Die älteren Semester werden sich erinnern, beispielsweise an die 1980er Jahre, als eine intensive Debatte über die Zukunft der Arbeit stattfand und unzählige Bücher im Soft- und Hardcover-Format mit Titeln wie „Geht uns die Arbeit aus?“ zahlreiche Arbeitsplätze im Verlagswesen, in Druckereien und in Buchhandlungen gesichert haben. Letztendlich ging und geht es hier um die vielgestaltige strukturelle Arbeitslosigkeit, die differenziert werden kann nach sektoralen, regionalen, technologischen oder qualifikationsspezifischen Ursachen. Immer wieder lassen sich Debatten-Wellen beobachten, in denen über den tatsächlichen oder möglichen Wegfall von Arbeitsplätzen aufgrund der technologischen Entwicklung gestritten wurde. Und wird. So beispielsweise seitens der Gewerkschaften, wie man diesem Artikel entnehmen kann: Verdi-Chef Bsirske warnt vor Jobabbau durch Digitalisierung. »Der Gewerkschaftschef warnte vor digitaler Arbeitslosigkeit. „Ganze Berufsfelder sind von der Digitalisierung bedroht“, meinte er. „Die Frage ist, inwieweit auf die Automatisierung der Muskelkraft eine Automatisierung des Denkens folgt.“ Große Sparpotenziale bei den Arbeitsplätzen drohten. Eine Automatisierungsdividende entstehe. Diese müsse in neue Arbeitsplätze investiert werden – etwa im Erziehungs- oder Gesundheitsbereich. Verwegen wäre es laut dem Verdi-Chef, sich darauf zu verlassen, dass sich genug Ersatzarbeitsplätze von selbst entwickelten.«
Damit sind schon einige schwierige Punkte angesprochen. Zum einen die Frage, ob es überhaupt zu dem Problem kommen wird, das der Gewerkschaftschef hier mit dem Begriff der „digitalen Arbeitslosigkeit“ in den Raum stellt. Das ist nicht unumstritten und zugleich kommt erschwerend hinzu, dass es je nach Perspektive – volkswirtschaftlich bzw. vom einzelnen Arbeitnehmer oder bestimmten Beschäftigtengruppen ausgehend – differierende Bewertungen geben kann. Vereinfacht gesagt: Es kann relativ plausibel davon ausgegangen werden, dass der technologische Fortschritt in Gestalt der „Digitalisierung“ (ein allerdings sehr unscharfer Begriff) hinsichtlich bestimmter Berufsgruppen oder Tätigkeitsfelder erhebliche Beschäftigungsverluste generieren wird, auf der anderen Seite entstehen auch neue Beschäftigungsbedarfe in anderen Bereichen bzw. auf anderen Qualifikationsniveaus (die nicht immer höhere sein müssen, wie uns ein Teil der Arbeitsmarkt-Debatte seit langem als Trend zur – notwendigen – Höherqualifizierung verkaufen will). Einen solchen Strukturwandel hat es immer schon gegeben, oftmals auch gekoppelt mit massiven Verschiebungen hinsichtlich der Arbeitsnachfrage. Dabei bleiben zahlreiche Arbeitnehmer aus der „alten Welt“ auf der Strecke und sie werden entweder arbeitslos (das dann nicht selten auch dauerhaft) oder ihnen gelingt der Auf- oder Umstieg in andere Qualifikationen bzw. der Abstieg in Beschäftigungen beispielsweise im Dienstleistungssektor zu oftmals deutlich schlechteren Bedingungen als vorher.
Aber warum nun diese „neue“ Debatte über „digitale Arbeitslosigkeit“? Was ist denn das Neue, wenn es das überhaupt geben sollte?
Immer wieder gerne zitiert wird in diesem Zusammenhang die Studie zweier Ökonomen, die „berechnet“ haben wollen, dass bis zur Hälfte der Jobs (in den USA) vom Verschwinden durch die Digitalisierung bedroht seien. Es handelt sich um die Studie aus dem Jahr 2013:
➔ The Future of Employment: How Susceptible are Jobs to Computerisation? von Carl Benedikt Frey and Michael A. Osborne.
In ihrem Abstract schreiben die beiden Wissenschaftler: »We examine how susceptible jobs are to computerisation. To assess this, we begin by implementing a novel methodology to estimate the probability of computerisation for 702 detailed occupations, using a Gaussian process classifier. Based on these estimates, we examine expected impacts of future computerisation on US labour market outcomes, with the primary objective of analysing the number of jobs at risk and the relationship between an occupation’s probability of computerisation, wages and educational attainment. According to our estimates, about 47 percent of total US employment is at risk. We further provide evidence that wages and educational attainment exhibit a strong negative relationship with an occupation’s probability of computerization.«
Der technische Fortschritt in seiner rapiden Weiterentwicklung wird den einen oder anderen hinter sich lassen – möglicherweise auch viele.
