Unsichtbar + illegal und dann das deutsche System organisierter Nicht-Zuständigkeit. Eine neue Folge zur Ausbeutung ausländischer Lkw-Fahrer

In den vergangenen Jahren wurde hier immer wieder über die teilweise unerträgliche Situation vor allem ausländischer Lkw-Fahrer berichtet, die auf unseren Straßen im wahrsten Sinne des Wortes die Dinge am Laufen halten. Viele werden sich noch an die auf einmal sichtbar gewordene Spitze des Ausbeutungseisbergs erinnern, als die deutsche Autobahnraststätte Gräfenhausen zweimal zu einem Symbol des (übrigens nach deutschen Normen „wild“) streikenden Aufbäumens der ansonsten in der Unsichtbarkeit schuftenden Lkw-Fahrer aus fernen Ländern wurde.

Trotz ihrer Streikaktionen im Jahr 2023 hat sich wenig an der Lage vieler ausländischer Lkw-fahrer geändert, so beispielsweise dieser Artikel mit der schnörkellosen Überschrift Ausbeutung auf der Autobahn aus dem April 2024: »Sie leben im Lkw, sind oft monatelang für Hungerlöhne auf Tour und ihren Chefs meistens hilflos ausgeliefert: Lkw-Fahrer, vor allem aus Nicht-EU-Ländern.«

In dem Beitrag aus dem vergangenen Jahr wurde über einen Besuch auf einem Lkw-Parkplatz in Dortmund gemeinsam mit dem DGB-Projekt Faire Mobilität berichtet. Dort traf man »einen Lkw-Fahrer aus Belarus. Er erzählt, dass er von einer litauischen Agentur angeworben wurde. Am Tag bekomme er 75 Euro – brutto. Er schläft und lebt fast durchgängig in seinem Laster, weil es schon finanziell gar nicht anders geht.« Kein EInzelfall.

»Ein anderer Fahrer stammt aus der Ukraine und wurde von einer slowakischen Agentur angeheuert. Die wiederum fahre für eine österreichische Spedition kreuz und quer durch Deutschland. Der Fahrer bekomme den slowakischen Mindestlohn von circa 700 bis 900 Euro, dazu kommen ein paar Spesen, sagt er. Dabei steht den Fahrern laut Faire Mobilität ein westdeutscher Mindestlohn zu. Betroffen: vor allem Fahrer aus Ländern außerhalb der EU.«

„Es ist übliche Praxis. Alle Lkw-Fahrer werden so bezahlt. Sie haben auch nicht die Möglichkeit, zu einem anderen Arbeitgeber zu wechseln, weil es den nicht gibt“, so Anna Weirich von Faire Mobilität in dem Bericht. Inzwischen werden auch zunehmend Fahrer aus Asien eingesetzt. Sie sind den Launen ihrer Chefs erst recht ausgeliefert, schon wegen der Entfernung.

»Ein Fahrer von den Philippinen … (berichtet), er sei schon seit acht Monaten pausenlos in der EU unterwegs und habe Angst, dass ihn die Polizei erwischt, weil er keine Aufenthaltsgenehmigung habe. Zwei Fahrer aus Indien erzählen, dass sie über eine Zeitungsannonce zu ihrem Job gekommen sind. 4.000 Euro mussten sie an eine Agentur zahlen, um überhaupt herkommen zu können. Jetzt bekommen sie pro Person 1.700 Euro im Monat und fahren dafür zusammen über 21 Stunden am Tag, sagen sie.«

Eine neue Runde 2025

Das ist alles leider kein Schnee von gestern. »Speditionen nutzen offenbar ganze Firmennetzwerke, um ausländische LKW-Fahrer einzuschleusen und Sozialabgaben zu umgehen.« So beginnt der Beitrag Illegale LKW-Fahrer: So machen es Logistikfirmen den Ermittlern schwer von Daniel Drepper, Jana Heck, Tim Köksalan und Leon Ueberall. Um mit Blick auf die kriminell agierenden Speditionen zu ergänzen: Ein Ermittler berichtet, wie schwierig es ist, ihnen auf die Spur zu kommen.

