Zwischen Himmel und Hölle: Wenn das Wohnen die einen arm und einige andere sehr reich macht

Das Thema Wohnen ist derzeit mal wieder auf dem Weg an die Spitze der für die Menschen besonders wichtigen Themen – dies allerdings aus völlig unterschiedlichen, teilweise absolut gegenläufigen Gründen: Die einen sehen in Immobilien die einzige noch verbliebene Kapitalanlage, infolgedessen fließen große Summen in den Wohnungsmarkt. Sie wollen ihr Geld in Sachwerte investieren und natürlich auch gerne eine Rendite erzielen, die oberhalb der wertfressenden Inflationsrate. Andere hingegen kämpfen in den Regionen, vor allem in den Städten, wo sie arbeiten (müssen), mit massiv steigenden Mieten, was das verfügbare Haushaltsbudget erheblich mindert. Gerade in diesen Städten, wo es oftmals auch die meisten Hochschulen angesiedelt sind, leiden die Studierenden an einer echten Wohnungsnot, werden sie doch auch immer mehr, nicht aber die ihrem Budget entsprechenden Wohnungsangebote. Wieder andere sind mit einem ganz anderen Phänomen konfrontiert: Sie leben in ländlichen Regionen, in denen nichts ist mit Wertanlage Immobilie, sondern wo sie mit sinkenden Preisen, massiven Leerständen und Abwanderung zu kämpfen haben. In den Metropolen boomt der Immobilienmarkt. Doch in weiten Teilen des Landes sieht es anders aus: Dort stehen Häuser leer. Warum die Deutschen in die Städte flüchten und welche dramatische Spaltung des Immobilienmarktes beobachtbar ist, darüber berichtet der Handelsblatt-Beitrag „Wo Häuser nichts mehr wert sind“ von Jörg Hackhausen und Jens Hagen ausführlich.

Aber es gibt neben den grundsätzlichen Angebots-Nachfrage-Fragen auch zwei ganz besondere sozialpolitische Dimensionen des Themas Wohnen, die durch neue Veröffentlichungen ans Tageslicht gezogen werden: Zum einen die Frage der (Nicht-)Übernahme der Wohnkosten für die vielen Menschen im Grundsicherungsbezug, also in Hartz IV. Zum anderen die offensichtliche Problematik, dass Menschen, vor allem Familien mit Kindern, in bestimmten sehr teuren Regionen/Städten durch die Kosten der Unterkunft auf ein Einkommensniveau unterhalb der Grundsicherung gedrückt werden, auf dass sie unter normalen Preisverhältnissen für das Wohnen nicht gekommen wären. Es geht also um eine Art „Wohnungsarmut“, womit aber nicht oder nicht primär der Mangel an Wohnungen gemeint ist, sondern dass man durch das Wohnen arm wird (oder bleibt).

Die Bertelsmann-Stiftung hat nun die von ihr in Auftrag gegebene Studie „Wohnungsangebot für arme Familien in Großstädten. Eine bundesweite Analyse am Beispiel der 100 einwohnerstärksten Städte“ veröffentlicht: »In größeren Städten landen einkommensschwache Familien durch hohe Mieten oftmals unterhalb der staatlichen Grundsicherung. In mehr als jeder zweiten größeren Stadt erhöhen die Mietpreise das Armutsrisiko von Kindern. Vielerorts herrscht ein erheblicher Mangel an Wohnungen, die für Familien geeignet und auch bei niedrigem Einkommen erschwinglich sind. Kinder wachsen daher längst nicht nur dann in armen Verhältnissen auf, wenn ihre Familie staatliche Grundsicherung bezieht«, so die Stiftung in der Pressemitteilung „Armut nicht nur eine Frage von Hartz IV„. Der sozialpolitisch brisante Befund:

»Wer als Familie weniger als 60 Prozent des ortsüblichen mittleren Einkommens verdient, hat in 60 der 100 größten deutschen Städte nach Abzug der Miete im Durchschnitt weniger Geld zur Verfügung als eine Hartz-IV-Familie.«

Familien aus der unteren Mittelschicht und oberen Unterschicht geraten in Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt finanziell stark unter Druck und vor diesem Hintergrund fordert der Vorstand der Bertelsmann-Stiftung, Jörg Dräger, eine stärker regionale Erfassung wie auch Bekämpfung von Armut.

