Ein trojanisches Pferd? Ehrliche Suchbewegungen? Arbeitszeitflexibilixierung als „kontrolliertes Experiment“ und die Semantik des Grundeinkommens bei Managern

In der Sozialpolitik ist immer eine Menge Bewegung. Nicht selten sogar zu viel Bewegung, wenn man den Ausstoß des Gesetzgebers in den sozialpolitischen Handlungsfeldern betrachtet, denn nicht selten werden wir Zeugen einer Verschlimmbesserung bestehender rechtlicher Regelungen, zuweilen auch realer Verschlechterungen unter dem nett daherkommenden Deckmantel der „Rechtsvereinfachung“, wie man das gerade erst besichtigen konnte am Beispiel der letzten Änderungen im SGB II, die als „Rechtsvereinfachungsgesetz“ verkauft wurden. Und mittlerweile ist ja der Regelfall der, dass man nicht einmal hinterherkommt mit dem Sammeln der Änderungen, geschweige denn, dass man ausreichend Zeit hat, die (möglichen) Auswirkungen in Ruhe zu durchdenken. Und schon wird wieder eine neue sozialpolitische Sau durchs Dorf getrieben. Meistens bleibt man im morastigen Klein-Klein stecken.

Da ist die Gleichzeitigkeit der Ankündigung bzw. der Erwähnung ganz grundsätzlicher, ja sogar systemverändernder Vorschläge ein Ereignis, das besondere Aufmerksamkeit generiert. Natürlich vor allem dann, wenn es sich um Protagonisten handelt, denen man die jeweilige Position eigentlich nicht wirklich zugetraut hätte, sondern eher im Gegenteil.

In diesen Tagen werden wir Zeuge einer solchen Gleichzeitigkeit der weit ausgreifenden Vorschläge. Beginnen wir mit der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), die sich erkennbar müht, ihr bisheriges Image aus früheren Tagen, eine Vertreterin des „linken Flügels“ der SPD zu sein, endlich loszuwerden und als „modern“ zu gelten. Dazu verwendet sie konsequent das Instrumentarium der Besetzung von Themen – oder sagen wir besser der begrifflichen Hülsen, die irgendwie die Zukunft symbolisieren (sollen). „Arbeit 4.0“ ist so eine Hülse, als Pendant zur Industrie 4.0 gedacht. Ein echtes Zukunftsthema, bei dem man auch in der Wirtschaft (endlich) reüssieren könnte. Also hat Nahles von Anfang an sehr viel Ressourcen und Zeit ihres Ministeriums auf dieses Thema fokussiert und man kann sicher ohne Übertreibung sagen, dass ihr das mehr liegt als die Abarbeitung des im Koalitionsvertrag vereinbarten Pflichtenkatalogs (von der Rente mit 63 über den Mindestlohn bis hin zu einigen Änderungen bei Leiharbeit und Werkverträgen). Das war Pflicht, „Arbeit 4.0“ hingegen ist die Kür, mit der sie die bereits im Landeanflug befindliche Legislaturperiode der großen Koalition beenden und gleichsam abrunden möchte und ihrem eigenen Standing eine neue Richtung zu geben hofft.

Am Anfang des Prozesses stand ein Grünbuch Arbeiten 4.0 – als Ausgangspunkt für den Dialogprozess Arbeiten 4.0. Natürlich gibt es auch eine Website, die man unter www.arbeitenviernull.de erreichen kann. Und es wurden zwei „Werkhefte“ veröffentlicht und ein „Tool“ zum Thema Werthielten. Alles ganz modern und dennoch harte Arbeit symbolisierend. Am 29. November 2016 wird sie dann das seit April 2015 vorbereitete und ausformulierte „Weißbuch Arbeiten 4.0“ der Öffentlichkeit vorstellen – und sie lässt schon mal gezielt Luft aus dem Kessel der „innovativen Ideen“, die da auf uns zukommen sollen.

