Da ist er schon, der Mindestlohn. Bevor sich die Parteien nach der Bundestagswahl überhaupt sortiert haben, wird schon wieder mit Studien hantiert

Diese Schlagzeile ist natürlich kein Zufall, sondern bewusst platziert: „Forscher halten Mindestlohn von 8,50 Euro für zu hoch„. Denn während die Parteien am Tag 2 nach der Bundestagswahl entweder noch staunend die knapp verpasste absolute Mehrheit betasten oder sich als Oppositionsparteien SPD und Grüne vor dem Anruf der Bundeskanzlerin fürchten, weil sie ahnen, was ihnen in einer Koalition drohen könnte/wird, versuchen alle möglichen Akteure ihre Anliegen und Inhalte in und über die Medien in das politische Grundrauschen einzuspeisen, damit sie bei den irgendwann dann doch anstehenden Koalitionsverhandlungen Berücksichtigung finden können. Und das angesichts der Bedeutung, die das Thema bei den Noch-Oppositionsparteien hat, in diesen Verhandlungen der Mindestlohn eine wichtige, symbolhafte Bedeutung bekommen wird, erscheint nun wirklich sehr plausibel.

Die Ausgangslage ist relativ einfach: Es geht um zwei Grundsatzfragen, die entschieden werden müssen:

  1. Soll es einen einheitlichen, gesetzlichen Mindestlohn geben, der quer über alle Branchen und Regionen Gültigkeit hätte oder doch eher ein System von zahlreichen nach Branchen und Regionen ausdifferenzierten Lohnuntergrenzen, die von den Tarifparteien zu vereinbaren wären, aber nur da, wo derzeit keine wie auch immer gearteten tariflichen Regelungen existieren?
  2. Und wenn es einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn geben würde, welche Höhe soll denn dieser allgemeine Mindestlohn haben? 8,50 Euro, 10 Euro gar – oder doch lieber erst mal deutlich unter diesen in der öffentlichen Debatte bereits gesetzten Werte bleiben?

Immer mehr in den Hintergrund rückt die bislang dominierende Grundlinie des Streits über den Mindestlohn an sich: Auf der einen Seite die Apologeten einer „Mindestlohn-löst-ganz-viele-Probleme“-Erwartungshaltung, auf der anderen Seite die Funktionäre der Wirtschaft wie auch großer Teile des deutschen Establishments der Wirtschaftswissenschaft, die mit der Einführung eines Mindestlohns den Teufel höchstselbst vor unserer Haustür klingeln sehen und teilweise – wie der Herr Sinn vom ifo-Institut – millionenfache Jobverluste im Kaffeesatz gefunden haben. Angesichts der neuen Machtverhältnisse seit der Bundestagswahl und der aus ihr entspringenden Zwangsläufigkeit einer wie auch immer gefärbten Koalition von Frau Merkel mit den Roten oder Grünen wird auch den Teufelsaustreibern klar sein, dass der Mindestlohn kommen wird. Also macht es Sinn, die Argumentationskraft zu fokussieren auf die letztendliche Höhe dieser Regulierung des Preises für den Faktor Arbeit.

So muss man dann wohl auch die neue Studie des DIW verstehen und einordnen, über die heute schon auf Spiegel Online berichtet wird, obgleich sie erst morgen der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll. Die Hauptbotschaft wird folgendermaßen zusammen gefasst: »Die möglichen Koalitionspartner der Union wollen einen Mindestlohn von 8,50 Euro. Doch der könnte laut einer DIW-Studie kleine Betriebe in Schwierigkeiten bringen und die Zahl der Minijobs steigen lassen. Die Forscher empfehlen, niedriger einzusteigen.« Das DIW konstatiert auf der einen Seite, dass die Einführung einer Untergrenze von 8,50 Euro demnach wie gewünscht die Ausbreitung von Niedriglöhnen in bestimmten Branchen bremsen könnte, ohne international tätige Unternehmen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden. Auf der anderen Seite wird hervorgehoben, dass insbesondere Kleinste- und Kleinbetriebe von einem Mindestlohn in dieser Höhe getroffen werden und versuchen müssen, die damit verbundenen höheren Kosten an die Verbraucher in Form höherer Preise weiterzureichen.

