Es werden mehr. (Nicht nur, aber auch) eine Frage von Angebot und Nachfrage: Wohnungs- und Obdachlosigkeit

In diesen Tagen ist ja mal wieder der Versuch gestartet worden, am Beispiel der Migranten Menschen als Kostenstellen zu quantifizieren, mit einer höchst gefährlichen Unwucht in Richtung auf „wertvoll“ und „nicht-wertvoll“. Dieser Ansatz ist nicht nur aus methodischen Gründen zu kritisieren, er würde konsequent zu Ende gedacht eine verwerfliche Selektivität des Helfens oder eben Nicht-Helfens legitimieren. Und wenn man die soziale Leiter ganz runter steigt, dann müsste man nach dieser Logik die Überlebenshilfe und darüber hinausreichende Maßnahmen für obdachlose Menschen aus Kostengründen nicht nur in Frage stellen, sondern sein lassen. Denn was soll sich „rechnen“, wenn man Notunterkünfte für diese Menschen organisiert und finanziert, aufsuchende Sozialarbeit und weitere Hilfen? Viele der Menschen, um die es hier geht, haben aus ganz unterschiedlichen Gründen eine derart beschädigte Biografie, dass sie in der kalten Zahlen-Welt der Kostenrechner niemals den „break even-point“ erreichen werden, an denen sie weniger kosten als sie der Gesellschaft einbringen. Nein, die Hilfe für diese Menschen muss anders begründet werden und die, die sie leisten, tun dies ganz oft aus einer zutiefst humanen Regung heraus, die sich mit keinem Gold der Welt aufwiegen lässt. Und der Bedarf an diesen Hilfen steigt, was zum einen ganz individuelle Gründe hat, aber hinzu kommt auch das Wirksamwerden von Angebots-Nachfrage-Mechanismen, die ihren Teil dazu beitragen, dass wir es leider mit einem wachsenden Problem in unserer Gesellschaft zu tun haben (werden).

Unter der Überschrift Alles voll gibt Pia Ratzesberger am Beispiel der Stadt München einen guten Einblick in die angedeuteten Prozesse:

»4.500 akut Wohnungslose zählt München momentan, nach Angaben des örtlichen Amtes für Wohnen und Migration kommen jeden Monat 40 bis 60 Menschen hinzu. Trotz wirtschaftlicher Stärke schafft die Stadt es nicht, all ihre Bewohner unterzubringen.« In an sich wohlhabenden Städten  wie München »sind es der Reichtum und das Wachstum, die dafür verantwortlich sind, dass es nicht mehr selbstverständlich ist, eine Wohnung zu haben.«

In ganz Deutschland nimmt die Wohnungslosigkeit (wieder) zu: »Im Jahr 2012 waren den jüngsten Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe zufolge etwa 280.000 Menschen wohnungslos, bis 2016 soll die Zahl noch mal um 100.000 ansteigen. Wohnungslosigkeit ist allerdings nicht gleich Obdachlosigkeit. Als obdachlos gilt, wer auf der Straße schläft, also „Platte macht“. Akut wohnungslos ist, wer keine durch einen Mietvertrag abgesicherte Wohnung und keine Eigentumswohnung besitzt.« Wobei man darauf hinweisen muss, dass es sich bei diesen Zahlen um Schätzungen handelt bzw. handeln muss, denn Nordrhein-Westfalen führt bisher als einziges Bundesland eine Statistik, offizielle Erhebungen für die gesamte Bundesrepublik gibt es nicht.

Ein ganz wesentlicher Grund für die beobachtbare Zunahme der Wohnungslosigkeit liegt in der Wirkung eines besonderen Konkurrenzmechanismus, der sich aus einer Asymmetrie zwischen Angebot und Nachfrage ableiten lässt: Die Zahl der Wohnungslosen nimmt zu, weil Wohnraum immer knapper und teurer wird. Nicht nur in den Großstädten, sondern auch in Klein- und Mittelstädten fehlt es an preiswerten, kleinen Wohnungen. »Vor allem Hartz-IV-Empfängern würden die hohen Mieten wegen der Mietobergrenzen zusetzen – werde die Mieterhöhung vom Job-Center als nicht angemessen eingestuft, müsse sie der Arbeitslose aus eigener Tasche zahlen. Oder sich eine neue, günstigere Wohnung suchen.« Die es aber meistens gar nicht gibt. Hinzu kommt – um das hier zu vervollständigen – eine weitere Konkurrenzverschärfung durch die seit einiger Zeit stark ansteigende Zahl an Zuwanderern – zum einen aus den südeuropäischen Krisenstaaten und den osteuropäischen Armenhäusern der Europäischen Union wie auch bei den Asylbewerbern und Kriegsflüchtlingen, die ja auch alle untergebracht werden müssen.

Man kann das Wirken von Angebot und Nachfrage am Beispiel der Stadt München verdeutlichen. Dazu Pia Ratzesberger: »Der Nettozuzug – die Fortzüge sind von diesen Zahlen schon abgezogen – liegt derzeit bei 25.000 bis 30.000 Menschen im Jahr. Sie alle drängen in die Stadt, in die Wohnungen und Häuser. Doch wer zu wenig Geld hat, um die Kaltmiete von im Schnitt mehr als zehn Euro pro Quadratmeter zu zahlen oder sich gar eine eigene Wohnung zu kaufen, hat es schwer: 90 Prozent der Münchner Wohnungen sind in Privatbesitz. 10 Prozent bleiben der Stadt. Zu wenig.«

Damit wird ein ganz besonderes Problem angesprochen, das man verstehen muss als ein Ergebnis, das sich ergibt aus jahrelangem unterlassenen Tun: dem mittlerweile immer drängender werdenden Problem, dass der soziale Wohnungsbau über viele Jahre heruntergefahren wurde, immer mehr einst geförderte Wohnungen aus der Mietpreisbindung gefallen sind und fallen. Eine veritable Angebotsverknappung bei gleichzeitig steigender Nachfrage.

