Die zufälligen Überschneidungen von Ereignissen sind immer wieder sehr illustrativ. In diesen Tagen klingelte es in den Kassen derjenigen, die im Besitz von Aktien der Rhön-Klinikum AG sind. Die börsennotierte Betreibergesellschaft von Krankenhäusern und Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) hat 2018 einen Umsatz von 1,23 Mrd. Euro erwirtschaftet und dabei einen Gewinn von 51,2 Mio. Euro erzielt. Der Bilanzgewinn 2018 belief sich sogar auf 190 Mio. Euro (darin enthalten ein Gewinnvortrag aus dem vorherigen Jahr in Höhe von mehr als 157 Mio. Euro). Da sollen die Aktionäre auch was von haben und so hat man beschlossen, den Anteilseignern 19,4 Mio. Euro als Dividende auszuschütten. Das sage einer noch, mit Krankenhäusern könne man kein Profit machen.
Zugleich gibt es immer mehr Berichte über Kliniken in den roten Zahlen, über Betten- und sogar Stationsstilllegungen vor allem aufgrund fehlenden Pflegepersonals, über Insolvenzen von Krankenhausträgern und das alles eingebettet in einem seit Jahren kontinuierlich vorgetragenen Klagegesang von natürlich interessierter Seite, dass es in Deutschland viel zu viele Kliniken geben würde und dass die Krankenhauslandschaft nun endlich bereinigt werden muss, weil – aufgepasst – die Patienten in den kleinen Häusern schlecht behandelt werden und wenn sie die beste und modernste Behandlung bekommen wollen, dann könne man das „natürlich“ nur in den großen Kliniken leisten. Also müssen die anderen weg.
Diese Forderung gibt es schon seit vielen Jahren – und übrigens wurde die Zahl der Krankenhäuser und der dort zugelassenen Betten bereits erkennbar reduziert. Aber eben bei weitem nicht in dem Umgang, wie sich das manche so vorstellen.
Schon seit Jahren gibt es gerade aus dem Krankenkassenlager vehement die Forderung nach einer Ausdünnung der Krankenhauslandschaft und einer Zentralisierung der Versorgungsstrukturen. Dies wird durch ganz unterschiedliche Motive angetrieben – aber nicht von der Hand zu weisen ist die These, dass es vor allem die Hoffnung auf eine aus Kassensicht effizientere Mittelverwendung ist, die hier wirkt. Angesichts der Tatsache, dass von den Gesamtausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Jahr 2018 in Höhe von 226,22 Mrd. Euro mit 77,16 Mrd. Euro 34,1 Prozent aller Ausgaben auf den Krankenhausbereich entfielen, verdeutlicht die Hausnummer, um die es hier geht. Mehr als jeder dritte Ausgaben-Euro der Krankenkassen fließt also in den stationären Bereich.
Wenn man also Ausgaben (und zukünftige Ausgabenanstiege unter ceteris paribus-Bedingungen) reduzieren will, dann muss man an diesen mit Abstand größten Kostenblock der Krankenkassen ansetzen. Eine umfangreiche Zusammenstellung der unterschiedlichen Argumentationslinien derjenigen aus dem Kassenlager, die von einer erheblichen Größenordnung an „überflüssigen“ Krankenhäusern ausgehen, findet man beispielsweise im Krankenhaus-Report 2018, herausgegeben vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO):
➔ Jürgen Klauber, Max Geraedts, Jörg Friedrich und Jürgen Wasem (Hrsg.) (2018): Krankenhaus-Report 2018. Schwerpunkt: Bedarf und Bedarfsgerechtigkeit, Stuttgart 2018
Darin gibt es beispielsweise diesen Beitrag von Davi Herr et al. (2018): Bedarf und Bedarfsgerechtigkeit in der stationären Versorgung. Daraus nur dieses eine Zitat: »Seit 2004 ist die Anzahl der mittelgroßen Häuser (150 bis 399 Betten), auch durch Fusionen, deutlich zurückgegangen, während die Zahl der kleinen Häuser (bis 150 Betten) vergleichsweise konstant geblieben ist. Dies könnte auf eine zunehmende Polarisierung des Krankenhausmarktes hindeuten – eine Fusion und Zentrenbildung für elektive Versorgung auf der einen Seite sowie die Sicherstellung der wohnortnahen Basisnotfallversorgung durch Grundversorger auf der anderen. Perspektivisch erscheinen vor allem die weitere Reduktion von kleinen und gering spezialisierten Häusern und die Fokussierung auf die Qualität der erbrachten Krankenhausleistungen sinnvoll.« (Herr et al. 2018: 35).