Und dafür hat sie dann eine schöne Schlagzeile von dem Blatt bekommen, das man gemeinhin mit Wirtschaft assoziiert – der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die FAZ schreibt: Nahles gibt Startschuss für große Experimente mit der Arbeitszeit. Und in der Untertitelung erfahren wir: »Die Bundesarbeitsministerin kündigt im F.A.Z.-Interview an, in einer zwei Jahre langen Testphase neue Arbeitszeitregeln zu erproben. Aus der Wirtschaft kommen schon viele Bewerbungen.« Nur das Handwerk habe sich bislang noch nicht gerührt, kann man dem Artikel entnehmen.

Es soll um nicht weniger gehen als die »Anpassung der starren deutschen Arbeitszeitregeln an die digitale Zukunft.« Arbeitgeber und Beschäftigte wünschten sich hier mehr Flexibilität. Daher werde sie mit der Vorlage des „Weißbuch Arbeit 4.0“ Ende November eine zweijährige Experimentierphase eröffnen, so die Ministerin. Sie wird dann mit diesen Worten zitiert:

„Wenn die Tarifpartner sich einigen, kann man den Rahmen der bestehenden Gesetze öffnen. Aber nur unter zwei Bedingungen: zwei Jahre befristet, wissenschaftlich begleitet, tarifvertraglich gesichert.“

Und auch hier schimmert es durch, der neue Glanz des Un-Ideologischen, mit dem man sich bemänteln möchte, um auch bei den anderen Gefallen zu finden: „Bei der Arbeitszeit sind viele schnell in den alten Schützengräben. Ich möchte, dass wir aus den Schützengräben herauskommen.“ So die Ministerin. Eine gesetzliche „Experimentierklausel“ solle vom Kabinett verabschiedet werden und man könne dann 2017 starten.

Also, für eine befristeten Zeitraum können Experimente dergestalt durchgeführt werden, dass die Beteiligten von den (weiter) bestehenden rechtlichen Regelungen, die ja meistens Schutzregelungen für die Arbeitnehmer sind, abweichen können. Aber dabei müsse es nicht bleiben: Das Arbeitszeitgesetz solle allenfalls geändert werden, „wenn die Experimentierphase ergibt, dass das sinnvoll und notwendig ist“.

Was muss man sich genauer darunter vorstellen? Dazu aus der Meldung Nahles kündigt Experimentierphase für flexibles Arbeiten an:

»Tarifpartner sollten vereinbaren können, für welche Gruppen und unter welchen Bedingungen Öffnungen denkbar seien. Nahles führte Bosch als Beispiel an: „Dort wollten Mitarbeiter früher nach Hause – zum Abendessen und Gute-Nacht-Geschichten-Vorlesen – und dafür freiwillig nach 20 Uhr weiterarbeiten, aber der Arbeitgeber wollte nicht die fällige Spätschichtzulage zahlen.“ Per Betriebsvereinbarung habe man den Wegfall der Zulage bei freiwilliger Abendarbeit ermöglicht.«