Auch die Beispielbeschreibungen im Jahr 2025 klingen wie aufgewärmte Berichterstattungskost aus den vergangenen Jahren:

»Eine Autobahnraststätte in NRW, an einem Samstagabend Anfang Mai. Nikolai – weiße Haare, viele Falten – arbeitet seit einigen Wochen für eine Firma aus Polen, eigentlich kommt er aus Belarus. Er lebt und arbeitet für angeblich nur 75 Dollar am Tag im Fahrerhaus seines LKWs. „Wie in einer Hundehütte“, sagt Nikolai. Auf der gleichen Raststätte beladen weitere Fahrer ihre Kabinen mit Essen, Getränken, Kleidung – denn auch sie werden, so erzählen sie es, über Monate in ihren Fahrerhäuschen leben müssen. Sie sagen, dass sie aus Indien kommen und nach Stationen in Dubai und Kuwait nun für eine litauische Firma arbeiten, aber in Deutschland LKW fahren.«

Und auch hier wieder die notwendige Anmerkung:

»Der für die Kontrollen zuständige Zoll sagt …, dass zuletzt vermehrt scheinselbstständige Fahrer auffielen sowie Fahrer, die illegal nach Deutschland verliehen wurden.«

Das WDR-Politikmagazin Westpol und die Süddeutsche Zeitung haben vor diesem Hintergrund in den vergangenen Monaten zahlreiche Dokumente und E-Mails ausgewertet sowie mit Ermittlern, Behördenmitarbeitern, Spediteuren, Gewerkschaftern und Fahrern gesprochen.

»Angeworben werden die Fahrer aus Nicht-EU-Staaten wie Usbekistan oder Tadschikistan – teils mit falschen Versprechen – meist im Internet, etwa in mehreren Telegram- und Facebook-Gruppen mit jeweils zehntausenden Mitgliedern … In einigen dieser Gruppen erzählen Menschen von ihren angeblichen Erfahrungen in Europa, von den hohen deutschen Löhnen, von den Autos und Häusern, die sie sich durch die Arbeit als LKW-Fahrer leisten konnten. In Aussicht gestellt werden 3000 Euro Monatslohn.
Was dann folgen kann, zeigt sich etwa bei einer Durchsuchung im März in Duisburg. In einem Keller unter einer Spedition stoßen die Ermittler auf verschimmelte Pfannen und Töpfe, auf einen modrig riechenden Schlafraum mit zahlreichen Bettgestellen und auf einige Menschen, die weder Deutsch noch Englisch sprechen. Die LKW-Fahrer sollen nach ihrer Ankunft ein paar Tage in diesen Kellerräumen unter der Spedition gelebt haben, bevor sie einen LKW zugeteilt bekamen. Viele von ihnen sind mutmaßlich illegal hier, weil, so der Verdacht der Ermittler, das ganze Konstrukt illegal sei.«

»Die Recherchen legen nicht nur nahe, dass das Problem der illegalen Beschäftigung von LKW-Fahrern aus Nicht-EU-Staaten zuletzt immer größer geworden ist. Sie zeigen auch, wie schwer es deutschen Behörden fällt, dieses einzudämmen.«

(Wieder einmal) staatliches Versagen bei der Bekämpfung von Arbeitsausbeutung?

In dem Beitrag wird ein „erfahrener Ermittler“ zitiert: »Er ist frustriert, wie wenig Aufmerksamkeit die ausbeuterischen Strukturen in der Öffentlichkeit bekommen. Und dass in den Behörden noch immer zu wenig getan wird.«

»Der Ermittler sagt, ausländische Unternehmen würden damit beauftragt, die deutschen Firmen anzuschreiben oder anzurufen und aktiv ihr System anzubieten. Mit dem vermitteln sie Nicht-EU-Ausländer als LKW-Fahrer nach Deutschland.«

Und dieses System produziert gleich mehrere Opfer:

»Den gutgläubigen Fahrer, der unter widrigsten Bedingungen in Deutschland arbeitet, in seiner Fahrerkabine schlafen muss und weit weniger Geld erhält, als er erwartet hat. Dann die ehrlichen Unternehmen, die mit den Billigpreisen nicht mithalten können. Und auch die Sozialkassen und die deutschen Steuerzahler. Denn häufig geht es in solchen Fällen auch um Sozialversicherungsbetrug.«

Wie das funktioniert?