Und neben dem immer wiederkehrenden Verweis auf andere Länder mit einer im Vergleich zu Deutschland geringeren Zahl an Krankenhausbetten bezogen auf die Bevölkerung (allerdings ohne den zugleich gebotenen Hinweis auf teilweise erheblich längere Wartezeiten oder andere Rationierungsfolgen für die Patienten sowie die teilweise völlig anders strukturierte ambulante Versorgung als in Deutschland) wird seit einigen Jahren immer stärker und oftmals nur noch damit argumentiert, dass die (angebliche oder tatsächliche) bessere Versorgung in großen Kliniken dafür sprechen würde, aus Interesse der Patienten auf eine Zentralisierung und eine Spezialisierung in größeren Krankenhäusern zu setzen.
Das Argument wird dann immer wieder gerne von den Medien aufgegriffen und verbreitet. So im Umfeld der Veröffentlichung des Krankenhaus-Reports 2018 dieser Artikel: AOK drängt auf stärkere Spezialisierung: »In großen Krankenhäusern ist das Sterberisiko für Patienten geringer – selbst bei Notfällen lohnt sich der längere Anfahrtsweg. Die AOK fordert deshalb Zentralisierungen«, so Rainer Woratschka. Und er rezipiert eine seit längerem gängige Betrachtungsweise: »In Deutschland gibt es zu viele kleine Krankenhäuser. Und das kostet nicht nur, es gefährdet auch die Patienten. Mit diesem Doppelbefund drängen die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) auf eine zügige Zentralisierung der Klinikstrukturen. Denn wer mit Herzinfarkt oder Schlaganfall in einer der zahlreichen Wald- und Wiesenkliniken landet, hat Studien zufolge schlechte Karten: Das Risiko, daran zu sterben, ist in kleinen Häusern deutlich höher als in größeren Kliniken mit hoher Fallzahl.«
Die für Krankenhausplanung zuständigen Länder machten von Möglichkeiten für neue Strukturen bisher viel zu zögerlich Gebrauch, so die Klage des von Woratschka zitierten Chefs des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch. „Ein deutlicher Schritt wäre es bereits, wenn zukünftig Kliniken mit mehr als 500 Betten nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel in der Krankenhauslandschaft bilden.“ Tatsächlich kommen hierzulande bisher 80 Prozent der insgesamt 1.950 Kliniken nicht auf die erwünschte Größenordnung. Und neben der Größe wird auch immer wieder die Spezialisierung (im Sinne einer größeren Menge an gleichen oder ähnlich gelagerten Fällen) genannt. Dazu zwei Beispiele aus der Berichterstattung von Woratschka über den Krankenhaus-Report 2018:
➞ »So hat eine Studie aus dem Jahr 2017 die Kliniksterblichkeit von mehr als 13 Millionen Patienten in den Jahren 2009 und 2014 untersucht – und die Kliniken dafür nach Größe in fünf Gruppen aufgeteilt. Das Ergebnis: In den Häusern mit den meisten Patienten starben im Schnitt 26 Prozent weniger Patienten als in denen mit den geringsten Fallzahlen. Beim Herzinfarkt lag der Unterschied sogar bei 31 Prozent. Statistisch signifikant waren solche Zusammenhänge bei 19 von 25 untersuchten Indikationen.«
➞ Spezialisierung bei der Endoprothetik: »226.000 Hüftgelenksoperationen zählten die Statistiker 2015. Das Risiko, ein zweites Mal unters Messer zu müssen, liegt in Kliniken mit weniger als 50 Eingriffen im Jahr um 82 Prozent höher als in Häusern mit mehr als 200 Operationen. Bei Krankenhäusern mit mehr als 100 Eingriffen beträgt die Differenz immer noch 34 Prozent. Gäbe man diese 100 als Mindestmenge vor, kämen nicht mehr 1240 Kliniken zum Zuge, sondern nur noch 827. Die Durchschnitts-Anfahrtsstrecke würde sich von 7,7 auf zehn Kilometer verlängern, weiter als 50 Kilometer hätten nur 0,1 Prozent der Patienten.«