Endlich werden die einen jubeln, geht man ran an die alten Arbeitszeit-Zöpfe aus einer vorvergangenen Zeit, die einfach nicht mehr passen. Und auch die Beschäftigten wollen es doch flexibler haben. Aber so einfach ist es natürlich nicht. Die Arbeitszeitfrage ist eine der ganz zentralen Fragen für den „klassischen“ Arbeitnehmer, die Regelung, das heißt die Einhegung des an sich unbegrenzten Zugriffs auf die menschliche Arbeit ist gleichsam in die „klassische“ sozialpolitische DNA eingebrannt. Und die damit immer auch verbundenen Macht-Aspekte im Verhältnis von Arbeit und Kapital wurden auch in diesem Blog immer wieder thematisiert, vgl. beispielsweise am 3. August 2015 der Beitrag Der Acht-Stunden-Tag ist nicht mehr zeitgemäß. Und wer will schon von gestern sein? Aber so einfach darf man es sich nicht machen oder am 24. Juli 2015 der Beitrag Arbeitszeit: Schneller und vor allem immer mehr, wenn es denn der einen Seite passt. Zur Arbeitgeber-Forderung nach einer „Flexibilisierung“ des Arbeitszeitgesetzes. Und der eine oder andere wird sich an die aufgeregte Mindestlohn-Debatte erinnern. Da ging es vordergründig darum, dass man über die Höhe des Mindestlohns gestritten hat und ob der als Jobkiller wirken wird. Aber man denke hier an eine ganz bestimmte Branche, die sich durch besonders lautstarken Protest hervorgetan hat – das Hotel- und Gaststättengewerbe. Genau an dem kann man zeigen, dass das eigentliche Problem von vielen Akteuren in dieser Branche weniger oder gar nicht die 8,50 Euro waren (und sind), sondern die mit dem Mindestlohngesetz einhergehenden Dokumentationspflichten der Arbeitszeit. Vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Die Aufregung über den gesetzlichen Mindestlohn scheint langsam hinter den Kulissen zu verschwinden. Ein besonderer Grund, erneut hinzuschauen vom 18. Mai 2015. Dort konnte man nach Prüfung der These vom angeblichen „Bürokratiemonster“ Mindestlohn lesen: „Das eigentliche Problem ist das Arbeitszeitgesetz“:

»Sagen wir es in aller Deutlichkeit: Ganz offensichtlich ist es so, dass das Mindestlohngesetz mit der aus ihm resultierenden Verpflichtung, die Arbeitszeiten der Beschäftigten zu dokumentieren, vor allem deshalb als Problem wahrgenommen wird, weil dadurch gleichsam offensichtlich wird, dass man gegen das Arbeitszeitgesetz verstößt. Dann ist aber die Regelung der Beschränkung der Höchstarbeitszeit im Arbeitszeitgesetz das eigentliche „Problem“, nicht aber der Mindestlohn. Der kann nichts dafür, wenn ein anderes Gesetz (bisher) umgangen wurde, was jetzt schwieriger wird, weil mit einem Mindeststundenlohn, der nur dann nachvollziehbar ist, wenn es eine Dokumentation der geleisteten Arbeitsstunden gibt, denn ansonsten kann man den nicht überprüfen. Da beißt die Maus keinen Faden ab.«

Diejenigen, die Böses ahnen, werden die angekündigten „kontrollierten Experimente“ nur als eine vorgeschaltete Phase der letztendlichen Deregulierung des Arbeitszeitgesetzes und des damit verbundenen Schutzes der Arbeitskraft sehen. Und verlieren werden viele Arbeitnehmer, das sie sich nicht werden wehren können gegen die Übergriffigkeit der Arbeitgeber, die angesichts des Wettbewerbsdrucks gezwungen sind, möglichst alle Potenziale der maximalen Ausnutzung der Arbeitskraft zu heben.

Man kann das aber auch anders sehen, optimistischer. Warum nicht endlich mal etwas ausprobieren, in einem – wie Nahles das plant – durch die Tarifvertragsparteien geschützten Rahmen, also unter Beteiligung der Gewerkschaften, die schon aufpassen werden, dass das nicht aus dem Ruder läuft. Und bei einer entsprechenden Begleitung hat man die Chance, auch und gerade die Seite der Beschäftigten genauer in den Blick zu nehmen.

Es soll und kann hier zum jetzigen Zeitpunkt keine Antwort gegeben werden, ob die pessimistische oder die optimistische Variante zutreffend ist. Das gilt auch für den zweiten Sachverhalt, über den es zu berichten lohnt.

