Die „Rentenreform“ schafft Arbeitsplätze. Bei Werbeagenturen. Ansonsten ist das noch eine große Baustelle

Eines kann man der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) mit Sicherheit nicht vorwerfen: dass sie sich zu viel Zeit lässt bei der Bearbeitung (bestimmter) sozialpolitischer Themen. Ganz im Gegenteil konnte man, nachdem die Große Koalition endlich die Arbeit aufgenommen hat, den Eindruck bekommen, hier werden in einem bislang nicht gekannten Tempo große „Reformprojekte“ auf den Weg gebracht. Neben dem Mindestlohn geht es dabei vor allem um die rentenpolitischen Vorhaben, also die „Rente mit 63“ sowie die „Mütterrente“. Angesichts der Komplexität der mit den angestrebten Veränderungen verbundenen Eingriffen in das Rentenrecht fast schon überfallartig wurden wir mit einem ersten Referentenentwurf konfrontiert. Nun ist es der normale Gang der Dinge, dass der Referentenentwurf der Bundesregierung in den Bundestag eingebracht wird, um dort von den Parlamentariern debattiert und verhandelt zu werden.  Es gibt ja bekanntlich den schönen Ausspruch, dass noch kein Gesetz den Bundestag so verlassen hat, wie es eingebracht worden ist. Sollte es anders sein, dann könnte man sich ja die Prozedur im Bundestag sparen.

Aber obgleich der parlamentarische Prozess noch gar nicht richtig begonnen hat, beschleunigte die Bundesarbeitsministerin gleichsam auf Überschallgeschwindigkeit und überraschte die Öffentlichkeit mit einer veritablen Werbekampagne für „Das Rentenpaket“.

Die – angeblich – frohe Botschaft, die mit dem (wohlgemerkt derzeit erst im Geburtskanal befindlichen) Rentenpaket der neuen Bundesregierung verbunden sein soll, wird bereits jetzt mit einem erheblichen Aufwand unters Volk gebracht. Dieser Aufwand lässt sich monetär sehr genau beziffern: 1,15 Millionen Euro lässt sich die Bundesregierung diese Image-Kampagne kosten. Die Kampagne ist bereits am 29. Januar, mit dem Kabinettsbeschluss zu dem ersten Referentenentwurf, gestartet worden. Und es sage keiner, die Große Koalition schaffe keine Arbeitsplätze. Für die Werbe-Agenturen gilt das mit Sicherheit nicht: »“Zum goldenen Hirschen“ kümmerte sich um die klassische Werbung, „Pixelpark“ ist für die Internetumsetzung verantwortlich und die PR-Arbeiten hat „Neues Handeln“ übernommen«, erfahren wir von Thorsten Denkler in seinem Artikel „1,15 Millionen Euro für die Rentenwerbung„. Allein für Print-, Außen und Onlinewerbung gibt das BMAS im Rahmen der Rentenkampagne fast 980.000 Euro aus. Es kann nicht überraschen, dass das nicht ohne Kritik geblieben ist.

Insofern überrascht die folgende Artikel-Überschrift nicht wirklich: „Rechnungshof prüft Nahles‘ Rentenkampagne„. Danach hat der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages einstimmig beschlossen, den Rechnungshof zu beauftragen, die hohen Ausgaben für diese Kampagne zu überprüfen.

Aber werfen wir einen Blick auf die tatsächliche Baustelle, als die man die rentenpolitischen Änderungen, die vorgenommen werden sollen, bezeichnen muss (für eine gute Übersicht über die „Rente mit 63“ und die „Mütterente“ vgl. auch die Fragen und Antworten zum Entwurf des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes seitens der Deutschen Rentenversicherung).

Markus Wehner hat seinen Artikel zu den geplanten Rentenreformen überschrieben mit „Ente mit 63„. Er erinnert an die Entfremdung zwischen Sozialdemokratie und Gewerkschaften vor allem aufgrund der Einführung der Rente mit 67, damals vorangetrieben von Müntefering in der letzten Großen Koalition 2005 bis 2009. Er argumentiert, dass die ebenfalls geplante Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns für eine Gewerkschaft wie Verdi wichtig sei, dies aber für die großen Industriegewerkschaften wie die IG Metall und die IG BCE nicht gilt, deren Beschäftigte alle weit oberhalb des vorgesehenen Mindestlohns verdienen. Diese Gewerkschaften organisieren gut verdienende Facharbeiter und dienen kann man vor allem durch eine Absenkung des Renteneintrittsalters entgegenkommen. Die Kritik seitens der Wirtschaftsfunktionäre wie auch von vielen Wirtschaftswissenschaftlern aus dem Mainstream fokussiert auf die „Rente mit 63“. das ist natürlich nicht überraschend, denn die Anhebung des Renteneintrittsalters gehört zu den Kernkomponenten der Politik der letzten Jahre, die nunmehr – zumindestens vorübergehend – infrage gestellt wird. Interessanterweise ist die „Mütterrente“ nur am Rande oder gar nicht Gegenstand der vielen kritischen Kommentare aus dieser Ecke. Darüber wird gleich noch zu sprechen sein.
Wie viele Personen aber haben Anspruch auf die Rente mit 63? Das Arbeitsministerium gibt in seinem Gesetzentwurf die Antwort: 200.000 Personen je Jahr.  Aber ist das wirklich so?

Das Politikmagazin „Kontraste“ kommt in einem Beitrag in der Sendung am 6. Februar dieses Jahres zu einem anderen Ergebnis. Unter dem Titel „Schwarz-rote Mogelpackung: Wer profitiert von der „Rente mit 63“?“ wird die Behauptung aufgestellt, »von der vermeintlichen Wohltat profitieren gerade mal 12.000 Arbeitnehmer im Jahr, und sie gilt auch gerade mal für vier Jahrgänge.« wie kommen die zu einer solchen Zahl?

