Schon seit Jahren eine never-ending-story: Die Personalnöte in vielen Jugendämtern – und das bei steigenden Fallzahlen sowie Aufgaben, die nicht selten mit vielen Emotionen und Aggressionen verbunden sind. Zugespitzt formuliert: Selbst unter Normalbedingungen kann das Jugendamt nur „falsch“ handeln. Nehmen wir das Beispiel Kinderschutz. Die einen beklagen, dass die Kinder zu spät oder gar nicht aus Familien, in denen sie Schaden nehmen, herausgenommen werden. Die anderen titulieren die Jugendämter als „Kinderklaubehörde“ und behaupten, ganze Familien werden ungerechtfertigterweise auseinandergerissen.
Unabhängig von solchen extremen Positionen kann man festhalten, dass es sich um eine schwierige, belastende und überaus fordernde Arbeit handelt, die in den Jugendämtern, vor allem in den Allgemeinen Sozialen Diensten (ASD), geleistet werden muss. Und das unter häufig überaus problematischen Rahmenbedingungen.
Ein Hotspot des seit Jahren immer wieder beklagten Fachkräftemangels und der schieren Personalnot sind die Jugendämter in Berlin. Jede achte Stelle ist nicht besetzt, in manchen Bezirken sogar jede fünfte. In den sozialen Diensten, die auch für den Kinderschutz zuständig sind, fehlen rund 100 Mitarbeiter. Das wirkt sich nicht nur auf die Familien, sondern auch direkt auf die Schulen aus. „Das Jugendamt kann sich nicht kümmern“, ist längst eine feste Redewendung unter Schulleitern, wenn es beispielsweise um renitente Schwänzer, Störer oder Schulabbrecher geht. Das ist nicht neu, sondern man kann das diesem Beitrag entnehmen, der hier am 27. Januar 2017 veröffentlicht wurde: Die Großen fehlen, die Kleinen bleiben auf der Strecke. Personalnot (nicht nur) in den Jugendämtern in Berlin. Und im März dieses Jahres berichtete Susanne Vieth-Entus in ihrem Artikel Immer mehr gefährdete Kinder, immer weniger Kinderschützer aus der Hauptstadt: »Die Zahl der gemeldeten Kinderschutzfälle hat sich seit 2012 verdoppelt. Doch die Jugendämter leiden unter Personalmangel. Jetzt schlagen die Mitarbeiter Alarm.«
Diesem Artikel kann man – für Berlin – auch Zahlen entnehmen, die den Kernbereich des Kinderschutzes betreffen und die in einer neuen Studie nun bundesweit thematisiert werden:
»Der bereits bestehende Personalmangel im Kinderschutz verschärft sich weiter, weil immer mehr Fälle von Kindeswohlgefährdung gemeldet werden. Allein zwischen 2012 und 2016 hat sich die Zahl der sogenannten Gefährdungsmeldungen von knapp 8.800 auf 15.400 fast verdoppelt.
Der drastische Anstieg gilt auch für die Fälle von latenter oder akuter Kindeswohlgefährdung. In diesem Bereich stieg die Zahl der Meldungen von 4.000 auf mehr als 8.000. Aktuell sind etwa 15 Prozent der Stellen nicht besetzt. Dies führt dazu, dass sich Mitarbeiter um mehr als 100 statt der angestrebten 65 Fälle kümmern müssen.«
Das Jugendamt Berlin-Mitte hat nun gemeinsam mit der Deutschen Kinderhilfe eine Studie in Auftrag gegeben, wie es bundesweit aussieht. Die Ergebnisse wurden am 14. Mai 2018 der Öffentlichkeit vorgestellt. Petra Boberg berichtet darüber in ihrem Artikel Studie der Hochschule Koblenz: Wenn Eltern ihre Kinder misshandeln:
»13.355 Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) in Deutschland sind bei den Jugendämtern angestellt – und etlichen von ihnen fehlt es an Zeit, Wissen, Raum und oftmals auch Erfahrung. Das belegt eine repräsentative Studie der Sozialwissenschaftlerin … Kathinka Beckmann. Die Professorin an der Hochschule Koblenz hat deutschlandweit 652 Mitarbeiter der Allgemeinen Sozialen Dienste befragt.«
Die „Studie zu den Arbeitsrealitäten in den Allgemeinen Sozialen Diensten (ASD) der Jugendämter“ wurde auch vor der Bundespressekonferenz in Berlin vorgestellt und hat eine enorme Resonanz in den Medien erfahren. Hier nur eine kleine Auswahl: Überforderung der Jugendämter beeinträchtigt Schutz der Kinder, so der Tagesspiegel. Die FAZ berichtet unter der Überschrift Soziale Dienste der Jugendämter überfordert. »Seit Jahren schon sind die Jugendämter überfordert mit der wachsenden Zahl problematischer Familien. Die Fehler liegen nicht bei den Mitarbeitern, sie liegen im System«, so Ulrike Heidenreich in ihrem Beitrag Hilflos in die Katastrophe, der in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde. Begleitet wurde das im Fernsehen – beispielsweise mit der Doku Wenn Eltern ihre Kinder misshandeln als Teil 3 der Sendereihe „Was Deutschland bewegt“ sowie im Radio, so mit der Hintergrund-Sendung Offene Baustellen im Jugendamt: Kinder stärken – aber wie? des Deutschlandfunks.
