Die selbsternannte „Bildungsrepublik“ kreißte und gebar eine föderalisierte Maus. Das „Bildungspaket“ ist vor allem eine haushälterische Flickschusterei in Zeiten des Patchwork-Regierens

Ganz offensichtlich leben wir in einem Land der „Pakete“. Erst vor kurzem wurde mit einer erheblichen Kraftanstrengung das höchst umstrittene „Rentenpaket“ durch den Bundestag geboxt. Und schon steht die nächste Lieferung vor der Tür: Nach monatelangem Geburtswehen konnte heute seitens der großen Koalition zusammen mit den Bundesländern der interessierten Öffentlichkeit eine Einigung hinsichtlich der Verteilung von sechs Milliarden Euro, die laut Koalitionsvertrag zusätzlich für die Bildung ausgegeben werden sollen, verkündet werden. Das „Bildungspaket“ ist nun also endlich geschnürt und kann ausgeliefert werden. Das hört sich doch gut an. Mehr Mittel für Bildung – wer kann und will etwas dagegen haben? Aber wie so oft im Leben wendet man sich bei genauerem hinschauen mit erneuter Enttäuschung von dem ab, was sich hinter der Verpackung verbirgt. Was als großer „Durchbruch“, gar als „Meilenstein“ für die notleidende Bildung bezeichnet wird, ist bei genauerer Betrachtung – abgesehen von partiellen Verbesserungen – im Kern nichts anderes als eine haushälterische Flickschusterei. Eine Gruppe wird sich nach dieser Einigung zwischen Bund und Ländern ganz sicher freuen und eine Flasche aufmachen: die Länderfinanzminister. Das sei ihnen gegönnt, aber aus bildungspolitischer Sicht dürfte man schon deutlich mehr erwarten.

Aber schauen wir uns zuerst einmal an, auf was man sich da nun verständigt hat. Ausgangspunkt des monatelangen Ringens um die Verteilung der in Aussicht gestellten Gelder ist eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag zwischen SPD und den Unionsparteien. Dort findet man – immerhin als ein Punkt der „prioritäten Maßnahmen“ – folgende Festlegung:

»Die Länder und Gemeinden stehen vor großen Herausforderungen bei der Finanzierung von Kinderkrippen, Kitas, Schulen und Hochschulen. Damit sie diese Aufgaben besser bewältigen können, werden die Länder in der laufenden Legislaturperiode in Höhe von sechs Milliarden Euro entlastet. Sollten die veranschlagten Mittel für die Kinderbetreuung für den Aufwuchs nicht ausreichen, werden sie entsprechend des erkennbaren Bedarfs aufgestockt« (Koalitionsvertrag, S. 63)

Sechs Monate hat man nun darüber gestritten, wie dieses Geld verteilt werden kann. Erst vor wenigen Tagen haben sich die Jugend- und Familienminister auf ihrer Jahreskonferenz in Mainz zu Wort gemeldet hinsichtlich der Verteilung auf Kinderbetreuung, Schule und Hochschule: „Wir erwarten, dass diese Summe zu gleichen Teilen auf diese Bereiche aufgeteilt wird“, so wurde die rheinland-pfälzische Familienministerin Irene Alt (Grüne) in dem Artikel Familienminister wollen zwei Milliarden vom Bund zitiert. Und weiter: »Das Geld soll definitiv für Kitas verwendet werden und nicht einfach in die Länderhaushalte fließen – das wiederum wollen die Finanzminister.« Da sind wir schon mittendrin in der föderalen Gemengelage, die zu dem geführt hat, was wir nun als Kompromiss der einzelnen Interessen bewundern dürfen/müssen.

Das Bundesfinanzministerium hat dazu ein schmuckloses, fast schon als lieblos zu charakterisierendes Schriftstück im Umfang von zwei Seiten veröffentlicht unter der Überschrift „Prioritäre Maßnahmen – Vorschlag für die Verteilung der finanziellen Mittel„. Darin findet man die folgenden Verteilungskomponenten:

1. Für die Kinderbetreuung ist folgende Regelung vorgesehen:
»Die Verteilung der finanziellen Mittel für die Krippen und Kitas erfolgt wie bisher für die Länder über das Sondervermögen Kinderbetreuung. Das Sondervermögen Kinderbetreuung weist derzeit noch ein Finanzvolumen von rund 450 Mio. Euro auf. Der Bund wird dieses Sondervermögen auf bis zu 1 Mrd. Euro aufstocken und in 2017/2018 den Festbetrag an der Umsatzsteuer zugunsten der Länder um jeweils 100 Mio. Euro erhöhen.«

2. Für den Bereich der Hochschulen und der Forschung:
»Der Bund finanziert außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, den Hochschulpakt, den Pakt für Forschung und Innovation und die Exzellenzinitiative weiter. Den Aufwuchs für die außeruniversitäre Forschung finanziert der Bund in Zukunft allein. Bund und Länder haben ein gemeinsames Interesse daran, bei Neuinvestitionen auch bestehende regionale strukturelle Ungleichgewichte in der deutschen Forschungslandschaft zu verringern.«