»So waren von den 829.450 Neurentnern im Jahr 2012 gerade einmal 10.555 Männer und 1.751 Frauen mindestens 45 Jahre versichert. Dennoch behauptet die Ministerin unverdrossen, gut 200.000 Arbeitnehmern würde es zukünftig besser gehen.« Unabhängig davon weist der Beitrag auf einen ganz wichtigen Aspekten, der in der bisherigen Diskussion kaum Berücksichtigung gefunden hat:

»Von der reinen „abschlagsfreien Rente mit 63“ profitieren ab Juli gerade mal vier Geburtsjahrgänge und zwar nur die von 1949 bis 52. Danach erhöht sich das Renteneintrittsalter mit jedem Jahrgang um zwei Monate. Bereits für den Jahrgang 58 müsste es deshalb „Rente mit 64“ heißen. Und für alle, die nach 1963 geboren sind, gibt es die abschlagsfreie Rente erst ab 65. Doch in diesem Alter geht das heute schon nach 45 Beitragsjahren.«

Während dieser Aspekt in der Diskussion in den vergangenen Tagen völlig untergegangen ist, dominierte eine Debatte, in der auf die Gefahren einer möglichen neuen „Frühverrentungswelle“ abgestellt wurde.  Hierbei geht es um den Tatbestand, dass auch Zeiten der Arbeitslosigkeit als Beitrags Jahre angerechnet werden sollen. Da das Arbeitslosengeld I für die Beitragsjahre zählen wird, könnten Arbeitnehmer mit 61 Jahren noch zwei Jahre ALG I beziehen, um danach die abschlagsfreie Rente mit 63 zu beziehen. Unabhängig von den Tatbestand, dass sich zwischenzeitlich eine heftige Diskussion entwickelt hat, wie man mit Zeiten umgehen soll, in denen das Arbeitslosengeld II bzw. vorher Arbeitslosenhilfe, also steuerfinanzierte Leistungen, kann hinsichtlich der grundsätzlichen Anrechnungsfähigkeit von Arbeitslosigkeit aus den Reihen der Union der Vorschlag, eine Stichtagsregelung einzuführen. „Deshalb schlägt die Union den Stichtag zum 1. Juli 2014 vor, nach dem Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht mehr angerechnet werden“, so wird Karl Schiewerling von der CDU in dem Artikel von Wehner zitiert. Allerdings wird in diesem Artikel sogleich große Skepsis geäußert, ob das eine zulässige Variante darstellt:

»Denn durch die geplante Stichtagsregelung würden Personen aus ein und demselben Geburtsjahrgang unterschiedlich behandelt – je nachdem, ob ihre Arbeitslosigkeit vor oder nach dem Stichtag liegt. Eine solche Ungleichbehandlung wäre „ein absolutes Novum“ in der Sozialgesetzgebung, heißt es unter Bundestagsexperten. Und sie wäre mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes schwer vereinbar.«

Auch der DGB hat sich zwischenzeitlich zu Wort gemeldet und sieht die vorgeschlagene Stichtagsregelung äußerst kritisch: »Auch in Zukunft müssten Zeiten der Arbeitslosigkeit bei der Berechnung der notwendigen 45 Beitragsjahre voll berücksichtigt werden, zumal die Erwerbsbiografien der Jüngeren heute ohnehin viel brüchiger seien als früher«, so wird Annelie Buntenbach vom DGB-Bundesvorstand in dem Artikel „DGB gegen Stichtagsregelung bei Rente mit 63“ zitiert. Und weiter erfahren wir, was der DGB als Alternative vorschlägt:

„Wenn die Koalition tatsächlich ernsthaft in Sorge ist, dass die Rente mit 63 von den Arbeitgebern zur Frühverrentung missbraucht wird, kann sie solchen Strategien ganz einfach einen Riegel vorschieben, indem sie die Erstattungspflicht bei Entlassungen Älterer wieder einführt“, sagte Buntenbach. Unternehmen müssten dann die Sozialkosten für die zwischen dem 61. und 63. Lebensjahr in die Arbeitslosigkeit entlassenen Mitarbeiter selbst tragen. Eine solche Regelung war 2006 abgeschafft worden. Buntenbach: „Eine andere Variante wäre die Verbesserung des Kündigungsschutzes für Ältere.“

Ebenfalls konnte man in den vergangenen Wochen in der Diskussion über die geplanten Änderungen im Rentenrecht erleben, dass immer wieder die Grundsatzfrage aufgeworfen wurde, ob die Rente mit 63 wie auch die Mütterrente ein Geschenk an die ältere Generation auf Kosten der Jüngeren sei, die letztendlich die Zeche zu zahlen haben, da einerseits die zusätzlichen – erheblichen – Leistungen aus der Rentenversicherung selbst, also aus Beitragsmitteln finanziert werden sollen, andererseits aber die Jüngeren keinen Zugang zu diesen Leistungen haben werden. Ebenfalls wurde argumentiert, dass es sich gerade bei der Rente mit 63 um ein Privileg für die Männer handele, denn die meisten Frauen würden die Voraussetzungen schlichtweg nicht erfüllen können, um in den Genuss des vorzeitigen Ruhestands zu kommen.