Das wird auch thematisiert am Beispiel der Stadt Münster in dem Artikel Die vergessenen 360.000 – Ein Einblick in das Leben von Menschen ohne Wohnung, einem Gastbeitrag von Rebekka Wilhelm und Lena Amberge, zwei Studierenden der Universität Münster, die eine lesenswerte Reportage zum Thema geschrieben haben.

Aus allen Städten erreichen uns vergleichbare Meldungen, wie Ratzesberger berichtet:

»Auch Berlin, das lange für billige Mieten bekannt war, kämpft wie so viele deutsche Städte mit der Wohnungslosigkeit: Die Nettokaltmieten sind im vergangenen Jahr doppelt so stark gestiegen wie im Bundesdurchschnitt. Nach Angaben der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales sind momentan etwa 12 000 Menschen ohne Wohnung. Nicht alle leben in Heimen, manche auch in Pensionen oder Hostels. Während der kalten Monate richten die Bezirke der Stadt jedes Jahr bis zu 500 Notschlafplätze ein, in diesem Jahr sollen es 600 sein. Noch reicht das, da die Temperaturen relativ milde sind. Doch das kann sich schnell ändern. „Das Wohnungsproblem hat massiv zugenommen. Immer mehr Menschen kommen in unsere Beratungen, all unsere Einrichtungen sind nahezu voll ausgelastet“, sagt Kai Gerrit-Venske, Referent der Berliner Caritas für Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe.«

Und in der Hauptstadt lässt sich mit Blick auf die Wohnungslosenhilfe zugleich auch ein Trend beobachten, der nachdenklich stimmt – ein an sich, also bezogen auf das frühere Niveau durchaus gut ausgebautes Hilfesystem sieht sich konfrontiert mit einem Wettlauf gegen den Anstieg der Bedarfe und der Nachfrage, der erinnern muss an die Geschichte vom Hase und Igel.

»In der Hauptstadt bietet die Caritas unter anderem betreutes Einzelwohnen an; Menschen im Anschluss eine Wohnung zu vermitteln, werde allerdings immer schwieriger. „Unsere Mitarbeiter sind mittlerweile mitunter mehr Makler als Sozialarbeiter“, sagt Venske. Eigentlich habe Berlin zwar ein sehr dichtes Netz, von Streetwork bis hin zur stationären Betreuung. Aber das System komme an seine Grenzen. Das zeige das veränderte Stadtbild, sagt Venske: „Unter den S-Bahn-Brücken schliefen früher ein paar Einzelne, heute sind es ganze Gruppen.“«

Dabei ist diese Hilfe im wahrsten Sinne des Wortes existenziell – und wie so oft bei kommunal zu erbringenden Leistungen quantitativ und qualitativ ganz unterschiedlich ausgeprägt. Das Bundesland Nordrhein-Westfalen – bekanntlich von vielen sozialen Problemen und erheblichen Finanzproblemen geplagt – wurde bereits lobend erwähnt, ist es doch das einzige Bundesland, in dem es den Versuch einer offiziellen Wohnungslosenstatistik gibt, während andernorts lieber der Kopf in den Sand nicht verfügbarer Zahlen gesteckt wird. Nordrhein-Westfalen wird aber auch darüber hinaus gelobt für das, was sich dort im Hilfesystem getan hat: NRW kämpft vorbildlich gegen Obdachlosigkeit, bilanziert Frank Brettschneider bereits im Titel seines Artikels. »In Nordrhein-Westfalen sind derzeit nach Zahlen des Düsseldorfer Sozialministeriums knapp 20.000 Menschen obdachlos. Davon sind drei Viertel männlich, jeder zehnte ist jünger als 18 Jahre. Während die Zahl der Obdachlosen bundesweit jährlich um bis zu 15 Prozent steigt…, ist sie im bevölkerungsreichsten Bundesland zuletzt weitgehend stabil geblieben.« Als ein Grund für diese erfreuliche Entwicklung werden Präventionsprogramme genannt, die NRW zusammen mit den Städten, Kirchen und freien Trägern aufgelegt hat. „Das System ist dicht geknüpft und funktioniert bis in den ländlichen Raum. Das ist bundesweit besonders“, so Rolf Jordan von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Das ist nicht umsonst zu haben: »Mit 1,12 Millionen Euro pro Jahr unterstützt das Land Kommunen und freie Träger bei der Unterbringung Wohnungsloser. Ein Netz kommunaler Fachstellen vermittelt im Rahmen der Wohnungsnotfallhilfe bezahlbaren Wohnraum.« Aber auch hier geht es natürlich wieder um Angebot und Nachfrage und die daraus resultierenden Mechanismen, denn anders als beispielsweise in München, Stuttgart oder Frankfurt muss man die Tatsache in Rechnung stellen, dass der Wohnungsmarkt insbesondere im Ruhrgebiet angesichts vieler leer stehender Wohnungen vergleichsweise entspannt ist.

