Der Fortschritt ist eine Schnecke, die den Putzfrauen (und wenigen Putzmännern) höhere Löhne bringt, jedenfalls bei den Arbeitgebern, die sich daran halten

Der Fortschritt ist bekanntlich eine Schnecke und muss zuweilen in Cent-Beträgen gemessen werden. Wieder ein kleines Stück voran gekommen sind die Menschen, ganz überwiegend sind es Frauen, die als Gebäudereiniger arbeiten, denn für die wurden jetzt höhere Löhne vereinbart. Gewerkschaft IG BAU und die Arbeitgeber auf eine Erhöhung des Mindestlohns in der Branche, die derzeit aus etwa 20.000 Unternehmen besteht. Die Gewerkschaft IG BAU und die Arbeitgeber haben sich nach 14 Stunden und fünf Verhandlungsrunden auf eine Erhöhung des Mindestlohns in der Branche verständigt, die in zwei Stufen fällig wird:
»Für die Innenreinigung steigt er 2014 im Westen von neun auf 9,31 Euro pro Stunde, 2015 auf 9,55 Euro (Ost: 7,96 statt 7,56 Euro in 2014, 8,21 Euro in 2015). Für die Fassadenreiniger gilt im Westen ab 2014 ein Mindestlohn von 12,33 Euro pro Stunde, ab 2015 von 12,65 Euro (Ost: 10,31 und 10,63 Euro). Beide Seiten wollen 2019 einen einheitlichen Lohn in Ost und West,« berichtet Jahel Mielke in ihrem Artikel „Sauberer Abschluss für Gebäudereiniger„. Es geht hier immerhin nach Angaben des Bundesinnungsverbandes des Gebäudereiniger-Handwerks um 590.000 gewerblich Beschäftigte in dieser Branche.

Zwei Komponenten fallen besonders ins Auge: Zum einen haben wir es mit einem Branchen-Mindestlohn zu tun – was auch bedeutet, dass dieser Abschluss voraussetzt, dass die vereinbarte Lohnhöhe ab 2014 durch einen Erlass im Rahmen des Arbeitnehmerentsendegesetzes seitens des Bundesarbeitsministeriums für allgemeinverbindlich erklärt wird, damit alle Arbeitnehmer/innen in den Genuss der neuen Lohnhöhe kommen, denn in Betrieben, die dem Arbeitgeberverband angehören, sind 85% der Beschäftigten tätig. Zum anderen markiert die Jahreszahl 2019 als Datum für eine angestrebte Entgeltgleichheit zwischen Ost und West, dass immer noch und auf weitere Jahre ein Lohnunterschied zwischen West- und Ostdeutschland gemacht wird.

In dem Artikel von Mielke wird der Betriebsrat eines Gebäudereinigungsunternehmens zitiert, der darauf hinweist, der Mindestlohn »habe den „Wildwuchs“ in der Branche vermindert, die immer wieder wegen Lohndrückerei und schlechter Arbeitsbedingungen in die Schlagzeilen gerät«. Die in der Vergangenheit beobachtbaren Lohnspiralen nach unten durch das Ausspielen mehrerer miteinander konkurrierender Unternehmen sind dadurch eingedämmt worden. Gerade diese Branche zeigt – für die allgemeine Mindestlohndebatte relevant -, dass das immer wieder vorgetragene Argument, Mindestlöhne vernichten Arbeitsplätze, nicht haltbar ist. Dazu bereits grundlegend der Abschlussbericht des IAQ (2011): Evaluation bestehender gesetzlicher Mindestlohnregelungen – Branche: Gebäudereinigung. Man kann sich das natürlich auch gedanklich klar machen: Wenn alle Gebäudereiniger gezwungen sind, einen Mindestlohn zu zahlen und gleichzeitig die Umgehungsstrategien seitens der Auftraggeber begrenzt bleiben, dann wird wohl kaum ein nennenswerter Beschäftigungsverlust zu befürchten sein, denn die Auftraggeber werden kaum die Büros selber putzen.

Allerdings muss auch darauf hingewiesen werden, dass der bereits seit 2007 geltende Mindestlohn in der Branche immer wieder in der Praxis umgangen wird. Die Gewerkschaft sieht hier vor allem zwei Varianten, mit denen Reinigungsunternehmen versuchen, den Mindestlohn zu unterlaufen:
Zum einen werden Reinigungsdienstleistungen an Einzelselbständige ausgelagert, die dann als Subunternehmer fungieren.

Zum anderen wird auch in dieser Branche ein immer beliebterer Weg, um die Löhne zu drücken, von Werkverträgen berichtet.

In beiden Fällen gilt der Tarifvertrag und der damit der Mindestlohn für die Branche nicht. Und beide Varianten verdeutlichen einmal mehr, dass das Problem der Scheinselbständigkeit wie auch der Instrumentalisierung von Werkverträgen für Lohndumping unbedingt Einhalt geboten werden muss.