In diesem Zusammenhang interessant ist ein Beitrag, den Ursula Engel-Kefer, bis 2006 stellvertretende Vorsitzende des DGB und bis 2009 Mitglied im SPD-Bundesvorstand, in der taz veröffentlicht hat: „Finanzbranche will Renten„, so ist der Beitrag überschrieben. Sie behauptet, dass gegenwärtig Konflikte geschürt werden zwischen Alt und Jung, Männern und Frauen, besser und schlechter Verdienenden sowie zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen. »Überdeckt wird damit der Verteilungskampf zwischen Wirtschaft und Finanzbranche einerseits sowie andererseits den Arbeitnehmern und Rentnern. Die Wirtschaft will die Arbeitskosten senken, Banken und Versicherungen wollen ein größeres Stück vom Kuchen der beitragsfinanzierten gesetzlichen Altersrente für ihre Kapitalanlagen«, so Engeln-Kefer. Unabhängig von diesem Frontlinien legt Engelen-Kefer den Finger in die Wunde sowohl der „Rente mit 63“ wie auch der so genannten „Mütterrente“:

»Der jetzige Koalitionskompromiss zur Rentenreform – Mütterrente für die Wähler der CDU/CSU und 63er-Regelung für diejenigen der SPD – ist ein rentenpolitischer „Flickenteppich“, der zu Recht von allen Seiten unter Beschuss genommen wird. Und die Bundesarbeitsministerin muss sich den Vorwurf der Klientelpolitik gefallen lassen … Verlierer dieser Rentenreform sind wieder einmal die Frauen. So bringt die Mütterrente zwar ein Stück ausgleichende Gerechtigkeit. Allerdings geht diese mit neuen Ungerechtigkeiten einher: So fehlt die Anrechnung eines dritten Rentenpunktes, wie er für die nach 1992 geborenen Kinder gilt. Finanzieren müssen die Kosten von etwa 6,7 Milliarden Euro im Jahr vor allem die Beitragszahler. Erst ab 2019 sollen pro Jahr mit 2 Milliarden Euro aus Steuermitteln noch nicht einmal ein Drittel der Ausgaben beigesteuert werden. Die Verschiebemanöver zwischen der gesetzlichen Altersversicherung und dem Bundeshaushalt werden damit fortgesetzt.«

In die gleiche Richtung geht auch die Kritik der Deutschen Rentenversicherung: Sie kritisiert, dass die Mütterrente allein zu Lasten der Beitragszahler geht – und fordert deren Finanzierung aus Steuermitteln.

»Der Vorstand sieht mit Sorge, dass die geplante Mütterrente mit einem Finanzierungsvolumen bis 2030 von rund 105 Milliarden Euro nahezu ausschließlich auf Kosten der Rentenversicherung bezahlt werden soll. Damit müssten vor allem die Beitragszahler zur Rentenversicherung die Finanzierungslasten der geplanten Mütterrente tragen.
Die Anerkennung von Kindererziehungsleistungen ist aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die daher von allen Steuerzahlern zu finanzieren ist. Es gibt aus Sicht des Vorstands keinen Grund, weshalb die Beitragszahler auch Mütterrenten für diejenigen finanzieren sollen, die nie selbst in die Rentenversicherung eingezahlt haben (z. B. Selbständige, Ärzte, Anwälte, Apotheker, Architekten)«, heißt es in einer Stellungnahme des Vorstandes der Rentenversicherung.

Die Rentenversicherung weist aus ihrer Sicht zu Recht darauf hin, dass die Gewährung von Entgeltpunkten für die Kindererziehung nur dann zulässig sei, wenn der Bund die Kosten durch entsprechende Steuermittel trägt, war bislang auch Auffassung des Gesetzgebers. In der Begründung des bereits 1986 in Kraft getretenen „Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetzes“ (HEZG) hieß es ausdrücklich, dass es sich bei der Anerkennung von Erziehungszeiten um eine Leistung des Familienlastenausgleichs handele, deren Finanzierung Aufgabe des Bundes sei.
Auch Ursula Engelen-Kefer kritisiert die von Bundesarbeitsministerin Nahles geplante „Rente mit 63“:

»Profitieren können von der Möglichkeit, mit 63 nach 45 Beitragsjahren ohne Abschläge in die Altersrente zu gehen, vor allem die besser verdienenden Männer mit durchgängigen Erwerbsbiografien. Allerdings müssen alle sozialversicherungspflichtigen Frauen zur Finanzierung dieser 63er-Regelung beitragen.«

Aber was schlägt sie als Alternative vor?

»Wenn es wirklich um soziale Gerechtigkeit gehen soll, muss die Rente mit 67 für alle ausgesetzt werden – zumindest so lange, bis quantitativ und qualitativ ausreichende Arbeitsplätze zur Verfügung stehen und die Betroffenen auch gesundheitlich zur Weiterarbeit in der Lage sind. Dies ist nachweislich nicht der Fall.«

Gerade die „Rente mit 63“ erhitzt die Gemüter – in die eine oder andere Richtung. Ein gutes Beispiel für die konträren Sichtweisen auf das Thema bietet die Pro-und-Contra-Thematisierung in der Süddeutschen Zeitung: »Mit ihrer Rentenreform anerkennt Arbeitsministerin Nahles die Leistung von Menschen, die sehr lange gearbeitet haben, findet Heribert Prantl. Aber sie passt nicht zu unserer alternden und schrumpfenden Gesellschaft, meint Marc Beise zur Rente mit 63.«

„Mütterrente“: Von der halbierten Gerechtigkeitslücke, der anteiligen Selbstfinanzierung durch die Rentner und dem Damoklesschwert der Systemfrage