Es gab nie eine bessere Zeit für Arbeitskräfte mit speziellen Kompetenzen oder der richtigen Ausbildung, denn solche Menschen können die Technik nutzen, um Wert zu generieren und abzuschöpfen. Für Arbeitnehmer mit „gewöhnlichen“ Kompetenzen und Fähigkeiten gab es dagegen kaum eine schlechtere Zeit, denn Computer, Roboter und andere digitale Technik erwerben solche Kompetenzen und Fähigkeiten mit beispielloser Geschwindigkeit.«
Der „Economist“ hat das im Oktober 2014 auf eine einfache Formel gebracht, die den Pessimisten Recht zu geben scheint: Wealth without workers, workers without wealth.
So weit, so schlecht. Aber was bedeutet das konkret? Wenn man nicht stehen bleiben will in den eher luftigen Höhen einer allgemeinen Debatte über die überaus janusköpfige „Digitalisierung“, dann muss man mit dem hier besonders interessierenden Schwerpunkt auf die sozialpolitischen Dimensionen des Themas runter steigen beispielsweise auf die Ebene der Arbeitsverhältnisse: »Arbeiten zu jeder Tageszeit und von fast überall aus – die digitale Revolution hat viele Gesichter. Damit Unternehmen und Beschäftigte profitieren, müssen die Interessen gut austariert werden.« Das hört sich nicht nur so an, das ist ein genuin gewerkschaftliches Handlungsfeld, was da einleitend in dem Artikel Risiken und Chancen der vernetzten Arbeitswelt beschrieben wird.
So gibt es einerseits schon erkennbare positive Entwicklungen. Einige Unternehmen bauen mittlerweile Dämme gegen die Kommunikationsflut, genannt werden Daimler, Allianz oder Bosch. Oder der »Autobauer BMW: Auf Basis einer Betriebsvereinbarung können sich die Mitarbeiter mobile Tätigkeiten als Arbeitszeit anrechnen lassen und ihre Aufgaben erledigen, wann es am besten in ihren Tagesablauf passt – und das ist bei manchen Beschäftigten eben erst um 20.00 Uhr abends, wenn der Haushalt erledigt ist und die Kinder im Bett liegen.« Aber es gibt eben auch problematische Entwicklungen, auf die beispielsweise Vanessa Barth, Digitalisierungs-Expertin beim IG-Metall-Vorstand, hinweist: »Weil mehr Menschen mobil arbeiten, bieten manche Firmen nicht mehr für jeden Arbeitnehmer einen festen Arbeitsplatz im Büro an und setzen zunehmend auf die sogenannte Vertrauensarbeitszeit. Dabei stehen die zu erledigenden Aufgaben, und nicht mehr der Zeitaufwand des Mitarbeiters im Vordergrund. „Das ist eine Flatrate auf die Arbeitszeit“, sagt die Gewerkschafterin. So lasse sich auch nicht mehr kontrollieren, wie viel Manpower für ein Projekt nötig ist.« Auch das sogenannte Crowdsourcing, also die Vergabe von Teilaufgaben an Internet-User in aller Welt, muss als äußerst zwiespältig angesehen werden. Die Gewerkschafter wollen allerdings nicht als Blockierer erscheinen und wissen wohl auch, dass die grundsätzliche Entwicklung nicht aufzuhalten sein wird. Dann muss man sie eben mitgestalten, z.B. durch »Weiterbildung, damit beispielsweise auch ältere Beschäftigte als „Digital Immigrants“ in der neuen Arbeitswelt nicht den Anschluss verlieren.« Die IG Metall hat das in der neuen Tarifrunde 2015 auch auf die Verhandlungsagenda gesetzt.
Insgesamt ist festzustellen, dass das Thema „Digitalisierung“ eine große Rolle spielt innerhalb der gewerkschaftlichen Debatten. So beschäftigt sich das Heft 12 der Zeitschrift „Die Mitbestimmung“ in einem ganzen Heft mit unterschiedlichen Facetten der Auswirkungen von Digitalisierung auf die Arbeitswelt.
Und damit wären wir wieder bei Frank Bsirske, dem Chef der Gewerkschaft Verdi, angekommen, mit dem wir diesen Beitrag eröffnet haben. Was hat er anzubieten?
