Was ist noch normal und was ist schon krank, was ist nicht zu vermeiden und wo muss man was tun? Die gesundheitliche Lage der Studierenden und der höchst ambivalente Lockruf des Geldes. Zugleich eine Frage nach dem (Un)Sinn des Scheiterns

2,7 Millionen Studie­rende im Winter­semester 2014/2015 – noch nie waren so viele Studierende an den deutschen Hochschulen eingeschrieben, meldete bereits im November des vergangenen Jahres das Statistische Bundesamt. Und für viele Bildungspolitiker markiert das Jahr 2013 eine historische Zäsur in unserem Bildungssystem, denn in diesem Jahr haben erstmals mehr zumeist junge Menschen ein Hochschulstudium aufgenommen als eine duale Berufsausbildung angefangen. Der eine oder die andere wird sich an dieser Stelle zu Recht erinnert fühlen an die seit einigen Jahren laufende Debatte über einen (angeblichen) „Akademisierungswahn“ in unserer Gesellschaft und dem schrittweisen Absinken des doch ebenfalls angeblich weltweit so einmaligen deutschen Berufsausbildungssystems in eine Risikozone mit wenig Sauerstoff für die Akteure und einem möglicherweise anstehenden Tod auf Raten. Darum aber soll es an dieser Stelle gar nicht gehen. Auch nicht um die Tatsache, dass die steigenden Studierendenzahlen auf ein System treffen, das nicht nur höchst komplex angelegt und seit Jahren an den Auswirkungen eines „Systemwechsels“ (gemeint ist hier die Umstellung auf die Bachelor-/Master-Studiengänge im Gefolge der deutschen Umsetzung der „Bologna-Reformen“) laboriert, verbunden mit der Tatsache, dass es sich bei den Hochschulen um die pädagogischen Einrichtungen handelt, die zum einen die schlechtesten Relationen zwischen Lehrpersonal und Lernenden aufweisen, zum anderen treffen die Studierenden hier auf die ansonsten im Bildungssystem recht einmalige Konstellation, dass der Großteil der Lehrenden per Akklamation zu „Pädagogen“ erklärt worden ist, die sie aber gar nicht sind und bei denen man dann hoffen kann und muss, dass sie sich pädagogisch „richtig“ verhalten, wobei das „Richtige“ in der Pädagogik bekanntlich eine eigene Dimension darstellt.

In diesem Kontext muss man dann folgende Meldungen zur Kenntnis nehmen: »Der Trend steigender Fehlzeiten setzt sich fort. 2014 waren Erwerbspersonen durchschnittlich 14,8 Tage krankgeschrieben. Das entspricht einem Krankenstand von 4,06 Prozent, der damit um 1,0 Prozent höher liegt als im Jahr zuvor. Dabei sind insbesondere Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen erneut gestiegen. Besonders besorgniserregend sind die gesundheitlichen Belastungen unter Studierenden. Bei dieser Gruppe zeigen die Auswertungen eine deutliche Zunahme an Verordnungen von Psychopharmaka«, berichtet die Techniker Krankenkasse (TKK) unter der Überschrift Mehr als jeder 5. Studierende bekommt eine psychische Diagnose. Die gesundheitliche Lage der Studierenden ist der Themenschwerpunkt des neuen Gesundheitsreport der TKK (Gesundheitsreport 2015. Gesundheit von Studierenden).

Die beunruhigend daherkommende Botschaft wurde sogleich aufgegriffen von den Medien: Mit Alkohol gegen Prüfungsstress, so hat die FAZ ihren Artikel überschrieben, die Ärzte Zeitung behauptet gar Viele Studenten sind depressiv, womit man schon sehr weit geht, denn das kommt wie eine Tatsache daher, wobei man anmerken sollte, dass eine Diagnose gerade in diesem Bereich durchaus erst einmal eine Vermutung oder vielleicht sogar nicht zutreffend sein kann.

Zuerst einmal einige Erkenntnisse aus dem Gesundheitsreport 2015 der TKK. Zur Datenbasis sei angemerkt: Die TKK hatte für die Erhebung Arzneimittel- und Diagnosedaten von rund 190.000 Studierenden ausgewertet und diese mit den Daten von gleichaltrigen Berufstätigen verglichen. Ergänzend dazu war auch ein repräsentativer Querschnitt von 1000 Studentinnen und Studenten zu ihrem Lebensstil befragt worden.

Bei 21,4 Prozent der Studierenden in Deutschland wurde 2013 eine psychische Erkrankung diagnostiziert. Die Betroffenen litten am häufigsten unter einer Depression. Der Anteil der Studierenden mit einer psychischen Diagnose ist somit seit 2009 um 4,3 Prozent gestiegen. 4,3 Prozent der Studenten haben 2013 eine Psychotherapie begonnen, rund sechs Prozent ließen sich stationär behandeln. Knapp vier Prozent der Studierenden erhielten Antidepressiva. Mit rund 257 Tagesdosen im Jahr wurden sie somit über zwei Drittel des Jahres mit Medikamenten versorgt.
Hinzu kommt ein „Geschlechter-Bias“, denn betroffen sind vor allem die Studentinnen. Bei rund 30 Prozent von ihnen wurde 2013 eine psychische Störung diagnostiziert, doppelt so häufig wie bei ihren männlichen Kollegen (15 Prozent).

Susanne Werner berichtet in ihrem Artikel Viele Studierenden sind depressiv auch über eine Interpretation der Befunde, die scheinbar fassungsfähig daherkommt zu den Erwartungen, die viele mit solchen Daten verbinden werden:

»Der Grund für die zunehmenden Diagnosen psychischer Störungen ist offenbar im „Stresslevel auf dem Campus“ zu finden. Rund die Hälfte der Studierenden gaben in der Befragung an, regelmäßig unter Stress zu stehen, etwa ein Viertel fühlte sich sogar „unter Dauerdruck“.
Zu den zentralen Belastungsfaktoren zählten die Befragten Prüfungsstress, Doppelbelastung durch Studium und Jobben, finanzielle Sorgen, die Angst vor schlechten Noten sowie das Bangen, später keinen Job zu finden.«

Das wird sicher auch die erste Vermutung vieler Leser gewesen sein und mithin deshalb „passungsfähig“, weil es sich einordnen lässt in einen allgemeinen Diskurs über die „krankmachenden“ Strukturen unserer Leistungsgesellschaft und dem „zunehmenden“ Druck, dem die Beschäftigten ausgesetzt seien. Insofern rundet das ein Bild ab, in dem beispielsweise auch auf die (angeblich) stark steigende Zahl an Jugendlichen und selbst Kindergartenkindern mit psychischen  Problemen hingewiesen wird.

Ein genauerer Blick lohnt wie so oft. Wenn von „Studenten“ die Rede ist, denken die meisten ob bewusst oder unbewusst sicher sofort und nur an junge Menschen, die nach der Schule eine Studium beginnen. Vor diesem Hintergrund ist der folgende altersdifferenzierte Befund aus dem Gesundheitsreport 2015 der TKK interessant, auf den Weber hinweist:

»Im Vergleich zeigt sich, dass die psychischen Erkrankungen stark ab dem 27. Lebensjahr ansteigen. Die Raten der psychischen Diagnosen der Studierenden übersteigen dann deutlich entsprechende Erkrankungen bei jungen Erwerbstätigen.
„Ab 32 Jahren bekommen Studierende beider Geschlechter etwa doppelt so viele Antidepressiva verschrieben wie Erwerbspersonen im gleichen Alter“, sagte Dr. Thomas Grobe vom AQUA-Institut, das die Zahlen für die TK ausgewertet hatte.«

Insofern trifft die herausgestellte und von vielen Medien rezipierte überdurchschnittliche Betroffenheit eben erst einmal nicht den „Normalfall“ der Studierenden, also diejenigen, die Anfang 20 sind. Ein differenzierter Blick ist vor allem deshalb bedeutsam, weil man ansonsten die falschen Schlussfolgerungen zieht. Offensichtlich ist es so, dass ab 30 die Bewältigung des mit einem Studium verbundenen Drucks deutlich schwerer fällt als in den jüngeren Jahrgängen. Dann spielten entscheidende Prüfungen, Fragen der Studienfinanzierung und womöglich auch Kinder eine treibende Rolle als Stressfaktoren. Das würde aber in der Konsequenz bedeuten, dass eine Hilfestellung für diese kleine Gruppe an Studierenden eher ansetzen müsste an Rahmenbedingungen wie der finanziellen Unterstützung oder des Angebots an einer entlastenden und zugleich die Ausbildung ermöglichenden Betreuungsinfrastruktur.

Aber grundsätzlich sollte man sich vor einer durchaus naheliegenden Schlussfolgerung hüten, die scheinbar so gut passt in eine Fundamentalkritik an den (tatsächlich oder angeblich) pathologischen Strukturen unserer Leistungsgesellschaft. Also die doch offensichtliche Überforderung eines Teils der Studierenden dadurch zu verringern, dass man den Druck auf sie reduziert, die Anforderungen absenkt, sie dann doch noch ans Ziel kommen lässt, in dem man schlichtweg beide Augen zudrückt. Man muss sehen, dass es sich bei einem Studium eben auch um einen offiziellen Ausbildungsweg handelt, der mit einem staatlich lizenzierten Abschluss endet, der Zugang eröffnet zu bestimmten Tätigkeiten und Positionen (und damit auch Vergütungen), die andere nicht bekommen (können).

Man kann das kritisieren, aber Fakt ist: Ein Hochschulstudium bildet in der Gesamtschau auf die bestehenden Ausbildungsstrukturen (immer noch) das „obere“ Ende der Bildungshierarchie ab und insofern muss es notwendigerweise selektiv sein und auch einen Teil der Teilnehmer am Ende aussondern. Unabhängig von der Einstellung gegenüber Prüfungen – die als Selektionsfallbeil wirken können – und damit letztendlich dem exkulpierenden Gesicht des Bildungssystems – so lange wir uns in diesem System bewegen, kann es keinen Sinn machen, den Erfolg gerade des Systems am oberen Ende der Bildungshierarchie daran zu messen, dass alle, die reingehen, auch erfolgreich, also mit Abschluss, wieder rauskommen und das dann auch noch unbeschadet.