Die Große Koalition meint es gut und hat ein Herz für Rentner – vor allem für die Mütter, so scheint es jedenfalls zu sein. Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD können wir auf der Seite 73 lesen: »Die Erziehung von Kindern ist Grundvoraussetzung für den Generationenvertrag der Rentenversicherung.« Und daraus leitet sie ein Vorhaben ab, das neben der abschlagsfreien Rente mit 63 nach 45 Versicherungsjahren gleich am Anfang der neuen Legislaturperiode umgesetzt werden soll: »Während Kindererziehungszeiten ab 1992 rentenrechtlich umfassend anerkannt sind, ist dies für frühere Jahrgänge nicht in diesem Umfang erfolgt. Diese Gerechtigkeitslücke werden wir schließen.« Wer kann etwas gegen die Schließung von Gerechtigkeitslücken haben? Trotzdem maulen viele an der Art und Weise der Umsetzung dieser Zielsetzung herum, dabei bezieht sich ein gewichtiger Teil der Kritiker auf die Finanzierung aus den Beitragsmitteln der Rentenversicherung. Aber auch das mit der Gerechtigkeit ist wie so oft in der Sozialpolitik eine nicht einfache Angelegenheit. Und immer noch viel zu wenig bekannt, geschweige denn diskutiert werden die Folgen der geplanten Verbesserungen der „Mütterrente“ für die zukünftige Entwicklung der Renten insgesamt. Steigen wir also hinab in die Tiefen bzw. Untiefen der Rentenmechanik und der multiplen Ungleichheit der Mütter.

Der geneigte Leser kann dann dem Koalitionsvertrag entnehmen, was man zu tun beabsichtigt: »Wir werden daher ab 1. Juli 2014 für alle Mütter oder Väter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, die Erziehungsleistung mit einem zusätzlichen Entgeltpunkt in der Alterssicherung berücksichtigen« (S. 73).  Das hört sich jetzt nicht nur sehr technisch an, das ist es auch – einschließlich der sich daraus ergebenden Folgen innerhalb des bestehenden Rentensystems.

Die Verbesserung der bislang geltenden Regelungen zur Anrechnung von Kindererziehungszeiten ist ein Hauptanliegen aus Reihen der Union, während die – hier nicht weiter thematisierte – abschlagsfreie „Rente mit 63“ bei 45 Versicherungsjahren vor allem ein Herzensanliegen der SPD mit Blick auf die Kernklientel aus den Gewerkschaften darstellt. Hinsichtlich der so genannten „Mütterrente“ gibt es seit 1992 eine nach dem Geburtsdatum der Kinder zweigeteilte Landschaft: Für alle Kinder, die vor dem Jahr 1992 geboren worden sind, gibt es einen Rentenpunkt gutgeschrieben, während es für die Kinder, die nach 1992 das Licht der Welt erblickt haben oder das noch tun werden, drei Rentenpunkte sind. In Euro-Beträgen ausgedrückt: Ein Rentenpunkt macht für jedes Kind einen Betrag aus in Höhe von 28,14 Euro brutto im Westen und 25,74 Euro im Osten monatlich. Das Vor-1992-Kind erbringt also 28,14 Euro pro Monat mehr Rente im Westen, während die Mütter für ein Nach-1992-Exemplar immerhin 84,42 Euro rausbekommen können. Das ist die im Koalitionsvertrag angesprochene „Gerechtigkeitslücke“, die man nun schließen will. Aus Sicht der betroffenen Mütter erscheint dies nachvollziehbarweise als längst überfällig – vor allem wenn man bedenkt, dass die Mütter der Kinder, die nach 1992 geboren worden sind oder noch geboren werden, deutlich bessere Chancen wie auch strukturelle Rahmenbedingungen hatten und haben, durch eine eigene Erwerbstätigkeit eigenständige Rentenansprüche zu erwerben. Dies war in den Jahren vor 1992 mit Sicherheit anders und wesentlich schwieriger als heute. Insofern könnte man sogar prima facie argumentieren, dass eigentlich diese Frauen besser gestellt sein müssten als die Frauen, die später ein Kind in die Welt gesetzt haben.

Das verweist auf die wichtige Frage, warum man diesen erheblichen Bruch zwischen den Kindern vor und nach 1992 überhaupt gemacht hat. Die Antwort auf diese Frage ist wie so oft in der Sozialpolitik relativ simpel: Es waren finanzielle Gründe – und genau diese Gründe sind auch die Ursache dafür, dass man seit 1992, was ja nun schon einige Zeit her ist, die nunmehr beklagte „Gerechtigkeitslücke“ keinesfalls geschlossen hat, was man ja längstens hätte tun können, denn meines Wissens hat die Union bereits seit 2005 in diesem Land die Regierungsverantwortung. Aber der Mechanismus ist natürlich einfach: Hätte man auch den Müttern der Kinder, die vor 1992 geboren worden sind, drei Rentenpunkte gutgeschrieben, dann hätte das unmittelbar erhebliche finanzielle Auswirkungen in der Rentenversicherung zur Folge gehabt, denn dann wären viele Mütter, die bereits im Rentenbezug sind, von dieser Leistung profitieren können und müssen. Hingegen waren und sind viele Rentenpunkte für Kinder, die erst nach 1992 geboren wurden, Leistungsversprechen, die erst irgendwann in der Zukunft eingelöst werden müssen, weil sie fällig werden, wenn die Mütter in 20 oder 30 Jahren in den Rentenbezug wechseln.

Nun kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass die hier angedeutete kritische Sicht auf die bisherige Zweiteilung der Anrechenbarkeit von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung ja nunmehr behoben werden soll durch die geplante Verbesserung seitens der großen Koalition. Es gibt ja kein wirklich nachvollziehbares sachbezogenes Argument, warum vor 1992 geborene Kinder in der Rente weniger „wert“ sein sollen als später geborene Kinder. Und wir wissen auch: Viele Frauen haben sehr niedrige Renten (im Schnitt 555 Euro) und Frauen mit Kindern haben im Schnitt weniger Rente als diejenigen ohne Kinder. Insofern kann und muss man sehen, dass eine Verdoppelung der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten für die betroffenen Frauen sehr wichtig wäre und von ihnen auch als eine gerechte Lösung angesehen wird.