Und von Seiten des Gesetzgebers auf Bundesebene wird versucht, mit Mindestmengen-Regelungen – die dann vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) operationalisiert werden – den Konzentrationsprozess auf große und spezialisierte Kliniken voranzutreiben. Das führt dann zu solchen Berichten: Müssen kleinere Kliniken bald schließen?, fragen sich nicht nur Florian Schumann und Stephan Detert. Die beziehen sich auf Befunde aus dieser Studie:
➔ Meike Hemschemeier, Meik Bittkowski und Volker Stollorz (2019): Mindestmengen im Krankenhaus – Bilanz und Neustart, Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung, 2019
Nach dieser Studie verfehlten im Jahr 2017 fast 40 Prozent der Kliniken eine oder sogar mehrere der vorgeschriebenen Mindestfallzahlen. Denen müsste man also über den Entzug der Vergütung den Anreiz nehmen, auch schwierige und demnach nur begrenzt vorkommenden Fälle zu behandeln, obgleich die eigentlich in ein Zentrum gehören. Und die Studienautoren verweisen zugleich darauf, dass Zentralisierung nicht zwangsläufig bedeuten muss, dass es auf dem Land keine Krankenhäuser mehr gibt. Betroffen seien vor allem die meist überversorgten Städte. Nach Aussage der Senatsverwaltung für Gesundheit gibt es in Berlin beispielsweise 23 Kliniken, die über ein Herzkatheterlabor für Notfälle verfügen. „Sechs bis acht würden reichen“, wird der Gesundheitsökonom Thomas Mansky zitiert. „Diese müssten dann personell und apparativ optimal ausgestattet werden.“
Genau an dieser Stelle hat nun die Bertelsmann-Stiftung nachgelegt und eine weitere Auftragsstudie veröffentlicht – mit einem beträchtlichen Echo in den Medien: »In Deutschland gibt es zu viele Krankenhäuser. Eine starke Verringerung der Klinikanzahl von aktuell knapp 1.400 auf deutlich unter 600 Häuser, würde die Qualität der Versorgung für Patienten verbessern und bestehende Engpässe bei Ärzten und Pflegepersonal mildern«, so lautet die zentrale Botschaft, die unter das Volk gebracht werden soll. Und damit das zentrale Anliegen auch wirklich hängen bleibt, hat man die Pressemitteilung unter diese auf eine Zauberformel hindeutende Überschrift Gesetz: Eine bessere Versorgung ist nur mit halb so vielen Kliniken möglich. Wenn das einen nicht umhaut: Eine bessere Versorgung in nur der Hälfte der Kliniken und dann auch noch gleichsam im Windschatten einer solchen großen Bereinigung die „Lösung“ des aus allen Landesteilen berichteten Pflegenotstands und Ärztemangels. Heureka.
»In unserer neuen Studie weisen führende Krankenhausexperten darauf hin, dass viele Krankenhäuser in der Bundesrepublik Deutschland zu klein sind und oftmals nicht über die nötige Ausstattung und Erfahrung verfügen, um lebensbedrohliche Notfälle wie einen Herzinfarkt oder Schlaganfall angemessen zu behandeln. Viele Komplikationen und Todesfälle ließen sich durch eine Konzentration auf deutlich unter 600 statt heute knapp 1.400 Kliniken vermeiden. Ebenso gingen damit eine bessere Ausstattung, eine höhere Spezialisierung sowie eine bessere Betreuung durch Fachärzte und Pflegekräfte einher«, so die frohe Kunde der Bertelsmann-Stiftung.