Warum solche Aktivitäten so wichtig sind zeigt sich auf der anderen Seite der Medaille. Stefan Brändle beschreibt diese in seinem Artikel Bittere Kreativität gegen Obdachlose in Frankreich. In unserem Nachbarland steigt ebenfalls der Problemdruck ganz erheblich: »Landesweit hat sich die Zahl der „Wohnsitzlosen“ („Sans domicile fixe“, kurz SDF) laut dem Statistikamt Insee seit 2001 auf 120.000 verdoppelt.« Und was viele sicher nicht wissen: »Ein Viertel der französischen Obdachlosen sind laut Insee berufstätig.« Aber neben der Hilfe gibt es auch andere Reaktionen: Städte versuchen, Armut aus dem Stadtbild zu verdrängen.

»Am Weihnachtstag staunten Passanten in der westfranzösischen Stadt Angoulême: Sämtliche Sitzgelegenheiten am Marsfeld waren eingezäunt. Feste Eisengitter umgaben die neun Betonbänke gegenüber einer Einkaufsgalerie. Die Stadtverwaltung gab bekannt, sie habe die Bänke sperren lassen, da sie „fast ausschließlich durch Personen benutzt werden, die sich wiederholtem Alkoholgenuss hingeben“.« Das löste einen landesweiten Proteststurm aus. »Am Tag nach Weihnachten krebste der konservative Bürgermeister Xavier Bonnefont zurück und ließ die Gitter „aus Sicherheitsgründen“, entfernen. Allerdings nur „provisorisch“, wie er anfügte: Nach den Feiertagen sollen die Bänke durch künstlerische Steinhaufen ersetzt werden.«

Das aktuelle Beispiel aus Angoulême ist leider kein Einzelfall: »Die Behörden von Angoulême reagieren so überfordert wie in vielen anderen Orten im Land: Sie ersetzen Sitzbänke durch Klötze, Kieselsteine, Eisenspitzen oder Kaktusbeete. Andere bringen etwa Armlehnen an, um die Liegestellung zu verunmöglichen; die Pariser U-Bahn neigte einige besonders beliebte Plastiksessel gar in aller Diskretion nach unten – wer einschläft, fällt zu Boden. Publik geworden war vor Jahren der Versuch im Pariser Vorort Argenteuil, die Clochards mit Stinkgas von den städtischen Anlagen fernzuhalten; erst ein landesweiter Aufschrei stoppte das Vorhaben.«

Und ein anderes Beispiel aus Frankreich zeigt zugleich, wie schmal zuweilen der Grat ist zwischen einer technokratischen Optimierung der Hilfestrukturen und der fatalen Wirkung dessen, was dafür benutzt wird. Das Beispiel ist das Vorgehen der Stadt Marseille:

»Die bürgerliche Stadtregierung hatte ohne Absprache mit humanitären Organisationen eine spezielle SDF-Markierung eingeführt: Damit sie in Krankenhäusern, Notunterkünften oder Essensausgaben erkannt würden, wie es hieß, sollten Obdachlose einen Ausweis mit einem großen gelben Dreieck an sich und vorzugsweise um den Hals tragen. Die erboste Reaktion konnte nicht ausbleiben: Das erinnere an eine andere allzu bekannte Beamtenverfügung, nämlich den Davidstern der Nationalsozialisten, meinte ein Kollektiv namens „Das jüngste Gericht“.  Vize-Bürgermeister Xavier Mary nannte diesen Vergleich zuerst „absurd“. Vor Weihnachten räumte er aber ein, der Vorschlag sei „zweifellos ungeschickt“ gewesen. Seine Stadt sucht nun eine „bessere Lösung“. Welche, will sie erst nach den Festtagen sagen.«

Nach „besseren Lösungen“ werden auch wir in Deutschland suchen müssen, denn angesichts der gesellschaftlichen Verwerfungen ist der „Nachschub“ für die Wohnungs- und Obdachlosigkeit leider sicher. Aber man darf sich nicht damit abfinden, auch wenn das nur kostet und deshalb bei den Vulgär-Ökonomen den Blutdruck steigen lässt.

Wohnst Du schon oder suchst Du noch? Die Wohnungsfrage als neue alte soziale und „Markt“-Frage, zunehmend auch für die „Mitte“

Es gehört nicht viel Phantasie dazu, die in Teilen des Landes, vor allem in den (Groß)Städten, immer schwieriger werdende Versorgung mit Wohnraum als eines der ganz großen sozialpolitischen Themen in den vor uns liegenden Jahren zu identifizieren. Das spüren nicht nur die Hartz IV-Empfänger und die Menschen mit sehr kleinen Einkommen, sondern Wohnungsmangel diffundiert als Problem immer stärker in die Reihen der „Normalverdiener“: Normalverdiener finden in deutschen Städten kaum Wohnraum, so die Überschrift eines Artikels. Das ist irritierend, denn auf den ersten Blick scheint doch alles rund zu laufen: » …  vielerorts (drehen sich) die Kräne: Allein von Januar bis Juni genehmigten die Behörden laut Statistischem Bundesamt bundesweit 137.000 neue Wohnungen, knapp zehn Prozent mehr als ein Jahr zuvor.« Für die Auflösung dieses eben nur scheinbaren Widerspruchs braucht man keine Studien, sondern man muss sich nur die meisten der neu errichteten Wohneinheiten genauer anschauen. 

