Wenn Frauen Mütter werden: Kommt das Kind, kommt das Fallbeil. Also einkommensbezogen. In Deutschland und Österreich richtig heftig

Im vergangenen Jahr wurden wieder einmal „die“ Frauen an die Front gerufen, diesmal mit keiner geringeren Aufgabe, als die Rettung der Rente zu ermöglichen. »Die Finanzierung des Rentensystems wird immer schwerer. Jetzt sollen die Frauen es richten. Sie könnten davon sogar profitieren«, konnte man beispielsweise diesem Artikel entnehmen: Wie Frauen die Rente retten sollen. Und der bezog sich auf Berechnungen von Prognos, die eine Studie erstellt haben, die vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) in Auftrag gegeben wurde (vgl. dazu Ehrentraut et al. 2018). Und die Versicherungswirtschaft – die schon immer in den ganz großen Dimensionen unterwegs ist – hat ihre Pressemitteilung so überschrieben: Höhere Erwerbs­be­tei­li­gung von Frauen ent­las­tet die Bei­trags­zah­ler bis 2050 um 190 Mrd. Euro.

Dass das alles zwangsläufig so ist, wenn die Erwerbsbeteiligung der Frauen und vor allem ihr Arbeitszeitumfang ausgeweitet wird, ergibt sich aus der Logik der Rentenformel in Deutschland, die neben vielen anderen Problemstellen vor allem einen Schwachpunkt hat: Teilzeitarbeit ist darin eigentlich nicht vorgesehen, eine halbwegs über der Grundsicherung im Alter liegende gesetzliche Rente setzt Vollzeiterwerbsarbeit voraus und die möglichst sehr lange und ohne Unterbrechungen in der Erwersbiografie.

Das wurde in diesem Beitrag vom 6. Mai 2018 genauer unter die Lupe genommen: Mehr als ein Passungsproblem: Teilzeitarbeit ist defizitär – damit lässt sich im bestehenden System keine Rente machen. Zugleich sollen die Frauen die Rente „retten“.  Und bereits damals wurde darauf hingewiesen, dass wir aber mit dem „Problem“ (des bestehenden Systems) konfrontiert sind, dass sich gerade viele Frauen partout nicht an die Voraussetzungen für eine halbwegs auskömmliche eigene gesetzliche Rente halten, weil sie teilweise mehrere Jahre aus dem Beruf aussteigen, wenn sie Kinder zur Welt gebracht haben und oftmals wenn, dann „nur“ in teilzeitiger Erwerbsarbeit unterwegs sind, mit den entsprechenden Konsequenzen nicht nur für die Arbeitseinkommen, sondern auch für die daraus abgeleiteten Sicherungsansprüche. Wenn diese Frauen dann keinen Partner haben, über den sie mit abgesichert sind im Alter, dann bekommen viele ein Problem. Wenn es sich dann auch noch um Frauen handelt, die Teilzeit in frauentypischen Berufen arbeiten, die durch geringe bis sehr schlechte Verdienstmöglichkeiten charakterisiert sind, dann hat man einer der Nachschubquellen für die ansteigende Altersarmut vor dem Auge.

Und in dem Beitrag aus dem vergangenen Jahr wurde ausgeführt:

»„It’s the child, stupid“ – so brutal könnte man einen wichtigen Befund hinsichtlich der Frage nach der strukturellen Diskriminierung von Frauen auf dem Erwerbsarbeitsmarkt, bei der Entlohnung und dementsprechend bei lohnbezogenen Ansprüchen in sozialen Sicherungssystemen wie der Rentenversicherung zusammenfassen. Es gibt ja immer wieder die Diskussion über einen „gender pay gap“ in dem Sinne, dass die Frauen für die gleiche Arbeit teilweise mehr als 20 Prozent weniger bekommen – was so nicht richtig ist … Was aber stimmt ist – gemessen an den Erwerbsarbeitseinkommen – ein bedenklicher und dann lebenslang anhaltender Absturz von Frauen, die ein Kind zur Welt gebracht haben – im Vergleich zu den Männern (von denen einige ja immer auch Väter sind) und auch zu Frauen, die diesen „Einschnitt“ nicht in ihrer Erwerbsbiografie aufweisen.« Und das wurde mit einer Abbildung illustriert, die dieser Studie entnommen wurde:

➔ Henrik Kleven et al. (2018): Children and Gender Inequality: Evidence from Denmark. NBER Working Paper No. 24219, January 2018

Und das zeigt sich auch und noch wesentlich ausgeprägter als in den skandinavischen in anderen Ländern, vor allem in Deutschland und Österreich. Dazu dieser Artikel: Gehaltseinbußen für Mütter in Österreich besonders stark: »Eine neue Studie zeigt, dass Frauen in Österreich nach der Geburt eines Kindes besonders dramatische Lohneinbußen erleiden«, wobei das „Leid“ in Deutschland in der Betrachtung der langfristigen Einbußen noch größer ist, wenn man den nackten Zahlen folgt.

In einer Studie wurde verglichen, wie sich die Gehälter von Frauen und Männern nach der Geburt des ersten Kindes in verschiedenen Ländern entwickeln. Die Studienautoren haben dafür Daten aus Österreich, Deutschland, Schweden, Dänemark, Großbritannien und den USA analysiert. Eine Geburt bedeutet in jedem dieser Länder für Frauen, dass sie in den Folgejahren weniger verdienen. Wobei es enorme Unterschiede gibt.

»Interessant ist die Langzeitbetrachtung. Selbst zehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes liegt das Erwerbseinkommen von Frauen in Österreich im Schnitt um 51 Prozent unter dem Wert ein Jahr vor der Geburt. In Deutschland beträgt die Differenz 61 Prozent. In beiden Ländern erleiden dagegen Männer gar keine Einbußen.
In allen anderen Ländern sind die Verluste von Frauen deutlich geringer: In Schweden liegt das Einkommen einer Frau zehn Jahre nach der Geburt um 27 Prozent unter dem Wert im Jahr davor. In Dänemark sind es 21 Prozent. Im Vereinigten Königreich und in den USA verlieren Frauen zwar etwas mehr als in den skandinavischen Ländern, aber deutlich weniger als in Österreich und Deutschland.«

Wie kann es zu solchen Diskrepanzen kommen?

Der größte Teil der Einbußen entsteht, weil die Mütter die Arbeitszeit reduzieren. Viele Frauen kehren nur in Teilzeit auf den Arbeitsmarkt zurück, manche gar nicht. Weitere Faktoren kommen hinzu: So verschlechtern sich die Aufstiegschancen für Frauen in Unternehmen nach einer Geburt. Das hat wie alles andere auch nie nur einen Grund, aber letztlich ist das vor allem dann zwangsläufig, wenn es Möglichkeiten, Anreize und auch gesellschaftliche Erwartungen gibt, für ein Kind als Mutter eine teilweise lange Zeit die Erwerbsarbeit zu unterbrechen, denn in der Zwischenzeit ziehen die Männer (darunter auch die Väter, für die übrigens keine Einbußen beobachtet werden konnten) und die kinderlosen Frauen, die dem „männlichen“ Vollzeiterwerbsarbeitsmodell folgen, karrieretechnisch vorbei. Da kann man noch so viel über die Bedeutung der „Skills“ diskutieren, die man bei der Kindererziehung und der Organisation des Familienalltags erwirbt und einfordern, diese auch im Berufsleben, beispielsweise beim Wiedereinstieg zu berücksichtigen. Die Karriereentwicklung hat zwischenzeitlich die ins Visier genommen, die eben nicht „ausgefallen“ sind aus der immer engen Perspektive eines einzelnen Unternehmens.

Vor diesem Hintergrund scheint es durchaus rational, wenn man argumentiert, dass es für die langfristige Jobperspektive von Frauen besser ist, wenn sie schnell wieder in das Arbeitsleben zurückkehren. Dadurch finden sie schneller Anschluss und erleiden im Unternehmen weniger Nachteile. Klingt plausibel.

