Jobs verschwinden, neue kommen dazu. Über den permanenten Strukturwandel auf den Arbeitsmärkten und den doppelt problematischen Folgen für viele Arbeitnehmer

Immer noch geistert sie durch die öffentlichen Debatten – eine Studie, die im Jahr 2013 von den beiden Ökonomen Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne veröffentlicht wurde: The Future of Employment: How Susceptible are Jobs to Computerisation? Darin findet man diesen Befund: »According to our estimates, about 47 percent of total US employment is at risk.« Da ist sie, die Zahl, die seitdem überall herumgeistert. Daraus wurde in den Medien die als Gewissheit daherkommende Aussage gemacht, dass fast jeder zweite Job wegfallen wird (korrekterweise müsste man an dieser Stelle schon darauf hinweisen, dass die beiden „nur“ auf der Basis der Einschätzungen von technischen Experten für einen kleinen Teil der Berufe das Potenzial für wegfallende Jobs insgesamt berechnet haben und das auch nur in einer Brutto-Rechnung, also ohne Berücksichtigung der an anderer Stelle entstehenden Jobs und dann auch noch bezogen auf den US-amerikanischen Arbeitsmarkt, der sicher nicht widerspruchsfrei übertragbar ist auf andere Länder wie beispielsweise Deutschland).

Eine kritische Auseinandersetzung mit der Fry/Osborne-Studie sowie anderen, teilweise erheblich abweichenden Befunden wurde bereits am 4. Januar 2015 in diesem Blog-Beitrag vorgelegt: Geht uns die Arbeit (doch noch) aus? Zur „Digitalisierung“, der Debatte über „digitale Arbeitslosigkeit“ und den möglichen sozialpolitischen Herausforderungen. Aber die Instrumentalisierung von Studienfür effektheischende Aussagen ist ein weit verbreitetes Phänomen: „Etwa die Hälfte aller heutigen Arbeitsplätze in der westlichen Welt könnten schon 2030 nicht mehr existieren“, so der Philosoph Richard David Precht und der Informatiker Manfred Broy in ihrem Artikel Daten essen Seele auf vom 9. Februar 2017. Precht und Broy haben sich diese Zahlen nicht ausgedacht, sie berufen sich auf „eine große Studie aus Oxford“. Da ist sie wieder, diese Studie.

Und auch die Medien bedienen sich gerne der apokalyptischen Potenziale der Studie: »Der Angriff der Roboter gefährdet die Existenz der Mittelschicht: Bedroht sind nicht mehr nur Tätigkeiten in der Werkhalle, jetzt trifft die Digitalisierung auch qualifizierte Kräfte in Büros, Kanzleien und Praxen. Welche Jobs werden überleben?« So beginnt die Titelgeschichte des SPIEGEL aus dem Jahr 2016: Mensch gegen Maschine. Auch dort bezieht man sich auf die Frey/Osborne-Studie. Allerdings haben sich die älteren Semester erinnern können – das gab es im SPIEGEL schon mal. Vor vierzig Jahren: Im Heft 16/1978 gab es diese Titelgeschichte: „Uns steht eine Katastrophe bevor“. Und auch da schon der düstere Blick in die Zukunft: »Winzige elektronische Bausteine bedrohen Millionen von Arbeitsplätzen in Industrie und Dienstleistungsgewerbe. Weder Regierung noch Gewerkschaften wissen, wie sie die Folgen des Fortschritts unter Kontrolle bringen können.«

Es hat zahlreiche Versuche gegeben, die (methodisch mehr als diskussionsbedürftigen) Befunde der Frey/Osborne-Studie auf Deutschland zu übertragen und auch hier eine entsprechende Angst-Kulisse aufzubauen. Aber in den vergangenen Jahren sind zahlreiche differenzierte Forschungsarbeiten zu den – möglichen – Arbeitsmarktauswirkungen der Digitalisierung erstellt und veröffentlicht worden, die oftmals mit einer deutlichen Relativierung der negativ daherkommenden Jobperspektiven verbunden waren und sind.