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Von überbelegten Schrottimmobilien und teuren Nächten im Obdachlosenheim. Aus den Untiefen von Zuwanderung und Wohnungsnot

Bekanntlich ist es immer einfacher, über das „große Ganze“ zu reden oder zu schreiben, als sich mit den Widrigkeiten dessen zu beschäftigen, was vor Ort passiert. Nehmen wir als Beispiel das Thema der Zuwanderung, insbesondere die von Menschen aus den Armenhäusern der Europäischen Union. Ein Thema, das es vor kurzem auf die Titelseiten der Zeitungen und in unzählige Fernsehbeiträge geschafft hat und mit einem hysterischen Unterton behandelt wurde und wird. Im Ergebnis stehen sich zwei Lager gegenüber – die einen sehen hunderttausende arme Schlucker vor dem Einmarsch in unser Hartz IV-System, die anderen tun so, als ob die Menschen, die zu uns kommen, alle wunderbar passen in diesen Zeiten des angeblichen „Fachkräftemangels“, es soll sogar mehr „Akademiker“ unter ihnen geben als in der einheimischen Bevölkerung. Nun gut. Aber wie sieht es vor Ort aus, wo die Realität aufschlägt, wo man beispielsweise in bestimmten Städten konfrontiert wird mit einer erheblichen Konzentration durchaus problematischer Folgen von Zuwanderung? Und dort, wo man eine solche Entwicklung „verhindern“ will? Schauen wir exemplarisch nach Nordrhein-Westfalen und Hannover.

Das Land Nordrhein-Westfalen will ein Wohngesetz schaffen, damit Behörden schärfer gegen Immobilienbesitzer vorgehen können – etwa gegen Überbelegung von maroden Wohnungen, berichtet  Wilfried Giebels in seinem Artikel „NRW plant ‚Wohnungspolizei‘ gegen überbelegte Schrottimmobilien„: »Das neue Wohngesetz sieht vor, dass Eigentümer bis zu 50.000 Euro Bußgeld zahlen müssen, wenn sie – wie in Duisburg – nichts gegen Überbelegungen maroder Wohnungen unternehmen. Im Verdachtsfall soll das Ordnungsamt künftig regelmäßig Wohnungen kontrollieren können – auch gegen den Willen der Vermieter.« Bei einer Anhörung im Landtag wurde sofort Kritik an diesem Ansatz vorgetragen – von der Eigentümerseite: Die Pläne seien realitätsfern und verfassungsrechtlich problematisch, warnte der Verband „Haus und Grund“, während der Deutsche Mieterbund den Einsatz einer „Wohnungspolizei“ gegen die Verwahrlosung und Überbelegung von Wohnungen befürwortet. Wenn denn kontrolliert werden soll, dann muss der Tatbestand der „Überbelegung“ einer Wohnung auch definiert werden. Hierzu können wir dem Artikel entnehmen: »Laut Gesetzentwurf müssen Wohnungen über mindestens neun Quadratmeter pro Kopf – für Kinder sechs Quadratmeter – verfügen. Wohnungsexperten halten diese Größenordnung dauerhaft für nicht angemessen.« Man könnte auf die Idee kommen, als Referenzmaßstab beispielsweise die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts heranzuziehen, denn das höchste Gericht hat 2011 geurteilt: „Zu kleine Zellen verstoßen gegen die Menschenwürde„. Nach dieser Rechtsprechung müssen rechtskräftig verurteilte Straftäter sogar aus der Haft entlassen werden, wenn eine menschenwürdige Unterbringung nicht sichergestellt werden kann.

  • Auf der einen Seite ist es in einem Rechtsstaat unabdingbar, dass man genau definiert, ab wann ein Tatbestand vorliegt, der nicht mehr geduldet wird bzw. werden kann. Insofern – auch wenn man sich über die Quadratmeterzahl streiten kann – ist es für eine gesetzliche Regelung erforderlich, eine Konkretisierung von Überbelegung vorzunehmen. So richtig schwierig wird es dann aber in der Realität bei der Umsetzung einer solchen Regelung. Damit ist nicht nur die Kontrolle an sich gemeint, die schon sehr umstritten ist, sondern wie grenzt man den Normalfall der Belegung ab von einer lediglich vorübergehenden Überbelegung, die bei jedem von uns auftreten könnte, wenn wir beispielsweise für einen begrenzten Zeitraum Besuch haben? 

Man muss an dieser Stelle den Anlass für den Gesetzesvorstoß der nordrhein-westfälischen Landesregierung in Erinnerung rufen: Die Gesetzespläne sind eine Folge der rechtlichen Hilflosigkeit der Kommunen, wenn Vermieter für überbelegte Schrottimmobilien hohe Pro-Kopf-Mieten kassieren. Wenn also mit der Wohnungsnot von Menschen so richtig Geschäft gemacht wird. Überbelegungen gibt es beispielsweise in Dortmund im Zusammenhang mit Zuwanderung aus Südosteuropa. Insofern begrüßt man dort den Gesetzes Vorstoß der Landesregierung, denn dadurch bekommt die Kommune überhaupt erst die Möglichkeit, im Sinne einer Auflösung der Überbelegung vorgehen zu können. Allerdings ist die Realität eben oftmals verzwickter als man das bei einer rechtlichen Regelung oft unterstellt. Die Stadt Dortmund z.B. »fürchtet … aufwändige Verwaltungsverfahren, wenn Teilräumungen von der Kommune veranlasst werden sollten. Die Kommunalen Spitzenverbände drängten deshalb darauf, dass Gemeinden „nach eigenem Ermessen entscheiden, ob und wie sie von den gesetzlichen Möglichkeiten Gebrauch machen“.« Das nun wieder kollidiert mit der generellen Gültigkeit einer solchen gesetzlichen Regelung.  Man sieht, das Ganze ist wirklich keine einfache Angelegenheit und es lässt sich nicht so einfach regeln. Auf der anderen Seite benötigt man unbedingt die mit dem Gesetzesvorlagen verbundenen Möglichkeiten des Eingreifens, um unhaltbare Zustände in den Wohnvierteln bis hin zur Slumbildung verhindern zu können.