Aber vielleicht erledigt „das System“ diese Aufgabe selbst. Und wieder einmal spielt Geld und seine Anreizwirkung hierbei eine Rolle. Als Beispiel dafür sei auf den Artikel 4000 Euro für jeden Absolventen hingewiesen. Man sollte über die (möglicherweise und wie so oft sicher nicht geplanten, sich aber einstellenden) Nebenwirkungen einer als „gut“ daherkommenden Idee einmal genauer nachdenken. Ausgangspunkt ist das diagnostizierte Problem der Studienabbrüche. Denn wenn ein Teil der Studierenden unterwegs verloren geht und nicht zum Abschluss gelangt, dann ist das eine Ressourcenverschwendung, die eingesetzten Mittel haben ja nicht zu dem anvisierten Ergebnis geführt.

Nun wird der eine oder die andere einwerfen an dieser Stelle: Es gibt doch viele und höchst unterschiedlich zu gewichene Gründe für einen Studienabbruch. Die Information, dass beispielsweise 25 Prozent und mehr der Studierenden „abbrechen“, vernebelt eigentlich mehr als es uns weiterhilft. Denn darunter fallen beispielsweise Studierende, die – Gott sein Dank für sich selbst und für die Gesellschaft – am Anfang des aufgenommenen Studiums merken, dass das nichts für sie ist. Und wenn die das Studium abbrechen, heißt das noch lange nicht, dass sie deswegen auf eine akademische Ausbildung verzichten, wenn sie schlichtweg das Studienfach und/oder den Hochschulort wechseln und einen neuen Versuch starten. Zu den Studienabbrechern zählen auf der einen Seite die, die an den problematischen Rahmenbedingungen scheitern (beispielsweise Probleme bei der Vereinbarkeit von Studium und Familie), die es ansonsten vielleicht gut geschafft hätten. Aber eben auch diejenigen, die schlichtweg nicht in der Lage sind, den Anforderungen eines Studiums gerecht zu werden – und wenn die abbrechen, dann ist das zwar ein Scheitern, heißt aber noch lange nicht, dass das per se schlecht ist, denn möglicherweise erweisen sie sich in anderen Ausbildungsstrukturen als überaus erfolgreich (man schaue nur auf die durchaus positiven Erfahrungen, die gemacht worden sind mit Studienabbrechern, denen man eine „klassische“, also duale Berufsausbildung vermittelt hat). Aber um es ganz deutlich und ohne politisch korrekte semantische Verkleisterungen zu sagen: Das Scheitern muss zu einem Hochschulstudium dazu gehören, man muss auch auflaufen und das bescheinigt bekommen können, dass man den Anforderungen nicht gewachsenen ist.

Diese sicherlich kontrovers diskutierbaren Hinweise zeigen eines auf alle Fälle: Wir haben es hier mit einer hochkomplexen Gemengelage zu tun, die man tunlichst nicht über einen Kamm scheren sollte. Aber der Reiz für Bildungspolitiker scheint groß zu sein, genau das zu tun:
»Mehr als jeder vierte Student schmeißt sein Studium hin, Nordrhein-Westfalen will das jetzt ändern: Das Land zahlt seinen Hochschulen künftig einen Erfolgsbonus für jeden Absolventen – 4.000 Euro pro Abschluss.« Die Hochschulen sollen also angereizt werden, mehr dafür zu tun, einem Teil der Studierenden die Scheiternserfahrung zu ersparen. Auch hierfür sind die angesprochenen „rohen“ Zahlen zu den Studienabbrechern Ausgangspunkt dafür, „etwas“ tun zu müssen:»Nach Berechnungen des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) schließt bundesweit etwa ein Drittel der Studenten an Universitäten und knapp ein Viertel an Fachhochschulen das Studium nicht ab. Vor allem Fächer wie Mathematik, Physik, Chemie und Ingenieurwissenschaften sind betroffen«, kann man auch dem Artikel 4000 Euro für jeden Absolventen entnehmen.

Allein schon der differenzierende Hinweis auf die besonders betroffenen Fächer eröffnet zugleich, wenn man denn will, eine realistische, also nicht einfache Sicht auf das Phänomen Studienabbruch, denn die Anforderungen, beispielsweise hinsichtlich der erforderlichen Mathematik, sind in diesen Studiengängen sehr hoch. Nun kann man zugespitzt formuliert zwei Schlussfolgerungen ziehen: Zum einen wäre die Frage der Studienbedingungen bis hin zur (Nicht-)Pädagogik des Lehrpersonals ein Ansatzpunkt. Vielleicht also gelingt es über bessere Bedingungen, mehr Studierenden die Untiefen der Mathematik verstehbar zu machen und sie dann auch noch zu einem Abschluss zu führen. Das wäre der unbedingte Auftrag, die eigene Institution zu überprüfen und auch Konsequenzen zu ziehen, wenn die Ausbildungsqualität zu niedrig ist. Aber auf der anderen Seite könnte man auch durchaus zeitgeistig sagen, wir senken die Anforderungen, die zu immer auch beschämenden Scheiternserfahrungen führen können, einfach ab, weil nun mal bei vielen jungen Menschen die Kenntnisse in der Mathematik schlecht sind. Aber wir alle als Nutzer einer Brücke, eines Freizeitparks oder was auch immer werden unbedingt erwarten dürfen und müssen, dass die Ingenieure rechnen können, ob das nun angenehm ist oder nicht.

Zurück zu dem Vorstoß aus Nordrhein-Westfalen: »Nach Angaben des Ministeriums ist NRW das erste Bundesland, das ein stark auf den Studienerfolg ausgerichtetes Prämienmodell einführt. Die rot-grüne Landesregierung in Düsseldorf hatte bereits in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, die Abbrecherquote senken zu wollen. Anfang vergangenen Jahres hatte Wissenschaftsministerin Schulze mit den Fachhochschulen verabredet, dass dort künftig 20 Prozent weniger Studenten abbrechen sollen.«

Man könnte jetzt etwas pikiert einwenden, dass sich das irgendwie anhört wie die Planvorgaben des ZK für Bildungsabschlussoutput der Hochschul-Kombinate. Aber ernsthafter: Was kann es bedeuten, wenn man lesen muss, die Wissenschaftsministerin habe mit den Fachhochschulen verabredet, »dass dort künftig 20 Prozent weniger Studenten abbrechen sollen«? Die optimistische Variante geht so: Alle strengen sich jetzt in den NRW-FHs ganz doll an, um die potenziellen Studienabbrecher zu identifizieren und vor dem fatalen Schritt eines Studienabbruchs zu bewahren. Die einen bekommen einen Krippenplatz für die Kinder, die anderen so lange Mathe-Nachhilfe, bis sie aufgeben. Es gibt allerdings auch eine zweite Variante, die leider weitaus realistischer erscheint für jeden, der in diesem System gearbeitet hat oder gar arbeitet: Die Anforderungen werden Schritt für Schritt abgesenkt. Wenn man Durchfallquoten hatte von 30 oder 40 Prozent, dann kann man eine Reduzierung der damit verbundenen Abbrecherquoten um 20 Prozent schnell und wirksam erreichen, in dem man die Durchfallquoten abgesenkt. Wenn das nicht von den Studierenden selbst geleistet werden kann, dann muss man eben nachhelfen. Und wenn der Fachbereich, in dem die Studierenden eingeschrieben sind, ein unmittelbares und erhebliches finanzielles Interesse hat bzw. gemacht bekommt, wie durch die neue Prämie in NRW, dann muss man doch keine ökonomische Studie in Auftrag geben, um sich vorzustellen, in welche Richtung sich die Systeme begeben werden.

Die Mittel für diese neue Prämie holt sich NRW aus dem „Hochschulpakt“, ein milliardenschweres Bund-Länder-Programm, mit dem zusätzliche Studienplätze finanziert werden. Die Hochschulen im bevölkerungsreichsten Bundesland erhalten künftig 18.000 Euro für jeden zusätzlichen Studienanfänger, zudem die Erfolgsprämie für Absolventen. Die Anreizwirkung wird eintreten, das kann man prognostizieren.

Aber man kann und muss zugleich ein Riesen-Fragezeichen hinsichtlich der Sinnhaftigkeit solcher letztendlich nur vulgärökonomisch fundierter Anreizmodelle setzen. Und man sollte eines nie vergessen: Man kann Anforderungen und Hürden immer recht einfach absenken – sollte sich das aber als Irrweg erweisen, dann wird es kaum möglich sein, wieder zurück zu gehen auf Start. Das ist wie eine Rutschbahn nach unten. Das kann sich zu einem echten Problem auswachsen für das Bildungssystem an sich, aber auch für die Abnehmer, also beispielsweise die Arbeitgeber und die Anforderungen auf vielen Arbeitsplätzen. Darüber hinaus werden aber auch den jungen Menschen möglicherweise fatale Hinweise gegeben, dass man sich nicht zusätzlich anstrengen muss, dass man auch so irgendwie durchkommen wird, dass immer das System oder andere verantwortlich sind, immer weniger bis gar nicht aber man selbst.

Der K(r)ampf mit der Schule. Impressionen aus der „Bildungsrepublik“ Deutschland

Über „die“ Schule zu schreiben, das ist eine heikle Angelegenheit. Es handelt sich um ein hoch emotionales Thema, bei dem jeder mitreden kann und meint zu müssen, alleine schon vor dem Hintergrund, dass wir alle durch dieses „System“ mit mehr oder weniger Beschädigungen gegangen sind. Auf der anderen Seite – und das ist nicht selten ein Grund für die höchst politische Aufladung des Themas Schule – ist gerade in Deutschland die so genannte Schullaufbahn oftmals entscheidend für den weiteren Lebensweg. Und leben wir nicht in einer so genannten Wissensgesellschaft? Werden hier nicht die Grundlagen gelegt für unsere Zukunft? In Sonntagsreden ist das alles unumstritten. Aber in kaum einem anderen Feld klaffen Theorie und Praxis oftmals so weit auseinander. In den aktuellen bildungspolitischen Diskussionen, wenn man die überhaupt so nennen darf, finden sich erneut Belege für diese These. Einige wenige Beispiele sollen das verdeutlichen.