Was genau hat man sich in der Studie angeschaut? Dazu aus den Ausführungen der verantwortlichen Wissenschaftlerin Kathinka Beckmann vor der Bundespressekonferenz:
Als Zielsetzung der Studie wird angegeben, eine Ist-Zustands-Beschreibung der beruflichen Realität der Fachkräfte zu liefern und zwarmittels einer Analyse der Struktur- und Prozessqualität der Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) der 563 Jugendämter in Deutschland. Zur Datengrundlage erfahren wir, dass es sich um eine Stichprobe handelt in Form einer Befragung von 175 der 563 Jugendämter, erreicht wurden darüber 652 von 13.355 ASDlern, die den Fragebogen mit 120 Variablen in drei Befragungswellen zwischen März und August 2017 ausgefüllt haben. Zudem wurden vertiefende Leitfadeninterviews mit zwölf Sozialarbeitern aus unterschiedlichen Bundesländern durchgeführt.
Zu den Ergebnissen erfahren wir – hier konzentriert auf drei Punkte:
➔ Immer wieder die Zeit als zentrale Problemstelle: »Aktuell verantworten laut Kinder- und Jugendhilfestatistik insgesamt 13.355 ASD-Fachkräfte bundesweit rund 1,05 Millionen HzE, also ambulante und stationäre Maßnahmen. Hinzu kommen für die Sozialarbeitenden vor Ort die Durchführung von Inobhutnahmen, die Fallfederführung in allen Kinderschutzfällen sowie die Trennungs- und Scheidungsberatung. Auch wenn in vielen Jugendämtern in den letzten Jahren Stellen geschaffen worden sind, so geht die Fallzahlsteigerung und die damit verbundene Arbeitsverdichtung in den meisten um die Zuwächse hinaus. Eine Fallzahl von 35 laufenden Fällen ab Einsatz einer HzE hält die Bundesarbeitsgemeinschaft der ASD/KSD für eine Vollzeitstelle für professionell angemessen – das Forscherteam hat jedoch in vielen ASD eine sehr viel höhere Fallzahlquote (meist zwischen 50 bis 100 Fällen, in Ausnahmen auch weit über 100) angetroffen, was mit weniger Zeit vor Ort und für wichtige Gespräche mit den Kindern und Familien zwecks Fallverstehen einhergeht. Neben der Fallzahlbelastung benennen die Befragten fast ausnahmslos den gestiegenen Dokumentationsumfang als problematisch. Die Studie veranschaulicht, dass die Fachkräfte zwei Drittel ihrer Zeit mit Dokumentation am Schreibtisch verbringen statt in Gesprächen mit ihren Adressatinnen und Adressaten. Nicht allein der Umfang ist als problematisch einzustufen, viel alarmierender ist, dass drei Viertel der Befragten der Auffassung sind, dass die Dokumentation vor allem der eigenen rechtlichen Absicherung dient und weniger der professionellen Falleinschätzung.«
➔ Neben der Zeit legt die Studie auch den Finger auf die Wunde Raum: »Das Forscherteam hat auch die räumlich-technische Ausstattung der ASD in den Blick genommen und ist in vielen auf eine unzureichende Ausstattung gestoßen. Kernaufgabe im ASD ist nicht nur das Wächteramt im Kinderschutz, sondern vor allem in familiären Konfliktsituationen zu beraten und die Betroffenen in spezifische Hilfe- und Unterstützungsangebote zu vermitteln. Bei genauerer Betrachtung wird offensichtlich, dass es in der Arbeit im ASD meist um sensible Themen und damit verbunden um sensibel zu führende Gespräche zwischen den Fachkräften und Adressatinnen geht. Die beteiligten Gesprächspartner brauchen einen geschützten Rahmen. Jedoch sehen sich gut ein Drittel der ASDler mit dem Problem konfrontiert, dass sie diesen geschützten Rahmen nicht bieten können, da sie kein Einzelbüro haben und viele auch nicht in einen Besprechungsraum ausweichen können. Zu kritisieren ist in diesem Zusammenhang auch die unzureichende Ausstattung der pädagogischen Fachkräfte mit Diensthandys, da nur ein ein knappes Drittel der Befragten über ein solches verfügt. Dieser Umstand führt u.a. zu der vielfach beklagten schlechten Erreichbarkeit für die Adressatinnen und Adressaten.«