Man kann natürlich auch einen ganz anderen Weg einschlagen und – ob bewusst geplant oder sich faktisch ergebend – die Strategie verfolgen, zu verhindern, dass Menschen überhaupt in einem größeren Maßstab Fuß fassen können und in der Folge aufgrund ihrer extremen Armutslage sowie der schwierigen sozialrechtlichen Regelungen, was ihren Lebensunterhalt angeht, gezwungen sind, Unterschlupf zu finden bei Ihresgleichen, was dann wieder zu den in den Medien und von den Mitbewohnern im Stadtteil oftmals beklagten Zuständen führt.

Eine Möglichkeit, die hier angedeutete abschreckende Wirkung hervorzurufen, ist das derzeit im rot-grün regierten Hannover beobachtbare Vorgehen: »3,55 Euro pro Bett und Nacht: Das kostet es, in Hannover in eine Obdachlosenunterkunft zu gehen, wie das zurzeit beispielsweise rund 150 rumänische und bulgarische Zuwanderer tun. Darunter sind Sinti und Roma, zum Teil leben ganze Familien in Wohncontainern. 3,55 Euro pro Bett und Nacht, unabhängig von der finanziellen Situation der Betroffenen, egal ob erwachsen oder Kind. Eine Praxis, die zunehmend in die Kritik gerät.« diese Regelung muss man vor dem Hintergrund sehen, dass die allermeisten rumänischen oder bulgarischen Zuwanderer über gar keine Mittel verfügen und zugleich auch keinen Anspruch auf entsprechende Sozialleistungen haben. Einzig Kindergeld können Familien aus Bulgarien und Rumänien direkt beantragen.  In Hannover wird so richtig hingelangt durch die dort gegebene Gebührenregelung: Bei fünf Kindern etwa veranschlage die Stadt über 700 Euro im Monat. Das ist für die Betroffenen mehr als happig. Auch wenn die Stadt nach außen argumentiert, dass keiner auf die Straße gesetzt werde, wenn er die Gebühren nicht oder nur unvollständig bezahlen kann, aber man treibt die Ärmsten der Armen in die Verschuldung, denn die fälligen Gebühren werden nur vorläufig von der Stadt übernommen und den betroffenen Personen als rückzahlbare Darlehen in Rechnung gestellt. Sollten die Betroffenen dann eine – zumeist sehr niedrig entlohnte – Arbeit gefunden haben, dann holt sich die Stadt die Beträge wieder zurück.

Übrigens stoßen wir hier erneut auf einen typisches Muster in kommunalisierten Systemen: ein großes Durcheinander, je nachdem, in welcher Kommune man sich gerade aufhält, Gibt es ganz unterschiedliche Regelungen:

»Das niedersächsische Salzgitter beispielsweise stellt mittellosen Zuwanderern aus Osteuropa aber Berechtigungsscheine aus, mit denen sie vorübergehend kostenfrei in Sammelunterkünften wohnen können. In Bremen wiederum gilt die Faustregel, dass nur diejenigen zahlen müssen, die nachweislich mehr als Hartz IV zur Verfügung haben. Und in Hamburg wiederum fallen für Kinder immerhin niedrigere Gebühren an als für Erwachsene.«

Mit Blick auf Hannover sollte man aber fairerweise eben auch erwähnen, dass dort die Ausgaben im Bereich der Unterbringung von Wohnungslosen mittlerweile ein Volumen von über drei Millionen € pro Jahr erreicht haben. Und: Den deutlichsten Zuzug hat Hannover mit im Februar 2014 gemeldeten 3.677 Rumänen und Bulgaren. Und die Verteilung der Zuwanderung gerade aus den ärmeren Gegenden der Europäischen Union nach Deutschland folgt eben nicht dem Muster der Gleichverteilung über die  Regionen und Kommunen, sondern durch Kettenmigrationsmuster konzentriert sich das auf bestimmte Städte bzw. Stadtviertel. Hier ist der Handlungsbedarf und zugleich die strukturelle Überforderung der betroffenen Kommune offensichtlich.

  • Aber auch an dieser Stelle wird sehr schnell bei einem vertieften Nachdenken über die Problematik und mögliche Lösungsansätze klar, dass es sich um im wahrsten Sinne des Wortes vermintes Gelände handelt: Wenn man davon ausgehen muss, dass die Zuwanderung an sich nicht vor den Grenzen Deutschlands aufzuhalten ist, was gerade im Fall der Menschen aus anderen EU-Staaten, die zu uns kommen (wollen), der Fall ist aufgrund der Personenfreizügigkeit, man gleichzeitig durch die in diesem Beitrag angedeuteten Maßnahmen die Konzentration auf einige wenige Städte und dort Stadtteile zu verhindern in der Lage wäre, dann stellt sich natürlich die Anschlussfrage, wie man mit den Menschen, denen man beispielsweise eine legale Niederlassung verweigert, weiter umgeht. Konsequent zu Ende gedacht müssten dann die Zuwanderer zwangsgleichverteilt werden. Das würde natürlich gleich ganz neue rechtliche Fragen und Widerstände generieren, aber auch bei einer Umsetzung zahlreiche Fragezeichen aufwerfen.