Deutsche Bildungsministerin will neues Schulfach „Alltagswissen“, so berichtet es die österreichische Zeitung Der Standard. Folgt man den Ausführungen in diesem Artikel, müssen einem erhebliche Zweifel am Stand der bildungspolitischen Diskussion kommen:

»Die deutsche Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) will an den Schulen ein Unterrichtsfach zur Vorbereitung auf die Herausforderungen des Alltags einführen. „Das Fach ‚Alltagswissen‘ fände ich gut. Dort könnten die Schüler Dinge lernen, die für ihr praktisches Leben wichtig sind“, sagte Wanka der Zeitung „Bild am Sonntag.“
Sie denke etwa an Fallen in Handyverträgen, handwerkliche Fähigkeiten, aber auch an Grundkenntnisse in richtiger Ernährung und Kochen. „Viele Jugendliche schauen mit Begeisterung Kochsendungen, können aber ohne Mikrowelle keine Lebensmittel mehr zubereiten.“«

Immerhin: »Die Einführung des Fachs „Benehmen“, für die sich in einer Umfrage 75 Prozent der Deutschen ausgesprochen haben, hält Wanka nicht für nötig«. Da atmet man ja schon fast auf. Aber damit nicht genug, sie hat, wenn sie schon mal dabei ist, auch noch andere brennend heiße Themen der Schuldiskussion in unserem Land eingeordnet, wie die Bild-Zeitung in ihrer Meldung Bildungsministerin Wanka spricht sich gegen Schuluniformen aus berichtet:

»Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) hat sich gegen Schuluniformen ausgesprochen. Wanka sagte BILD am SONNTAG: „Kleidung ist ein Ausdruck von Individualität. In der DDR waren zum Beispiel Niethosen, also Jeans, und sogenannte NatoPlanen, gelbe Regenjacken, verboten. Sie galten als Symbol des Imperialismus. Wer sie anhatte, musste nach Hause gehen und sich umziehen. Abgesehen davon stehen Schuluniformen auch nicht jedem.“«

Das Thema Schuluniformen bewegt Deutschland, muss man den Eindruck bekommen.  Das tut es natürlich nicht, auch wenn – um den Ansatz nicht völlig abzuwerten – hinter der Kulisse ein reales Problem steht, zumindestens für die Eltern, die nicht über die finanziellen Ressourcen verfügen, um ihre Kinder so auszustatten, wie es die eine oder andere Modewelle unter den jungen Menschen heute erfordert.

Tatsächlich sind wir im Schulbereich mit ganz anderen Herausforderungen konfrontiert, für die es (noch) viel zu wenige Antworten gibt.

Nehmen wir als Beispiel die große Stadt Berlin. Nutzlose Hochleistungsserver statt funktionierender Toiletten, so hat Susanne Vieth-Entus ihren Artikel überschrieben. Zugleich ein Lehrstück über die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis in der „Bildungsrepublik“ Deutschland:

»Der Begriff klang irgendwie gut: „eGovernment@school“ sollte Berlins Schulen und die Schulverwaltung in das 21. Jahrhundert hineinführen. So wollte es die Bildungsverwaltung …  „Zentrale Schülerdatei“ und „elektronisches Klassenbuch“ lauteten die neuen Zauberwörter. Sechs Jahre ist das her. Inzwischen ist der Begriff verbrannt. Er steht für verlorene Millioneninvestitionen und für überflüssige Hochleistungsserver in Schulen, die sich ansonsten nicht einmal saubere Toiletten leisten können. Er steht für sechs verlorene Jahre, in denen auf eine längst veraltete technische Lösung gesetzt wurde. Er steht für einen weiteren Vertrauensverlust in die Zurechnungsfähigkeit der Verwaltung.«

Vor acht Jahren geplant, vor sechs Jahren beschlossen und nun einkassiert: Das IT-Konzept für Berlins Schulen landet auf dem Müll. So kann man das zusammenfassen, wie in dem Artikel Supergau@school. »Seit Mitte 2015 steht hingegen fest: Das Konzept steht wieder am Anfang. Über 38 Millionen Euro sind bereits verbraucht. Mindestens.«

Der seit Jahren betriebene Einbau von Serverräumen an den Schulen und die damit zusammenhängende Verkabelung war ebenso überflüssig wie der Einkauf der großen teuren Server, die zum Großteil schon an die Schulen ausgeliefert wurden. Susanne Vieth-Entus berichtet, dass »viele Schulleiter mit dem Thema abgeschlossen (haben). Die verwaisten Serverräume werden inzwischen ignoriert bestenfalls nur noch mit Schulterzucken quittiert. Angesichts der baulichen Mängel und der allseits fehlenden Gelder ärgern sich die Schulen aber massiv darüber, dass für rund 10 000 Euro die anspruchsvollen Server angeschafft wurden, die bereits veraltet waren, bevor sie ans Netz gingen.«

Die möglicherweise folgenreichste Hypothek deutet Susanne Vieth-Entus in diesem Kommentar an:

»Auch andere Behörden wurschteln vor sich hin, als hätte es die technischen Fortschritte der vergangenen 20 Jahre nicht gegeben. Den Schulbereich allerdings trifft es besonders hart. Immerhin geht es hier um 400 000 Schüler und 30 000 Lehrkräfte, für die die Verwaltung zuständig ist: Jeder weitere Tag in der technologischen Steinzeit bedeutet hier einen ungeheuren Verlust. Die veralteten Strukturen stehlen den Pädagogen die Zeit, die sich eigentlich für ihre Schüler brauchen.«

 Schaut man sich in den meisten Schulen um, dann kann man nur resignierend den Kopf schütteln. Die Kinderzimmer von drei Vierteln der Schüler/innen sind heute moderner und besser ausgestattet als die Schulen. Wie soll dieser Investitionsstau aufgehoben werden? Aber soll er das überhaupt?

Eine ganz andere, noch weitaus größere Baustelle ist das Thema Inklusion. »Ein kleiner Junge mit Downsyndrom löste vergangenes Jahr einen heftigen Streit über die Inklusion aus. Henri wurde zur Symbolfigur für den Umgang mit behinderten Kindern im deutschen Schulsystem, zum Gradmesser für den Fortschritt bei der Inklusion. Sperren wir Behinderte aus? Sind sie ein Tabu?« Ein aufschlussreiches Interview mit seiner Mutter, Kirsten Ehrhardt, gibt es unter der Überschrift „Werden tausend Schüler dümmer, weil Henri da sitzt?“.

Auf der anderen Seite werden zahlreiche Widerstände, aber auch Frustrationen aus den Schulen berichtet. Überforderungen, Ängste, Ressourcenknappheit. Beispielhaft dafür der Bericht Lehrer fühlen sich laut Studie mit der Inklusion überfordert: »Immer mehr Lehrer in NRW fühlen sich durch die überstürzte Einführung des gemeinsamen Unterrichts von behinderten und nicht behinderten Schülern überfordert. Nach einer Forsa-Umfrage kritisieren Pädagogen vor allem zu große Klassen, fehlende Sonderpädagogen und eine mangelnde Fortbildung … 98 Prozent sprachen sich für eine Doppelbesetzung aus Lehrer und Sonderpädagoge im Unterricht aus. Selbst an der inklusiven Grundschule nimmt der Sonderpädagoge aber im Schnitt nur an drei bis vier Wochenstunden am Unterricht teil … Aufgrund der schlechten Vorbereitung fordern 58 Prozent der Lehrer den Erhalt der Förderschulen.«

Versuchen wir es anders: Was sind die zentralen Herausforderungen des Schulsystems?  Diese bewegen sich in einem Spannungsdreieck von Inhalten, Zeit und Personen.

Zu den Inhalten soll an dieser Stelle nur angemerkt werden: Vielleicht gilt gerade hier die Lebensweisheit: weniger ist mehr. Auch wenn das nicht besonders modern herüberkommt: Um die Grundfertigkeiten sollte es gehen. Lesen, schreiben und rechnen, kritisch mit den Sachverhalten der Welt umgehen können. Dann wäre schon viel gewonnen. Hinzu kommen müsste ein ordentlicher Schuss widergelagerter Funktionalität  durch Fächer wie Sport, Musik, Kunst, die sich der scheinbaren Rationalität unserer verwertungsorientierter Erwartungen an das, was Schule zu leisten hat, entziehen bzw. diese stören.

Zur Zeit: Man muss doch wirklich keine Studien machen, sondern einfach mit den Eltern sprechen, die Kinder in unserem Schulsystem bzw. korrekter in unserem Schulsystemen haben.  Auf der einen Seite sind die Eltern konfrontiert mit der Tatsache, dass das Schuljahr permanent unterbrochen wird nicht nur von Ferien, sondern auch von Feiertagen, die kombiniert werden mit beweglichen Ausfalltagen oder so genannten Studientagen der Lehrer. Wenn man ehrlich ist, dann muss man konstatieren, dass die Schüler und Schülerinnen konfrontiert werden mit einer Anhebung der Erwartungen an das, was in der Schule zu passieren hat, bei einer parallelen Konzentration, einer unglaublichen Verdichtung der dafür zur Verfügung stehenden wirklichen Zeit. Dies führt zu einer gesellschaftspolitisch höchst brisanten Konstellation: Die aus der Zeitverknappung resultierenden Probleme zahlreicher Schüler können nur dann gelöst bzw. abgemildert werden, wenn die Eltern bzw. im Regelfall die Mütter, sich als unbezahlte Nachhilfelehrer ihrer Kinder annehmen. Tun sie das nicht oder können sie das nicht tun, weil sie nicht über die kognitiven Voraussetzungen verfügen, dann fallen die Kinder in der Schule ab. Hier liegt eine der größten Quellen für die beobachtbare soziale Selektivität unseres Schulsystems.