Und damit auch jeder, vor allem die kritischen Bürger, mitgenommen werden, heißt es: »Das Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) ist in unserem Auftrag der Frage nachgegangen, wie eine Versorgung durch Kliniken aussähe, die sich nicht in erster Linie an einer schnellen Erreichbarkeit, sondern an Qualitätskriterien orientiert. Dazu gehören beispielsweise eine gesicherte Notfallversorgung, eine Facharztbereitschaft rund um die Uhr, ausreichend Erfahrung und Routine des medizinischen Personals sowie eine angemessene technische Ausstattung.« Wer kann denn ernsthaft was gegen die vorgetragenen Merkmale haben? Das klingt nach einer deutlichen Verbesserung der bisherigen Versorgungssituation. Wer das alles im Original nachlesen will, der kann die erwähnte Studie hier herunterladen:
➔ Stefan Loos, Martin Albrecht und Karsten Zich (2019): Zukunftsfähige Krankenhausversorgung. Simulation und Analyse einer Neustrukturierung der Krankenhausversorgung am Beispiel einer Versorgungsregion in Nordrhein-Westfalen, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, Juli 2019
Wie sind die vorgegangen? In einem ersten Schritt hat man ein „Zielbild“ für Deutschland entwickelt, das sich an den genannten Qualitätskriterien orientiert. Die Folgen im Vergleich zur heutigen Krankenhauslandschaft verdeutlicht die Abbildung am Anfang dieses Beitrags – es wäre ein massives Eindampfen der gegenwärtigen gestuften und vielgestaltigen Krankenhauslandschaft. »Im Anschluss berechnete das IGES in einer Simulation erstmals, wie sich eine verpflichtende Einhaltung dieser Vorgaben auf die Kliniklandschaft einer ganzen Region auswirken würde. Die Wahl fiel dabei auf den Großraum Köln/Leverkusen, der sowohl von städtischen als auch ländlichen Gebieten geprägt ist.«
Das erhoffte Ergebnis kam unterm Strich dann auch heraus: »Wie die Simulation zeigt, könnte die Region mit 14 statt den aktuell 38 Akutkrankenhäusern eine bessere Versorgung bieten, ohne dass die Patienten im Durchschnitt viel längere Fahrzeiten in Kauf nehmen müssten. Die Bündelung von medizinischem Personal und Gerät würde zu einer höheren Versorgungsqualität in den verbleibenden Häusern beitragen, vor allem in der Notfallversorgung und bei planbaren Operationen. Nur diese Kliniken in der Region verfügen überhaupt über die technische Ausstattung, um Herzinfarktpatienten angemessen zu behandeln.«
Und erneut werden die interessierten Leser mit einem angeblichen Blick über den nationalen Gartenzaun konfrontiert: »Tatsächlich zeigt der Blick ins Ausland, dass es Potenzial für eine Verringerung der Klinikanzahl gibt. Deutschland weist im internationalen Vergleich im Durchschnitt mehr medizinisches Personal pro Einwohner auf als vergleichbare Länder, aber weniger pro Patient. Diese paradoxe Situation liegt daran, dass in der Bundesrepublik viel mehr Patienten in Krankenhäusern versorgt werden als im Ausland. Wie Untersuchungen ergaben, müssten rund ein Viertel der heute in deutschen Kliniken behandelten Fälle nicht stationär versorgt werden.«
Moment, wenn die nicht im Krankenhaus behandelt werden müssen, dann woanders, wird der normal denkende Mensch einwenden. Eben, also im ambulanten Bereich. Da wird nun der eine oder andere skeptisch einwerfen, dass da doch heute schon in vielen, wenn nicht den meisten Gegenden unseres schönen Landes ebenfalls volle Praxen, lange Wartezeiten und fehlende Ärzte (und andere Therapeuten) an der Tagesordnung sind. Und die sollen dann mal eben ein Viertel der Fälle aus den Kliniken aufnehmen und versorgen?
