Sanktionen gegen Arbeitslose sind nicht nur in Deutschland ein Thema. Ein Blick nach Frankreich, wo gerade die Sanktionen verschärft werden. Und nach Österreich

Die Sanktionen gegen erwerbsarbeitslose Menschen werden in diesen Tagen in Deutschland vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu den Leistungskürzungen im Grundsicherungssystem (Hartz IV) mal wieder diskutiert. Wobei es dabei um Sanktionen in der bedürftigkeitsabhängigen Sozialhilfe geht. Es gibt neben dem SGB II aber auch die im SGB III geregelte Arbeitslosenversicherung und auch dort wird sanktioniert, sogar mehr als bei den Hartz-Empfängern (ein Aspekt, der nicht nur in diesen Tagen so gut wie nie erwähnt wird, vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Sanktionen in der Arbeitslosenversicherung: Wenn die Folgen angeblich „versicherungswidrigen Verhaltens“ vor dem Bundessozialgericht landen vom 3. Mai 2018 – übrigens mit einer interessanten Parallele zu dem neuen Urteil des BVerfG, denn das Bundessozialgericht – darum geht es in dem Beitrag – hatte der ausgreifenden Sanktionspraxis der Arbeitsagenturen im Versicherungsbereich Grenzen gesetzt).

Aber nicht nur in Deutschland ist das ein Thema. Beispielsweise auch bei unseren Nachbarn in Frankreich. Bereits in dem Beitrag Eine Wahl zwischen Pest und Cholera oder doch eine notwendige „Modernisierung“? Der „halbierte“ Wahlsieg von Emmanuel Macron in Frankreich und die Sozialpolitik vom 7. Mai 2017 konnte man hier lesen: »Explizit wollte Macron auf die arbeitsmarktpolitischen Rezepte von Nicolas Sarkozy zurückgreifen. Dieser hatte Anfang 2008 eine Änderung der Arbeitslosenversicherung durchsetzen können, welche stärkere Aktivierungsmechanismen beinhaltete. Aufgrund des Personalmangels in den Arbeitsämtern konnte diese jedoch nie wirklich im geplanten Umfang umgesetzt werden. Macron schließt nun daran an. «Aktivierungs- und Sanktionselemente» in der Arbeitslosenversicherung sollen verstärkt und ausgebaut werden. Jedem, der zwei Arbeitsangebote ablehnt oder dessen «Intensität der Jobsuche» den Arbeitsämtern nicht ausreichend erscheint, soll die Arbeitslosenunterstützung vollständig gestrichen werden können.«

Wobei man hier der historischen Korrektheit halber darauf hinweisen muss, dass der aus deutscher Sicht sehr bekannte Ansatz nicht erst von Macron aufgerufen wurde. Auch sein glückloser Vorgänger Hollande von den Sozialisten wollte es in der Endphase seiner Präsidentschaft als Schröder-Imitat versuchen: »Und parallel zu den geplanten Veränderungen im französischen Arbeitsrecht gibt es weitere Baustellen, die an die damalige deutsche Debatte erinnern. So müssen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände wegen eines Milliardenlochs bei der Arbeitslosenversicherung über Kürzungen bei Leistungen für Erwerbslose verhandeln. Außerdem gibt es einen erregten Streit über die Frage einer Arbeitspflicht für Grundsicherungsempfänger.« So der Hinweis in diesem Beitrag vom 20. Februar 2016: Ein deutscher Wiedergänger in der französischen Arbeitsmarktpolitik? Der sozialistische Präsident Hollande versucht 2016, den Gerhard Schröder zu machen.

Aber zurück in die Gegenwart: »Reform der Arbeitslosenversicherung trifft laut Gewerkschaften finanziell Schwächste am stärksten«, berichtet Ralf Klingsieck aus Paris in seinem Artikel Druck auf erwerbslose Franzosen steigt: »Nachdem sich Beschäftigten- und Firmenvertreter, die die Arbeitslosenversicherung verwalten, nicht auf Gegenvorschläge zu den Plänen der Regierung verständigten, hat Paris seine Reform einseitig per Dekret verkündet und mit diesem Monat in Kraft gesetzt. Damit dürfte das Arbeitslosengeld nach Berechnungen der Gewerkschaften für jeden vierten Bezieher geringer ausfallen als bisher – im Extremfall sogar um die Hälfte gekürzt werden.«

Was genau ist passiert? Was hat die Regierung in Frankreich verändert? Schaut man sich die konkreten Veränderungen genauer an, dann erkennt man, dass es vor allem die Zugangshürden in der Arbeitslosenversicherung angehoben wurden:

➔ »Bisher musste man in den zurückliegenden 28 Monaten vier Monate lang gearbeitet haben, um Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben. Jetzt müssen es sechs Monte innerhalb von zwei Jahren sein. Um beim Auslaufen seinen Anspruch zu erneuern, musste man bisher wieder einen Monat gearbeitet haben. Jetzt sind dafür sechs Monate erforderlich.«
➔ »Die größten Verschärfungen müssen junge Berufsanfänger … Wer erst am Anfang seines Berufslebens steht, muss sich bis zum ersten unbefristeten Arbeitsverhältnis oft jahrelang mit Arbeitsverträgen zufriedengeben, die auf wenige Monate befristet sind, und zwischen denen mehr oder weniger lange Perioden von Arbeitslosigkeit liegen. Das reicht jetzt nur zu oft nicht aus für den Anspruch auf Arbeitslosengeld oder dessen Erneuerung. Davon dürften nach Hochrechnungen der Gewerkschaften 710 000 Menschen betroffen sein.«
➔ »Bei den höheren Angestellten wird das Arbeitslosengeld stufenweise reduziert. Wer mehr als 4500 Euro brutto pro Monat verdient hat, dem wird das Arbeitslosengeld vom siebenten Monat an monatlich um 30 Prozent gekürzt, bis es auf dem Mindestbetrag von 2260 Euro angelangt ist.«

Es gibt aber auch, darauf weist Klingsieck ausdrücklich hin, gewisse Verbesserungsversuche bei der Zugänglichkeit der Versicherungsleistung, die ein Stück weit die Gründer- und Selbstständigenförderung der derzeitigen französischen Regierung zum Ausdruck bringen sollen: »Neu ist, dass künftig auch Beschäftigte, die von sich aus kündigen, Anspruch auf Arbeitslosengeld haben. Voraussetzung ist, dass sie ein Geschäftsmodell für die berufliche Selbstständigkeit vorlegen und damit eine spezielle Kommission in ihrem Departement überzeugen können, die grünes Licht geben muss. Aber auch Selbstständige, Handwerker und Ladeninhaber, die in Konkurs gehen, können künftig Arbeitslosengeld bekommen. Sie müssen allerdings im zurückliegenden Jahr 10 000 Euro netto verdient haben – was nur zu oft nicht der Fall ist.«

Nun wird der eine oder andere an dieser Stelle zu Bedenken geben, dass das sicher interessant ist, aber was das mit Sanktionen zu tun habe? Die Auflösung soll nicht vorenthalten werden. Dazu erfahren wir bei Klingsieck:

»Premierminister Edouard Philippe steht aber zu der Reform und zu dem materiellen Druck, der dadurch ausgeübt wird. »Es geht uns darum, dass möglichst viele Menschen schneller wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert werden«, sagt er. Darum auch die Regel, dass nach zwei abgelehnten und nach Ansicht der Behörde zumutbaren Arbeitsplatzangeboten der Anspruch auf Arbeitslosengeld ganz erlischt. Die Regierung verweist immer wieder auf angeblich 300 000 offene Stellen. Die sind vor allem in den Bereichen Gastronomie, Hotelgewerbe oder Bauwesen zu finden – wo die Löhne niedrig und die Arbeitsbedingungen schlecht sind.«

»Bau, Gastronomie oder IT suchen händeringend Mitarbeiter. Nicht jeder ist geeignet oder qualifiziert, doch ein wenig Druck zur Annahme einer festen Stelle schadet nicht. Frankreich bleibe eines der Länder mit den höchsten Auszahlungen der Arbeitslosenversicherung, berichtet die OECD«, kann man in dem Kommentar von Christian Schubert in der FAZ unter der eindeutigen Überschrift Heilsamer Druck lesen. Und die höheren Hürden beim Zugang zur Arbeitslosenversicherung findet Schubert auch gut: »Emmanuel Macron nimmt der staatlichen Arbeitslosenversicherung Frankreichs etwas von ihrer Großzügigkeit. Gut so, denn bislang reichten schon vier Beitragsmonate für erste Ansprüche, eine im internationalen Vergleich sehr geringe Anforderung. Nicht wenige Empfänger reihten Kurzzeitjobs und Arbeitslosigkeit aneinander, so dass das Arbeitslosengeld sogar über dem Lohn lag. Bei einem Defizit der Arbeitslosenkasse von 35 Milliarden Euro sind diese offenen Schleusen nicht mehr haltbar.«
Man kennt solche Argumentationsfiguren – „natürlich“ sind es die Empfänger des Arbeitslosengeldes, die Kurzzeitjobs und Arbeitslosigkeit aneinanderreihen, wir müssen uns das wahrscheinlich so vorstellen, dass die alle zu Hause sitzen mit einem Kalender in der Hand und genau planen, wie sie das einteilen müssen, damit sie den Grenznutzen aus der bestehenden Regelung optimieren können …