Allerdings würde die gesetzgeberische Umsetzung des Versprechens aus dem Koalitionsvertrag konsequent betrachtet lediglich eine Halbierung der beklagten Gerechtigkeitslücke bedeuten, denn es ist ja nicht vorgesehen, dass die Mütter der Kinder, die vor 1992 geboren worden sind, mit den Müttern der jüngeren Kinder gleichgestellt werden, sondern die Differenz wird von zwei Rentenpunkte auf einen Rentenpunkt verkürzt. Und bereits diese gleichsam unvollkommene Schließung der Gerechtigkeitslücke verursacht Kosten in Höhe von 6,5 Milliarden Euro,was zugleich verdeutlichen kann, mit welchen erheblichen Ausgaben eine Angleichung verbunden ist und warum man bislang diesen Weg gescheut hat wie der Teufel das Weihwasser. Aber die Probleme hören an dieser Stelle nicht auf, sondern sie weiten sich erheblich aus, was mit der Mechanik des Rentenrechts zu tun hat.

Eine überaus instruktive Ausarbeitung zu den hier angedeuteten Problemen findet man in der folgenden Stellungnahme:

Schäfer, Ingo: „Mütterrente“. Gleichstellung mit Nebenwirkungen, Bremen: Arbeitnehmerkammer Bremen, November 2013.

Die Abbildung von Schäfer (2013: 2) verdeutlicht die derzeit gegebenen Zahlbeträge (also der ausgezahlten Renten, von denen die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, im Schnitt mehr als 10% der Bruttorente, abgezogen worden sind) – und die Auswirkungen auf diese Durchschnittsbeträge, wenn statt einem zwei Rentenpunkte je Kind berücksichtigt werden, so wie es derzeit geplant ist: »Die durchschnittlichen Zahlbeträge … bei Altersrenten von Frauen liegen je nach Kinderzahl (Geburten vor 1992) zwischen 651 Euro (keine Kinder) und 456 Euro (vier Kinder). Käme die „Mütter-Rente“ (ein zusätzliches Jahr Kindererziehungszeit für vor 1992 geborene Kinder) stiege die Rente mit zwei Kindern um rund 50 Euro auf 587 Euro (roter Balken). Bei vier Kindern läge die Rente dann im Schnitt bei 557 Euro. Die Durchschnittsrente von Frauen stiege um etwa 46 Euro auf 601 Euro.« Man sieht: Mütter (oder Väter) mit vor 1992 geborenen Kindern bekommen so höhere Renten – und insofern scheint doch der Ansatz zu funktionieren. Wie immer muss man genauer hinschauen und das hat Ingo Schäfer getan, dann wird eine Menge Wasser in den angeblichen Wein gegossen. Auch er sieht die Verbesserung, aber:

»Dies hilft jedoch nicht gezielt jenen, die in Armut leben. Und gleichzeitig könnte eine höhere „Mütter-Rente“ künftig das Risiko für Altersarmut sogar verschärfen. Das hat seine Ursache im sogenannten Nachhaltigkeitsfaktor«.

Jetzt wird es konkreter und etwas komplizierter. Schäfer beschreibt die anteilige Selbstfinanzierung der Rentner für die „Mütterrenten“-Ausweitung und stellt dabei ab auf den „Nachhaltigkeitsfaktor“ in der Bestimmungsformel für den aktuellen Rentenwert nach § 68 Abs. 4 SGB VI:

»Der sogenannte Nachhaltigkeitsfaktor wurde mit der Rürup-Reform in die Rentenanpassungsformel eingebaut. Er „dämpft“ die Rentenerhöhung, wenn die Ausgaben „übermäßig“ steigen. Die „Mütter- Rente“ würde die Ausgaben um sechseinhalb Milliarden Euro erhöhen. Der Nachhaltigkeitsfaktor sorgt dafür, dass die Rentnerinnen und Rentner einen Teil der Kosten (rund 1,6 Milliarden Euro) durch geringere Rentensteigerungen selbst bezahlen.«

Schäfer (2013: 4) weist auf zwei weitere problematische Aspekte hin:

»Die „Mütter-Rente“ würde … auch von den Müttern und Vätern mit bezahlt, die nach 1991 Kinder bekommen haben. Unabhängig von der Höhe ihrer Rente. Eine sicherlich unerwartete Umverteilung. Und ein neues Gerechtigkeitsproblem zwischen den Eltern mit vor bzw. ab 1992 geborenen Kindern.«

Und darüber hinaus:

»Der Nachhaltigkeitsfaktor hat aber noch eine weitere unerwartete Wirkung: Je mehr Kinder(- erziehungszeiten) die Eltern haben, wenn sie in Rente gehen, desto stärker dämpft der Nachhaltigkeitsfaktor die Rentenerhöhung. Würden die Menschen mehr Kinder bekommen, würde bei ihrem Renteneintritt das Rentenniveau relativ gesehen absinken. Damit würde also genau die Generation, die viele Kinder bekommen hat, dadurch Nachteile in der Rente haben. Darüber hinaus würden Beitragszeiten aus Erwerbstätigkeit entwerten, da die Rente im Verhältnis zum Einkommen geringer ausfällt.«

Man muss sich die Bedeutung dieser Aspekte klar vor Augen führen: Der von Schäfer beschriebene Mechanismus der Absenkung der an sich schon bescheidenen Rentenerhöhungen »kürzt das Rentenniveau, selbst wenn die „Mütter-Rente“ aus Steuergeldern bezahlt würde.« Das heißt, das Problem ist unabhängig von der in der öffentlichen Debatte aus guten Gründen geführten Auseinandersetzung, ob die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten aus Beitrags- oder nicht vielmehr – wie viele Kritiker fordern – aus Steuermitteln zu erfolgen hat.
Der Nachhaltigkeitsfaktor bewirkt also eine Umverteilung innerhalb der Gruppe der Rentnerinnen und Rentner und ist die eigentliche Problemstelle, die man angehen müsste – wovon „natürlich“ keine Rede ist.