Allerdings zitiert András Szigetvari in seinem Artikel mit Blick auf Österreich den folgenden Befund:

»Im Zuge der Studie wurde analysiert, wie sich Reformen des Karenzgeldes in Österreich auf die Gehälter ausgewirkt haben. Im Jahr 1990 wurde das Karenzgeld von ein auf maximal zwei Jahre verlängert. 1996 erfolgte eine Kürzung auf 18 Monate, außer der Mann ging selbst in Karenz. Im Jahr 2000 wurde das Kindergeld eingeführt, das maximal für drei Jahre bezogen werden kann.
Die langfristigen Einkommensverluste für Frauen in Österreich blieben über all die Jahre trotz der Reformen gleich hoch, sagt Ökonom Zweimüller. Frauen, die kürzer in Babypause waren, verlieren im Schnitt langfristig gleich viel wie Frauen, die sich länger um ein Kind zu Hause kümmerten.«

Und nicht nur das. Berichtet wird von einer noch unveröffentlichten Studie von Josef Zweimüller von der Universität Zürich: Der hat untersucht, wie sich das Angebot von Kinderbetreuungsplätzen seit den 1980er-Jahren ausgewirkt hat.

»Seine Annahme war, dass dort, wo die Zahl von Kinderkrippen und Kindergartenplätzen stärker ausgebaut wurde, Frauen weniger hohe Einbußen erlitten haben. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erhöhen und mehr Betreuungsplätze anzubieten ist eine zentrale Forderung vieler Experten. Aber: Zweimüller fand für Österreich keinen Zusammenhang. Frauen haben ähnlich hohe Lohnverluste, selbst wenn in ihrer Heimatgemeinde mehr Betreuungsplätze angeboten werden.« Dahinter steht nach Zweimüllers Vermutung die Persistenz des traditionellen Rollenmodells, nach dem die Frauen zurückstecken und die Männer oftmals den (auch einkommensmäßig relevanten) Durchmarsch machen (können).

Nachtrag (28.01.2019):

Bei der Studie, aus der die Zahlen für Deutschland und Österreich stammen, handelt es sich um diese Fortsetzung der zitierten Arbeit von Henrik Kleven et al. (2018):

➔ Henrik Kleven, Camille Landais, Johanna Posch, Andreas Steinhauer and Josef Zweimüller (2019): Child Penalties Across Countries: Evidence and Explanations, January 2019
»This paper provides evidence on child penalties in female and male earnings in different countries. The estimates are based on event studies around the birth of the first child, using the specification proposed by Kleven et al. (2018). The analysis reveals some striking similarities in the qualitative effects of children across countries, but also sharp differences in the magnitude of the effects. We discuss the potential role of family policies (parental leave and child care provision) and gender norms in explaining the observed differences.«

Dazu hat einer der Verfasser der Studie, Josef Zweimüller von der Universität Zürich, dieses Interview gegeben: „Für Frauen sind Kinder beim Gehalt eine Strafe“. Daraus diese Passagen: »Als Child Penalties bezeichnen wir die Einkommenseinbußen nach der Geburt des ersten Kindes. Und leider muss man das tatsächlich so sehen: Für Frauen sind Kinder beim Gehalt eine Strafe. Mütter verdienen auch dann noch erheblich weniger als Männer, wenn das erste Kind fünf bis zehn Jahre alt ist. In Deutschland verdienen Mütter zehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes im Schnitt 61 Prozent weniger als im letzten Jahr vor der Geburt! Bei Vätern gibt es diesen Effekt nicht … Die Arbeitsmarktbeteiligung macht in Deutschland mindestens die Hälfte des Effekts aus. Ein großer Teil der durchschnittlichen Einkommenseinbußen sind auf Mütter zurückzuführen, die gar nicht mehr arbeiten gehen. Was wir in den Daten allerdings nicht sehen können, sind Geschwisterkinder. Möglicherweise bleiben vor allem Frauen zu Hause, die weitere Kinder geboren haben … Während Frauen sich um ihre Kinder kümmern, machen Männer Karrieresprünge. Sie verpassen die entscheidende Zeit im Beruf … Der Gender Pay Gap, die oft beschriebene Lohnlücke zwischen Männern und Frauen, ist zu Karrierebeginn gering oder nicht vorhanden. Und dann wird es sehr interessant: Die langfristigen Folgen sind nämlich sehr unterschiedlich. In Dänemark verdienen Mütter auf lange Sicht 21 Prozent weniger als Männer, in Schweden 27 Prozent. In Deutschland ist der Child Penalty mehr als doppelt so groß … Mit Kindergeld und Krippenplätzen alleine lassen sich nicht alle Unterschiede aufheben.«