Damit wird ein grundsätzliches Problem der Armutsforschung adressiert: Eine einheitliche Armutsgrenze lässt regionale Unterschiede der Lebenshaltungskosten außer Acht und kann dadurch zu Fehlschlüssen verleiten: Denn natürlich ist es so – »ein Einkommen von 2.000 Euro ist etwa in Zwickau ungleich mehr wert als in Hamburg«. Ohne Frage. Deshalb wird für einen anderen Ansatz plädiert. Die Studie »berechnet für die 100 größten deutschen Städte, was eine nach regionalen Maßstäben einkommensschwache vierköpfige Familie monatlich ausgeben kann, nachdem sie die Kosten für das mit Abstand teuerste Konsumgut beglichen hat – das Wohnen.«

Die Berücksichtigung der regional stark divergierenden Wohnkosten kann zwei völlig unterschiedliche Auswirkungen haben:

»In Jena bleiben einer Familie mit zwei Kindern nach Überweisung der Miete rechnerisch nur 666 Euro pro Monat. Das verfügbare Einkommen liegt demnach 43 Prozent unter der staatlichen Grundsicherung, auf die eine vergleichbare Familie ohne Erwerbseinkommen Anspruch hat und die bundesweit einheitlich 1.169 Euro beträgt. Ähnliche Auswirkungen haben die hohen Wohnkosten in Frankfurt/Main, Freiburg und Regensburg, wo einkommensschwache Familien nach Entrichtung der Miete durchschnittlich 37, 33 und 26 Prozent unter Hartz-IV-Niveau landen.«

Aber eben auch:

»In Heilbronn, wo relativ hohe Durchschnittseinkommen auf einen entspannteren Wohnungsmarkt treffen, hat eine Familie unter denselben Annahmen monatlich 1.941 Euro zur Verfügung, mithin 66 Prozent mehr als die staatliche Grundsicherung. Auch in Iserlohn, Witten und Bergisch-Gladbach sinkt durch günstigere Mieten das Armutsrisiko für Familien mit Kindern. Dort liegt das Budget von einkommensschwachen Familien nach Abzug der Wohnkosten 53, 48 und 45 Prozent oberhalb der staatlichen Grundsicherung.«

Das hat krasse Auswirkungen auf das verfügbare Budget der Familien: In Frankfurt/Main, Jena, Freiburg und München geben einkommensschwache Familien durchschnittlich mindestens jeden zweiten Euro für die Miete aus. In Iserlohn und Witten hingegen bleiben 80 Prozent des Familieneinkommens für sonstige Lebensbereiche. Der bundesweite Durchschnittswert für die Ausgaben für das Wohnen liegen bei 30%.