Hinzu kommt die Tatsache, dass sehr viele Arbeitsverträge befristet sind, so dass die davon Betroffenen permanent in Sorge sind, ob sie eine Verlängerung bekommen – eine „hervorragende“ Basis, um über die Differenz zwischen der theoretischen und der praktischen Arbeitszeit faktische Lohndrückerei zu betreiben. Reinigungskräfte, die beispielsweise drei Stunden am Tag arbeiten sollen und ihr Pensum nicht schaffen (können), würden häufig Überstunden machen (müssen) – und nicht selten trauen sich die Arbeitnehmer nicht, diese Mehrleistung abzurechnen, aus Angst, dass beispielsweise keine Entfristung vorgenommen wird (generell zum Thema befristete Beschäftigungsverhältnisse gibt es aktuelle Daten aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB): Befristete Beschäftigung – Aktuelle Zahlen aus dem IAB-Betriebspanel 2012, Nürnberg, 2013).

Der Vollständigkeit halber muss darauf hingewiesen werden, dass ein Großteil der Beschäftigten in dieser Branche Frauen sind und immer mehr von ihnen arbeiten als geringfügig Beschäftigte, woraus weitere arbeitsmarktliche Verzerrungseffekte resultieren, die in der allgemeinen Debatte über Sinn und vor allem Unsinn der Minijobs thematisiert werden. Aus Sicht der Gewerkschaft ist diese Entwicklung besonders problematisch. In dem Artikel von Jahel Mielke wird Zeynep Bicici, Fachreferentin bei der IG BAU, zitiert: „Vor 20 Jahren haben in erster Linie Hausfrauen als Gebäudereinigerinnen gearbeitet, die sich etwas dazuverdienen wollten, doch heute müssen viele der Frauen von ihren Jobs ihre Familien ernähren.“ Das ist dann sicher auch eine der Quellen für solche Meldungen: „Frauen müssen Einkommen häufiger aufstocken als Männer„, so Spiegel Online: Der Anteil erwerbstätiger Frauen ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen – doch für viele reicht es trotzdem nicht zum Leben: Laut einer Untersuchung müssen sie ihre Einkommen deutlich häufiger als Männer mit Hartz IV aufstocken. Alleinerziehende sind besonders stark betroffen.

Der Mindestlohn muss ante portas sein. Auch die Fleischindustrie will sich bewegen. Und wieder einmal Armutsflüchtlinge und unsichtbare Pflegekräfte

Ach, der Mindestlohn. Scheinbar ist jetzt auch die FDP, die letzte Bastion des vom Aussterben bedrohten Mittelstandes, auf den Pfad der sozialistischen Untugend eingeschwenkt, denn seit dem Parteitag vom letzten Wochenende plädiert auch diese Partei – wenn auch nur mit knapper Mehrheit beschlossen –  für die Möglichkeit, Lohnuntergrenzen einzuführen: in bestimmten Branchen und Regionen, wenn es denn nicht anders geht. Und trotz des vernehmlichen Grummelns in der eigenen Partei geht ein Teil des Führungspersonals in die Offensive und fordert die Union zu Verhandlungen auf, den Ansatz regional differenzierter Branchen-Lohnuntergrenzen noch vor der Bundestagswahl umzusetzen – wohl wissend, dass für ein solches Unterfangen die Zeit schon abgelaufen ist, aber der Union wird ein schöner Wahlkampftrumpf aus der Hand geschlagen, hatte die doch offensichtlich vor, auf die Mindestlohnforderungen von SPD und Grünen immer darauf hinweisen zu können, dass man ja auch Lohnuntergrenzen wolle, nur der kleine Koalitionspartner würde sich sträuben. Das wird jetzt schwieriger. 

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Friseure wollen sich an den Haaren aus dem Niedriglohnsumpf ziehen. Mittellos, mangelernährt und in der Meisterschule. Tariflohn als „Vermittlungshemmnis“

Immer diese Arbeitsbedingungen. Man kommt schon gar nicht hinterher mit dem Sammeln, geschweige denn Bewerten der vielen Berichte aus den Tiefen und Untiefen des Arbeitsmarktes. Aber beginnen wir mit einer positiven daherkommenden Meldung, die überrascht hat: Ab August 2015 ist für einen großen Teil der deutschen Friseursalons ein Mindestlohn von 8,50 Euro Vorschrift. Darauf haben sich die Gewerkschaft Ver.di und die Arbeitgeber geeinigt. Noch gilt der Tarifvertrag aber nicht für die gesamte Branche. Dieser Durchbruch – aber auch die noch offenen Fragen – wurden auf der Facebook-Seite von „Aktuelle Sozialpolitik“ kommentiert.

Diese Einigung auf den Einstieg in einen Mindestlohn bei den Friseuren hat auch deshalb eine so große Bedeutung, weil in diesem Bereich die Voraussetzungen für die Einführung eines Mindestlohnes äußerst schwierig sind. Denn aufgrund des Überangebots an Friseuren besteht die große Gefahr, dass es zu Ausweichreaktionen kommt, beispielsweise in die Schwarzarbeit, die bereits heute in diesem Bereich eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Und besonders relevant wird hier die Bereitschaft oder eben auch Nicht-Bereitschaft der Kunden sein, das mit dem Mindestlohn notwendigerweise verbundene höhere Entgelt auch zu zahlen, damit die Friseurgeschäfte die höheren Lohnkosten ausgleichen können. 

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