Da hat die Süddeutsche Zeitung ihren „Wirtschaftsgipfel“ veranstaltet. Herausgekommen ist eine interessante und in Zeiten der Aufmerksamkeitsökonomie mit dem knappen Gut Aufmerksamkeit gut platzierte Meldung: Siemens-Chef plädiert für ein Grundeinkommen. Das sitzt und wird begeistert-zustimmend oder irritiert-ablehnend zur Kenntnis genommen. Schauen wir genauer hin, was in dem Artikel berichtet wird:
Ausgangspunkt ist ein thematischer Rahmen, in dem sich auch die im ersten Teil dieses Beitrags angesprochenen Denkübungen von Nahles & Co. bewegen: Industrie und Arbeit 4.0:

»Bis zum Jahr 2025 werden 1,5 Millionen traditionelle Arbeitsplätze in Deutschland verschwinden und durch eine in etwa gleich große Zahl von anspruchsvollen Computerbedienjobs ersetzt, hat das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit gerade prognostiziert.«

Gemeint ist diese Studie:

Marc Wolter et al. (2016): Wirtschaft 4.0 und die Folgen für Arbeitsmarkt und Ökonomie. Szenario-Rechnungen im Rahmen der BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsfeldprojektionen. IAB-Forschungsbericht, Nr. 13/2016, Nürnberg 2016

Und jetzt kommt der oberste Siemens-Manager ins Spiel:

»Als Konsequenz dieses digitalen Wandels fordert jetzt Siemens-Chef Joe Kaeser eine bessere soziale Absicherung für die Menschen. Es würden absehbar „einige auf der Strecke bleiben, weil sie mit der Geschwindigkeit auf der Welt einfach nicht mehr mitkommen“, warnte Kaeser auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel. Auf sie warten könne man jedoch nicht, denn dann würden Deutschland und Europa verlieren. Also müsse die Gesellschaft dafür sorgen, „dass die Menschen versorgt sind“; sie müssten sehen: „Da ist einer da, der hilft mir.“ Deshalb werde „eine Art Grundeinkommen völlig unvermeidlich sein“ … Chris Boos, der ebenfalls mit hochintelligenten Maschinen Geld verdient, sekundiert: „Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Weg, den notwendigen gesellschaftlichen Wandel vom Erhalt zum Neubau so zu gestalten, dass er sozialverträglich wird.“«

Sehr ihr, auch „die“ Wirtschaft unterstützt den Gedanken eines bedingungslosen Grundeinkommens, werden die einen jubeln. Während die anderen darin nur den Versuch sehen, sich der lästigen Beschäftigungsfrage zu entledigen und damit der Teilhabe über Erwerbsarbeit. Oder die befürchten, dass das ganze nur der Absenkung der Löhne dienen soll, denn man kann die Leute ja verweisen auf das Grundeinkommen.

Dabei sind die Äußerungen der Manager auf dem Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung nur eine Fortsetzung dessen, was bereits auf dem Weltwirtschaftsgipfel im schweizerischen Davos begonnen hat und durch Äußerungen aus dem Silicon Valley gestützt wird. Vgl. dazu aus meinem Beitrag Mit dem Herz dafür, aber mit dem Kopf dagegen? Oder mit dem Verstand dafür, aber ohne Herz? Das „bedingungslose Grundeinkommen“ ist (nicht) krachend gescheitert vom 7. Juni 2016:

»Sehr viel mit Geld zu tun hat auch der den einen oder anderen vielleicht irritierenden Aspekt, dass die Idee eines Grundeinkommens Unterstützung bekommt von Technologie-Gurus aus dem Silicon Valley … Es gibt nicht wenige Stimmen, die das für eine „vergiftete Unterstützung“ halten, denn – so der Vorwurf, angesichts der Verarmung und der parallelen Konzentration des Wohlstands bei einer sehr kleinen Gruppe von Wohlhabenden gerade in den USA fürchten die Effizienz-Maschinen des digitalen Zeitalters, dass sie zwar immer mehr und schneller mit immer weniger Menschen produzieren können, ihnen dann aber schlichtweg die Nachfrageseite wegbricht. Und kaufen müssen die Leute schon.
In diesem Zusammenhang muss man dann auch das hier zur Kenntnis nehmen: »Ausgerechnet im elitären Weltwirtschaftsforum kommt ein Vorschlag auf, der sonst nur als Idee von Sozialromantikern abgetan wird«, berichtete Ulrich Schäfer in seinem Artikel Davos diskutiert über das Grundeinkommen. Auch hier wieder tauchen zwei Stränge auf: Zum einen das Silicon Valley und zum anderen die immer wieder kolportierte These, dass die digitale Revolution viele menschliche Arbeitskraftkinder fressen wird … Menschliche Arbeit und Einkommen müssten voneinander entkoppelt werden. Überall Bewegung bei diesem Thema, wenn auch eher auf einer suchenden Art und Weise. Dennoch kann und muss man diesen Strang durchaus kritisch sehen, denn hier geht es wohl eher primär darum, die wegbrechende Nachfrageseite aufgrund der die Ungleichheit potenzierenden Marktprozesse wieder einzufangen.«