3. Und dann – das Bafög, das es seit 1971 gibt. Der Bund trug bisher 65 Prozent der Kosten für die Ausbildungsförderung, die Länder 35 Prozent):
»Der Bund übernimmt die Finanzierung des BAföG (für Schüler und Studierende) vollständig und auf Dauer ab 1. Januar 2015. Die Entlastungswirkung der Länder beträgt 1,17 Mrd. Euro (brutto) pro Jahr … Die Länder werden die frei werdenden Mittel zur Finanzierung von Bildungsausgaben im Bereich Hochschule und Schule verwenden. Die Koalition strebt in dieser Legislaturperiode eine Novelle des Bafög zum Wintersemester 2016/17 an.«

Es überrascht nicht, dass die Artikel in den Online-Ausgaben der Medien Überschriften transportieren, die wie eine mehr als verkürzte Zusammenfassung des „Bildungspakets“ daherkommen: Bund übernimmt das Bafög, findet man in der Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau, Bund entlastet Länder beim Bafög , so Spiegel Online oder Mehr Bafög ab 2016 heißt es bei der FAZ. Und aus dem Beitrag der FAZ sei dieser aufschlussreiche Passus zitiert:

»Schon haben die ersten Ministerpräsidenten ihre Freude über die Entlastung des Haushalts geäußert, die durch die vollständige Übernahme des Bafög durch den Bund ermöglicht wird. Bayern rechnet mit einer Minderausgaben von 170 Millionen Euro, Sachsen mit 85 Millionen, Bremen mit 13 Millionen. Ausbildungsstarke Länder und Stadtstaaten werden deutlich stärker entlastet als ein ausbildungsschwaches Land wie das Saarland mit einer einzigen Universität. Eine echte Zweckbindung im Sinne einer justiziablen Vereinbarung zur Verwendung der Gelder für Schule und Wissenschaft gibt es nicht.«

Genau das ist einer der zentralen problematischen Punkte. Der Bund entlastet die Bundesländer konkret in Milliardenhöhe, aber die Gegenleistung in dem Sinne, dass die dadurch ja frei werdenden Mittel der Bundesländer auch tatsächlich in Bildung reinvestiert werden, ist nichts weiter als eine politische Absichtserklärung. Damit haben sich letztendlich die Finanzminister der Länder durchgesetzt, die eine klare Zweckbindung der Mittel scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Und das sicherlich nicht, weil sie eine solche gar nicht brauchen, sondern nur darauf warten, die Mittelausstattung ihrer Schulen und Hochschulen deutlich nach oben zu hieven. In die gleiche Richtung geht die Kritik, die vom DGB-Bundesvorstand in einer Pressemitteilung geäußert wurde:

»Das Bildungspaket von Bund und Ländern entpuppt sich mehr und mehr als Mogelpackung. Hier werden nicht sechs Milliarden zusätzlich in Bildung und Wissenschaft investiert, sondern in erster Linie Kosten der Länder an den Bund verschoben. Sei es bei der vollständigen Übernahme des BAföG durch den Bund oder einem höheren Anteil an der Umsatzsteuer für die Länder – der Bund verteilt Blankoschecks. Ob die Länder diese Entlastung wirklich für mehr Bildungsinvestitionen nutzen, steht in den Sternen. Außer vagen Absichtserklärungen gibt es hier keine verbindlichen und vor allem überprüfbaren Zusagen«, so wird die stellvertretende DGB-Bundesvorsitzende Elke Hanning zitiert (vgl. Bildungspaket von Bund und Ländern entpuppt sich als Mogelpackung).

Vor diesem Hintergrund reagiert dann das System so, wie man es von dem System kennt – mit dem Vorschlag einer Komplexitätssteigerung der Komplexität, wenn man so will einer Komplexität zweiter Ordnung. In dem FAZ-Artikel finden wir auch dazu einen bezeichnenden Hinweis:

»Der Hauptberichterstatter für Bildung und Forschung im Haushaltsausschuss des Bundestags Swen Schulz (SPD) sagte dieser Zeitung, er wolle ein Monitoring-System aufbauen, um öffentlich zu machen, wofür die Länder die durch die Bafög-Entlastung frei werdenden Mittel im einzelnen verwendeten. Natürlich gebe es keine Rechtsverpflichtung, sie in Schule, Hochschule und Wissenschaft zu stecken, so Schulz, wohl aber eine politische Vereinbarung. Sollte ein Land die Mittel zweckentfremden, müsse das öffentlich werden.«