Als konkreten Schritt forderte Bsirske eine Festschreibung des Rechts auf Nichterreichbarkeit. Es sollte auch darum gehen, die massiv zugenommenen psychischen Erkrankungen wegen Arbeitsbelastungen ernster zu nehmen: „In Schule, Aus- und Weiterbildung muss die Fähigkeit, Grenzen setzen zu können, vermittelt werden.“ Die Arbeitnehmer müssten ihre Bereitschaft zur Entgrenzung der eigenen Leistung auch stärker selbst reflektieren. Beim Crowdsourcing sei musterhaft die Gefahr einer digitalen Prekarisierung zu sehen. Hierbei erledigen Menschen zu Hause Arbeiten im Internet für Firmen. „Solo-Selbstständige“ konkurrierten weltweit um Aufträge und böten Lösungen an – aber nur die attraktivsten würden honoriert. Bsirske warnte: „Für Rente und Auftragslosigkeit können die Betroffenen oft überhaupt keine Vorsorge treffen.“
Das ist erst einmal nicht wirklich viel und reflektiert die generelle Ratlosigkeit des Umgangs mit den neuen Phänomen. Das kann man ihm nicht vorwerfen. Von besonderer Bedeutung sind seine Hinweise, die am Anfang bereits zitiert worden sind: »Große Sparpotenziale bei den Arbeitsplätzen drohten. Eine Automatisierungsdividende entstehe. Diese müsse in neue Arbeitsplätze investiert werden – etwa im Erziehungs- oder Gesundheitsbereich. Verwegen wäre es laut dem Verdi-Chef, sich darauf zu verlassen, dass sich genug Ersatzarbeitsplätze von selbst entwickelten.« Hier zeichnet sich eine zentrale, sozialpolitisch hoch relevante und noch nicht einmal in Umrissen bearbeitete Frage ab:
Wie kann es uns gelingen, das, was der „Economist“ als Wealth without workers, workers without wealth bezeichnet hat, zu vermeiden? Letztendlich, seien wir ehrlich, geht es hier um eine neue Verteilungspolitik. Wenn sich die Wertschöpfung immer stärker verschiebt vom Faktor menschliche Arbeit „im klassischen Sinn“ hin zu der in automatisierten Systemen und die Roboterisierung auch sukzessive Fuß fassen wird in bislang personalintensiven Bereichen der Dienstleistungen, dann muss man diese Wertschöpfung anders als bislang abschöpfen. Es kann hier nur daran erinnert werden, dass es in der Vergangenheit schon einmal eine Debatte gegeben hat über eine „Maschinensteuer“ oder wie immer man das nennen will. Immer offensichtlicher wird, dass wir darum nicht herumkommen werden. Dies ist – und das macht das so schwierig – nicht nur ein steuerpolitisches Thema, sondern auch eines der (bestehenden und nur historisch zu verstehenden) sozialen Sicherungssysteme, die angesichts der sich verändernden Rahmenbedingungen auf der Wertschöpfungsseite entkoppelt werden müssen vom Faktor sozialversicherungspflichtige Arbeitseinkommen.
Das wird gerade für Deutschland eine Herkulesaufgabe. Wir brauchen eine sozialpolitische Fundamentaldebatte über die Abschöpfung der neuen Mehrwerte und die Absicherung der vielen Menschen, die – so ist das nun mal in der Sozialpolitik – auf das angewiesen sind, was in der laufenden Periode an volkswirtschaftlichen Wert geschöpft wird. Dafür sind die Zeiten nicht gut, in denen sich die Politik und die Interessenvertreter verlieren im undurchschaubaren Dickicht der unzähligen Teilleistungen und Sonderregelungen, was letztendlich einen durchaus verständlichen Strukturkonservativismus befördert, den man gerade in der bundesdeutschen Sozialpolitik beishcten kann bzw. muss. Aber es ändert nichts daran. Es wird Zeit für eine Generaldebatte, die weit über die Frage der Nicht-Erreichbarkeit gestresster Arbeitnehmer hinausgehen muss.
Ein ergänzendes Nachwort: Bei alledem – und wir werden in den kommenden Monaten sicher ganz viel lesen rund um „Digitalisierung“ – ist die Begrifflichkeit, die nun auch von den Gewerkschaften aufgegriffen wird, eine wertfrei gesprochen äußerst fragile. Wer sich von dem nicht-fertigen Charakter des Begriffs „Digitalisierung“ einen Eindruck verschaffen möchte, dem sei hier „Das Netz 2014/2015. Jahresrückblick Netzpolitik“ empfohlen, das nunmehr im dritten Jahr in Folge erschienen ist. Stefan Krempl gibt in seiner Rezension iRights-Jahresrückblick: Politik und Digitalisierung fremdeln noch einen ersten Eindruck von der Heterogenität allein der netzpolitischen Debatten, die um diesen Begriff kreisen (und wir könnten und müssten das dann auch noch erweitern um „Industrie 4.0“ usw.): „Die Digitalisierung dringt weiter in alle Bereiche unseres Alltags vor“, schreibt Herausgeber Philipp Otto im Leitwort. Der Politik mit ihren Handlungsversuchen (Stichwort Digitale Agenda der Bundesregierung) wird ein „vorsichtiges, oftmals hilfloses Antasten an das Gefühl, dass die Digitalisierung unser Leben stärker verändern wird als gedacht“, zugesprochen. Behandelt werden Regulierungfragen wie „Internet Governance“, die offensichtliche Wirkungslosigkeit des klassischen kartellrechtlichen Repertoires von Strafzahlung und Entflechtung beim Einschränken der Macht von Google, Facebook und Co., die „Machtverstärkereffekte“ in einer „Welt verräterischer Geräte und Netze“ und auch die Tücken der „Sharing Economy“ dürfen nicht fehlen. Das alles deutet an, womit wir es hier zu tun haben, wenn von „Digitalisierung“ die Rede sein soll: Ein veritables Durcheinander – und fast so kompliziert wie das deutsche Steuer- oder Rentenrecht.