Sofort stellen sich zahlreiche  Anschlussfragen, wie beispielsweise nach der Höhe des Grundeinkommens. Aber auch hier gilt, dass man einfach zur Kenntnis nehmen muss, dass die bekannten oder erwarteten Frontlinien aufbrechen, dass eine Menge in Bewegung gekommen ist.

Abschließend sei hier mit Blick auf den Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung ein anderer dort vorgetragener Gedanke besonders hervorgehoben, über den man dringend nachdenken sollte und muss:

Als in einem Panel über Künstliche Intelligenz (KI) diskutiert wurde, stellte Yvonne Hofstetter fest: „Die Schere geht immer weiter auf, die menschliche Arbeit hat immer weniger Anteil an der Produktivität.“ Ausgerechnet sie, die Gründerin eines KI-Dienstleisters, also gewissermaßen eine Profiteurin dieser superschnellen Rechner, mahnte eine Systemdebatte an: „Kann man weiter die Arbeit so stark besteuern, oder muss man nicht schauen, ob man oben beim Kapital etwas macht?“

Experimente an Lebenden mit kleiner Dosis. In Finnland und den Niederlanden geht es um ein bedingungsloses Grundeinkommen light und Sozialhilfe-Laborversuche

Das Thema bedingungsloses Grundeinkommen bewegt. Für die einen handelt es sich um ein unrealistisches Unterfangen, dass nicht finanzierbar sei (oder wenn, dann auf einem „Hartz IV light“-Niveau), was eine Verschlechterung im Vergleich zu heute bedeuten könnte. Die anderen sehen darin einen ultimativen Lösungsansatz für zentrale gesellschaftliche Probleme und verweisen auf den emanzipatorischen Gehalt eines ordentlich dimensionierten Grundeinkommens.
Nun gab es vor kurzem im Umfeld der Volksabstimmung in der Schweiz eine erneute Aufmerksamkeitswelle für dieses Instrument, auch wenn die Abstimmung selbst für die Befürworter ziemlich deutlich gescheitert ist (vgl. dazu den Beitrag Mit dem Herz dafür, aber mit dem Kopf dagegen? Oder mit dem Verstand dafür, aber ohne Herz? Das „bedingungslose Grundeinkommen“ ist (nicht) krachend gescheitert vom 7. Juni 2016).

Aber die Diskussion über das Thema wird weitergehen, auch in Deutschland. Hier wird sogar über eine Parteineugründung berichtet (vgl. aus der Berichterstattung darüber beispielsweise Geld für alle, und zwar schnell sowie Bündnis gründet Grundeinkommenspartei). In diesen Kreisen wird jede mögliche Aufmerksamkeit für das Projekt natürlich mit Sympathie aufgenommen und verbreitet. Und dazu gehört auch der Verweis, dass in anderen Ländern bereits erste Umsetzungsschritte eingeleitet werden. Also angeblich.