Nun gibt es aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit eine neue Studie, die den Blick in die Vergangenheit richtet:

➔ Hermann Gartner und Heiko Stüber (2019): Strukturwandel am Arbeitsmarkt seit den 70er Jahren: Arbeitsplatzverluste werden durch neue Arbeitsplätze immer wieder ausgeglichen. IAB-Kurzbericht 13/2019, Nürnberg 2019

Ausgangspunkt dieser Studie ist ein an sich triviale Feststellung: Neue Technologien können zu einem Abbau von Arbeitsplätzen in bestimmten Berufen oder Sektoren führen. Zugleich sorgen sie jedoch auch für einen Arbeitsplatzaufbau in anderen Bereichen. Aber die beiden Autoren versuchen, das auch zu beziffern. Einer ihrer zentralen Ergebnisse:

Die durchschnittliche Rate, mit der jedes Jahr seit 1993 Arbeitsplätze abgebaut wurden, lag bei 9,5 Prozent. Die Rate, mit der neue Arbeitsplätze entstanden, lag demgegenüber bei 9,7 Prozent. Unterm Strich ist die Beschäftigung damit gestiegen.

Es sei dabei „zu einer Umschichtung von Arbeitsplätzen und Arbeitskräften“ gekommen – und das liest sich einfacher als es in der Wirklichkeit ist. SO schreiben die beiden Verfasser auf einem sehr abstrakten Niveau und für viele nicht überraschend: »Seit den 1970er Jahren sind für Hochqualifizierte mehr Arbeitsplätze entstanden als verschwunden. Für Geringqualifizierte dagegen war es umgekehrt. Die technologische Entwicklung war also mit einer qualitativen Veränderung des Bedarfs an Arbeitskräften verbunden: Während die Nachfrage nach hoch qualifizierten Arbeitskräften zugenommen hat, ist die nach gering qualifizierten gesunken.«

Dahinter verbergen sich millionenfach höchst komplizierte und teilweise auch zerstörerische Prozesse, wenn man sich auf die individuelle Ebene begibt, denn nicht wenigen Arbeitnehmern, die sich in der Zahl der Abbaurate wiederfinden, werden sich nicht oder nur mit erheblichen Mühen und Zufällen im Lager der Aufbaurate wiederfinden. Das erkennen die beiden Autoren durchaus, wenn sie in ihrem Fazit schreiben: »Dass neu entstehende Arbeitsplätze oft ein anderes Anforderungsniveau aufweisen als die weggefallenen Arbeitsplätze, ist mit ein Grund, dass es immer ein bestimmtes Maß an Mismatch-Arbeitslosigkeit gibt … Es gibt aber Instrumente, die dazu beitragen, diesen Mismatch abzubauen. Dazu zählen neben einer zielorientierten Vermittlung und Beratung auch Mobilitätsbeihilfen oder zielgenaue Qualifizierungsmaßnahmen und Weiterbildung, damit die Beschäftigten mit den Herausforderungen der Digitalisierung schritthalten können.«

Aber nicht nur die mögliche und für viele wahrscheinliche mangelhafte Passungsfähigkeit sollte Anlass zur Sorge geben, auch eine andere Dimension muss hier aufgerufen werden: die möglichen und erwartbaren negativen Auswirkungen auf die Entlohungsbedingungen für einen Teil der vom Strukturwandel Betroffenen. Dazu ebenfalls aus dem IAB am Beispiel der Entwicklung beim Einsatz von Industrierobotern, die für viele Menschen stellvertretend für den Trend stehen, dass durch Automatisierung und Roboterisierung menschliche Arbeitskraft immer weniger erforderlich sein wird:

Nach Studien »hat in Deutschland jeder zusätzliche Industrieroboter zum Wegfall von etwa zwei Industriejobs geführt. Damit wären Industrieroboter für etwa 23 Prozent des Rückgangs der Industriebeschäftigung im Zeitraum 1994 bis 2014 verantwortlich … Interessanterweise gibt es für Deutschland aber keine Anhaltspunkte, dass diese Entwicklung zulasten bereits beschäftigter Arbeitnehmer ging … Mit der Zahl der Industrieroboter sinkt sogar die Wahrscheinlichkeit, dass Beschäftigte ihren ursprünglichen Betrieb verlassen. Stattdessen ist zu beobachten, dass Beschäftigte in roboterintensiven Branchen häufiger in andere, häufig auch höherwertige Tätigkeiten wechseln. Als Gründe hierfür sehen die Forscher den deutschen Kündigungsschutz und das gute Ausbildungssystem. Während Firmen in den USA offenbar eher Mitarbeiter entlassen, wenn deren Tätigkeiten durch Industrieroboter übernommen wurden, haben deutsche Unternehmen einen Anreiz, Mitarbeiter zu halten und in anderen Tätigkeiten einzusetzen. Die mit der steigenden Zahl an Industrierobotern sinkende Zahl der Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe ist demnach vorwiegend dadurch zustandegekommen, dass die jüngeren Genrationen deutlich seltener ihr Erwerbsleben im Verarbeitenden Gewerbe begonnen haben.«