Wieder einmal muss man zur Kenntnis nehmen, dass es keine einfachen Lösungen gibt – gerade nicht vor Ort, wo die Probleme aufschlagen und sich zuweilen massiv verdichten.

Wohnst Du schon oder hoffst Du noch? Wohnen als soziale und ökonomische Frage. Und wie die Große Koalition damit umzugehen beabsichtigt

Da muss doch Hoffnung aufkommen: Ein „Paket für bezahlbares Bauen und Wohnen“ hat die zuständige Koalitionsverhandlungsgruppe ausgearbeitet und die Rezeption in den Medien war enorm:  Union und SPD haben sich in den Koalitionsverhandlungen auf eine Mietpreisbremse geeinigt, die Vermieter sollen die Makler bezahlen und für Investoren soll es wieder eine besonders interessante Form der Abschreibung geben, die degressive Abschreibung, so ein Artikel in der FAZ. Man wolle die massiv steigenden Mieten vor allem in den Großstädten bremsen und den Bau neuer Wohnungen ankurbeln.

Doch bevor wir in die Details der geplanten Maßnahmen einsteigen, lohnt ein Blick auf die sich überaus differenziert und gespalten darstellende Entwicklung beim Thema Wohnen. Im Frühjahr des vergangenen Jahres hat das Eduard-Pestel-Institut eine Analyse vorgelegt über „den“ Wohnungsmarkt in Deutschland:

➔ Pestel-Institut: Mietwohnungsbau in Deutschland – regionale Verteilung, Wohnungsgrößen, Preissegmente – im Auftrage der Kampagne „Impulse für den Wohnungsbau“, Hannover 2012

In dieser Studie wird beschrieben, mit welcher durchaus auseinanderlaufenden Entwicklung wir es auf dem Wohnungsmarkt zu tun haben: «Der demografische Wandel bringt noch keine Entlastung der Wohnungsmärkte. Rückläufig ist wegen der niedrigen Geburtenzahlen die Zahl der Kinder. Die Zahl der Erwachsenen – und nur dieser Personenkreis bildet Haushalte und fragt Wohnungen nach – wird noch einigen Jahre ansteigen. Hinzu kommen die Singularisierung und die Veränderung des Wanderungsverhal- tens der Bevölkerung. Die Landflucht und das Verbleiben in den Städten führen zu wachsenden Leerständen in ländlichen Räumen bei gleichzeitiger Verknappung von Wohnraum in den Ballungsräumen. Deutschland hat eine neue Wohnungsnot« (Pestel-Institut 2012: 47).

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Zwischen Himmel und Hölle: Wenn das Wohnen die einen arm und einige andere sehr reich macht

Das Thema Wohnen ist derzeit mal wieder auf dem Weg an die Spitze der für die Menschen besonders wichtigen Themen – dies allerdings aus völlig unterschiedlichen, teilweise absolut gegenläufigen Gründen: Die einen sehen in Immobilien die einzige noch verbliebene Kapitalanlage, infolgedessen fließen große Summen in den Wohnungsmarkt. Sie wollen ihr Geld in Sachwerte investieren und natürlich auch gerne eine Rendite erzielen, die oberhalb der wertfressenden Inflationsrate. Andere hingegen kämpfen in den Regionen, vor allem in den Städten, wo sie arbeiten (müssen), mit massiv steigenden Mieten, was das verfügbare Haushaltsbudget erheblich mindert. Gerade in diesen Städten, wo es oftmals auch die meisten Hochschulen angesiedelt sind, leiden die Studierenden an einer echten Wohnungsnot, werden sie doch auch immer mehr, nicht aber die ihrem Budget entsprechenden Wohnungsangebote. Wieder andere sind mit einem ganz anderen Phänomen konfrontiert: Sie leben in ländlichen Regionen, in denen nichts ist mit Wertanlage Immobilie, sondern wo sie mit sinkenden Preisen, massiven Leerständen und Abwanderung zu kämpfen haben. In den Metropolen boomt der Immobilienmarkt. Doch in weiten Teilen des Landes sieht es anders aus: Dort stehen Häuser leer. Warum die Deutschen in die Städte flüchten und welche dramatische Spaltung des Immobilienmarktes beobachtbar ist, darüber berichtet der Handelsblatt-Beitrag „Wo Häuser nichts mehr wert sind“ von Jörg Hackhausen und Jens Hagen ausführlich.

Aber es gibt neben den grundsätzlichen Angebots-Nachfrage-Fragen auch zwei ganz besondere sozialpolitische Dimensionen des Themas Wohnen, die durch neue Veröffentlichungen ans Tageslicht gezogen werden: Zum einen die Frage der (Nicht-)Übernahme der Wohnkosten für die vielen Menschen im Grundsicherungsbezug, also in Hartz IV. Zum anderen die offensichtliche Problematik, dass Menschen, vor allem Familien mit Kindern, in bestimmten sehr teuren Regionen/Städten durch die Kosten der Unterkunft auf ein Einkommensniveau unterhalb der Grundsicherung gedrückt werden, auf dass sie unter normalen Preisverhältnissen für das Wohnen nicht gekommen wären. Es geht also um eine Art „Wohnungsarmut“, womit aber nicht oder nicht primär der Mangel an Wohnungen gemeint ist, sondern dass man durch das Wohnen arm wird (oder bleibt).