Da passen natürlich solche Schlagzeilen, vor allem, wenn die Leser nur die Überschriften zur Kenntnis nehmen: Finnland wagt das Grundeinkommen. Liest man weiter, so stößt man sogleich auf die Relativierung: »Das skandinavische Land startet das interessanteste sozialpolitische Experiment des 21. Jahrhunderts. 2000 arbeitslose Bürger sollen monatlich 560 Euro bekommen, ohne dass irgendeine Bedingung an die Auszahlung geknüpft ist«, so André Anwar.

Wir haben es also mit einem Experiment zu tun, von dem wir erfahren, dass sich »nach langem Hin und Her und vielen Szenarien der staatlichen Rentenanstalt Kela … die rechtsliberale Regierung in Helsinki entschlossen (hat), 2000 arbeitslosen Bürgern zwei Jahre lang 560 Euro monatlich auszuzahlen. Das Geld ist steuerfrei und an keinerlei Bedingungen geknüpft. Die Bürger werden zufällig ausgesucht. Wer unter den Empfängern staatlicher Leistungen ausgewählt wird, muss mitmachen. Zwischen 25 und 58 Jahre als sollen die Probanden sein. Sie müssen bislang Arbeitslosenhilfe erhalten haben. Arbeitssuchende, die bereits höhere Sozialleistungen erhalten, sind vom Auswahlverfahren ausgeschlossen. Das Grundeinkommen soll keine Bestrafung sein.«

Was dort also bereits seit längerem geplant und nun auf die Zielgerade gesetzt wurde, bringt Bengt Arvidsson in der Überschrift seines Artikels so auf den Punkt: Finnland testet Grundeinkommen light.
Zacharias Zacharakis berichtet in seinem Artikel 560 Euro, einfach so, den finnischen Wirtschaftsminister Olli Rehn, der vor 2015 Währungskommissar der Europäischen Union war, zitierend:

„560 Euro ist nicht weniger, als man durch Sozialhilfe und andere Leistungen in Finnland jetzt schon bekommt“, sagt Rehn. Der wichtigste Unterschied sei aber: „Jeder Euro, den man dazuverdient – auch in einem Niedriglohn- oder Teilzeitjob – wird das Einkommen der Menschen erhöhen.“ Dieser Verdienst komme zum Grundeinkommen hinzu und werde nicht mit der Sozialhilfe verrechnet wie bisher – und wie es auch in Deutschland üblich ist … „Das wichtigste Ziel ist herauszufinden, wie wir die Anreize zur Arbeit erhöhen können“, sagt Rehn. Obwohl ja gleichzeitig die soziale Absicherung gewährleistet sein soll. Es ist die größte Unbekannte in der Diskussion um ein Grundeinkommen, die Frage nach dem Menschenbild: Ist ein Bürger gewillt zu arbeiten, wenn der Staat sein Existenzminimum absichert?

Dabei muss man natürlich berücksichtigen, dass der Betrag von 560 Euro so niedrig ist, dass man davon in Finnland nicht komfortabel leben kann, mithin also von dieser Seite von vornherein wieder ein Zwang zur Arbeit eingebaut ist, der den Idealisten unter dem großen und sehr breiten Dach dessen, was als „bedingungsloses Grundeinkommen“ tituliert wird (vgl. dazu die grobe Typologie der ganz unterschiedlichen Anhänger des Ansatzes in diesem Beitrag), sicher nicht gefallen kann und wird.

Weitere Restriktion im Design des geplanten Experiments: Nur Arbeitslose sollen das Geld erhalten, die ohnehin auf staatliche Hilfe angewiesen sind.
Dazu bereits mein Beitrag vom 8. Dezember 2015: Das bedingungslose Grundeinkommen könnte kommen – möglicherweise, in Finnland. Und dann erst einmal als „experimentelles Pilotprojekt“.