Auch die vielbeschworene Ganztägigkeit würde hier nur wirklich dann weiterhelfen, wenn sie nicht nur entsprechend mit den dafür notwendigen Ressourcen unterlegt, sondern auch für alle Schüler verbindlich wäre. Und auch dann nur, wenn sich ein weiterer zentraler Faktor in den Schulen darauf einstellen würde – gemeint sind hier die Lehrer. Beziehungsweise, um mit Blick auf die Zukunft genauer zu sein, das Kollegium an unterschiedlichen Fachkräften, die in einer Schule arbeiten sollten. Also eben nicht nur Lehrer. Das Aufbrechen der Homogenität der Lehrer in den Schulen wäre eine der wichtigsten Schlussfolgerungen, die man aus vielen Untersuchungen über die Defizite in den bestehenden Schulsystemen ziehen kann. Natürlich ist es so, dass die Haltung der Lehrpersonen an den Schulen ganz maßgeblich darüber mitbestimmt, was den jungen Menschen auf den Weg mitgegeben wird. Man betrachte in diesem Zusammenhang nur einmal den Umgang mit ausfallenden Unterrichtsstunden in vielen Schulen. Was für Vorbilder werden da den jungen Menschen mit auf den Weg gegeben?

Für die Gesellschaft insgesamt ist es ein oftmals völlig unterschätztes Problem, das auch derjenige, der sich mit der Materie beschäftigt, kaum noch einen Überblick über die unterschiedlichen Schulformen und die Schulstrukturen in ihren Verästelungen hat. Ein einfaches und für jeden normalen Bürger verständliches Schulsystem wäre eine absolut notwendige und hilfreiche Voraussetzung. Wenn man sich an dieser Stelle einfach einmal vorstellen würde, wir hätten in allen Bundesländern die gleiche Struktur nach der Grundschule (übrigens der einzigen echten Gemeinschaftsschule in Deutschland), also ein klassisches Gymnasium und eine wie dann auch immer genannte zweite Säule neben dem Gymnasium, in der man allerdings auch, wenn man dafür die notwendigen Voraussetzungen mitbringt, die Hochschulreife erwerben kann, dann würde das eine Menge erleichtern. Gleichzeitig sollte eine der gesellschaftspolitischen Hauptbotschaften sein: Wenn nicht heute, dann kannst du morgen sehr wohl einen höheren Schulabschluss erreichen. Wenn du dich anstrengst und dazu bereit bist. Weil die Gesellschaft dir entsprechende Wiedereinstiegspunkte anbietet. Das wäre eine Botschaft.

Und auch wenn du einen anderen Weg gehst, mit einem Schulabschluss das Schulsystem verlässt, der nicht der Hochschulreife entspricht, dann hält man dir dennoch immer wieder die Möglichkeit offen, aus dem Ausbildungsberuf, der sich nach der Schule ergeben hat, auszubrechen bzw. aufzusteigen, ein Studium aufzunehmen, wenn man das denn wirklich will. Das hat die Gesellschaft zu organisieren. Das wäre Durchlässigkeit im wahrsten Sinne des Wortes. Aber an diesem Punkt sind wir noch lange nicht. Wie man insgesamt den Eindruck gewinnen kann und muss, dass kaum ein Thema so emotional und derart aufgeladen diskutiert wird wie die Bildungspolitik, vor allem mit Blick auf die Schule, ohne dass sich hier wirklich fundamentale Veränderung in der vergangenen Zeit ergeben haben.

Es ist ein wirklich schwieriges, klebriges und mit vielen Meinungen versetztes Thema.

Übrigens: Wir sind nicht allein mit dieser schwierigen Debatte: Man vergleiche dazu nur die aktuelle Diskussion in Frankreich über eine Reform des Schulsystems dort und die empörten Reaktionen auf die Ansätze der Regierung. Vgl. dazu beispielhaft das launische Interview mit mit dem Philosophen Alain Finkielkraut: „Welche Unverschämtheit!“ Die geplante Schulreform in Frankreich bedroht die republikanische Bildungstradition des Landes: Ein Gespräch mit dem Philosophen Alain Finkielkraut.

Nicht Fisch, nicht Fleisch. Statt punktuelles Herumfummeln am Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern sollte man das einfach streichen

Es ist zum Haare raufen, wenn man denn noch welche hat. Wieder einmal werden wir Zeugen einer Tat, die man beschreiben muss als punktuelles Herumfummeln an einer komplexen Sache und dem Verzicht auf eine sachlich eigentlich und auch dringlich gebotene Lösung, weil man sich im föderalen Kuddelmuddel nicht auf eine substanzielle Handlung verständigen kann. Wir sprechen also von der Bildungspolitik. Genauer: Vom Kooperationsverbot zwischen Bund und Länder, das man vor einigen Jahren sogar in das Grundgesetzt gemeißelt hat, um es nach jahrelanger Kritik daran nunmehr an einer Stelle wieder rauszukratzen. Aber nur an einer kleinen Stelle. Ansonsten bleibt der Unsinn. Und das wird uns dann auch noch – ja, man ahnt es – als „alternativlos“ verkauft.

Um die Rosstäuscherei nachvollziehen zu können, die die Große Koalition durch eine erneute Grundgesetzänderung plant, muss man erläutern, wie es überhaupt zu dem Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Bildungspolitik kommen konnte. Dazu müssen wir einen Zeitsprung in die letzte Große Koalition machen, denn in deren Zuständigkeit fällt das grundgesetzlich verankerte Kooperationsverbot. Hierzu die folgende Erläuterung:

»Das so genannte „Kooperationsverbot“ ist durch die am 1.9.2006 in Kraft getretene Föderalismusreform I eingeführt worden. Der Begriff leitet sich aus dem geänderten Artikel 104b Abs. 1 Grundgesetz (GG) ab, der Bundesfinanzhilfen in Bereichen, in denen die Länder die alleinige Gesetzgebungskompetenz haben, ausschließt. Nachdem durch die Reform die Zuständigkeiten für den Bildungsbereich fast vollständig auf die Länder übergegangen sind, sind die Einflussmöglichkeiten des Bundes weiter begrenzt worden. War es ihm vorher noch möglich gewesen, über wesentliche Mitfinanzierungsmöglichkeiten im schulischen Bildungsbereich Einfluss zu nehmen, wie z.B. mit dem 2003 geförderten Ganztagsschulprogramm geschehen, verbietet das Kooperationsverbot nun jegliche schulpolitischen Initiativen des Bundes, selbst wenn alle 16 deutschen Bundesländer einverstanden wären … Letzte Bereiche, in denen Bund und Länder im Bildungsbereich zusammenarbeiten können, werden in Art. 91b GG definiert, nach dem Bund und Länder z.B. nach dem Einstimmigkeitsprinzip bei der Förderung von Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen zusammenwirken können. So finanzieren der Bund und die Länder gemeinsam den Hochschulpakt und die Exzellenzinitiative.«

Es ist nicht nur von historischem Interesse, wenn man an dieser Stelle darauf hinweist, dass zahlreiche Bundesländer massiven Druck ausgeübt hatten, dieses Kooperationsverbot grundgesetzlich zu verankern, um die Alleinzuständigkeit der Länder in Bildungsfragen in Stein zu meißeln. Besonders hervorgetan hatte sich damals der sozialdemokratische Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck, nunmehr im Ruhestand. Doch kaum hatten die Bundesländer das erreicht, was sie wollten, gegen den Widerstand von über 90 % der Experten, die in den Anhörungen und auch im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens dringlich von einer solchen Verfassungsänderung abgeraten hatten, mussten die Bundesländer die Hosen herunterlassen, denn sie waren ganz offensichtlich nicht in der Lage, den anstehenden Ausbau „ihrer“ Hochschulen mit eigenen Bordmitteln stemmen zu können, so dass flugs der Hochschulpakt I aufgelegt werden musste, der vor allem erhebliche Bundesmittel zum Ausbau der Hochschulen vorsah. Mittlerweile sind wir beim Hochschulpakt III angekommen.

Und es sollte an dieser Stelle auch darauf hingewiesen werden, dass der letzte Schub des Ganztagsschulausbaus nicht ohne dass mit vier Milliarden Euro bestückte Förderprogramm des Bundes zu Stande gekommen wäre.

Aber nicht nur im Bereich der Hochschulen und der Schulen besteht – wenn man ehrlich ist – erheblicher Kooperationsbedarf zwischen Bund und Ländern, das gilt auch für eine weitere, gleichsam zentrale Stufe unseres Bildungssystems, wo wir mit einer erheblichen Unterfinanzierung konfrontiert sind: dem Kita-System, bzw. korrekter den 16 Kita-System in den einzelnen Bundesländern. Gerade in diesem Bereich wird seit Jahren unermüdlich gefordert, dass es eine regelgebundene anteilige Bundesfinanzierung der laufenden Betriebskosten und nicht nur eines Teils der Ausbaukosten beispielsweise im Zusammenhang mit der Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr, der seit dem 1. August 2013 scharf gestellt worden ist, geben muss.

Wenn man die unterschiedlichen Bereiche unseres Bildungssystems von den Kitas über die Schulen bis hin zu den Hochschulen durchdekliniert, dann wird man erkennen müssen, das wir dringend zur Systementwicklung ein gemeinsames Vorgehen und damit auch eine gemeinsame Finanzierung von Bund, Bundesländern und Kommunen benötigen, um die anstehenden Aufgaben bewältigen zu können. Logische Konsequenz aus diesen Erkenntnissen: Abschaffung des Kooperationsverbotes und endlich eine Diskussion, wie man einen vernünftigen Finanzierungsmix hin bekommt.

Doch Hoffnung, dass die Entwicklung in diese Richtung geht, sollte man nach den nunmehr bekannt gewordenen Plänen der Großen Koalition zu den Akten legen. Was genau ist geplant?
Das eigentliche Kooperationsverbot ist in Art. 104b Abs. 1 GG normiert. Der Art. 91b des Grundgesetzes enthält die Ausnahme von diesem Kooperationsverbot und dieser Artikel sieht so aus:

Art 91b GG
1) Bund und Länder können auf Grund von Vereinbarungen in Fällen überregionaler Bedeutung zusammenwirken bei der Förderung von:
1. Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung außerhalb von Hochschulen;
2. Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen;
3. Forschungsbauten an Hochschulen einschließlich Großgeräten.
Vereinbarungen nach Satz 1 Nr. 2 bedürfen der Zustimmung aller Länder.