Die Studie kommt außerdem zu dem Ergebnis: »Die Wirtschaftskraft einer Stadt ist ebenso wenig allein ausschlaggebend für das Mietniveau wie das quantitative Angebot an Wohnungen, die von Größe und Zuschnitt für Familien geeignet sind. Am ehesten ist noch ein Zusammenhang zur demographischen Entwicklung festzustellen – in wachsenden Städten schrumpft tendenziell der Wohnungsmarkt im unteren Preissegment.« Dies passt zu den Erkenntnissen, die in dem Beitrag „Wo Häuser nichts mehr wert sind“ präsentiert werden: »Die Landflucht in Deutschland hat ganz verschiedene Gründe: Einer der wichtigsten: der demographische Wandel … Hinzu kommt ein struktureller und wirtschaftlicher Wandel in Deutschland. Arbeitsplätze entstehen heutzutage kaum noch in der Industrie, schon gar nicht in der Landwirtschaft, sondern im Bereich Dienstleistungen. „Die Leute gehen dorthin, wo die Jobs sind. Die gibt es in den Ballungsgebieten“, sagt Michael Voigtländer, Immobilienexperte des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.«
Die sozialpolitische Dimension des Themas wird auch durch eine parallel zur neuen Bertelsmann-Studie veröffentlichte Daten-Auswertung von Johannes Steffen untermauert, der sich speziell die Gruppe der Hartz IV-Empfänger angeschaut hat: „630 Millionen Euro zu Lasten des Lebensunterhalts. Hartz-IV-Haushalte bleiben auf Unterkunftskosten sitzen„, so der Titel seiner kompakt auf einer Seite zusammengefassten Berechnungsergebnisse, die er auf dem „Portal Sozialpolitik“ veröffentlicht hat. Quelle des von ihm beschriebenen Problems ist die Tatsache, dass die Kommunen Bedarfe für Unterkunft und Heizung nur insoweit berücksichtigen, wie diese „angemessen“ sind (§ 22 SGB II). Über die diesbezüglichen Richtlinien wird vor Ort entschieden – in der Regel vor dem Hintergrund der regionalen Mietniveaus und der Mietobergrenzen des Wohngeldgesetzes. Es sei in diesem Zusammenhang nur darauf hingewiesen, dass gerade strittige Fragen hinsichtlich dessen, was der unbestimmte Rechtsbegriff „angemessene“ Kosten der Unterkunft genau bedeutet, eine der wichtigsten Gründe für die unzähligen Rechtsstreitigkeiten in Angelegenheiten des SGB II vor den Sozialgerichten darstellt.

Während die Hartz-IV-Haushalte 2012 rund 15,5 Milliarden Euro für laufende Kosten der Unterkunft (KdU) aufwenden mussten, wurden von den SGB-II-Trägern nur gut 14,8 Milliarden Euro anerkannt. Die Differenz in Höhe der 630 Mio. Euro mussten die Betroffenen damit faktisch aus ihrem Regelbedarfs-Budget decken, das eigentlich zur Sicherung des Lebensunterhalts vorgesehen ist. Und der von den SGB-II-Trägern tatsächlich geleistete Aufwand für die Kosten der Unterkunft fällt noch eimal niedriger aus: 2012 waren dies rund 13,3 Milliarden Euro, denn es gibt Sanktionen mit entsprechenden Leistungskürzungen oder anrechenbares Einkommen und Vermögen der Hartz IV-Bedarfsgemeinschaften.

Dabei gibt es schon auf der Ebene der Bundesländer eine erhebliche Streuung: Am höchsten waren die prozentualen Einsparungen in Rheinland-Pfalz und im Saarland, während die niedrigsten Anteilswerte auf die drei Stadt-Staaten entfielen: »Besonders hoch war die jährliche Ersparnis der Jobcenter auf Länderebene in Rheinland-Pfalz mit 306 Euro pro Bedarfsgemeinschaft und im Saarland mit 289 Euro; die niedrigste durchschnittliche Ersparnis wiesen Bremen (133 Euro) und Berlin (163 Euro) auf.«

Auf der Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte ist die Varianz noch größer.
Es bleibt eine unangenehme Frage im Raum stehen: Gibt es eine relativ einfache Lösung dieser Probleme, die ja auch und gerade Probleme durch ganz unterschiedliche Knappheitsrelationen auf dem Immobilienmarkt sind?

Nehmen wir das Beispiel mit der Erstattung der „angemessenen“ Kosten der Unterkunft. Eine ganz andere Lösung wäre, man würde die Kosten insgesamt erstatten oder abgeschwächt, dass man die Kostenerstattungsgrenzen nach oben setzt. Im Ergebnis könnte diese gut gemeinte Maßnahme aber dazu führen, dass sich am Problem nichts ändert – dann nämlich nicht, wenn die Angebotsseite entsprechend reagiert und einfach das Preisniveau nach oben anpasst.

