bestehe. Allerdings setzte die Linksfraktion über den Paragrafen 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundestages die Beratung im Plenum durch.« Genau so eine Entwicklung ist Auslöser für die Einordnung als „GroKo-Posse“, von der Peter Thelen in seinem Artikel im Handelsblatt spricht.
Nun aber: »Redner aller Fraktionen machten in der Debatte deutlich, dass sie gewillt sind, die Regelungen im Sinne von mehr Gerechtigkeit zu ändern.« Aber dann kommt gleich wieder kübelweise Wasser in das Gläschen Wein: »Allerdings ist in jedem Fall mit erheblichen Kosten zu rechnen, weshalb um das beste Konzept noch gerungen wird. Wann eine Lösung auf dem Tisch liegen könnte, ist unklar.«
Und was sagen die GroKo-Fraktionen? Da wäre beispielsweise Karl Lauterbach (SPD). Er »erinnerte an die schwierige wirtschaftliche Lage zu der Zeit mit einer hohen Arbeitslosigkeit und großen Defiziten in der GKV. Die Lage habe sich grundlegend geändert, daher müsse die Regelung revidiert werden. Heute summierten sich die Rücklagen in der GKV auf fast 30 Milliarden Euro, und auch die strukturellen Probleme auf dem Arbeitsmarkt seien behoben. Die Menschen sorgten sich vor Altersarmut, da würden starke Betriebsrenten gebraucht. Nötig sei ein gerechtes System. Die SPD macht sich dafür stark, zum halben Beitragssatz zurückzukehren und statt einer Freigrenze einen Freibetrag zu gewähren. Das käme vor allem den kleinen Versicherungen entgegen.«
Man achte auf den „Lösungsvorschlag des Herrn Lauterbach: »Die SPD macht sich dafür stark, zum halben Beitragssatz zurückzukehren und statt einer Freigrenze einen Freibetrag zu gewähren.« Das erinnert an die Hinweise in meinem Beitrag Wird ein „staatlich organisierter Raub“ endlich beendet? Die Doppelverbeitragung von Betriebsrenten ist mal wieder Thema im Bundestag vom 21. April 2018. Dort wurde die SPD-Politikerin Sabine Dittmar zitiert. »Dittmar sagte, die SPD favorisiere, zur Belastung der Renten mit dem halben Beitragssatz zurückzukehren.« Das wäre sozusagen eine „Halbierung“ des Unrechts. Und das wiederholt Lauterbach im Oktober 2018. Offensichtlich ist man bei der SPD nicht weitergekommen.
Aber die SPD ist ja nicht alleine in der GroKo. Wie sieht es bei der Union aus? Da nun werden wir Zeugen dessen, was man einen wahrhaften Eiertanz nennt:
»Karin Maag (CDU/CSU) erinnerte daran, dass es um Beitragseinnahmen aus Versorgungsbezügen in Höhe von rund sechs Milliarden Euro jährlich gehe. Die Diskussion sei noch lange nicht abgeschlossen. Den Betroffenen gehe es um eine Rückabwicklung, es müsse aber auch die Generationengerechtigkeit beachtet werden. Sie könne den Zorn derjenigen verstehen, die lange gespart hätten und dann um die Früchte ihrer Arbeit gebracht worden seien. Jedoch seien die Neuregelungen rechtlich nicht zu beanstanden. Maag betonte, eine Lösung nur für die Zukunft wäre nicht akzeptabel, weil dann die Altfälle, die so lange für ihr Recht gekämpft hätten, vor den Kopf gestoßen würden. Die Vorschläge, die jetzt erörtert würden, seien nicht geeignet, eine Befriedung herbeizuführen. Die CDU werde sich auf ihrem Bundesparteitag im Dezember mit dem Thema befassen.«
Na klasse, als Tagesordnungspunkt auf einem Bundesparteitag. Bestenfalls kommt da ein Beschluss heraus, der im Sinne einer Absichtserklärung die Lösung des Problems für die nächste Legislaturperiode in Aussicht stellen wird.
Und die CSU hat sich ebenfalls, allerdings entsprechend wischiwaschi geäußert: »Auch Erich Irlstorfer (CDU/CSU) merkte an, dass noch ungeklärt sei, auf welche Zeiträume sich eine Neuregelung beziehen würde und wer die Kosten zu tragen habe. Dies müsse sachlich erörtert werden. Nötig sei auf jeden Fall eine Regelung für die Zukunft. Wenn Arbeitnehmer sich Gedanken über die Altersversorgung machten und einen Vertrag unterschrieben, müssten sie sich darauf verlassen können, dass der Vertrag seine Gültigkeit behalte. Der CSU-Politiker betonte: „Wir alle sind verpflichtet, hier eine Lösung zu schaffen.“«
Warum da so herumgeiert wird, liegt auf der Hand: Das Beutegut ist es. Dazu hatte ich bereits im April 2018 ausgeführt: Die größte Problemstelle bei einer (möglichen und naheliegenden) Lösung des Problems, also der Beseitigung der Doppelverbeitragung, sind die damit verbundenen Einnahmeausfälle in der GKV. »Man muss sich an dieser Stelle die Größenordnung vor Augen führen, wenn man das beschriebene Problem richtig lösen würde: Die volle Abschaffung der Doppelverbeitragung würde bei den gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen zu Beitragsausfällen von 5,2 Milliarden Euro führen.«
Man will sie nicht loslassen, die mehr als 5 Mrd. Euro, auch wenn die Aneignung nun wirklich und mehr als offensichtlich eine Ungerechtigkeit darstellt. Aber es gibt ja auch noch so viele andere Ungerechtigkeiten, man kann sich nun wirklich nicht um alles kümmern. Manches muss halt richtig lange abhängen.