Und welche gewaltige Veränderung plant die Bundesregierung  an diesem Artikel? Die Antwort darauf finden wir in dem vorliegenden „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91b)„, der heute vom Bundeskabinett gebilligt wurde. Hier der Änderungstext:

„Bund und Länder können auf Grund von Vereinbarungen in Fällen überregio- naler Bedeutung bei der Förderung von Wissenschaft, Forschung und Lehre zusammenwirken. Vereinbarungen, die im Schwerpunkt Hochschulen betreffen, bedürfen der Zustimmung aller Länder. Dies gilt nicht für Vereinbarungen über Forschungsbauten einschließlich Großgeräten.“

Ja Wahnsinn, wird der eine oder die andere jetzt im Lichte dieser Änderungsformulierungen ausrufen. Schauen wir noch in die Begründung zu diesem Änderungsvorschlag den Art. 91 b unseres Grundgesetzes betreffend (S. 4 des Entwurfs):

»Mit der Erweiterung der Kooperationsmöglichkeiten in Wissenschaft, Forschung und Lehre werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der Bund und die Länder gemeinsam die Grundfinanzierung der Hochschulen stärken … Bund und Länder erhalten durch die Grundgesetzänderung zusätzlichen Gestal- tungsspielraum in der gemeinsamen Wissenschaftsförderung … Mit der Grundgesetzänderung wird zusätzlich eine langfristige Förderung von Hochschulen, einzelnen Instituten oder Institutsverbünden ermöglicht. Darüber hinaus können Verbindungen von Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen zu- künftig wesentlich einfacher als bisher gemeinsam durch Bund und Länder unterstützt und effizienter ausgestaltet werden … Die Grundgesetzänderung ermöglicht es, die Hochschulen künftig durch Bundesmittel auch institutionell zu fördern, während dies derzeit nur über befristete Programme wie den Hochschulpakt 2020 oder die Exzellenzinitiative möglich ist … Die föderale Grundordnung wird nicht berührt. Wie bisher verbleibt die Zuständigkeit für das Hochschulwesen bei den Ländern.«

 Also wenn man das zusammenfassen muss, dann werden hier die rechtlichen Grundlagen für eine mögliche Teil-Verbundesstaatlichung im Hochschulbereich gelegt. Außerdem wird die bereits heute mögliche Zusammenarbeit im Bereich von Forschung und Wissenschaft auf die Lehre an den Hochschulen erweitert und die Möglichkeit einer Dauerförderung eröffnet. Nicht mehr, nicht weniger. Alle anderen Bereiche, die seit Jahren in der Diskussion sind, also der anstehenden Umbau unserer Schulen in Richtung Ganztagsschulen auf einer vernünftigen Ausstattungsbasis oder der notwendige qualitative Ausbau der Kindertagesbetreuung – alle diese Bereiche sind durch die beabsichtigte Grundgesetzänderung weiterhin nicht erfasst.

Entsprechend ist die auch die aktuelle Berichterstattung: Bund soll Universitäten finanziell unterstützen dürfen, so Heike Schmoll in der Online-Ausgabe (was nun auch wieder eine Verkürzung ist, denn auch die Fachhochschulen gehören zu den Hochschulen). Sie verweist zum einen auf die krampfhaften Bemühungen der Bundesbildungsministerin, die geplante Klein-Korrektur eines großen Missverständnisses in leuchtenden Farben zu malen, was allerdings irgendwie putzig daherkommt, wenn man an die echten Probleme der Hochschulen denkt. Die Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) wird mit diesen Worten zitiert:

»Die Grundgesetzänderung lasse auch die dauerhafte Förderung solcher Projekte wie das Professorinnenprogramm zu. Denkbar sei auch die Unterstätzung kleiner Fächer an den Hochschulen, die sonst vom Aussterben bedroht wären, aber für die gesamte Wissenschaftslandschaft wichtig sind, etwa Assyriologie.« Ah ja.

Schmoll zitiert natürlich auch die Opposition: »Die große Koalition habe die Chance verpasst, den „Irrweg Kooperationsverbot komplett zu verlassen und auch die Verfassungsbarriere im Bildungsbereich aufzuheben“, sagte der Obmann im Bildungs- und Forschungsausschuss Kai Gehring von den Grünen.«

Und man muss zur Kenntnis nehmen, dass es a) anscheinend innerhalb der Großen Koalition eine Opposition namens Sozialdemokratie gibt und b) deren Vertreter anscheinend das Bildungssystem erst ab der Schule als ein solches wahrzunehmen in der Lage sind, denn die frühkindliche Bildung taucht hier nicht auf:

»Auch der sozialdemokratische Koalitionspartner in Berlin wiederholte seine Forderung, das „unsinnige Kooperationsverbot“ für den Schulbereich ebenfalls abzuschaffen. „Unser Ziel bleibt es das Kooperationsverbot für den gesamten Bildungsbereich – also auch für Schulen – aufzuheben“, dieser Unterschied bleibe „zwischen uns und der CDU/CSU“ sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD Hubertus Heil.«

Man muss das wohl als Protokollnotiz verstehen, denn zugestimmt hat man ja im Kabinett der kleinen „Lösung“.

Aber da bleibt noch ein Problem bzw. eine Hoffnung für die, die das ganze Vorhaben einfach nur unsinnig finden: Die Grundgesetzänderung muss den Bundesrat passieren und wenn sich hier die Grünen über die Landesregierungen, an denen sie beteiligt sind, verweigern, dann ist die geplante Grundgesetzänderung tot. Auf dieses mögliches Szenario hat sich die Bundesbildungsministerin eingestellt und entfaltet die für solche Konfliktlagen typische Drohkulisse: Christoph Titz schreibt in seinem Artikel Wankas Visionen:

»Und die Ministerin erinnerte die Bundesländer noch einmal daran, dass die Bildungsmilliarden aus dem Koalitionsvertrag an die Grundgesetzänderung gebunden sind: Bafög-Entlastung und Grundgesetzänderung gehörte „inhaltlich zusammen“. Beide Vorhaben würden so auf den Weg gebracht, dass sie „gemeinsam starten können“.«

Auch Heike Schmoll geht in ihrem Artikel auf diesen Punkt ein:

»Sollten sich diese Bundesländer bei der Abstimmung im Bundesrat enthalten, wäre die Verfassungsänderung gescheitert. Der Bund wäre dann wohl auch nicht bereit, die milliardenschwere Bafög-Entlastung an die Länder zu bezahlen, die dort für Schulen und Hochschulen dringend gebraucht wird.«

Fazit: Das ist kein großer Wurf, das ist ein unansehnliches Flickwerk, mit dem ein Teil des Bildungssystems punktuell besser gestellt werden soll als bislang. Nicht den Spurenelementen zu erkennen ist eine bildungspolitische Gesamtkonzeption. Fairerweise muss man an dieser Stelle und abschließend anfügen, dass das nicht nur Schuld der Bundesregierung ist, sondern die Bundesländer hier eine überaus problematische Rolle spielen, indem sie viele notwendige Veränderungen aus einem kurzsichtigen Eigeninteresse heraus abblocken, denn das Bildungssystem ist so ziemlich das einzige Spielfeld, in dem sich die Länder noch austoben können, wenn sie denn Geld haben. Und dafür soll der Bund zahlen, aber möglichst nichts zu sagen haben.

Ausbaden müssen das wieder einmal andere – die Kinder, Jugendlichen, Eltern, die pädagogischen Fachkräfte, die Volkswirtschaft. Insofern sollte die Maxime gelten: Entweder kriegt ihr eine ordentliche, den fachlichen Forderungen der vergangenen Jahre entsprechende Regelung hin – oder lasst einfach die Finger von der Sache. Es bleibt zu hoffen, dass die Grünen auf dem nun anstehenden orientalischen Basar zwischen Bund und Bundesländern bei ihrer Ablehnung des Unsinns bleiben.
Und noch eine staatsrechtliche Anmerkung, die auch gilt, wenn man sich nicht über die konkreten bildungspolitischen Nicht-Inhalte aufregen kann: Zumindest das Grundgesetz sollte nicht degenerieren zu einer Art Tagebuch, in der man seine tagesaktuellen Tintenkleckse verewigen kann.

Wieder eine dicke Packung: Bewegung und Stillstand, viele Studierende, Auszubildende auf der Flucht, zu viele Abgehängte, der Migrationshintergrund natürlich, abbrechende Gymnasiasten und die Inklusion auch noch. Der Bericht „Bildung in Deutschland 2014“

Seit dem Jahr 2006 wird alle zwei Jahre der Bericht „Bildung in Deutschland“ vorgelegt – eine umfangreiche empirische Auseinandersetzung mit allen Stufen unseres Bildungssystems. Gefördert gemeinsam vom Bundesbildungsministerium (BMBF) und der Kultusministerkonferenz (KMK) versuchen sich hier zahlreiche Bildungswissenschaftler an einer Durchleuchtung des überaus heterogenen Bildungswesens in unserem Land. Und immer gibt es ein Schwerpunktthema, in dem neuen Bericht „Bildung in Deutschland 2014“ sind das „Menschen mit Behinderungen im Bildungssystem“.

Es kann immer wieder sehr aufschlussreich sein, allein die Überschriften der Berichterstattung über so ein voluminöses Werk anzuschauen, verdeutlichen diese doch die natürlich gezwungenermaßen hoch selektive Wahrnehmung der vielen Befunde, die hier von den Wissenschaftlern präsentiert werden: Migranten haben es deutlich schwerer, so die Frankfurter Rundschau, „Mehrheit der jungen Deutsch-Türkinnen ohne Ausbildung„, titelt die ZEIT,  Zu wenige Lehrlinge, zu viele Abgehängte wird von Spiegel Online herausgestellt und die FAZ schaut auf den heiligen Gral der Bildungsbürger: Jeder zehnte Gymnasiast scheitert.