Viele Hartz IV-Empfänger stehen vor dem Problem, dass sie einen Teil ihrer tatsächlichen Unterkunftskosten aus ihren Regelleistungen bestreiten müssen und gleichzeitig gar nicht die Möglichkeit haben, in eine günstigere Wohnung umzuziehen, weil es vor Ort solche Wohnungen, um die ja viele konkurrieren, gar nicht gibt. Dies verweist auf das grundsätzliche Problem des Mangels an (bezahlbaren) Wohnraum an sich, der natürlich gerade in den Regionen/Städten, in denen die Wirtschaft gut läuft und die von Zuwanderungen profitieren, bereits heute Mangelware sind. Dieser Punkt verweist zugleich darauf, dass die nunmehr für diese Regionen von Teilen der Politik geforderten Mietpreisbegrenzungen den einen oder anderen im Bestand schützen könnten, aber zugleich nichts an dem Angebotsproblem, das zu wenige Wohnungen insgesamt zur Verfügung stehen, lösen würde. Ganz im Gegenteil könnte es durchaus am Ende zu weniger Neubauten im preiswerten Bereich kommen, weil durch die Preisgrenzen Investoren abgeschreckt werden oder sich auf andere Marktsegmente fokussieren. Wieder einmal zeigt sich an dieser Stelle, wie fatal es war, dass der Staate die Förderung des sozialen Wohnungsbaus so runtergefahren hat. Denn das war und ist das einzige Instrument, mit dem man eine Angebotsausweitung erreichen kann.
Wir befinden uns hier also in einem mehrfachen Dilemma und wirklich weiterführende Lösungsansätze werden dringend gesucht.

Das Ehrenamt in der Krise und der Verein als vom Aussterben bedrohte Art? Neue Zahlen geben einige Hinweise, die eine andere Entwicklung andeuten

Wer kennt das nicht – seit Jahren schon wird lautstark die Klage vorgetragen, dass immer weniger Menschen in Deutschland bereit seien, sich in Vereinen oder anderen gemeinnützigen Organisationen zu engagieren, dass immer weniger Menschen bereit seien, ehrenamtliche Aufgaben und Verantwortung zu übernehmen. Sportvereinen bröckelt der Nachwuchs weg, auch viele Feuerwehren werfen bedrohliche Schatten an die Wand was die eigene Funktionsfähigkeit angeht, weil viele Wehren ebenfalls Nachwuchssorgen haben und die, die dann noch mitmachen, oftmals tagsüber aus beruflichen Gründen in ganz anderen Gegenden sein müssen und eben nicht zu Hause anwesend sein können. Nur ein Beispiel von vielen: »… 95% aller Brände in Nordrhein-Westfalen werden von den freiwilligen Feuerwehren bekämpft. Ein Schutz der in Zukunft nicht mehr gewährleistet sein kann, wenn weiterhin der Feuerwehr-Nachwuchs fehlt. In Nordrhein-Westfalen sind 396 Freiwillige Feuerwehren im Einsatz. Jährlich verlieren sie rund 2.000 Mitglieder … die Anzahl entspricht der Mitgliederzahl vieler Freiwilliger Feuerwehren.«

Vor diesem Hintergrund wird der eine oder die andere überrascht bis irritiert auf den Beitrag „Deutschland hat so viele Vereine wie nie zuvor“ von Andreas Mihm in der FAZ reagiert haben: »Eine neue Studie zeigt: Die Zahl der Vereine, Genossenschaften und Stiftungen wächst. Mittlerweile gibt es siebenmal so viele wie vor fünfzig Jahren. Von einer Krise des Ehrenamtes könne nicht die Rede sein.« Im Kern ist und bleibt der Deutsche ein Vereinsmeier, so eine der aktuellen Bewertungen. Holger Krimmer vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft wird mit den Worten zitiert: »580.000 Vereine sind registriert, siebenmal so viele wie vor 50 Jahren«. Der Stifterverband lässt zusammen mit der Bertelsmann– und der Thyssen-Stiftung seit einigen Jahren untersuchen, wie es mit dem Innenleben der deutsche Zivilgesellschaft bestellt ist. Herausgekommen ist das Projekt „Zivilgesellschaft in Zahlen„. Nach deren Berechnungen »gehen im „dritten Sektor“ der Wirtschaft 105.000 Unternehmen gemeinnützigen Tätigkeiten nach, erwirtschafteten damit im Jahre 2007 eine Bruttowertschöpfung von 90 Milliarden Euro (4,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) und stellten 2,3 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Hinzu kommen 300.000 in 400-Euro-Jobs Tätige.«