Die Bertelsmann-Stiftung hat nun die von ihr in Auftrag gegebene Studie „Wohnungsangebot für arme Familien in Großstädten. Eine bundesweite Analyse am Beispiel der 100 einwohnerstärksten Städte“ veröffentlicht: »In größeren Städten landen einkommensschwache Familien durch hohe Mieten oftmals unterhalb der staatlichen Grundsicherung. In mehr als jeder zweiten größeren Stadt erhöhen die Mietpreise das Armutsrisiko von Kindern. Vielerorts herrscht ein erheblicher Mangel an Wohnungen, die für Familien geeignet und auch bei niedrigem Einkommen erschwinglich sind. Kinder wachsen daher längst nicht nur dann in armen Verhältnissen auf, wenn ihre Familie staatliche Grundsicherung bezieht«, so die Stiftung in der Pressemitteilung „Armut nicht nur eine Frage von Hartz IV„. Der sozialpolitisch brisante Befund:

»Wer als Familie weniger als 60 Prozent des ortsüblichen mittleren Einkommens verdient, hat in 60 der 100 größten deutschen Städte nach Abzug der Miete im Durchschnitt weniger Geld zur Verfügung als eine Hartz-IV-Familie.«

Familien aus der unteren Mittelschicht und oberen Unterschicht geraten in Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt finanziell stark unter Druck und vor diesem Hintergrund fordert der Vorstand der Bertelsmann-Stiftung, Jörg Dräger, eine stärker regionale Erfassung wie auch Bekämpfung von Armut.

Damit wird ein grundsätzliches Problem der Armutsforschung adressiert: Eine einheitliche Armutsgrenze lässt regionale Unterschiede der Lebenshaltungskosten außer Acht und kann dadurch zu Fehlschlüssen verleiten: Denn natürlich ist es so – »ein Einkommen von 2.000 Euro ist etwa in Zwickau ungleich mehr wert als in Hamburg«. Ohne Frage. Deshalb wird für einen anderen Ansatz plädiert. Die Studie »berechnet für die 100 größten deutschen Städte, was eine nach regionalen Maßstäben einkommensschwache vierköpfige Familie monatlich ausgeben kann, nachdem sie die Kosten für das mit Abstand teuerste Konsumgut beglichen hat – das Wohnen.«

Die Berücksichtigung der regional stark divergierenden Wohnkosten kann zwei völlig unterschiedliche Auswirkungen haben:

»In Jena bleiben einer Familie mit zwei Kindern nach Überweisung der Miete rechnerisch nur 666 Euro pro Monat. Das verfügbare Einkommen liegt demnach 43 Prozent unter der staatlichen Grundsicherung, auf die eine vergleichbare Familie ohne Erwerbseinkommen Anspruch hat und die bundesweit einheitlich 1.169 Euro beträgt. Ähnliche Auswirkungen haben die hohen Wohnkosten in Frankfurt/Main, Freiburg und Regensburg, wo einkommensschwache Familien nach Entrichtung der Miete durchschnittlich 37, 33 und 26 Prozent unter Hartz-IV-Niveau landen.«

Aber eben auch:

»In Heilbronn, wo relativ hohe Durchschnittseinkommen auf einen entspannteren Wohnungsmarkt treffen, hat eine Familie unter denselben Annahmen monatlich 1.941 Euro zur Verfügung, mithin 66 Prozent mehr als die staatliche Grundsicherung. Auch in Iserlohn, Witten und Bergisch-Gladbach sinkt durch günstigere Mieten das Armutsrisiko für Familien mit Kindern. Dort liegt das Budget von einkommensschwachen Familien nach Abzug der Wohnkosten 53, 48 und 45 Prozent oberhalb der staatlichen Grundsicherung.«

Das hat krasse Auswirkungen auf das verfügbare Budget der Familien: In Frankfurt/Main, Jena, Freiburg und München geben einkommensschwache Familien durchschnittlich mindestens jeden zweiten Euro für die Miete aus. In Iserlohn und Witten hingegen bleiben 80 Prozent des Familieneinkommens für sonstige Lebensbereiche. Der bundesweite Durchschnittswert für die Ausgaben für das Wohnen liegen bei 30%.