Nun kommt also ein Experiment mit einigen ausgewählten Menschen und das wurde von einem Mitte-rechts-Regierungsbündnis. Ist deswegen die andere Seite des politischen Spektrums dagegen? Keineswegs, wie Zacharakis in seinem Artikel verdeutlicht, in dem er Touko Aalto, den Vizevorsitzende der Grünen-Partei, zitiert:

„Wir müssen lernen, mit anderen Erwerbsbiografien umzugehen, als früher“, sagt Aalto. Teilzeitmodelle, Bildungsauszeiten, häufigere Jobwechsel und zeitweilige Selbstständigkeit seien heute viel eher üblich. Ein Grundeinkommen könne den Menschen Sicherheit bieten, um sich in einer dynamischen Arbeitswelt kontinuierlich fortzubilden und sich den Herausforderungen durch die Digitalisierung stellen zu können. Es entstehe eine große Flexibilität, die der Jobmarkt dringend brauche … Auch die geringe Summe von 560 Euro unterstützt seine Partei – der Anreiz zur Arbeit solle schließlich erhalten bleiben. „Aber wir finden den Versuchsaufbau nicht richtig. Es sollte mindestens 10.000 Teilnehmer geben und nicht nur Arbeitslose, um validere Ergebnisse zu erhalten. Auch sollte das Pilotprojekt bis 2018 ausgeweitet werden. Das wäre dann natürlich etwas teurer.“
Zustimmung im Grundsatz und eine Kritik am Versuchsaufbau. Aber keine Infragestellung der durchaus als restriktiv und im Sinne eines Hinzuverdienstmodells begrenzten Ansatzes.

Nun gibt es noch aus einem anderen Land von Experimenten mit lebenden Menschen zu berichten, die einer durchaus vergleichbaren Logik folgen – gemeint sind die Niederlande. Von dort berichtet Thomas Kirchner unter der weit greifenden Überschrift Die Freiheit der Bedürftigen: »Die Niederlande experimentieren mit Sozialhilfe ohne Bedingungen. Sie wollen wissen, wie sie die Empfänger motivieren. Mancher sieht Parallelen zum bedingungslosen Grundeinkommen.« Aber zuweilen sieht man ja auch vor lauter Nebel gar nicht wirklich was.

Schaut man sich den geplanten Versuchsaufbau bei unseren Nachbarn an, dann wird als Gemeinsamkeit zum finnischen Ansatz deutlich, dass es auch hier um die Frage der Arbeitsanreize geht, während die Abweichung zu den Finnen darin besteht, dass die Rahmenbedingungen dessen, was man dort testen will, noch restriktiver ausgestaltet sind als in Finnland:

»Die Regierung hat den Weg für die Testreihen in Utrecht, Groningen, Tilburg und Wageningen durch eine Ausnahmegenehmigung freigemacht. Sie gestattet Abweichungen von einem erst im vergangenen Jahr in Kraft getretenen Gesetz, das Hilfsempfängern weit reichende Mitwirkungspflichten auferlegt, etwa die Pflicht, sich regelmäßig zu bewerben. Außerdem erlaubt die Regierung den Teilnehmern einen Zuverdienst von bis zu 199 Euro im Monat. Die Wissenschaftler von der federführenden Universität Utrecht hatten sich mehr gewünscht, wollen aber trotzdem am 1. Januar starten. Sie bilden Gruppen mit 100 bis 150 Teilnehmern, die seit mindestens sechs Monaten von Sozialhilfe leben. Einer Gruppe werden keinerlei Bedingungen gestellt. Eine zweite erhält einen Bonus, falls sie eine bestimmte Aktivität durchführt; die dritte bekommt den Bonus vorab und verliert ihn, falls sie die gewünschte Aktivität unterlässt. Die vierte Gruppe besteht aus jenen, die zuverdienen dürfen. Und bei einer bleibt alles wie bisher. Nebenher werden in Utrecht auch Stressniveau, Gesundheit und Zufriedenheit der Teilnehmer gemessen. Die Tests in anderen Städten sind ähnlich gestaltet.«