Abschließend vor dem Hintergrund, ob die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten aus Beitragsmitteln der Rentenversicherung oder aber aus Steuermitteln zu finanzieren ist, weil es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt: Dies aus zwei exemplarisch hier herausgegriffenen Gründen:

  • Schauen wir uns die Argumentationslinie eines „klassischen“ Sozialversicherungsapologeten an. Franz Ruland, bis 2005 Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger und von April 2009 bis März 2013  Nachfolger von Bert Rürup Mitglied und Vorsitzender des Sozialbeirats der Bundesregierung, hat in einem Artikel in der Print-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung am 09.12.2013 unter der Überschrift „Unsolide und teuer“ geschrieben: »Die Finanzierung des Vorhabens aus Beiträgen ist falsch. Der Kinderlastenausgleich ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie ist daher aus Gleichheitsgründen aus Steuern zu finanzieren. Geschieht es über Beiträge, brauchen sich Beamte, Selbständige und Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze an den Kosten nicht zu beteiligen, obwohl sie oder ihre Ehegatten die „Mütterrente“ auch bekommen.« Das scheint auf den ersten Blick konsistent – allerdings führt das konsequent zu Ende gedacht angesichts der erheblichen Leistungsabsenkungen im Zusammenspiel mit den die Leistungshöhe bestimmenden Komponenten innerhalb des gegebenen Systems der Gesetzlichen Rentenversicherung dazu, dass in the long run tendenziell immer weniger Menschen eine Rente bekommen werden, die einen größeren Abstand zu den Leistungen aus dem Grundsicherungssystem aufweisen wird – weil die basalen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Absicherung aus der umlagefinanzierten Rentenversicherung bei vielen Menschen gar nicht erfüllt werden können (man denke hier an die Menschen mit niedrigen Einkommen, mit längeren Arbeitslosigkeitsphasen oder die vielen Frauen mit einer Teilzeitbeschäftigung). Nun kann man an dieser Stelle argumentieren, dass das ein sozialpolitisches System des Staates ist, das er dann eben über Transferleistungen wie die Grundsicherung bearbeiten muss und die dann eben steuerfinanziert, während sich das Versicherungssystem immer stärker kontrahiert auf den Kern der zu ihm passenden Lebensmodelle. In dieser Logik hat dann die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten eigentlich – wenn man ehrlich ist – keinen Platz (denn Platz haben sollte nur ein echtes Beitrags-Gegenleistungsverhältnis), aber wenn man die schon meint berücksichtigen zu müssen, dann sollten wenigstens die eigentlich angefallenen Beiträge durch Steuermittel vollständig refinanziert werden, was aber aus einer verengten versicherungsförmigen Perspektive immer nur eine Second-best-Lösung darstellen kann. Auf der anderen Seite gibt es Systemkritiker wie der Sozialrichter Jürgen Borchert, die ganz im Gegenteil auf die konstitutive Funktion der Kinder als zukünftige Beitragszahler hinweisen und auf die vielfache faktische Mehrbelastung der Familien im gegebenen System der Finanzierung unseres Rentenversicherungssystems, in dem nach seiner Meinung die kinderlosen Doppelverdiener am meisten profitieren würden. Aber auch diese mit viel Verve und Argumenten vorgetragene Position hat natürlich ihre Tücken, beispielsweise ist ja nicht jedes Kind automatisch Systemstabilisator der Rentenversicherung, denn wenn die Kinder selbständig arbeiten oder als Beamte, sind sie für das System „verloren“. 

Letztendlich führt das Kreisen um die Frage Beitrags- oder Steuerfinanzierung unter Aufrechterhaltung des gegebenen Systems in eine Sackgasse mit Blick auf die eigentlich anstehende Gestaltung der Zukunft der Alterssicherung. Und die müsste in einem echten Systemwechsel in der Rentenversicherung hin zu einem universellen Alterssicherungssystem bestehen, also der Absicherung wie auch Einbindung aller Einwohner unabhängig von ihrem Erwerbsstatus, aber herangezogen zur Finanzierung nach ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit. Das Grundmodell hierfür können wir in der Schweiz besichtigen, die nicht umsonst bei der Alterssicherung nicht nur ein solches universelles System implementiert haben, sondern das dann auch noch ausgestattet mit massiven Umverteilungselementen von oben nach unten, beispielsweise mit Mindestrenten und Maximalrenten und keinen Beitragsbemessungsgrenzen, die gerade die hohen Einkommen von der Finanzierung befreien. Aber diese Diskussion – ich kann darauf nur hinweisen – wird ja noch nicht mal embryonal geführt bei denen, die uns die kommenden vier Jahre regieren sollen/werden. Und das wird sich als das eigentliche Problem erweisen. Die zunehmenden Systemkonflikte mit der sich verändernden Arbeits- und Lebenswelt kann man auch bei der Frage einer „solidarischen Lebensleistungsrente“ oder der Frage der Erwerbsminderungsrenten aufzeigen. Kommt noch.