Zwar würden nach den DIW-Berechnungen immerhin 17% der Arbeitnehmer unmittelbar in Form höherer Stundenentgelte profitieren, aber zugleich wird darauf hingewiesen, dass – angeblich – nur etwa ein Viertel der zusätzlichen Lohnsumme in der Haushaltskasse ankommen wird. Das DIW betont außerdem, dass auch das Aufstocker-Phänomen größtenteils nicht wirklich gelöst wird, denn die Mehrheit der Aufstocker im Grundsicherungssystem gehen einer geringfügigen Beschäftigung nach – allerdings, das taucht in dem Beitrag nicht auf, würde der systematischen Subventionierung von Niedrigstlöhnen über Steuermittel ein gewisser Riegel vorgeschoben werden können.
Die DIW-Forscher befürchten deshalb, dass Arbeitgeber noch häufiger Minijobs anbieten würden. „Die Abkehr von Normalarbeitsverhältnissen zulasten der Sozialversicherungen könnte einen neuen Schub erhalten“, so ein Zitat aus der noch nicht veröffentlichten Studie – was allerdings auch so gelesen werden kann, dass man sich ja mal Gedanken machen könnte über die (Un-)Sinnhaftigkeit der Minijobs in der heutigen Form an sich.

Immerhin: „Es gibt keine eindeutigen Belege dafür, dass ein Mindestlohn zu Arbeitsplatzverlusten führt“, so die DIW-Studie.

Aber das DIW gibt sich pragmatisch: Die Einführung eines allgemeinen Mindestlohns sei ein „Feldexperiment“, das vorsichtig begonnen werden sollte. Es wird dafür plädiert, etwas tiefer als bei 8,50 Euro einzusteigen, eventuell bei sieben Euro. „Dann sollte man die Dosis langsam erhöhen – wenn es funktioniert.“

Während das DIW das große Menetekel Arbeitsplatzabbau für weitgehend gegenstandslos erklärt (wenn man es denn nicht übertreibt mit der Höhe), wirft Johannes Pennekamp in der FAZ genau diese Frage bereits in seiner Artikelüberschrift erneut auf den Markt: „Vernichten Mindestlöhne Arbeitsplätze?“ Und auch er bezieht sich bei dem Versuch, diese Frage zu beantworten, auf Studien, denn »die wissenschaftlichen Arbeiten, die die tatsächliche Wirkung strikter Lohnuntergrenzen untersucht haben, ergeben ein sehr viel differenzierteres Bild. In mehreren empirische Studien aus dem Ausland konnten keine negativen Beschäftigungseffekte festgestellt werden.«
Er verweist am Anfang seines Beitrags auf ein derzeit von den Mindestlohn-Gegnern gerne zitiertes Negativbeispiel:

»Als Musterbeispiel dafür, dass Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten oder den Einstieg in den Arbeitsmarkt von vornherein verhindern, gilt Frankreich. Der Mindestlohn betrug dort zuletzt 9,43 Euro, die Arbeitslosigkeit der 15 bis 24 Jahre alten Franzosen betrug im vergangenen Jahr nach OECD-Angaben beinahe 24 Prozent. Eine Reihe wissenschaftlicher Studien sieht einen direkten Zusammenhang … Und die französischen Ökonomen Peirre Cahuc und Stéphane Carcillo kamen im vergangenen Jahr zu dem Schluss, dass ein einprozentiger Anstieg der Arbeitskosten die Beschäftigung unter den Geringqualifizierten um ein Prozent reduziere.«

Aber wo das Schlechte verweilt, da ist das Gute nicht weit. Es gibt eben auch Positivbeispiele:

»Für Schlagzeilen sorgte vor zwei Jahren eine Studie aus den Vereinigten Staaten, in der Arbeitsmarktforscher der Eliteuniversität Berkeley zu dem Schluss kommen, das Mindestlohnerhöhungen „starke Verdiensteffekte und keine Beschäftigungseffekte“ nach sich ziehen. Aus der Masse empirischer Mindestlohnstudien ragte die Arbeit heraus, da die Forscher nicht nur isoliert zwei Regionen  – eine mit und eine ohne Mindestlohn – über einen kurzen Zeitraum miteinander verglichen. Sie betrachteten stattdessen Regionen im ganzen Land und griffen auf Daten aus einzelnen Counties (Landkreise) zurück. Da der Untersuchungszeitraum auf 16 Jahre ausgedehnt wurde, konnten auch Langzeitfolgen eingeführter oder erhöhter Mindestlöhne betrachtet werden. Am positiven Fazit der Forscher änderte das nichts.«

Auch  aus Großbritannien, einem Land, in dem seit vielen Jahren ein flächendeckender Mindestlohn existiert, werden positive Studienergebnisse berichtet. Und die haben mit der „Low Pay Commission“ auch ein durchaus interessantes und vor allem schlankes Verfahren der Festlegung der Mindestlohnhöhe gefunden, bei dem gerade die tatsächlichen Arbeitsmarkteffekte umfassende Berücksichtigung finden.

Wir dürfen gespannt sein, wie die Mindestlohndiskussion in die Koalitionsverhandlungen rein geht und wie sie wieder raus kommen wird.

Tiefen und Untiefen des branchenbezogenen Mindestlohns – am Beispiel des Wach- und Sicherheitsgewerbes

Vor drei Jahren wurde erstmals ein branchenbezogener Mindestlohn für das Wach- und Sicherheitsgewerbe eingeführt. Dieser bewegt sich regional in einem Korridor zwischen 7,50 Euro vor allem in den ostdeutschen Bundesländern bis zu 8,90 Euro in Baden-Württemberg.
Das Gegenüber der Gewerkschaft ver.di in diesem Bereich ist der Bundesverband der Deutschen Sicherheitswirtschaft (BDSW), der rund 850 Unternehmen der Branche vertritt. In den insgesamt etwa 4.000 Unternehmen der Sicherheitswirtschaft sind nach Verbandsangaben 183.000 Menschen beschäftigt, davon gut 100.000 in den Mitgliedsunternehmen des BDSW. Der Verband hatte sich mit ver.di im Jahr 2010 auf einen Branchen-Mindestlohn geeinigt, der dann vom Bundesarbeitsministerium für allgemein verbindlich erklärt wurde. Jetzt gibt es ein Problem, denn der BDSW hat »beschlossen, den bestehenden Mindestlohn-Tarifvertrag zum 31. Dezember zu kündigen«, berichtet Dietrich Creutzburg in seinem Artikel „Mindestlohn für Wachleute vor dem Aus„. Nun könnte man sagen, was ist denn daran wirklich berichtenswert, die Arbeitgeber versuchen doch nur, eine ihnen unliebsame Regelung zu kippen bzw. Druck aufzubauen im Kontext laufender Tarifverhandlungen. Aber wenn man genauer hinschaut, dann offenbart das Beispiel Wach- und Sicherheitsgewerbe zahlreiche strukturelle Probleme, die wir mittlerweile in diesem Bereich haben – und zugleich kann man ein wichtiges Argument der kategorischen Gegner eines gesetzlichen Mindestlohns kritisch beleuchten.

Die Arbeitgeberseite steht vor einem Problem, das sich erst auf den zweiten Blick richtig erschließt: Sie wollen keinen bundesweiten Mindestlohn-Tarifvertrag vereinbaren, der in den Ländern nicht akzeptiert wird, aber dort werden – gerade derzeit – Tarifverhandlungen geführt. Hintergrund ist eine Auseinandersetzung darüber, ob eine Einigung auf neue regionale Mindestlohnsätze auch eine bindende Wirkung für die regulären Tarifverhandlungen haben soll. Hört sich kompliziert an, meint aber „nur“ folgendes: »Die Arbeitgeber fordern von Verdi eine Zusage, dass die untersten Lohngruppen für die freiwillig tarifgebundenen Betriebe nicht anschließend in diesen Tarifrunden über das Niveau des Mindestlohns hinaus erhöht werden.« Aus Sicht der Arbeitgeber geht es also darum, von der Gewerkschaft die Zusage zu bekommen, die tariflichen Einstiegslöhne für freiwillig tarifgebundene Betriebe in den nächsten regulären Tarifrunden nicht über den Mindestlohn hinaus zu erhöhen.