Soweit, so interessant. Aber besonders aufschlussreich ist dann der folgende Passus: »Es ist jedoch ein Effekt des zunehmenden Einsatzes von Industrierobotern auf die Lohnentwicklung zu beobachten: Lohneinbußen mussten die Beschäftigten in jenen Fertigungsberufen hinnehmen, die direkt vom Einsatz neuer Technologien betroffen sind, wie Schlosser, Maschineneinsteller oder Metallverformer, während für höherwertige Tätigkeiten im Management oder für Ingenieure oder Techniker Lohnzuwächse zu verzeichnen sind … Dies ist insofern bemerkenswert, als dass der Einsatz von Industrierobotern insgesamt zu einer Produktivitätssteigerung geführt hat, die jedoch offenbar nicht an alle Arbeitnehmer in Form höherer Löhne weitergegeben wurde. Tatsächlich finden sich Hinweise darauf, dass der steigende Einsatz von Industrierobotern zu einer Verringerung der Lohnquote, also dem Anteil der Arbeitnehmerentgelte am Gesamteinkommen, geführt hat.« Das alles findet man in dieser Veröffentlichung des IAB:

➔ Britta Matthes, Wolfgang Dauth, Katharina Dengler, Hermann Gartner und Gerd Zika (2019): Digitalisierung der Arbeitswelt: Bisherige Veränderungen und Folgen für Arbeitsmarkt, Ausbildung und Qualifizierung. Beantwortung des Fragenkatalogs zur Anhörung der Enquete-Kommission „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ des Deutschen Bundestags am 11. Februar 2019. IAB-Stellungnahme 11/2019, Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), 2019

Der Hinweis passt zu den Ergebnissen einer anderen neuen Studie:

➔ Melanie Arntz, Terry Gregory and Ulrich Zierahn (2019): Digitalization and the future of work: macroeconomic consequences. Discussion Paper No. 19-024, Mannheim: ZEW – Leibniz Centre for European Economic Research, June 2019

Dazu schreibt das ZEW unter der bezeichnenden Überschrift Der technologische Wandel spaltet den Arbeitsmarkt in Deutschland: »Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Pläne der Unternehmen, auch in Zukunft weiter in digitale und automatisierte Arbeitsprozesse zu investieren, leicht positiv auf die Beschäftigung in Deutschland auswirken. Besagte Investitionen führen demnach im Zeitraum von 2016 bis 2021 zu einem Jobwachstum von insgesamt 1,8 Prozent. Dieses Plus speist sich allerdings nicht aus einer steigenden Nachfrage nach den Produkten der Unternehmen. Vielmehr wirken neue Technologien in den Betrieben auf Arbeitskräfte eher komplementär als substituierend, das heißt: „Die fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung sorgt dafür, dass Unternehmen zunächst eher zusätzliche Beschäftigte brauchen und einstellen werden, um die neuen Technologien einzuführen, als Personal abzubauen“, erklärt Dr. Ulrich Zierahn, Wissenschaftler im ZEW-Forschungsbereich „Arbeitsmärkte und Personalmanagement“ sowie Mitautor des Papiers.«

Und auch hier taucht der so wichtige Aspekt auf, der bereits in der IAB-Stellungnahme vorgetragen wurde: „Digitalisierung und Automatisierung verschärfen die Einkommensungleichheit auf dem deutschen Arbeitsmarkt“. Und die hat sich in den vergangenen Jahren sowieso schon weiter ausgeprägt.

Da sind sie also, die beiden zentralen Fragen der vor uns liegenden Jahre: Wie kann man eine sinnvolle und gut abgesicherte Qualifizierung für die vielen Arbeitnehmer organisieren, die ansonsten hinten runter fallen würden. Und wie kann man der seit längerem ablaufenden Auseinanderentwicklung bei den Löhnen Einhalt gebieten und sie idealerweise umkehren, vor allem, wenn man an die unterdurchschnittliche Vergütung in den vielen gesellschaftlich so wichtigen personenbezogenen Dienstleistungen wie beispielsweise der Pflege denkt.