Diesmal wurde versucht, eine umfassende Bestandsaufnahme des äußerst heterogenen Sektors vorzulegen:

»Mit ihrem jüngsten „Zivi-Survey“ haben die Forscher erstmals die gesamte Zivilgesellschaft unter die Lupe genommen, also auch jene Gruppierungen, die nicht im engeren Sinne wirtschaftlich tätig sind. Die Forscher haben neben den Daten des Statistischen Bundesamtes die Vereinsregister von 280 Amtsgerichten durchforstet, Gründungszahlen von Stiftungen ausgewertet, die von gemeinnützigen GmbHs (gGmbH) und Genossenschaften erhoben. Am Ende waren es nach den noch unveröffentlichten Zahlen 616.154 Organisationen, vom Sport- über den Förderverein für die Grundschule bis zur freiwilligen Feuerwehr. Genau gesagt sind es 580.294 Vereine, 17.352 Stiftungen, 10.006 GmbHs und 8502 Genossenschaften, in denen 23 Millionen Mitglieder mal mehr, mal weniger aktiv sind.«

Dass vier von zehn Vereinen Probleme hätten, Vorstandsposten und Aufsichtsfunktionen zu besetzen, sei nach Auffassung der Studienautoren weniger Ausdruck einer fundamentalen Krise des Ehrenamts, sondern vielmehr Folge des starken Wachstums der Organisationen der Zivilgesellschaft. »Der häufig beklagte Mangel von Ehrenamtlichen ist daher eine Begleiterscheinung des Wachstums zivilgesellschaftlicher Strukturen«, so wird Holger Krimmer vom Stifterverband in dem FAZ-Artikel zitiert.

Allerdings gibt es auch deutlich pessimistischere Einschätzungen zum Thema Zivilgesellschaft. So beispielsweise gerade mit Blick auf die hier so wichtigen Vereine die Forschungsbefunde aus dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Mareike Alscher, Patrick J. Droß, Eckhard Priller und Claudia Schmeißer haben im Frühjahr dieses Jahres einen WZBrief Zivilengagement mit dem Titel „Vereine an den Grenzen der Belastbarkeit“ veröffentlicht. Grundlage ist eine Befragung, die von Ende 2011 bis Anfang 2012 lief und an der sich 3.111 Vereine, Stiftungen, gemeinnützige GmbHs und Genossenschaften beteiligt haben. Dies entspricht mit Blick auf die Grundgesamtheit einer Rücklaufquote von 26 Prozent. Vereine beteiligten sich besonders rege. Von den 6.359 angeschriebenen Vereinen antwortete fast jeder dritte. Über die Befragung wurden erhebliche Probleme der Vereine diagnostiziert, die von den Autoren in drei zentralen Ergebnissen zusammengefasst werden:

(1) Der Wettbewerbsdruck verändert Vereine.

(2) Es fehlen Ehrenamtliche und der Nachwuchs macht sich rar.

(3) Finanzielle Probleme erschweren die Gewinnung qualifizierter Beschäftigter.

Nach dieser Studie gibt es gerade im Bereich der Nachwuchsgewinnung massive Probleme, was sich daran zeigen lässt, »dass 80 Prozent der Vereine gegenwärtig ein Problem haben, Engagierte zu finden. Das gilt besonders für Länder wie Sachsen (85 Prozent), Thüringen (83 Prozent) und Sachsen-Anhalt (82 Prozent), die zudem laut Freiwilligensurvey eine geringe En- gagementquote aufweisen. Aber auch für Vereine in Baden-Württemberg (80 Pro- zent) – ein Bundesland, das derzeit noch Spitzenwerte bei den Engagementquoten aufweist – wird das Fehlen von Engagierten bereits im hohen Maße als Problem gesehen.«

Noch einmal zurück zu den ZiviZ-Befunden: Der Bezug auf die Daten des von TNS Infratest im Auftrag des Bundesfamilienministeriums durchgeführten „Freiwilligensurveys“ zeigen, dass der Anteil derjenigen, die zu einem Ehrenamt bereit wären, im Jahrzehnt von 1999 bis 2009 um die Hälfte auf 37 Prozent gestiegen war.