Dazu die Bertelsmann-Stiftung etwas verklausuliert und dann nach dem Motto „Augen zu und durch“: »Zwar ist die konkrete Ausgestaltung der umliegenden ambulanten Strukturen noch offen, trotzdem belegen die Erkenntnisse der Studie, dass es zur Konzentration im Kliniksektor keine Alternative gibt.«
Schützenhilfe bekommt die Bertelsmann-Stiftung an dieser Stelle vom ehrwürdigen Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Der hat am 16. Juli sofort mit einer Pressemitteilung reagiert: „Neuordnung der Krankenhauslandschaft geboten“. Der Vorsitzende dieses Gremiums, Ferdinand Gerlach, verweist auf das SVR-Gutachten 2018, das eine umfassende Analyse der Krankenhausversorgung enthält (vgl. dazu Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung, Gutachten 2018). Gerlach im O-Ton:
„Das Patientenwohl – und das heißt vor allem: die Qualität der Versorgung – sollte das oberste Kriterium sein, wenn es um die Standorte und die Größe von Krankenhäusern geht. Kliniken erbringen nachweislich viele Leistungen besser und sicherer, wenn sie diese häufig durchführen, personell gut aufgestellt sind und auch für Komplikationen optimal gerüstet sind. Das gilt für die Notfallversorgung etwa von Herzinfarkten oder Schlaganfällen ebenso wie für spezialisierte Operationen und ist wissenschaftlich gut belegt. Das Krankenhaus um die Ecke ist nicht automatisch das bestgeeignete. Auch wenn die Wege sich etwas verlängern, sind die Ergebnisse nicht selten besser. Vor allem in heute überversorgten Ballungsgebieten könnte durch die Konzentration auf leistungsstarke, gut ausgestattete Krankenhausabteilungen den Patientinnen und Patienten eine noch höhere Qualität angeboten werden. Wir haben uns bewusst nicht auf Zahlen festgelegt, aber Umwandlungen und Schließungen von nicht bedarfsnotwendigen Kliniken sind im Interesse besserer Versorgungsqualität sinnvoll.“
Und in vielen Medienberichten wurde dann die Schlussfolgerung der Bertelsmann-Studie, man könne auf die Hälfte der Kliniken verzichten, ohne weitere Einordnung abgeschrieben und wie gewünscht unter das Volk gebracht.
Aber natürlich gibt es auch kritische Stimmen. Dazu beispielsweise die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), von der man natürlich erwartet, dass sie nicht amüsiert ist über diesen Vorschlag einer radikalen Bereinigung der Kliniklandschaft: Kahlschlag in der Gesundheitsversorgung, so haben die ihre Pressemitteilung überschrieben. „Wer vorschlägt, von ca. 1.600 Akutkrankenhäusern 1.000 platt zu machen und die verbleibenden 600 Kliniken zu Großkliniken auszubauen, propagiert die Zerstörung von sozialer Infrastruktur in einem geradezu abenteuerlichen Ausmaß, ohne die medizinische Versorgung zu verbessern. Das ist das exakte Gegenteil dessen, was die Kommission ‚Gleichwertige Lebensverhältnisse‘ in dieser Woche für die ländlichen Räume gefordert hat“, so wird der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Dr. Gerald Gaß, zitiert.