Die zunehmende Altersarmut ist gefühlt sicher, die Gewerkschaften wollen ein Vorsorgelager anlegen und die Beitragszahler sollen den Müttern (und dem Bundeshaushalt) was Gutes tun

Es ist schon ein mehrfach verschachteltes Trauerspiel, das mit und um die Rente aufgeführt wird. Was waren das noch für Zeiten, als beispielsweise in den 1980er Jahren mehr als 90% der Menschen der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung vertraut haben. Innerhalb weniger Jahre ist es interessierten Kreisen in den 1990er Jahren gelungen, dieses bis dahin stabile Vertrauensfundament in der Bevölkerung grundlegend zu zerstören. Das Wort „Rentenreformen“ steht mittlerweile paradigmatisch für das Gegenteil von dem, was in der Vergangenheit im politischen Raum eigentlich mal mit „Reform“ verbunden war: Umgestaltung und Verbesserung bestehender Verhältnisse, wobei die Verbesserung hier zu unterstreichen wäre. Statt dessen hat „Reform“ heute fast ausschließlich die Bedeutung eines zumeist technokratisch daherkommenden Kürzungsprogramms. Viele empfinden mittlerweile im sozialpolitischen Bereich nur die Erwähnung des R-Wortes als Bedrohungsszenario. Und Hand aufs Herz: Sie haben meistens auch allen Grund dazu.

Während die einen – denen es um eine Dekonstruktion der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente geht mit dem Ziel der Erschließung neuer Geschäftsfelder im Bereich der individualisierten privaten Altersvorsorge – die komplexen Prozesse der demografischen Entwicklung instrumentalisieren, um die Rentenversicherung sturmreif zu schießen (ohne natürlich auf den tiefen demografischen Treibsand der Kapitaldeckung hinzuweisen), herrscht immer noch bei nicht wenigen Versicherten ebenfalls eine Illusion hinsichtlich der Funktionsweise einer umlagefinanzierten Rentenversicherung. Die folgt eben nicht dem „Sparkassen-Modell“, die aktuellen Beiträge werden nicht angespart auf einem imaginären Rentenkonto, sondern direkt an die derzeit vorhandenen Rentner weitergeleitet. Und auf dem Rentenkonto der heutigen Beitragszahler sammeln sich Ansprüche darauf an, dass es in Zukunft mal vergleichbar ablaufen wird, worauf man hoffen darf, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Trotzdem glauben immer noch viele Versicherte, es handelt sich irgendwie doch um ein Ansparmodell „ihres“ Geldes.

In dieser Gemengelage muss dann wieder mal aus den Tiefen und Untiefen der Altersvorsorgeberichterstattung zitiert werden: „Die Angst vor Altersarmut wächst„, so hat Stefan Sauer seinen Artikel in der Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau überschrieben. Mittlerweile gehen 42 Prozent der Beschäftigten nach einer Erhebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes davon aus, dass ihre Rente zum Leben nicht ausreichen wird. Das sind vier Prozentpunkte mehr als noch 2012. Er bezieht sich hier auf die Ergebnisse einer Umfrage unter 5.800 Personen, die der DGB veröffentlicht hat: „So beurteilen die Beschäftigten die Rentenlage. Ergebnisse der Repräsentativumfrage des Instituts DGB-Index Gute Arbeit 2013„. Nun handelt es sich um Umfrageergebnisse und so sollte man die auch verstehen – insofern ist die Aussage auf dem Titelblatt der DGB-Veröffentlichung „42 Prozent werden von ihrer gesetzlichen Rente nicht leben können“ schlichtweg Unsinn, denn die glauben das – aber es könnten auch mehr oder eben weniger sein. Das ist jetzt keine Nörgelei, denn letztendlich bewegt sich die Qualität von solchen „Untersuchungen“ dann auf einem vergleichbar problematischen Niveau wie die immer wieder gerne verrissenen „Umfragen“ der anderen Seite, also der Finanzindustrie.

Apropos Finanzindustrie. Auch die hat sich mit den Ergebnissen einer Umfrage an die Öffentlichkeit gewandt, die zu unserem Themenfeld passt: Die vom Allensbach-Institut durchgeführte Postbank Studie „Altersvorsorge in Deutschland 2012/2013„.

  • Einige zusammenfassende Ergebnisse aus der Postbank-Studie: Die anhaltend niedrigen Zinsen hinterlassen Spuren bei der Bereitschaft der Bundesbürger zur Altersvorsorge. Knapp die Hälfte aller Berufstätigen will die private Altersvorsorge auch deshalb nicht mehr erweitern. Und bei denen, die noch weiter privat vorsorgen wollen, sind Immobilien gefragter denn je. Auf den Plätzen zwei und drei der Beliebtheitsskala beim Vorsorgeausbau liegen hinter dem Eigenheim zwei weitere Formen des „Betongolds“: Der Abschluss eines Bausparvertrages sowie der Erwerb von Immobilien zur Vermietung. Lebensversicherungen haben stark an Ansehen verloren. Die Pläne der Berufstätigen sind eindeutig: Nur noch fünf Prozent planen eine klassische Lebensversicherung mit Kapitalauszahlung abzuschließen. Und auch für eine private Riester-Rente interessieren sich nur noch neun Prozent der Berufstätigen, die ihre Altersvorsorge ausbauen wollen. Seit 2003 ist der Kreis der Berufstätigen, die nicht vermehrt vorsorgen wollen, um fast 60 Prozent gewachsen – auf den bisher höchsten in zehn Jahren gemessenen Stand. Die Fokussierung auf den Erwerb von Wohneigentum schlägt sich auch auf der Erwartungsseite nieder: Der Ruf nach stärkerer staatlicher Unterstützung beim Eigenheimerwerb wird laut. Fast 40 Prozent der Berufstätigen fordern dies. 89 Prozent der Befragten sehen Altersarmut künftig weiter zunehmen. 