Die erhebliche Heterogenität der Ziele und Formen in diesem Gebilde „Zivilgesellschaft“ verbietet verallgemeinernde Schlussfolgerungen über alle Organisationen hinweg. Mit Blick auf die sozialpolitisch hoch relevanten Akteure im Bereich Gesundheit und Soziales kommen allerdings beide hier zitierten Studien zu einem Ergebnis, das sich zusammenfassen lässt mit dem Begriffspaar „Ökonomisierung/Professionalisierung“:

»In einigen Bereichen haben die Professionellen, die für ihre Arbeit bezahlt werden, inzwischen ein starkes Gewicht. So ergab die Umfrage für den Bereich Soziales und Gesundheit 4,8 Millionen ehrenamtlich Engagierte, aber 1,4 Millionen bezahlte Beschäftigte. Gerade etwa in der Pflege erwarten die Kunden eine hohe fachliche Professionalität. Das wiederum erschwere die Mitwirkung Ehrenamtlicher, räumt Krimmer ein. Dies stelle die Organisationen vor Probleme. Auffällig ist, dass bei den Sozialen Diensten nur etwa die Hälfte derer, die sich dort engagieren, auch Mitglied in der Trägerorganisation sind“, so die ZiviZ-Befunde.

Und das WZB hebt hervor:

»Mehr Wettbewerb und eine verstärkte Orientierung der Förderpraxis an Effizienz- und Leistungskriterien setzen viele Vereine erheblich unter Rationalisierungsdruck … Aus den Befragungsergebnissen geht hervor, dass knapp die Hälfte der beteiligten Vereine eine Zunahme des Wettbewerbsdrucks verzeichnet. Vor allem um öffentliche Mittel und um Kunden bzw. Klienten wird konkurriert. Unterschiede zeigen sich dabei in Hinblick auf die Tätigkeitsbereiche: Vereine in den Bereichen Gesundheit (68 Prozent), Soziales (59 Prozent) sowie Bildung (58 Prozent) sind überdurchschnittlich häufig einem erhöhten Wettbewerbsdruck ausgesetzt« (Alscher et al. 2013: 3).

Ein mehrfaches Drama in Zahlen: Zur gesundheitlichen Situation von langzeitarbeitslosen Menschen

Es gibt in der Arbeitsmarktforschung eine lange Traditionslinie von Forschungen, die eine besondere gesundheitliche Belastung von arbeitslosen Menschen, vor allem hinsichtlich der zerstörerischen Wirkung lang andauernder Arbeitslosigkeit, nachweisen können. Man denke hier nur an die für die Sozialforschung so wichtige „Marienthal-Studie“, die die Folgen des wirtschaftlichen Niedergangs dieses österreichischen Ortes in den 1930er Jahren untersuchte (vgl. hierzu: Jahoda, M., Lazarfeld, P. F. und Zeisel, H.: Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch über die Wirkungen langandauernder Arbeitslosigkeit, Frankfurt: Suhrkamp 1975).

»Gesundheitlich eingeschränkte Arbeitnehmer tragen ein höheres Risiko, entlassen zu werden, und sie bleiben überdurchschnittlich lange arbeitslos. Zudem kann Arbeitslosigkeit gesundheitliche Probleme auslösen oder verstärken. Auch die wahrgenommene Unsicherheit des eigenen Arbeitsplatzes hat bereits deutlich negative Auswirkungen auf die Gesundheit«: Mit diesen Worten beschreibt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) einführend die Informationsplattform „Arbeitslos – Gesundheit los – chancenlos?„, auf der man zahlreiche Materialhinweise zum Thema finden kann. 

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