»Hinter der Zentralisierung, die die Bertelsmann-Stiftung vorschlägt, steht die Einschätzung, dass die medizinische Versorgungsqualität nur in Großkrankenhäusern gut bzw. besser werden könnte. Das ist eine absolut unbelegte Einschätzung«, so die DKG. Außerdem solle man berücksichtigen:
»Ein großer Teil des stationären medizinischen Versorgungsbedarfes braucht zudem keine Spezialisierung. Es handelt sich um medizinische Grundversorgung, wie Geburten, viele auch altersbedingte Krankheitsbilder der Inneren Medizin, viele neurologischen Krankheitsbilder, geriatrischer Versorgungsbedarf in einer alternden Gesellschaft. Das sind Behandlungen, die möglichst familien- und wohnortnah in erreichbaren Krankenhäusern auch in Zukunft erbracht werden müssen.«
Auch der Marburger Bund hat sich mit deutlichen Worten an die Öffentlichkeit gewandt: Daseinsvorsorge statt Profitorientierung, so ist die Stellungnahme der Ärzte-Gewerkschaft überschrieben: »Planungsentscheidungen werden in den Ländern getroffen und nicht am grünen Tisch der Bertelsmann-Stiftung. Es lässt sich aus der Warte von Ökonomen leicht von Zentralisierung und Kapazitätsabbau fabulieren, wenn dabei die Bedürfnisse gerade älterer, immobiler Menschen unter den Tisch fallen, die auf eine wohnortnahe stationäre Grundversorgung angewiesen sind. Versorgungsprobleme werden nicht dadurch gelöst, dass pauschal regionale, leicht zugängliche Versorgungskapazitäten ausgedünnt werden.« Und weiter heißt es: »Um eine gute stationäre Versorgung sicherzustellen, sind deutlich erhöhte Investitionen in Krankenhäuser für Umstrukturierungen, neue Technologien und Digitalisierung notwendig. Dazu ist es dringend erforderlich, dass die Länder ihrer Investitionsverpflichtung vollumfänglich nachkommen. Für die Implementierung neuer digitaler Technologien ist zusätzlich der Einsatz von Bundesmitteln unabdingbar. Was wir nicht brauchen, ist eine weitere Zurichtung der Krankenhauslandschaft im Sinne einer profitorientierten Konzernbildung.«
Damit spricht der Marburger Bund u.a. auch die am Anfang dieses Beitrags eingeführten Aktionäre der Rhön-Klinikum AG und anderer gewinnorientierter Betreiber an, die sehr wohl Profite aus dem Betrieb von Kliniken und anderen Gesundheitseinrichtungen ziehen. Und man muss an dieser Stelle wenigstens darauf hinweisen dürfen, dass sich gewinnorientierte Betreiber sicher freuen werden, wenn – wie von den Gutachtern empfohlen – gerade in den städtischen Räumen „Doppel-Strukturen“ abgebaut werden, denn ökonomisch bedeutet das natürlich nichts weniger als weniger Konkurrenz oder gar eine Monopolstellung. Eine auf der Angebotsseite beliebte Marktform.
Es kann in diesem Beitrag nicht darum gehen, in einer vertiefenden Analyse die Pro- und Contra-Argumente eine weitere Verdichtung des stationären Sektors betreffend darzustellen. Wenn man sich damit intensiver beschäftigt, dann kann man schnell erkennen, dass es hier kein einfaches Entweder-Oder gibt (vgl. dazu am Beispiel von Rheinland-Pfalz den Beitrag Excel meets Versorgungsrealität: Wenn Rechnungshöfe rechnen und den Krankenhäusern (nicht nur) an die Betten wollen vom 22. Februar 2018).
Hier geht es vor allem um kritische Anmerkungen zur medialen Rezeption des erneuten Vorstoßes der Bertelsmann-Stiftung hinsichtlich einer großen Bereinigung der Kliniklandschaft.
„Ein Beleg für versteckten Lobbyismus und die Blindheit der Medien“ – so der starke Vorwurf von Tobias Bevc in seinem Artikel Medienhype um die Klinikstudie der Bertelsmann-Stiftung. Er weist beispielsweise auf diese Zusammenhänge hin: »Auffällig an der Krankenhausgeschichte, die gestern und heute auf allen Medienkanälen läuft, ist aber vor allem – wie so oft -, was nicht berichtet wird: Dass nämlich Dr. Brigitte Mohn nicht nur im Vorstand der Bertelsmann Stiftung sitzt, sondern zugleich Mitglied des Aufsichtsrats der Rhön-Privatkliniken AG ist, eine Aktiengesellschaft also, die ein direktes finanzielles Interesse an der Schließung öffentlicher Krankenhäuser haben könnte. Schon jetzt gehört die Rhön Kliniken AG zu den großen Playern in Deutschland.« Und er spricht einen wunden Punkt an, wenn er schreibt: »Alle beten die Inhalte nach und jeder kennt die defizitären Krankenhäuser. Warum diese defizitär sind und dass die neoliberale Umstellung auf Fallpauschalen vor 15 Jahren der Kardinalfehler war, das interessiert Niemanden.«