Na ganz toll – wir bauen also ein „Monitoring-System“ auf, um die korrekte Mittelverwendung – oder eben auch nicht – auf Seiten der Länder nachzuvollziehen. Erstens kann man dazu nur sagen, viel Spaß bei dem Versuch, die kreative Haushaltsführung in den Bundesländern in irgendeiner Art und Weise auf die Frage hin zu durchdringen, ob tatsächlich die Mittel, die frei geworden sind, zweckentsprechend verwendet werden. Und zweitens ist es keineswegs zynisch anzumerken, dass sich die Länderfinanzminister sicherlich vor Angst in die Hosen machen werden, wenn der Bund ihnen irgendwann einmal nachweisen sollte, dass die Bildungsmillionen tatsächlich für andere, sicherlich ebenfalls sehr dringlicher Ausgaben verwendet worden sind. Das ist doch alles der durchsichtige Versuch, das schlechte Gewissen mit einem Pflaster der Marke „Wir tun was, egal was aber auf alle Fälle was“ zuzukleben.

Besonders traurig, man kann allerdings auch sagen richtig perfide vor dem Hintergrund der Bedeutung wie auch der realen Probleme in diesem Bereich, ist die gefundene Lösung für die Kindertagesbetreuung. Es wurde bereits mit Bezug auf das Zitat der rheinland-pfälzischen Familienministerin Irene Alt (Grüne) darauf hingewiesen, dass auf der Fachebene nicht nur statt einer Milliarde Euro zwei Milliarden Euro gefordert wurden, was angesichts des bildungspolitischen Stellenwerts der frühkindlichen Bildung und Betreuung übrigens auch mehr als gerechtfertigt wäre, wenn man nur fünf Minuten darüber nachdenken würde, in welchem Bereich des Bildungssystems Investitionen hinsichtlich ihrer Effektivität wie auch mit Blick auf die daraus realisierbare gesamtgesellschaftliche Rendite besonders sinnvoll wären. Nun bekommt dieser Bereich des Bildungssystems keine zwei, sondern (angeblich) nur eine Milliarde Euro – allerdings noch nicht einmal die, wenn man das, was derzeit vorliegt als Ergebnis, rechnerisch nachzuvollziehen versucht.

Man kann es drehen und wenden wie man will, aber bei dem Versuch, die Formulierung in dem Papier aus dem Bundesfinanzministerium nachzuvollziehen, stehen am Ende immer 450 Millionen Euro, die einen schlichtweg fehlen. Denn dort heißt es ja: »Das Sondervermögen Kinderbetreuung weist derzeit noch ein Finanzvolumen von rund 450 Mio. Euro auf. Der Bund wird dieses Sondervermögen auf bis zu 1 Mrd. Euro aufstocken und in 2017/2018 den Festbetrag an der Umsatzsteuer zugunsten der Länder um jeweils 100 Mio. Euro erhöhen.« Also anders ausgedrückt: Derzeit gibt es bereits 450 Millionen Euro in dem besagten Sondervermögen Kinderbetreuung. Diese 450 Millionen Euro werden aufgestockt auf eine Milliarde €, das macht nach Adam Riese einen Betrag in Höhe von 550 Millionen Euro. Und im letzten Jahr der laufenden Legislaturperiode sollen dann noch mal 100 Mio. Euro dazu kommen – allerdings, das sei hier besonders hervorgehoben, auf dem Weg einer Veränderung der Umsatzsteuerverteilung zugunsten der Bundesländer, was bedeutet, dass dieses Geld in den allgemeinen Haushalt der Bundesländer fließt, sich hier mithin das gleiche Problem stellt wie oben beschrieben für den Bereich der Entlastung der Länder durch die Bafög-Übernahme seitens des Bundes. Das bedeutet auf der anderen Seite eben auch, dass keinesfalls sichergestellt ist, dass diese Beträge nun genau in der Kindertagesbetreuung ankommen werden. Fazit: Derzeit können wir sicher nur von 550 Millionen Euro ausgehen, die in den Bereich der Kindertagesbetreuung fließen werden.

Wenn man versucht, versöhnlich zu enden, könnte man doch wenigstens darauf hinweisen, dass es für die Studierenden dergestalt eine Verbesserung geben wird, dass das Bafög erhöht werden soll. Auch hier allerdings empfiehlt sich das Studium des Kleingedruckten: »Die Koalition strebt in dieser Legislaturperiode eine Novelle des Bafög zum Wintersemester 2016/17 an.« In einfacher Sprache heißt das, dass das erst einmal nur ein Versprechen ist und zweitens, wenn es denn kommt, erst zum Herbst des Jahres 2016. Insofern sei hier die Bewertung des DGB-Bundesvorstands zitiert: »Die längst überfällige Reform des BAföG und die notwendige Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge soll nun erst Ende 2016 erfolgen. Zu diesem Zeitpunkt haben die Studierenden sechs Nullrunden hinter sich. Mehr als ein halbes Jahrzehnt wurde dann das BAföG nicht den Lebenshaltungskosten angepasst.«

Wie
bereits im Titel auf den Punkt gebracht: Parturient montes, nascetur ridiculus
mus.