Die beschriebenen Ansätze werden sicher viele Wissenschaftler erfreuen angesichts der damit verbundenen Möglichkeit der Datenproduktion und der vielen Folgearbeiten, die sich dann auftun. Generell könnte man argumentieren, dass es auch Deutschland gut tun würde, endlich mehr experimentelle Sozialpolitikforschung zu betreiben – allerdings kann man auch kritisch einwenden, ob man angesichts der vielen Einflussfaktoren und der Interdependenzen gesellschaftlicher Systeme wirklich substanzielle Erkenntnisse gewinnen kann und ob das Messen an Teilnehmern von Versuchs- und Kontrollgruppen nicht eine Wissenschaftlichkeit vorgaukelt, die nur als „unterkomplex“ angesichts der scheinbaren Komplexität des Gemessenen daherkommt.

Und wenn man gemein ist, könnte man versucht sein zu behaupten, auch die, die gar kein Interesse an Grundeinkommensmodellen haben, können sich entspannt zurücklehnen, denn man kann jetzt immer darauf verweisen, dass man „den Ansatz“ ja experimentell ausprobiere und das braucht eben seine Zeit, bis man zu Erkenntnissen kommt.

Man könnte aber auch die These in den Raum stellen, dass das alles nicht oder wenn, dann nur marginal mit dem zu tun hat, worum es bei einem „bedingungslosen Grundeinkommen“ eigentlich geht oder gehen sollte und dass die beobachtbare Verengung auf die Prüfung einer Komponente, nämlich die Wirkungen auf die Erwerbsarbeitsanreize, zu einer Fehlwahrnehmung des Konzepts an sich beitragen wird.

Wie dem auch sei, man sollte diese Versuche an lebenden Subjekten nicht überschätzen, so wie sie sich derzeit darstellen bzw. abzeichnen.

Mit dem Herz dafür, aber mit dem Kopf dagegen? Oder mit dem Verstand dafür, aber ohne Herz? Das „bedingungslose Grundeinkommen“ ist (nicht) krachend gescheitert

Wer hat’s erfunden?
Nun ja, sicher nicht die Schweizer.

Aber mit ihrer Volksabstimmung über die Einführung eines „bedingungslosen Grundeinkommens“ haben sie in vielen anderen Ländern die Diskussion über das Für und Wider dieses Ansatzes befeuert (für die europäische Ebene der Befürworter vgl. das Basic Income European Network). Auch bei uns in Deutschland. Es wurde aufmerksam verfolgt, dass man in dem Land mit den vielen Bergen und Tälern am Sonntag, dem 5. Juni 2016, die Bevölkerung darüber abstimmen ließ, ob ein solches Grundeinkommen eingeführt werden soll oder nicht (vgl. dazu die Website der Initiatoren der Abstimmung: www.grundeinkommen.ch). Der Initiativtext der Eidgenössischen Volksinitiative «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen», der am Sonntag zur Abstimmung stand, ist nun wirklich mehr als schlank formuliert:

»Die Bundesverfassung vom 18. April 1999 wird wie folgt geändert:
Art. 110a (neu) Bedingungsloses Grundeinkommen
1. Der Bund sorgt für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens.
2. Das Grundeinkommen soll der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen.
3. Das Gesetz regelt insbesondere die Finanzierung und die Höhe des Grundeinkommens.«

Dieser Antrag hat in den Monaten vor der Abstimmung (relativ gesehen) immer mehr Befürworter auch in der Schweiz gefunden, wofür es natürlich viele und unterschiedliche Gründe gibt. Claudia Blumer hat in dem Artikel Die Schwachen unter Generalverdacht auf diesen einen Aspekt hingewiesen: »Das soziale Klima ist härter geworden. Das gibt dem Grundeinkommen Auftrieb.« Das ist ein Aspekt, der in Deutschland sicher noch ausgeprägter ist und teilweise auch erklären kann, warum hier bei uns bei vielen eine bewusst-unbewusste Sympathie für den scheinbar umfassenden Lösungsansatz zu beobachten ist – und das bei manchen zu einer ultimativen Lösung der sozialen Sicherungsproblematik stilisiert wird.

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