An diesem Beispiel kann man ein Phänomen erkennen, mit dem sich gerade die Befürworter von Mindestlohnregelungen auseinandersetzen müssen: Dass die Gefahr besteht, dass eine Mindestlohngrenze faktisch zum Referenzpunkt für die tariflich vereinbarten Löhne wird, diese gleichsam substituiert.

Natürlich geht es auch um die Höhe des branchenbezogenen Mindestlohns, denn gleichzeitig haben die Arbeitgeber »vorgeschlagen, die Stundensätze je nach Region in einer Bandbreite von 3,4 bis 6,7 Prozent anzuheben. Für die Länder, in denen bisher 7,50 Euro gelten, sollten es künftig 7,90 Euro bis 8 Euro sein«, was für ver.di natürlich viel zu wenig ist, will die Gewerkschaft doch überall mindestens die 8 vor dem Komma und bis spätestens 2015 garantiert die 8,50 Euro pro Stunde in allen Regionen durchsetzen.

Hier wird erkennbar, wie stark die Wirkkraft „symbolischer Zahlen“ sein kann.

Als wenn das nicht schon genug ist, gibt es in der Branche auch noch einen Streit über tarifliche Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge. »Der BDSW fordert, die Zuschläge, derzeit je nach Region bis zu 100 Prozent des Grundlohns, zu senken und teilweise in den Grundlohn einzurechnen … Auf das Jahr gerechnet machen die Zuschläge laut BDWS im Durchschnitt 12 bis 15 Prozent des Grundlohns aus«, berichtet Creutzburg in seinem Artikel. Hier verbirgt sich eine weitere – gleichsam doppelte – Komplexitätssteigerung des Themas, denn es geht nicht nur – wie bei der Forderung gegenüber der Gewerkschaft, die tariflichen Einstiegslöhne nicht über das regionale Mindestlohnniveau anzuheben – um die Problematik der freiwillig tarifgebundenen Unternehmen in der Branche, die dann mehr zahlen müssten als den Mindestlohn, wenn diese Forderung nicht erfüllt wird. Es geht bei den Zuschlägen noch um eine andere Problematik: »Denn anders als der Grundlohn können die für tarifgebundene Betriebe geltenden Zuschläge nicht als allgemeinverbindlich erklärt werden; die nicht tarifgebundenen Betriebe können nicht verpflichtet werden, die Zuschläge zu zahlen.« Das bedeutet im Klartext: Wenn die Zuschläge so bleiben, dann ist das für die tarifgebundenen Unternehmen ein Kostennachteil gegenüber den nicht-tarifgebundenen Betrieben und damit in einem Markt, bei dem die Auftragsvergabe in weiten Teilen überwiegend oder gar ausschließlich preisgesteuert läuft, tödlich. Und jetzt die zweite Komplexitätssteigerungsstufe:

»Verschärft wird das Problem durch die mittlerweile in mehr als der Hälfte der Bundesländer geltenden Tariftreuegesetze, welche eine Mindestentlohnung zur Vergabebedingung bei öffentlichen Aufträgen machen – auch sie nehmen keine Rücksicht auf solche tariflichen Zuschläge. Für nicht tarifgebundene Betriebe reicht es aus, wenn sie den gesetzlich geforderten Lohn – in den meisten Ländern derzeit 8,50 Euro – garantieren. Ein tarifgebundener Betrieb muss dagegen auch die Zuschläge zahlen und hat daher bei der Auftragsvergabe schlechtere Karten. Öffentliche Aufträge machen laut BDSW je nach Region zwischen 20 und 60 Prozent des Geschäfts der Sicherheitsbranche aus.«

Im Zusammenspiel dieser beiden Mechanismen muss der BDSW natürlich befürchten, dass es zu Verbandsaustritten auf der Arbeitgeberseite kommen könnte bzw. wird. Und das wäre nun nicht nur für den Arbeitgeberverband ein Problem – sondern auch ganz schnell ein existenzielles Problem für den branchenbezogenen Mindestlohn an sich, worauf Creutzburg zu Recht hinweist: »Derzeit erreicht der BDSW eine Tarifbindung von 56 Prozent. Unterhalb von 50 Prozent wäre der Richtwert für tarifliche Branchenmindestlöhne nicht mehr erfüllt.« Rien ne va plus.