Der Bericht umfasst mehr als 340 Seiten und enthält natürlich zahlreiche Befunde. Die Studie im Original:

Autorengruppe Bildungsberichterstattung: Bildung in Deutschland 2014. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zur Bildung von Menschen mit Behinderungen, Bielefeld 2014

Welche bildungspolitisch wichtigen Schneisen kann man durch das Dickicht der zahlreichen Informationen schlagen?

„Der Bildungsstand der Bevölkerung ist insgesamt gestiegen“ – das wäre eine Möglichkeit, die einem beispielsweise auf der Startseite des Internetangebots des Bundesbildungsministeriums entgegenspringt. Es lasse sich ein Trend zu mehr Bildung feststellen, so auch die Autoren des Bildungsberichts. Aber was heißt das genau? Woran misst man „mehr Bildung“? »Zum Beispiel würden Unter-Dreijährige häufiger in Kindertagesstätten betreut. Die Zahl der Abiturienten sei zuletzt auf 57 Prozent gestiegen, die Zahl der Studienanfänger in den vergangenen 13 Jahren von 200.000 auf 500.000«, so die Frankfurter Rundschau in ihrem Artikel. Aber man darf und muss an dieser Stelle fragen – ist das wirklich umstandslos gleichzusetzen mit „mehr Bildung“? Oder werden wir hier möglicherweise zumindestens partiell Opfer einer Gleichsetzung von formalen Bildungszertifikaten mit „mehr Bildung“? Für diese skeptische Sicht auf die Dinge gibt es durchaus Hinweise, die man gerade im neuen Bildungsbericht finden kann:

Nehmen wir als Beispiel den Tatbestand, dass im Jahr 2013 erstmals die Zahl der Studienanfänger an den Hochschulen größer war als die der Neueinsteiger in das duale Berufsausbildungssystem. Die Apologeten einer Anhebung des Anteils der akademisch Qualifizierten in Deutschland werden diese Entwicklung sicherlich begrüßen. Aber natürlich hat das Auswirkungen auf das Bildungssystem wie aber auch – und das wird oftmals in der Diskussion, die sich vor allem auf die Strukturen konzentriert, vergessen – auf die einzelnen Menschen, die sich in den Systemen und in den Lernarrangements bewegen (müssen). Die bereits seit längerem laufende hoch emotionalisierte Debatte über einen (angeblichen oder tatsächlichen) „Akademisierungswahn“ hat darauf hingewiesen, dass diese Entwicklung besonders problematisch ist für den Bereich der dualen Berufsausbildung, der gleichsam in einem doppelten Sinne unter Druck gerät, da aufgrund der demografischen Entwicklung die Zahl der jungen Menschen abnimmt und gleichzeitig von den weniger werdenden jungen Menschen gerade die tendenziell „besser“ qualifizierten Jugendlichen, die früher eine Berufsausbildung gemacht hätten, heute irgendeinen Studiengang an einer Hochschule aufnehmen, dort aber nicht selten die für sie schlechteren Lernsettings vorfinden.

  • Die Auswirkungen dieser bereits seit Jahren laufenden Entwicklung, hinter der auch ein fundamentaler gesellschaftspolitischer Wirkmechanismus steht, nach dem der Königsweg der Bildung in Deutschland aus Abitur + Studium besteht, was sich tief in den Köpfen gerade auch der Eltern festgesetzt hat, auf das (bisherige) Rückgrat des Ausbildungssystems, also die duale und fachschulische Berufsausbildung, aus denen heraus die gerade für Industrie, gehobene Dienstleistungen sowie auch für das Handwerk so wichtigen mittleren Qualifikation generiert worden sind, werden – so meine These – völlig unterschätzt. Bereits seit längerem wird von kritischen Beobachtern darauf hingewiesen, dass der so genannte „Fachkräftemangel“, der in der öffentlichen und politischen Debatte völlig einseitig und übrigens mit überaus fragwürdiger empirischer Relevanz auf ganz bestimmte akademische Berufe verkürzt wurde (und wird) wie den Ingenieuren oder Ärzten, nach allen vorliegenden Prognosen wenn, dann vor allem im Bereich der mittleren Qualifikationsebene, auf gut Deutsch bei den Facharbeitern, die das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft bilden, sowie den Handwerkern, eine zunehmende und hoch problematische Bedeutung bekommen wird. Das findet nun auch im neuen Bildungsbericht seinen Niederschlag. Im Vorfeld der heutigen Veröffentlichung von „Bildung in Deutschland 2014“ berichteten die Medien über einen Teilaspekt, der in dem Bildungsbericht herausgearbeitet wird: »In den industriellen Kernberufen (Metall, Technik und Elektro) wie auch in den Gesundheits- und Pflegeberufen bestehe seit Jahren beim Lehrstellenangebot der Unternehmen eine „beträchtliche Unterdeckung“, heißt es in dem Bericht. Im Schnitt gebe es hier zwischen 10 und 14 Prozent mehr jugendliche Bewerber als angebotene Plätze. Das von der Wirtschaft in der öffentlichen Debatte immer wieder herausgestellte große Überangebot an Lehrstellen beschränke sich dagegen im Wesentlichen auf drei Bereiche: Ernährungshandwerk, Köche und Hotel- und Gaststättengewerbe« (Quelle: Bildungsbericht: Fachkräftemangel ist hausgemacht). 

Aber auch wenn man der Bewertung folgen sollte, dass das Bildungsniveau weiter angestiegen sei – der Bildungsbericht stellt auch heraus, dass es zu wenig Bewegung in der Frage von sozialer Benachteiligung und von herkunftsbedingten Unterschieden gibt. »Dem aktuellen Bericht zufolge gab es bei der Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund, die keinen allgemeinbildenden oder beruflichen Abschluss erlangen, seit 2005 kaum Veränderungen: Während bei Deutschen zwischen 30 bis 35 die Zahl derjenigen ohne Berufsabschluss in diesem Vergleichsjahr und 2012 konstant bei etwa zehn Prozent lag, betrug der Anteil bei Migranten um 35 Prozent. Besonders hoch liegt der Anteil derjenigen ohne Berufsabschluss bei Menschen türkischer Herkunft, mit knapp 60 Prozent bei den Frauen und knapp 50 Prozent bei den Männern«, so die Ausführungen in einem Artikel der Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau. Fast die Hälfte der Schüler mit Migrationshintergrund landet nach der Schule im sogenannten „Übergangssystem“. »Als Ursachen für die schlechte Position von Migranten bei den Abschlüssen vermuten die Forscher mehrere Gründe: zum einen sind dies kulturelle, etwa wenn eine Ausbildung für Frauen nicht für nötig befunden wird. Außerdem hätten viele Unternehmen nach wie vor Vorbehalte gegen ausländische Bewerber.«

Hinsichtlich des diesjährigen Schwerpunktthemas Menschen mit Behinderungen im Bildungssystem wird ein teilweise immer fundamentalistischer geführter Diskurs über „Inklusion“ aufgegriffen (vgl. für die semantische Schärfe, mit der mittlerweile über Inklusion gestritten wird, beispielsweise den Beitrag Alle einschließen, wollen wir das? von Christian Geyer aus der Online-Ausgabe FAZ: „… weil die Wortvehikel, auf denen die Streiter dabei sitzen, so groß sind, kommt leider vieles unter die Räder“, so Geyer). Jan Friedmann sieht die Ausführungen im neuen Bildungsbericht in seinem Artikel so: »Am meisten zu knabbern haben dürfte die Politik an den Aussagen des Bildungsberichts zur Situation von behinderten Menschen im Bildungssystem. Tenor: Bevor die Integration behinderter Schüler in die Regelschulen als politisches Großprojekt ausgerufen werde, müsse erst einmal klar sein, „wo welche Schülerinnen und Schüler inkludiert werden“. Nötig sei ein koordiniertes Vorgehen zwischen Bund und Ländern und den beteiligten Akteuren untereinander.« Die vielgescholtenen Förderschulen können sich durchaus gestützt fühlen, denn diese Schulart komplett abzuschaffen, wie es manche Inklusionsbefürworter wünschen, halten die Autoren des Bildungsberichts für falsch. Es wird geschätzt, dass für etwa zwei Prozent der Schüler Sonderschulplätze vorgehalten werden müssten, weil sie nicht ins Regelschulsystem passten, derzeit befinden sich hie mehr als fünf Prozent der Schüler/innen.

Aber bleiben wir bei den großen Schneisen, die mit und durch den neuen Bildungsbericht geschlagen werden (sollen/können/müssten).

»In vielen Bildungsbereichen stand unter dem Druck verstärkter Nachfrage der quantitative Ausbau der Institutionen des Bildungssystems im Vordergrund. Auch vor dem Hintergrund der demografischen Perspektive, die eine bessere Entwicklung und Nutzung aller Bildungspotentiale dringend erforderlich macht, gewinnen zunehmend qualitative Aspekte der Gestaltung von Bildungsinstitutionen und Bildungsprozessen an Bedeutung« (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014: 11).