Ein Befund aus der Postbank-Studie sei an dieser Stelle hervorgehoben: »…  zwei von drei Deutschen halten es … für falsch, die Rentenbeiträge, trotz der aktuellen Überschüsse in der Rentenkasse, zu kürzen«. Hier ist ein interessanter Link zu den Forderungen, die aktuell vom DGB vorgetragen werden. So wird Annelie Buntenbach vom DGB-Vorstand mit den folgenden Worten zitiert:

»Die Altersarmut, die uns in Zukunft droht, ist vermeidbar, wenn der Rentenversicherungsbeitrag nicht weiter gesenkt, sondern eine solidarische Demografie-Reserve in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgebaut wird. Der Beitragssenkungsstopp hat oberste Priorität, denn der Rentenbeitrag für das nächste Jahr muss noch im Herbst festgelegt werden. Wenn die in wenigen Jahren ohnehin notwendige Beitragsanhebung in kleinen, paritätischen Schritten vorgezogen wird, kann zumindest das heutige Rentenniveau auf lange Sicht finanziert und die Erwerbsminderungsrente armutsfest gemacht werden.«

In diesem Zusammenhang interessant: „Ökonom fordert Rückbesinnung auf gesetzliche Rente„, so berichtet es die Online-Ausgabe der Welt.  Rudolf Zwiener, Volkswirt am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, wird mit den Worten zitiert: »Die Auswirkungen der Niedrigzinsphase auf die privaten Rentenversicherungen machen deutlich, dass es falsch war, die gesetzliche Rente schrumpfen zu lassen und darauf zu setzen, dass die private Altersvorsorge die Lücke auffangen werde.« Geringverdienern oder Menschen, die erwerbsunfähig werden, fehle ohnehin das Geld für ein privates Sparprodukt. In körperlich belastenden Berufen wie auf dem Bau oder in der Pflege werde zudem das auf 67 erhöhte Renteneintrittsalter nicht erreicht. Auch wer mehr verdient, habe von den beiden kapitalgedeckten Rentensäulen, der privaten Altersvorsorge und den Betriebsrenten, vergleichsweise wenig – wenn man davon ausgeht, dass das niedrige Zinsniveau länger anhalten wird. Das bedeutet weniger Rendite auf den Kapitalmärkten und zugleich wollen die privaten Anbieter von Altersvorsorgeprodukten auch noch Kosten und vor allem ihre Gewinne abschöpfen.

Zwiener plädiert für eine Stärkung der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente: »Um zwei Prozent höhere Beitragssätze für Angestellte und Arbeitgeber über 20 Jahre reichten aus, um das jetzige Rentenniveau zu halten – trotz Bevölkerungsentwicklung. „Jetzt zahlt ein junger Arbeitnehmer deutlich mehr: Die private Rente zahlt er komplett allein und bei vielen Betriebsrenten sinkt der Arbeitgeberanteil.“ Zudem benötige er noch eine zusätzlich Absicherung gegen Berufsunfähigkeit.«

Aber noch ist nicht Schluss – es fehlen noch die Mütter. Und auch an diesem Beispiel kann man die Verwirrungen in der rentenpolitischen Debatte studieren: „Union will Mütterrente ohne Steuergeld bezahlen„, so Rainer Woratschka im Tagesspiegel. 6,5 Milliarden Euro kostet es zwar pro Jahr, wenn sich künftig, wie versprochen, für jedes vor 1992 geborene Kind die Rente des erziehenden Elternteils um einen Entgeltpunkt erhöht. Aber dafür brauche man keine Steuererhöhungen, weil man überhaupt keine Steuermittel brauche – die aus Beiträgen finanzierte Rentenkasse sei doch prall gefüllt. Die Politiker – unter ihnen der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundesstagsfraktion Volker Kauder – haben ihre begehrlichen Blicke geworden auf die Rekord-Rücklage der Gesetzlichen Rentenversicherung von derzeit mehr als 28 Milliarden Euro. Dies entspricht 1,58 Monatsausgaben – gesetzlich vorgeschrieben ist lediglich eine Reserve von 0,2. Allerdings sollte die Betonung auf dem Wort „derzeit“ liegen, denn diese Rücklagen können auch ganz schnell wieder zusammenschmelzen. Aber das ist gar nicht der entscheidende Einwand – sondern dass es sich um Beitragsmittel der Versicherten handelt.
Dazu Rainer Woratschka: »Bisher galt für die Honorierung von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung eine eherne Regel: Die Versicherer bekommen diese Ausgaben aus Bundesmitteln komplett erstattet. Schließlich handelt es um eine versicherungsfremde, vom Staat gewollte und nicht über Beiträge gedeckte Leistung. Im vergangenen Jahr kostete dieser Posten den Steuerzahler so mehr als 11,6 Milliarden Euro.« Franz Ruland, der Vorsitzende des Sozialbeirats der Bundesregierung, plädiert deshalb für eine Steuerfinanzierung. Eine Finanzierung aus Beitragsmitteln sei „ordnungspolitisch falsch“ – aber angenehm für den Bundeshaushalt, werden sich die Akteure in Berlin denken, die mit kleinen Geschenken glänzen möchten, die andere bezahlen sollen. Auch der DGB warnt die zukünftige Regierung vor einem Griff in die Sozialkassen, »eine Beitragsfinanzierung von ‚Mütterrenten‘ wäre ein gefährlicher Etikettenschwindel, denn am Ende bezahlen die Versicherten die Zeche mit höheren Beiträgen oder Leistungskürzungen.«