Abschließend noch eine Anmerkung: Gerade an diesem Fallbeispiel kann man sehen, dass eines der Hauptargumente der Gegner eines gesetzlichen Mindestlohns auf wackeligen Beinen steht: Die Drohung mit dem Verlust an Beschäftigung. Glaubt jemand ernsthaft, dass die Aufgaben, also die Wach- und Sicherheitsdienstleistungen, seitens der Auftraggeber eingestellt werden, wenn es einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro oder 9 Euro geben würde? Man wird kaum deswegen nach Rumänien abwandern (können). Auf der anderen Seite führt der Mindestlohn aber eben auch dazu, dass es weiterhin ein Spannungsverhältnis gibt zu darüber liegenden tariflichen Vereinbarungen. Auch das gehört zur Wahrheit.

Der Fortschritt ist eine Schnecke, die den Putzfrauen (und wenigen Putzmännern) höhere Löhne bringt, jedenfalls bei den Arbeitgebern, die sich daran halten

Der Fortschritt ist bekanntlich eine Schnecke und muss zuweilen in Cent-Beträgen gemessen werden. Wieder ein kleines Stück voran gekommen sind die Menschen, ganz überwiegend sind es Frauen, die als Gebäudereiniger arbeiten, denn für die wurden jetzt höhere Löhne vereinbart. Gewerkschaft IG BAU und die Arbeitgeber auf eine Erhöhung des Mindestlohns in der Branche, die derzeit aus etwa 20.000 Unternehmen besteht. Die Gewerkschaft IG BAU und die Arbeitgeber haben sich nach 14 Stunden und fünf Verhandlungsrunden auf eine Erhöhung des Mindestlohns in der Branche verständigt, die in zwei Stufen fällig wird:
»Für die Innenreinigung steigt er 2014 im Westen von neun auf 9,31 Euro pro Stunde, 2015 auf 9,55 Euro (Ost: 7,96 statt 7,56 Euro in 2014, 8,21 Euro in 2015). Für die Fassadenreiniger gilt im Westen ab 2014 ein Mindestlohn von 12,33 Euro pro Stunde, ab 2015 von 12,65 Euro (Ost: 10,31 und 10,63 Euro). Beide Seiten wollen 2019 einen einheitlichen Lohn in Ost und West,« berichtet Jahel Mielke in ihrem Artikel „Sauberer Abschluss für Gebäudereiniger„. Es geht hier immerhin nach Angaben des Bundesinnungsverbandes des Gebäudereiniger-Handwerks um 590.000 gewerblich Beschäftigte in dieser Branche.

Zwei Komponenten fallen besonders ins Auge: Zum einen haben wir es mit einem Branchen-Mindestlohn zu tun – was auch bedeutet, dass dieser Abschluss voraussetzt, dass die vereinbarte Lohnhöhe ab 2014 durch einen Erlass im Rahmen des Arbeitnehmerentsendegesetzes seitens des Bundesarbeitsministeriums für allgemeinverbindlich erklärt wird, damit alle Arbeitnehmer/innen in den Genuss der neuen Lohnhöhe kommen, denn in Betrieben, die dem Arbeitgeberverband angehören, sind 85% der Beschäftigten tätig. Zum anderen markiert die Jahreszahl 2019 als Datum für eine angestrebte Entgeltgleichheit zwischen Ost und West, dass immer noch und auf weitere Jahre ein Lohnunterschied zwischen West- und Ostdeutschland gemacht wird.