➔ Und das Personal, nicht nur als quantitative, sondern vor allem als qualitative Größe: »In allen Feldern der Sozialen Arbeit ist seitens der Mitarbeitenden Emotionsarbeit zu leisten, doch die Arbeit im ASD unterscheidet sich vor allem durch die Komplexität des Handlungsauftrags von anderen Settings. Die einzelne Fachkraft muss bei oft nur begrenzten Einblicken in die Situation in der Lage sein, Zusammenhänge und Wechselwirkungen problematischer Lebensbedingungen von Kindern und ihren Familien zu verstehen, um auf dieser Grundlage Hilfestrategien zu entwickeln. Die ASD-Fachkräfte eröffnen oder verweigern dem Adressatenkreis sozialstaatliche Leistungen, sie ermöglichen insbesondere Kindern Schutz vor Gefahren und lösen in diesem Zusammenhang massive Eingriffe in die Privatsphäre von Familien aus. Die Einschätzung von Situationen ist also Kerngeschäft des ASD und deshalb werden dort bestmöglich qualifizierte Mitarbeiter benötigt. In diesem Kontext sind die Befunde zur Einarbeitungssituation alarmierend, da 32% der ASD kein Einarbeitungsmodell haben und bei 56% die Einarbeitungszeit kürzer als drei Monate ist. Hier stellt sich die Frage, wie die durchaus vorhandenen erfahrenen Kolleginnen und Kollegen die Berufseinsteigenden angesichts der vorgefundenen diffizilen Einarbeitungssituation adäquat vorbereiten können?«
Ganz offensichtlich haben wir es hier mit multiplen Systemproblemen zu tun und das lenkt natürlich die Aufmerksamkeit auf die Frage nach der Zuständigkeit und der Verantwortlichkeit. Für die Ausstattung der Jugendämter und damit des Allgemeinen Sozialen Dienstes sind die Städte verantwortlich, an die das jeweilige Jugendamt angebunden ist. Es sei klar, dass Städte, die kein Geld hätten, kein weiteres Personal einstellen könnten, so Sozialwissenschaftlerin Beckmann. „Die Sozialarbeiter im ASD werden durch die Strukturen behindert, wirklich professionelle pädagogische Arbeit so zu leisten, wie das Kinder- und Jugendhilfegesetz es sich 1991 auf die Fahnen geschrieben hat.“ Dort ist klar geregelt, dass die Hilfen für Kinder immer bedarfsgerecht sein müssen. „Durch die Anbindung an die kommunale Kassenlage, das haben 54 Prozent der Befragten bestätigt, werden Entscheidungen nicht nur nach pädagogischen, sondern häufig nach finanziellen Gesichtspunkten getroffen.“
Zum Thema Finanzierung äußert sich Rainer Becker, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe, so:
»Die knappen Kassen vieler Kommunen und die 2009 gesetzlich verankerte Schuldenbremse verpflichten viele Kommunen zum Sparzwang. Die Einführung betriebswirtschaftlicher Konzepte und Vokabulare wie Kunde, Wettbewerb und Produkt beeinflussen die berufliche Praxis, die Arbeitsbedingungen sowie die Denk- und Handlungsstrukturen der Fachkräfte. Diese geraten so unter Druck, die fiskalische Haushaltssituation und die Budgetvorgaben maßgeblich bei der Wahl der Hilfemaßnahmen zu berücksichtigen … Bundes- und Landesgesetzgeber haben den Kommunen in wachsendem Umfang Aufgaben übertragen, ohne gleichzeitig für eine entsprechend angemessene Finanzierung zu sorgen. Zusätzlich hat der Bund sein Sparziel an die Kommunen weitergegeben … Das derzeitige System spaltet Kommunen in arme und reiche Städte bzw. Landkreise. Welche Hilfe Kinder und Jugendliche erhalten, darf jedoch nicht von ihrem Wohnort bestimmt werden.«
Eine bekannte und von vielen sicher geteilte Problembeschreibung. Zur Finanzierung sei hier auf diese Zahlen vom Deutschen Städte- und Gemeindebund verwiesen, die Petra Boberg zitiert:
»Allein im Jahr 2015 seien die öffentlichen Ausgaben für die Kinder- und Jugendhilfe auf knapp 41 Milliarden Euro gestiegen – so viel wie nie zuvor, rechnet der Interessenverband der Kommunen vor. Davon fließen aber bundesweit nur 7,3 Milliarden in die Hilfen zur Erziehung, also die Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe. Die restlichen Milliarden fließen vor allem in die Kitas. Eine „erhebliche Belastung der Kommunalhaushalte“, so der Deutsche Städte- und Gemeindebund. Er fordert: Der Bund solle sich an den steigenden Kosten beteiligen, da ansonsten die Kommunen bei den weiter steigenden Kosten überfordert wären.«
Hier wird ein wichtiger Punkt angesprochen, der wichtig ist zum vollständigen Verständnis der Studienergebnisse: Denn die Jugendämter stehen für den Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe, also die kommunale Ebene, und der ist eben nicht nur zuständig für die Hilfen zur Erziehung und den Kinderschutz, sondern auch und gerade für die Kindertageseinrichtungen sowie für die anderen Angebote aus dem Kinder- und Jugendhilferecht (SGB VIII), von der Jugendsozialarbeit bis zu dem so wichtigen, aber in der Hierarchie des unter Knappheitsbedingungen zu leistenden Aufgaben am unteren Ende platzierten Bereich der Prävention und der niedrigschwelligen Hilfen.
Mit Blick auf die vom Deutschen Städte- und Gemeindebund richtigerweise angemahnten Reform der Finanzierungsarchitektur der Kinder- und Jugendhilfe sei an dieser Stelle auf meinen schon vor vielen Jahren entwickelten und zur Diskussion gestellten Vorschlag einer wesentlich stärkeren und regelgebundenen Bundesfinanzierung der Kosten der Kindertagesbetreuung hingewiesen – dem „KiTa-Fonds“ (vgl. dazu diese Blog-Beiträge sowie ausführlicher bereits Sell, S. (2014): Die Finanzierung der Kindertagesbetreuung vom Kopf auf die Füße stellen. Das Modell eines „KiTa-Fonds“ zur Verringerung der erheblichen Unter- und Fehlfinanzierung der Kindertagesbetreuung in Deutschland. Remagener Beiträge zur Kinder- und Jugendhilfe 07-2014, Remagen.
Mit einer substanziellen (und übrigens hinsichtlich der quantifizierbaren Nutzeneffekte auch gut begründbaren) Entlastung der Kommunen, die (noch) die Hauptfinanziers der Kindertagesbetreuung in Deutschland sind, würde erhebliche haushälterischer Druck aus diesem Themenfeld genommen werden können. Verbunden werden müsste aber ein solcher Schritt aufgrund der bekannten Umfinanzierungen im föderalen Dickicht durch klare gesetzgeberische Vorgaben beispielsweise hinsichtlich der Fallzahlschlüssel in den Jugendämtern. Viel Stoff für Diskussionen.