Vor diesem Hintergrund beschreiben die Autoren des neuen Bildungsberichts mehrere zentrale Herausforderungen in bestimmten Handlungsfeldern, den man sich in der nächsten Zeit widmen sollte/müsste:

  1. Frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung. Dazu der Bericht: »Im Zuge des quantitativen Ausbaus sind Fragen der Qualität weitgehend offen geblieben, etwa die nach einem kind- und altersgerechten Personalschlüssel oder die nach der für die Förderung der Kinder am besten geeigneten Altersstruktur in den Gruppen. Auch die auffälligen regionalen und kommunalen Unterschiede in der Bereitstellung und der (zeitlichen) Ausgestaltung der Angebote verdienen Aufmerksamkeit« (S. 11). Angesichts der enormen bildungspolitischen Bedeutung dieses Bereichs wird hier der Finger auf eine offene, klaffende Wunde gelegt.
  2. Gestaltung der Ganztagsschule: » Ein klares pädagogisches Konzept für die Gestaltung von Schulen im Ganztagsbetrieb, das schultyp- und regionenübergreifend Standards verbindlich macht, zugleich aber auch auf die Spezifika der einzelnen Schule eingeht und diese nutzt, erscheint als ein Gebot der Stunde« (S. 11). Hier geht es um die offensichtliche Problematik, das wir hinsichtlich der Ganztagsschulentwicklung in Deutschland gleichsam feststecken zwischen nicht Fisch, nicht Fleisch. Die meisten Ganztagsschulen sind keine gebundenen Ganztagsschulen, sondern werden in offener Konzeption geführt. Mittlerweile gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass die Beteiligung oder eben auch Nicht-Beteiligung am Ganztag gleichsam zu einem Distinktionsmerkmal für die bildungsbürgerlichen Mittelschichtsfamilien geworden ist bzw. wird. Aber auch in diesem Bereich – also der Gestaltung der Ganztagsschule – trifft die Bildungspolitik wie auch im Bereich der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung auf das Problem der föderalen Zuständigkeit und der schier unglaublichen Heterogenität zwischen den einzelnen Bundesländern.
  3. Die Organisation des Übergangs von den allgemeinbildenden Schulen in die Berufsausbildung bildet das dritte wichtige Handlungsfeld: »Wenn trotz demografisch bedingter Rückläufigkeit der Ausbildungsnachfrage und einer relativen Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt immer noch über eine viertel Million Jugendliche nach dem Schulabschluss zunächst in einer der vielen Maßnahmen des Übergangssystems einmündet, gilt es, verstärkt die Frage nach der inhaltlichen Systematisierung und zugleich der politischen Koordinierung des Übergangssystems zu stellen« (S. 11 f.). An dieser Stelle möchte man einwerfen, dass das gelinde gesagt viel zu weichgespült daherkommt, denn gerade das Thema „Übergangssystem“ ist in den vergangenen Jahren sowas von durchgemogelt worden, es gibt tonnenweise Material über die Struktur- und Prozessprobleme, es gibt zahlreiche Reformvorschläge, gerade von Praktikern und denjenigen, die sich seit Jahren mit diesem Themenfeld auseinandersetzen, so dass man bei Lichte betrachtet zu der Erkenntnis kommen muss, die allerdings auch in vielen anderen Bereichen der Bildungspolitik an erster Stelle steht: wir haben weiß Gott kein Erkenntnis-, sondern ein manifestes Umsetzungsproblem.
  4. Die Schnittstelle zwischen Berufsausbildung und Hochschulausbildung wird als viertes Handlungsfeld identifiziert. Dazu wurde bereits unter dem Stichwort „Akademisierung“ einiges ausgeführt. Und wahrlich – hier wird die Musik spielen in den vor uns liegenden Jahren, droht doch, wenn man ehrlich ist, beim Laufenlassen der derzeitigen Entwicklungslinien, dass in den beiden großen Systemen, also der betrieblich/fachschulischen Berufsausbildung wie aber auch dem Hochschulsystem, nur schwer oder gar nicht reparierbare Schäden hervorgerufen werden. Aber die Bildungsexperten sind sich der Un-Möglichkeit ihrer Forderung offensichtlich selbst bewusst, wenn man auf ihre Formulierung achtet: »Soll es nicht zu einer dysfunktionalen Konkurrenz um – demographisch bedingt – zurückgehende Schulabsolventenzahlen zwischen den großen Ausbildungssektoren kommen, bedarf es eines neuen ausbildungspolitischen Konzepts für beide Bereiche . Ein solches ins Leben zu rufen, erscheint wegen der grundlegenden institutionellen Differenz zwischen diesen beiden Bereichen extrem schwierig. Wie marktmäßige sowie korporatistische (duale Ausbildung) und politische Steuerung (Hochschule) zu gemeinsamen Konzepten kommen sollen, ist im Augenblick schwer ersichtlich – bleibt aber erforderlich« (S. 12).
  5. Probleme übergreifender Bildungskonzeptionen verdichten sich auch in dem fünften Handlungsfeld, dass der Bildungsbericht aufruft: der Inklusion von Menschen mit Behinderungen auf allen Stufen und in allen Bereichen des Bildungssystems. 

Fazit: Wenn man nüchtern auf die zentralen Handlungsfelder, die im Bildungsbereich genannt und natürlich genauer beschrieben werden hinsichtlich des dort identifizierten Handlungsbedarfs, schaut, dann wird klar, mit welchem grundlegenden und eigentlich viel radikaler zu diskutierenden Strukturproblem wir es hier zu tun haben: Es geht letztendlich um die große Frage des föderalen Durcheinanders, um die durch die föderalen Strukturen in Verbindung mit der finanziellen Zersplitterung der Ressourcen einhergehenden Paralyse auf den Planungs-, Umsetzungs- und Steuerungsebenen. Aber da will natürlich keiner ran. Wie tief man sich mittlerweile nach unten gewirtschaftet hat, kann man daran studieren, wie in den letzten Wochen die Diskussion und vor allem die Entscheidung über die Verteilung der im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellten sechs Milliarden Euro für das Bildungswesen abgelaufen ist. Ein Trauerspiel.

Leider muss man zu dem (hoffentlich nur vorläufigen) Ergebnis kommen, dass vor dem Hintergrund der gewaltigen Strukturprobleme, die sich mittlerweile aufgestaut haben, auch die wertvollen Hinweise und Vorschläge aus dem neuen Bildungsbericht gelocht und abgeheftet werden. Ich lasse mich aber immer gerne vom Gegenteil überzeugen.

Die selbsternannte „Bildungsrepublik“ kreißte und gebar eine föderalisierte Maus. Das „Bildungspaket“ ist vor allem eine haushälterische Flickschusterei in Zeiten des Patchwork-Regierens

Ganz offensichtlich leben wir in einem Land der „Pakete“. Erst vor kurzem wurde mit einer erheblichen Kraftanstrengung das höchst umstrittene „Rentenpaket“ durch den Bundestag geboxt. Und schon steht die nächste Lieferung vor der Tür: Nach monatelangem Geburtswehen konnte heute seitens der großen Koalition zusammen mit den Bundesländern der interessierten Öffentlichkeit eine Einigung hinsichtlich der Verteilung von sechs Milliarden Euro, die laut Koalitionsvertrag zusätzlich für die Bildung ausgegeben werden sollen, verkündet werden. Das „Bildungspaket“ ist nun also endlich geschnürt und kann ausgeliefert werden. Das hört sich doch gut an. Mehr Mittel für Bildung – wer kann und will etwas dagegen haben? Aber wie so oft im Leben wendet man sich bei genauerem hinschauen mit erneuter Enttäuschung von dem ab, was sich hinter der Verpackung verbirgt. Was als großer „Durchbruch“, gar als „Meilenstein“ für die notleidende Bildung bezeichnet wird, ist bei genauerer Betrachtung – abgesehen von partiellen Verbesserungen – im Kern nichts anderes als eine haushälterische Flickschusterei. Eine Gruppe wird sich nach dieser Einigung zwischen Bund und Ländern ganz sicher freuen und eine Flasche aufmachen: die Länderfinanzminister. Das sei ihnen gegönnt, aber aus bildungspolitischer Sicht dürfte man schon deutlich mehr erwarten.

Aber schauen wir uns zuerst einmal an, auf was man sich da nun verständigt hat. Ausgangspunkt des monatelangen Ringens um die Verteilung der in Aussicht gestellten Gelder ist eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag zwischen SPD und den Unionsparteien. Dort findet man – immerhin als ein Punkt der „prioritäten Maßnahmen“ – folgende Festlegung:

»Die Länder und Gemeinden stehen vor großen Herausforderungen bei der Finanzierung von Kinderkrippen, Kitas, Schulen und Hochschulen. Damit sie diese Aufgaben besser bewältigen können, werden die Länder in der laufenden Legislaturperiode in Höhe von sechs Milliarden Euro entlastet. Sollten die veranschlagten Mittel für die Kinderbetreuung für den Aufwuchs nicht ausreichen, werden sie entsprechend des erkennbaren Bedarfs aufgestockt« (Koalitionsvertrag, S. 63)

Sechs Monate hat man nun darüber gestritten, wie dieses Geld verteilt werden kann. Erst vor wenigen Tagen haben sich die Jugend- und Familienminister auf ihrer Jahreskonferenz in Mainz zu Wort gemeldet hinsichtlich der Verteilung auf Kinderbetreuung, Schule und Hochschule: „Wir erwarten, dass diese Summe zu gleichen Teilen auf diese Bereiche aufgeteilt wird“, so wurde die rheinland-pfälzische Familienministerin Irene Alt (Grüne) in dem Artikel Familienminister wollen zwei Milliarden vom Bund zitiert. Und weiter: »Das Geld soll definitiv für Kitas verwendet werden und nicht einfach in die Länderhaushalte fließen – das wiederum wollen die Finanzminister.« Da sind wir schon mittendrin in der föderalen Gemengelage, die zu dem geführt hat, was wir nun als Kompromiss der einzelnen Interessen bewundern dürfen/müssen.