In dem Artikel von Mielke wird der Betriebsrat eines Gebäudereinigungsunternehmens zitiert, der darauf hinweist, der Mindestlohn »habe den „Wildwuchs“ in der Branche vermindert, die immer wieder wegen Lohndrückerei und schlechter Arbeitsbedingungen in die Schlagzeilen gerät«. Die in der Vergangenheit beobachtbaren Lohnspiralen nach unten durch das Ausspielen mehrerer miteinander konkurrierender Unternehmen sind dadurch eingedämmt worden. Gerade diese Branche zeigt – für die allgemeine Mindestlohndebatte relevant -, dass das immer wieder vorgetragene Argument, Mindestlöhne vernichten Arbeitsplätze, nicht haltbar ist. Dazu bereits grundlegend der Abschlussbericht des IAQ (2011): Evaluation bestehender gesetzlicher Mindestlohnregelungen – Branche: Gebäudereinigung. Man kann sich das natürlich auch gedanklich klar machen: Wenn alle Gebäudereiniger gezwungen sind, einen Mindestlohn zu zahlen und gleichzeitig die Umgehungsstrategien seitens der Auftraggeber begrenzt bleiben, dann wird wohl kaum ein nennenswerter Beschäftigungsverlust zu befürchten sein, denn die Auftraggeber werden kaum die Büros selber putzen.

Allerdings muss auch darauf hingewiesen werden, dass der bereits seit 2007 geltende Mindestlohn in der Branche immer wieder in der Praxis umgangen wird. Die Gewerkschaft sieht hier vor allem zwei Varianten, mit denen Reinigungsunternehmen versuchen, den Mindestlohn zu unterlaufen:
Zum einen werden Reinigungsdienstleistungen an Einzelselbständige ausgelagert, die dann als Subunternehmer fungieren.

Zum anderen wird auch in dieser Branche ein immer beliebterer Weg, um die Löhne zu drücken, von Werkverträgen berichtet.

In beiden Fällen gilt der Tarifvertrag und der damit der Mindestlohn für die Branche nicht. Und beide Varianten verdeutlichen einmal mehr, dass das Problem der Scheinselbständigkeit wie auch der Instrumentalisierung von Werkverträgen für Lohndumping unbedingt Einhalt geboten werden muss.

Hinzu kommt die Tatsache, dass sehr viele Arbeitsverträge befristet sind, so dass die davon Betroffenen permanent in Sorge sind, ob sie eine Verlängerung bekommen – eine „hervorragende“ Basis, um über die Differenz zwischen der theoretischen und der praktischen Arbeitszeit faktische Lohndrückerei zu betreiben. Reinigungskräfte, die beispielsweise drei Stunden am Tag arbeiten sollen und ihr Pensum nicht schaffen (können), würden häufig Überstunden machen (müssen) – und nicht selten trauen sich die Arbeitnehmer nicht, diese Mehrleistung abzurechnen, aus Angst, dass beispielsweise keine Entfristung vorgenommen wird (generell zum Thema befristete Beschäftigungsverhältnisse gibt es aktuelle Daten aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB): Befristete Beschäftigung – Aktuelle Zahlen aus dem IAB-Betriebspanel 2012, Nürnberg, 2013).

Der Vollständigkeit halber muss darauf hingewiesen werden, dass ein Großteil der Beschäftigten in dieser Branche Frauen sind und immer mehr von ihnen arbeiten als geringfügig Beschäftigte, woraus weitere arbeitsmarktliche Verzerrungseffekte resultieren, die in der allgemeinen Debatte über Sinn und vor allem Unsinn der Minijobs thematisiert werden. Aus Sicht der Gewerkschaft ist diese Entwicklung besonders problematisch. In dem Artikel von Jahel Mielke wird Zeynep Bicici, Fachreferentin bei der IG BAU, zitiert: „Vor 20 Jahren haben in erster Linie Hausfrauen als Gebäudereinigerinnen gearbeitet, die sich etwas dazuverdienen wollten, doch heute müssen viele der Frauen von ihren Jobs ihre Familien ernähren.“ Das ist dann sicher auch eine der Quellen für solche Meldungen: „Frauen müssen Einkommen häufiger aufstocken als Männer„, so Spiegel Online: Der Anteil erwerbstätiger Frauen ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen – doch für viele reicht es trotzdem nicht zum Leben: Laut einer Untersuchung müssen sie ihre Einkommen deutlich häufiger als Männer mit Hartz IV aufstocken. Alleinerziehende sind besonders stark betroffen.