Bleiben wir aber hier bei den Sanktionen. Bereits im Januar 2019 wurde auf die hier vorgenommenen Verschärfungen hingewiesen: »Arbeitslose, die Jobangebote ablehnen, werden in Frankreich seit der Jahreswende härter bestraft. Die Gewerkschaften protestieren«, so Albrecht Meier in seinem Artikel Sanktionen für Arbeitslose rufen bei Gewerkschaften heftige Kritik hervor. Um was genau geht es hier:

»Bereits während des Wahlkampfs im Jahr 2017 hatte Macron erklärt, dass Arbeitssuchende in Frankreich künftig stärker kontrolliert werden sollen. Zu diesem Zweck war im vergangenen Sommer ein Gesetz verabschiedet worden, das im Grundsatz eine Neuregelung bei den Sanktionen für untätige Jobsucher ermöglicht: Wer als Arbeitsloser einen Termin zur Berufsberatung verpasst, soll künftig mit milderen Sanktionen belegt werden als in der Vergangenheit. Härtere Strafen sind hingegen für jene vorgesehen, die zumutbare Jobangebote ablehnen.«

Der Protest der französischen Gewerkschaften entzündete sich Anfang dieses Jahres vor allem an dem Dekret mit den Details der Sanktionen, das vor dem Jahreswechsel im Gesetzesblatt veröffentlicht wurde.

»Demnach soll die Arbeitslosenunterstützung für einen Monat komplett gestrichen werden, wenn ein Jobsucher zwei „zumutbare“ Angebote ablehnt. Dabei gelten auch Offerten als zumutbar, bei denen die Entlohnung deutlich unter dem bisherigen Gehalt liegt. Die linksgerichtete Gewerkschaft CGT kritisierte, dass Arbeitslose mit der Neuregelung nun auch wie in Deutschland Mini-Jobs annehmen müssten.«

Man sieht, dass es in Frankreich im Grunde darum geht, die Sanktionsregelungen an die bereits heute und seit langem härteren Regelungen in Deutschland anzunähern.

Dabei muss trotz eines im Vergleich zu Deutschland bislang deutlich großzügigeren Systems der Absicherung der Arbeitslosen in Frankreich diese Aussage zur Kenntnis genommen werden:

»Nach Angaben der Regierung unternehmen lediglich acht Prozent der Bezieher von Arbeitslosenunterstützung keine Anstrengungen bei der Jobsuche.«

Und wie sieht es in Österreich aus?

Auch dort gibt es eine gewisse Parallele zu den Entwicklungen in Frankreich, die ja allgemein gesprochen beschrieben wurden als eine Annäherung an das restriktivere deutsche „Vorbild“. In Österreich gibt es seit längerem eine Debatte über eine Übernahme des deutschen Hartz IV-Systems (vgl. dazu beispielsweise den Beitrag Österreich auf der Hartz IV-Rutsche: Aus der befürchteten wird eine reale schiefe Ebene und die Beruhigungspillen werden wieder eingesammelt vom 6. Januar 2018).

Schauen wir in die Gegenwart: »Bessere Konjunktur, aber auch der Versuch, Jobsuchende öfter in andere Bundesländer zu vermitteln, führen zu einem Anstieg der Sanktionen«, berichtet András Szigetvari in seinem Artikel mit der unmissverständlichen Botschaft AMS sperrt deutlich öfter Arbeitslosengeld und Notstandshilfe. »Wie viel Druck und Zwang soll die Gesellschaft auf Arbeitslose ausüben? Über diese Frage wird auch in Österreich oft kontroversiell diskutiert. Die Debatte ist keineswegs eine rein akademische Diskussion. Das Arbeitsmarktservice (AMS) hat eine Reihe von Sanktionsmöglichkeiten gegen tatsächliche oder vermeintliche Arbeitsunwillige, die auch eingesetzt werden.«

Wie sehen die Zahlen aus? Der Anstieg der Sanktionen ist unverkennbar: »Im ersten Halbjahr 2019 hat das Arbeitsamt insgesamt 71.634 Sanktionen gegen Bezieher von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe verhängt. Das ist um 17 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2018. Dabei war die Zahl der Sperren von Versicherungsleistungen schon im vergangenen Jahr deutlich angestiegen.«

András Szigetvari begibt sich auf Ursachensuche für diese Entwicklung und hebt die folgenden Aspekte hervor:

➔ »Zentral für die Zahl der Sperren ist traditionell die Wirtschaftslage. Wenn die Konjunktur brummt, melden Unternehmen viele offene Stellen an das AMS. Dann werden entsprechend mehr Arbeitslose vom Arbeitsamt dazu verpflichtet, sich bei Firmen vorstellen zu gehen. Das sorgt wiederum dafür, dass die Zahl der Problem- und Streitfälle steigt

➔ »Wer in Österreich Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bezieht, ist verpflichtet, sich um offene Stellen zu bemühen. So müssen sich Betroffene für offene Stellen bewerben, die ihnen das AMS schickt, und sich bei den Firmen vorstellen. Jobsuchende müssen eine freie Stelle annehmen, außer der Job ist unzumutbar. Das ist etwa in den ersten 120 Tagen der Arbeitslosigkeit der Fall, wenn das angebotene Gehalt unter 80 Prozent des Bruttolohnes vom letzten Job liegt.« Soweit die Rahmenbedingungen.
„Arbeitsverweigerung“: »Wer die Arbeitsaufnahme nun verweigert oder vereitelt, weil er sich nicht bewirbt oder nicht zum Vorstellungsgespräch kommt, dem droht die Sperre des Arbeitslosengeldes oder der Notstandshilfe für zunächst sechs Wochen. Im Wiederholungsfall sind es acht. Auch wer im Vorstellungsgespräch absichtlich dafür sorgt, dass er den Job nicht bekommt, wird sanktioniert. Die Unternehmen können das ans AMS zurückmelden. Ein Beispiel von solchen Rückmeldungen: Arbeitslose gehen zum Bewerbungstermin, verlangen dann aber weit mehr Geld, als laut Kollektivvertrag zustehen würde. Das gilt als Vereitelung.« Und hierzu werden die folgenden Zahlen berichtet: »Die Zahl der Sanktionen dafür, dass sich Arbeitslose weigern, einen Job anzunehmen, oder die Sache vereiteln, sind im ersten Halbjahr 2019 überproportional gestiegen: um mehr als 40 Prozent. So sollen mehr Unternehmen gemeldet haben, dass es Probleme mit Bewerbern gab.«

Wobei man aber beachten muss, dass das eine ziemlich asymmetrische Angelegenheit ist, denn in Österreich gibt es sehr strikte Regeln zuungunsten der Arbeitslosen: »Auch wer Bewerbungsschreiben aufsetzt, die nicht ganz motiviert klingen, etwa durchscheinen lässt, dass er überqualifiziert ist, kann gesperrt werden.«

➔ »Sanktionen gibt es nicht nur, wenn Arbeitslose einen Job nicht annehmen. Auch wer nicht in Schulungen geht, verliert seinen Anspruch für mehrere Wochen. Seit 2014 wird zudem das tageweise Fernbleiben von Schulungen, wenn es unentschuldigt ist, geahndet – und zwar mit einer Sperre des Arbeitslosengeldes für diese Tage. Die Zahl der Strafen hat sich zuletzt mehr als verdoppelt.«

➔ »Ein weiterer Grund für die Zunahme der Sanktionen ist, dass das Arbeitsmarktservice versucht, die überregionale Vermittlung von Jobsuchenden zu forcieren. Arbeitslose müssen in Österreich auch die Vermittlung in andere Bundesländer akzeptieren, wenn dem keine Betreuungspflichten entgegenstehen und den Jobsuchenden am Arbeitsplatz eine „angemessene“ Unterkunft angeboten wird. Von Unternehmerseite und der türkis-blauen Regierung wurde das AMS 2018 aufgefordert, aktiver zu werden. Dem Wunsch ist das Arbeitsmarktservice offenbar nachgekommen.«

Von Seiten der Kritiker in Österreich wird hervorgehoben: »Das Sanktionenregime beim AMS ist deutlich härter als bei Hartz IV: Selbst für den geringsten Vorwurf kann das AMS auf reinen Verdacht noch vor Anhörung der Beschuldigten den Existenz sichernden Bezug für 6 oder 8 Wochen komplett einstellen. Dazu genügt es schon bei der Stellensuche, „allgemeines Misstrauen gegen Unternehmen“ zu zeigen oder bessere Arbeitsbedingungen zu fordern. Keine Gnade gibt es bei den oft als sinnlos empfundenen Kursen und Wiedereingliederungsmaßnahmen, selbst wenn mensch binnen 2 Wochen sich doch „willig“ zeigt und bereit ist, die Zwangsmaßnahme doch über sich ergehen zu lassen.« Und die AMS-Sanktionen konnten teilweise durch die Mindestsicherung auf Bundesländer-Ebene ausgeglichen werden, aber das ist Vergangenheit, denn das wurde abgeschafft.