»Angestellt sind die Fahrer zumeist bei litauischen oder polnischen Firmen. Zumindest auf dem Papier. Oft, so erzählt es der Ermittler, würden die Fahrer in den Ländern aber nicht arbeiten. Stattdessen kommen sie nach Deutschland, wo sie monatelang in ihrem Führerhäuschen leben. Bezahlt werden sie auch nicht von deutschen Firmen, sondern aus Litauen, teilweise auch unter dem deutschen Mindestlohn. Bei Kontrollen fällt das nicht sofort auf, weil die Papiere der Fahrer offiziell und legal aussehen und weil erst intensive Ermittlungen zeigen könnten, ob ein illegales Konstrukt dahinter steht.
Besonders die verworrenen Firmenkonstrukte im EU-Ausland machen es den Ermittlern schwer, an die Hintermänner oder überhaupt an Informationen zu kommen.«

Für Ermittler ist das frustrierend, hinzu kommen noch Probleme bei deutschen Behörden selbst. Viele Ermittlungen zu diesen Betrugssystemen laufen bis heute oftmals schleppend.

Und da ist es wieder, das im Ergebnis deutsche System der organisierter Nicht-Zuständigkeit. In den Worten des Ermittlers:

„Wir haben einen Sachverhalt, wo mehrere Unternehmen, mehrere Behörden mit betraut werden müssen oder sollen, die ihre eigenen Kontroll- und Prüfbefugnisse haben. Und es gibt keine zentrale Möglichkeit, das zu koordinieren.“

Neben den unterschiedlichen Zuständigkeiten fehle es auch an Personal und technischen Möglichkeiten.

Das sind übrigens nicht nur Klagen seitens derjenigen, die ermitteln sollen.

»Sogar Chefs von Logistikverbänden wie Dirk Engelhardt vom Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung fordern eine bessere Zusammenarbeit der verschiedenen Gewerke, fordern mehr gemeinsame Kontrollen und Digitalisierung.«

Die Recherchen haben Hinweise auf ein größeres Netzwerk zu Tage gefördert, das anscheinend LKW-Fahrer aus dem Nicht-EU-Ausland rekrutiert und nach Deutschland vermittelt.

Globalisierung nicht nur bei den Billig-Fahrern auf den Straßen, sondern auch bei den Profiteuren

»Die Recherchen zeigen mehrere Firmen vor allem in Litauen, aber auch in Gibraltar und auf den Bermudas, die miteinander in Verbindung stehen. Die Anschrift des Hauptsitzes liegt offiziell in einem unscheinbaren Reihenhaus in Irland.«

Wenn man schon bei den Profiteuren ist, wird die Frage aufgeworfen, »ob deutsche Firmen sich mit der Einschleusung von Leiharbeitern hier um die Sozialversicherungsabgaben drücken.«

Der Zoll berichtet auf Anfrage, dass im Jahr 2023 insgesamt mehr als 1.100 Strafverfahren wegen Sozialversicherungsbetrug in der Spedition-, Transport- und Logistikbranche eingeleitet wurden.

Und tut sich was auf der Kontroll- und Ermittlungsseite? Ja, aber

»Um die Prozesse bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls zu verbessern, hatte das Bundesfinanzministerium bereits 2024 einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, der aber nicht mehr beraten oder verabschiedet wurde. Nun soll er laut Zoll erneut eingebracht werden.«

Damit werden wir allein gelassen. Man darf also weiter hoffen. Und warten.