Das Bundesfinanzministerium hat dazu ein schmuckloses, fast schon als lieblos zu charakterisierendes Schriftstück im Umfang von zwei Seiten veröffentlicht unter der Überschrift „Prioritäre Maßnahmen – Vorschlag für die Verteilung der finanziellen Mittel„. Darin findet man die folgenden Verteilungskomponenten:

1. Für die Kinderbetreuung ist folgende Regelung vorgesehen:
»Die Verteilung der finanziellen Mittel für die Krippen und Kitas erfolgt wie bisher für die Länder über das Sondervermögen Kinderbetreuung. Das Sondervermögen Kinderbetreuung weist derzeit noch ein Finanzvolumen von rund 450 Mio. Euro auf. Der Bund wird dieses Sondervermögen auf bis zu 1 Mrd. Euro aufstocken und in 2017/2018 den Festbetrag an der Umsatzsteuer zugunsten der Länder um jeweils 100 Mio. Euro erhöhen.«

2. Für den Bereich der Hochschulen und der Forschung:
»Der Bund finanziert außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, den Hochschulpakt, den Pakt für Forschung und Innovation und die Exzellenzinitiative weiter. Den Aufwuchs für die außeruniversitäre Forschung finanziert der Bund in Zukunft allein. Bund und Länder haben ein gemeinsames Interesse daran, bei Neuinvestitionen auch bestehende regionale strukturelle Ungleichgewichte in der deutschen Forschungslandschaft zu verringern.«

3. Und dann – das Bafög, das es seit 1971 gibt. Der Bund trug bisher 65 Prozent der Kosten für die Ausbildungsförderung, die Länder 35 Prozent):
»Der Bund übernimmt die Finanzierung des BAföG (für Schüler und Studierende) vollständig und auf Dauer ab 1. Januar 2015. Die Entlastungswirkung der Länder beträgt 1,17 Mrd. Euro (brutto) pro Jahr … Die Länder werden die frei werdenden Mittel zur Finanzierung von Bildungsausgaben im Bereich Hochschule und Schule verwenden. Die Koalition strebt in dieser Legislaturperiode eine Novelle des Bafög zum Wintersemester 2016/17 an.«

Es überrascht nicht, dass die Artikel in den Online-Ausgaben der Medien Überschriften transportieren, die wie eine mehr als verkürzte Zusammenfassung des „Bildungspakets“ daherkommen: Bund übernimmt das Bafög, findet man in der Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau, Bund entlastet Länder beim Bafög , so Spiegel Online oder Mehr Bafög ab 2016 heißt es bei der FAZ. Und aus dem Beitrag der FAZ sei dieser aufschlussreiche Passus zitiert:

»Schon haben die ersten Ministerpräsidenten ihre Freude über die Entlastung des Haushalts geäußert, die durch die vollständige Übernahme des Bafög durch den Bund ermöglicht wird. Bayern rechnet mit einer Minderausgaben von 170 Millionen Euro, Sachsen mit 85 Millionen, Bremen mit 13 Millionen. Ausbildungsstarke Länder und Stadtstaaten werden deutlich stärker entlastet als ein ausbildungsschwaches Land wie das Saarland mit einer einzigen Universität. Eine echte Zweckbindung im Sinne einer justiziablen Vereinbarung zur Verwendung der Gelder für Schule und Wissenschaft gibt es nicht.«

Genau das ist einer der zentralen problematischen Punkte. Der Bund entlastet die Bundesländer konkret in Milliardenhöhe, aber die Gegenleistung in dem Sinne, dass die dadurch ja frei werdenden Mittel der Bundesländer auch tatsächlich in Bildung reinvestiert werden, ist nichts weiter als eine politische Absichtserklärung. Damit haben sich letztendlich die Finanzminister der Länder durchgesetzt, die eine klare Zweckbindung der Mittel scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Und das sicherlich nicht, weil sie eine solche gar nicht brauchen, sondern nur darauf warten, die Mittelausstattung ihrer Schulen und Hochschulen deutlich nach oben zu hieven. In die gleiche Richtung geht die Kritik, die vom DGB-Bundesvorstand in einer Pressemitteilung geäußert wurde:

»Das Bildungspaket von Bund und Ländern entpuppt sich mehr und mehr als Mogelpackung. Hier werden nicht sechs Milliarden zusätzlich in Bildung und Wissenschaft investiert, sondern in erster Linie Kosten der Länder an den Bund verschoben. Sei es bei der vollständigen Übernahme des BAföG durch den Bund oder einem höheren Anteil an der Umsatzsteuer für die Länder – der Bund verteilt Blankoschecks. Ob die Länder diese Entlastung wirklich für mehr Bildungsinvestitionen nutzen, steht in den Sternen. Außer vagen Absichtserklärungen gibt es hier keine verbindlichen und vor allem überprüfbaren Zusagen«, so wird die stellvertretende DGB-Bundesvorsitzende Elke Hanning zitiert (vgl. Bildungspaket von Bund und Ländern entpuppt sich als Mogelpackung).

Vor diesem Hintergrund reagiert dann das System so, wie man es von dem System kennt – mit dem Vorschlag einer Komplexitätssteigerung der Komplexität, wenn man so will einer Komplexität zweiter Ordnung. In dem FAZ-Artikel finden wir auch dazu einen bezeichnenden Hinweis:

»Der Hauptberichterstatter für Bildung und Forschung im Haushaltsausschuss des Bundestags Swen Schulz (SPD) sagte dieser Zeitung, er wolle ein Monitoring-System aufbauen, um öffentlich zu machen, wofür die Länder die durch die Bafög-Entlastung frei werdenden Mittel im einzelnen verwendeten. Natürlich gebe es keine Rechtsverpflichtung, sie in Schule, Hochschule und Wissenschaft zu stecken, so Schulz, wohl aber eine politische Vereinbarung. Sollte ein Land die Mittel zweckentfremden, müsse das öffentlich werden.«

Na ganz toll – wir bauen also ein „Monitoring-System“ auf, um die korrekte Mittelverwendung – oder eben auch nicht – auf Seiten der Länder nachzuvollziehen. Erstens kann man dazu nur sagen, viel Spaß bei dem Versuch, die kreative Haushaltsführung in den Bundesländern in irgendeiner Art und Weise auf die Frage hin zu durchdringen, ob tatsächlich die Mittel, die frei geworden sind, zweckentsprechend verwendet werden. Und zweitens ist es keineswegs zynisch anzumerken, dass sich die Länderfinanzminister sicherlich vor Angst in die Hosen machen werden, wenn der Bund ihnen irgendwann einmal nachweisen sollte, dass die Bildungsmillionen tatsächlich für andere, sicherlich ebenfalls sehr dringlicher Ausgaben verwendet worden sind. Das ist doch alles der durchsichtige Versuch, das schlechte Gewissen mit einem Pflaster der Marke „Wir tun was, egal was aber auf alle Fälle was“ zuzukleben.

Besonders traurig, man kann allerdings auch sagen richtig perfide vor dem Hintergrund der Bedeutung wie auch der realen Probleme in diesem Bereich, ist die gefundene Lösung für die Kindertagesbetreuung. Es wurde bereits mit Bezug auf das Zitat der rheinland-pfälzischen Familienministerin Irene Alt (Grüne) darauf hingewiesen, dass auf der Fachebene nicht nur statt einer Milliarde Euro zwei Milliarden Euro gefordert wurden, was angesichts des bildungspolitischen Stellenwerts der frühkindlichen Bildung und Betreuung übrigens auch mehr als gerechtfertigt wäre, wenn man nur fünf Minuten darüber nachdenken würde, in welchem Bereich des Bildungssystems Investitionen hinsichtlich ihrer Effektivität wie auch mit Blick auf die daraus realisierbare gesamtgesellschaftliche Rendite besonders sinnvoll wären. Nun bekommt dieser Bereich des Bildungssystems keine zwei, sondern (angeblich) nur eine Milliarde Euro – allerdings noch nicht einmal die, wenn man das, was derzeit vorliegt als Ergebnis, rechnerisch nachzuvollziehen versucht.

Man kann es drehen und wenden wie man will, aber bei dem Versuch, die Formulierung in dem Papier aus dem Bundesfinanzministerium nachzuvollziehen, stehen am Ende immer 450 Millionen Euro, die einen schlichtweg fehlen. Denn dort heißt es ja: »Das Sondervermögen Kinderbetreuung weist derzeit noch ein Finanzvolumen von rund 450 Mio. Euro auf. Der Bund wird dieses Sondervermögen auf bis zu 1 Mrd. Euro aufstocken und in 2017/2018 den Festbetrag an der Umsatzsteuer zugunsten der Länder um jeweils 100 Mio. Euro erhöhen.« Also anders ausgedrückt: Derzeit gibt es bereits 450 Millionen Euro in dem besagten Sondervermögen Kinderbetreuung. Diese 450 Millionen Euro werden aufgestockt auf eine Milliarde €, das macht nach Adam Riese einen Betrag in Höhe von 550 Millionen Euro. Und im letzten Jahr der laufenden Legislaturperiode sollen dann noch mal 100 Mio. Euro dazu kommen – allerdings, das sei hier besonders hervorgehoben, auf dem Weg einer Veränderung der Umsatzsteuerverteilung zugunsten der Bundesländer, was bedeutet, dass dieses Geld in den allgemeinen Haushalt der Bundesländer fließt, sich hier mithin das gleiche Problem stellt wie oben beschrieben für den Bereich der Entlastung der Länder durch die Bafög-Übernahme seitens des Bundes. Das bedeutet auf der anderen Seite eben auch, dass keinesfalls sichergestellt ist, dass diese Beträge nun genau in der Kindertagesbetreuung ankommen werden. Fazit: Derzeit können wir sicher nur von 550 Millionen Euro ausgehen, die in den Bereich der Kindertagesbetreuung fließen werden.

Wenn man versucht, versöhnlich zu enden, könnte man doch wenigstens darauf hinweisen, dass es für die Studierenden dergestalt eine Verbesserung geben wird, dass das Bafög erhöht werden soll. Auch hier allerdings empfiehlt sich das Studium des Kleingedruckten: »Die Koalition strebt in dieser Legislaturperiode eine Novelle des Bafög zum Wintersemester 2016/17 an.« In einfacher Sprache heißt das, dass das erst einmal nur ein Versprechen ist und zweitens, wenn es denn kommt, erst zum Herbst des Jahres 2016. Insofern sei hier die Bewertung des DGB-Bundesvorstands zitiert: »Die längst überfällige Reform des BAföG und die notwendige Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge soll nun erst Ende 2016 erfolgen. Zu diesem Zeitpunkt haben die Studierenden sechs Nullrunden hinter sich. Mehr als ein halbes Jahrzehnt wurde dann das BAföG nicht den Lebenshaltungskosten angepasst.«

Wie
bereits im Titel auf den Punkt gebracht: Parturient montes, nascetur ridiculus
mus.