Die Studie kommt außerdem zu dem Ergebnis: »Die Wirtschaftskraft einer Stadt ist ebenso wenig allein ausschlaggebend für das Mietniveau wie das quantitative Angebot an Wohnungen, die von Größe und Zuschnitt für Familien geeignet sind. Am ehesten ist noch ein Zusammenhang zur demographischen Entwicklung festzustellen – in wachsenden Städten schrumpft tendenziell der Wohnungsmarkt im unteren Preissegment.« Dies passt zu den Erkenntnissen, die in dem Beitrag „Wo Häuser nichts mehr wert sind“ präsentiert werden: »Die Landflucht in Deutschland hat ganz verschiedene Gründe: Einer der wichtigsten: der demographische Wandel … Hinzu kommt ein struktureller und wirtschaftlicher Wandel in Deutschland. Arbeitsplätze entstehen heutzutage kaum noch in der Industrie, schon gar nicht in der Landwirtschaft, sondern im Bereich Dienstleistungen. „Die Leute gehen dorthin, wo die Jobs sind. Die gibt es in den Ballungsgebieten“, sagt Michael Voigtländer, Immobilienexperte des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.«
Die sozialpolitische Dimension des Themas wird auch durch eine parallel zur neuen Bertelsmann-Studie veröffentlichte Daten-Auswertung von Johannes Steffen untermauert, der sich speziell die Gruppe der Hartz IV-Empfänger angeschaut hat: „630 Millionen Euro zu Lasten des Lebensunterhalts. Hartz-IV-Haushalte bleiben auf Unterkunftskosten sitzen„, so der Titel seiner kompakt auf einer Seite zusammengefassten Berechnungsergebnisse, die er auf dem „Portal Sozialpolitik“ veröffentlicht hat. Quelle des von ihm beschriebenen Problems ist die Tatsache, dass die Kommunen Bedarfe für Unterkunft und Heizung nur insoweit berücksichtigen, wie diese „angemessen“ sind (§ 22 SGB II). Über die diesbezüglichen Richtlinien wird vor Ort entschieden – in der Regel vor dem Hintergrund der regionalen Mietniveaus und der Mietobergrenzen des Wohngeldgesetzes. Es sei in diesem Zusammenhang nur darauf hingewiesen, dass gerade strittige Fragen hinsichtlich dessen, was der unbestimmte Rechtsbegriff „angemessene“ Kosten der Unterkunft genau bedeutet, eine der wichtigsten Gründe für die unzähligen Rechtsstreitigkeiten in Angelegenheiten des SGB II vor den Sozialgerichten darstellt.

Während die Hartz-IV-Haushalte 2012 rund 15,5 Milliarden Euro für laufende Kosten der Unterkunft (KdU) aufwenden mussten, wurden von den SGB-II-Trägern nur gut 14,8 Milliarden Euro anerkannt. Die Differenz in Höhe der 630 Mio. Euro mussten die Betroffenen damit faktisch aus ihrem Regelbedarfs-Budget decken, das eigentlich zur Sicherung des Lebensunterhalts vorgesehen ist. Und der von den SGB-II-Trägern tatsächlich geleistete Aufwand für die Kosten der Unterkunft fällt noch eimal niedriger aus: 2012 waren dies rund 13,3 Milliarden Euro, denn es gibt Sanktionen mit entsprechenden Leistungskürzungen oder anrechenbares Einkommen und Vermögen der Hartz IV-Bedarfsgemeinschaften.

Dabei gibt es schon auf der Ebene der Bundesländer eine erhebliche Streuung: Am höchsten waren die prozentualen Einsparungen in Rheinland-Pfalz und im Saarland, während die niedrigsten Anteilswerte auf die drei Stadt-Staaten entfielen: »Besonders hoch war die jährliche Ersparnis der Jobcenter auf Länderebene in Rheinland-Pfalz mit 306 Euro pro Bedarfsgemeinschaft und im Saarland mit 289 Euro; die niedrigste durchschnittliche Ersparnis wiesen Bremen (133 Euro) und Berlin (163 Euro) auf.«

Auf der Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte ist die Varianz noch größer.
Es bleibt eine unangenehme Frage im Raum stehen: Gibt es eine relativ einfache Lösung dieser Probleme, die ja auch und gerade Probleme durch ganz unterschiedliche Knappheitsrelationen auf dem Immobilienmarkt sind?

Nehmen wir das Beispiel mit der Erstattung der „angemessenen“ Kosten der Unterkunft. Eine ganz andere Lösung wäre, man würde die Kosten insgesamt erstatten oder abgeschwächt, dass man die Kostenerstattungsgrenzen nach oben setzt. Im Ergebnis könnte diese gut gemeinte Maßnahme aber dazu führen, dass sich am Problem nichts ändert – dann nämlich nicht, wenn die Angebotsseite entsprechend reagiert und einfach das Preisniveau nach oben anpasst.

Viele Hartz IV-Empfänger stehen vor dem Problem, dass sie einen Teil ihrer tatsächlichen Unterkunftskosten aus ihren Regelleistungen bestreiten müssen und gleichzeitig gar nicht die Möglichkeit haben, in eine günstigere Wohnung umzuziehen, weil es vor Ort solche Wohnungen, um die ja viele konkurrieren, gar nicht gibt. Dies verweist auf das grundsätzliche Problem des Mangels an (bezahlbaren) Wohnraum an sich, der natürlich gerade in den Regionen/Städten, in denen die Wirtschaft gut läuft und die von Zuwanderungen profitieren, bereits heute Mangelware sind. Dieser Punkt verweist zugleich darauf, dass die nunmehr für diese Regionen von Teilen der Politik geforderten Mietpreisbegrenzungen den einen oder anderen im Bestand schützen könnten, aber zugleich nichts an dem Angebotsproblem, das zu wenige Wohnungen insgesamt zur Verfügung stehen, lösen würde. Ganz im Gegenteil könnte es durchaus am Ende zu weniger Neubauten im preiswerten Bereich kommen, weil durch die Preisgrenzen Investoren abgeschreckt werden oder sich auf andere Marktsegmente fokussieren. Wieder einmal zeigt sich an dieser Stelle, wie fatal es war, dass der Staate die Förderung des sozialen Wohnungsbaus so runtergefahren hat. Denn das war und ist das einzige Instrument, mit dem man eine Angebotsausweitung erreichen kann.
Wir befinden uns hier also in einem mehrfachen Dilemma und wirklich weiterführende Lösungsansätze werden dringend gesucht.