Nachtrag (12.08.2018):
Am 1. Juni 2018 haben Thomas Mühlmann und Jens Pothmann von der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik im Forschungsverbund DJI/TU Dortmund eine Stellungnahme zu einer Aussage der Studie „Berufliche Realität im Jugendamt“ veröffentlicht unter der Überschrift Fehlen 16.000 Fachkräfte im Allgemeinen Sozialen Dienst? Die Frage wird mit nein beantwortet. Sie beziehen sich auf das große Medienecho auf die Aussage aus der Studie, dass der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) angesichts der Fallzahlenbelastung personell zu schlecht ausgestattet sei und bundesweit 16.000 Stellen fehlen würden. Diese Zahl basiert auf einer Berechnung auf Grundlage der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik (KJH-Statistik) seitens der Studienautoren. »Diese Berechnung und die darauf basierenden Schlussfolgerungen sind falsch«, so Mühlmann und Pothmann. Zunächst die entsprechende Aussage mit der genannten Größenordnung des angeblich fehlenden Personals:
„[Es] müssten bundesweit (…) mehr als 16.000 [Stellen zusätzlich geschaffen werden]: 1,05 Mio. HzE ge- teilt durch 35 Fälle als fachlich sinnvoll erachtete Fallzahlgrenze ergibt 30.000 Stellen im ASD; die Differenz zu den vorhandenen 13.355 beträgt 16.645!“ (Beckmann/Ehlting/Klaes 2018, S. 119).
Die aufgeführten Zahlen kommen wie folgt zustande: 1,05 Mio. entspricht der Summe der jungen Menschen, die die im Jahr 2015 beendeten und am 31.12.2015 laufenden Hilfen zur Erziehung gemäß KJH- Statistik genutzt haben … 35 Fälle entsprechen einer Empfehlung der BAG ASD/KSD (2011), die sich auf die Zahl der gleichzeitig zu bearbeitenden Hilfeplan-Fälle pro Vollzeitstelle bezieht. 13.355 entspricht der Zahl der tätigen Personen im Arbeitsbereich ASD am Stichtag 31.12.2014 gemäß KJH-Statistik.
Die Berechnung enthält nicht nur Ungenauigkeiten, sondern ist insgesamt fehlerhaft, so die Kritik von Mühlmann und Pothmann:
1. Sie berücksichtigt nicht nur die am Erhebungsstichtag gleichzeitig laufenden Hilfefälle, sondern addiert die gesamte Summe von im Laufe des Jahres beendeten Hilfen hinzu; darüber hinaus fließen familienorientierte Hilfen nicht als ein Fall ein, sondern mehrfach je nach Kinderzahl,
2. sie bezieht Erziehungsberatungen gem. § 28 SGB VIII rechnerisch vollumfänglich mit ein, obwohl diese in aller Regel ohne Beteiligung der ASD organisiert werden,
3. sie berücksichtigt hingegen nicht die Hilfen gemäß § 35a SGB VIII,
4. sie verwendet keine aktuellen Daten, obgleich sowohl das ASD-Personal als auch die Hilfezahlen zwischen 2014 und 2016 noch einmal deutlich gestiegen sind,
5. sie legt Personen (auch mit Teilzeitstellen) statt Vollzeitäquivalente zugrunde.
Und wie sieht es aus, wenn man „richtig“ rechnen würde?
»Führt man die Berechnung mit den entsprechenden Änderungen durch, standen am Stichtag 31.12.2016 den 13.996 VZÄ im ASD insgesamt 402.669 laufende Hilfen gegenüber (gemäß §§ 27-35a, 41 SGB VIII, ohne § 28 SGB VIII). Dies entspricht rechnerisch einer Relation von 28,8 laufenden Hilfen pro VZÄ im ASD.«
Die rechnerische Herleitung der Forderung der Autorinnen der Studie nach 16.000 zusätzlichen ASD- Fachkräften ist so nicht haltbar. Aber belegen die „richtigen“ Berechnungen nun, dass der ASD personell ausreichend ausgestattet ist? Eindeutig nein, so Mühlmann/Pothmann:
»Denn aufgrund zahlreicher statistischer Ungenauigkeiten lässt sich das Arbeitsvolumen im ASD so nicht sinnvoll bestimmen. Beispielsweise werden weder die Unterschiedlichkeit der Fälle und der damit verbundenen Arbeitsintensität berücksichtigt, noch ist ersichtlich, wie viele der ASD-Fachkräfte überhaupt entsprechende Fälle betreuen und – nicht zuletzt – welche Aufgaben zusätzlich bearbeitet werden. Eine Fachkraft-Fallzahl-Relationierung auf Grundlage der KJH-Statistik kann daher allenfalls eine Annäherung darstellen und für Fragen nach einer angemessenen Personalausstattung sowie der Arbeitsbelastung in den ASD sensibilisieren. Die KJH-Statistik ersetzt jedoch keine lokalspezifischen Personalbemessungsverfahren, die für eine realistische Einschätzung des Fachkräftebedarfes notwendig sind.«