Nur als Hinweis an dieser Stelle: Die Auswirkungen der fundamentalen Umstellung der Krankenhausfinanzierung auf DRG-basierte Fallpauschalen werden immer wieder auch kritisch thematisiert. Eine aktuelle und in die Tiefe gehende Sammlung der kritischen Rezeption findet man in diesem neuen Sammelband:
➔ Anja Dieterich, Bernard Braun, Thomas Gerlinger und Michael Simon (Hrsg.) (2019): Geld im Krankenhaus. Eine kritische Bestandsaufnahme des DRG-Systems, Wiesbaden: Springer VS, 2019
Wieder zurück zur offensichtlichen Erfolgsstory der medialen Platzierung der Botschaften der Auftragsstudie. An dem Tag, an dem die Bertelsmann-Stiftung mit ihrer Studie an die Öffentlichkeit gegangen ist, wurde das Thema natürlich nicht rein zufällig auf einem anderen Kanal bespielt: Im Fernsehen. Die ARD hat dafür sogar die Prime Time zur Verfügung gestellt. Zur besten Sendezeit, um 20:15 Uhr, hat die ARD diese „Doku“ ausgestrahlt, die im Lichte der Bertelsmann-Studie mehr als passt:
➔ Die Story im Ersten: Krankenhäuser schließen – Leben retten? (16.07.2019): »Nicht jede Krankheit kann überall auf hohem Niveau behandelt werden. Wo aber die Erfahrung fehlt, können Patienten unnötige Komplikationen erleiden, im schlimmsten Fall sogar sterben. Das passiert in Deutschland Tag für Tag.« Und es überrascht jetzt nicht, wenn wir erfahren, dass die „Doku“ gleichsam als Begleitschiff zur Studie fungiert: »Wie gravierend das Problem ist, hat eine umfangreiche Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung herausgefunden. Der Film hat ihre Entstehung exklusiv begleitet.«
Wenn man bedenkt, zu welchen nachtschlafenden Zeiten ansonsten wirklich auch gut gemachte Dokumentationen im Fernsehen gezeigt werden, dann ist das schon ein wahrlich gelungenes Zusammenspiel. Das von anderen massiv kritisiert wird: „Krankenhäuser schließen – Leben retten?“ – Öffentlich-rechtlicher Kampagnenjournalismus zur besten Sendezeit, so Jens Berger.
Abschließend ein kleiner Hinweis an diejenigen, die auf eine rein inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema setzen – und zugleich ein Hinweis an viele Journalisten, wo sie denn hätten nachfragen müssen, um nicht nur die Botschaft der Auftragsstudie zu verbreiten, ohne diese auch kritisch einzuordnen: Lassen wir uns mal auf das Gedankenspiel ein, man würde das mit betriebswirtschaftlichen Furor der Realisierung von Skaleneffekten und Effizienzssteigerungsphantasien betriebene Modell einer erheblichen Ausdünnung der Kliniklandschaft und einer Zentralisierung in großen Klinik-Kombinaten durchziehen. Warum fragt eigentlich keiner, ob das vom Himmel fallen würde oder welche Voraussetzungen damit verbunden wären. Glaubt jemand ernsthaft, dass das umsonst zu haben wäre? Dazu nur ein Zitat von jemanden, der dem Grundgedanken einer Neustrukturierung der Krankenhauslandschaft positiv gegenüber steht:
»Die Schließung einer Großzahl der Kliniken, wie sie in einer Studie der Bertelsmann Stiftung gefordert wird, würde laut dem Krankenhausexperten Boris Augurzky mindestens 80 Milliarden Euro kosten. „Allein Krankenhäuser zu schließen, hilft nicht“, sagte der Leiter des Kompetenzbereichs Gesundheit am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Die benötigten Behandlungskapazitäten müssten zumindest teilweise neu aufgebaut werden. Das verschlinge eine Menge Investitionsmittel. Würde man wirklich Hunderte Krankenhäuser schließen, ziehe das erhebliche Probleme nach sich. „Zentralkliniken müssen völlig neu gebaut oder bestehende Kliniken deutlich erweitert werden.“« (Quelle: Rhein-Zeitung, 17.07.2019, S. 4).