Weiterhin arbeiten viele Menschen – vor allem in Ostdeutschland – im Niedriglohnsektor. Aber der Anteil an allen Beschäftigten geht weiter zurück

Wenn man wissen will, ob jemand im Niedriglohnsektor arbeitet, dann braucht man ein in Euro messbares Kriterium. Hier kommt dann die sogenannten Niedriglohnschwelle ins Spiel. Rechnerisch entspricht sie zwei Dritteln des Median-Bruttostundenverdienstes aller abhängig Beschäftigten (ohne Auszubildende). Das Medianentgelt – also 50 Prozent haben weniger und 50 Prozent mehr als den Medianwert – wird für das Jahr 2023 mit 3.796 Euro im Monat ausgewiesen. Die Niedriglohnschwelle lag im vergangenen Jahr folglich bei 13,04 Euro. Wenn man mit weniger als diesem Brutto-Stundenlohn nach Hause gekommen ist, dann zählte man zu den Niedriglöhnern.

Im Jahr 2023 gab es rund 21,99 Millionen sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigte (ohne Auszubildende). Im Niedriglohnsektor befanden sich im vergangenen Jahr 3,36 Millionen sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigte, das entspricht einem Anteil von 15,3 Prozent.

Warum die Beschränkung auf die Kerngruppe der sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten? Dadurch können Vergleiche durchgeführt werden, die in ihrer Aussagekraft nicht durch Unterschiede in der Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse beeinflusst sind, z. B. durch eine unterschiedliche Anzahl bzw. Anteilen von Teilzeitbeschäftigten in verschiedenen Berufen oder Regionen.

Und weiterhin gilt die Aussage: Besonders ostdeutsche Bundesländer sind von niedrigen Löhnen betroffen. Im Jahr 2023 befanden sich in Ostdeutschland 22,2 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnsektor, in Westdeutschland waren es nur 13,8 Prozent.

➔ Aber: Die Anteilswerte der Niedriglöhner an allen Beschäftigten sind rückläufig: Im Jahr 2019 befanden sich in Ostdeutschland noch 30,4 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnsektor, in Westdeutschland 16,3 Prozent. Im gesamten Bundesgebiet waren es damals knapp 19 Prozent.

Frauen sind stärker betroffen als Männer – hier lagen die Anteilswerte bei 19 Prozent bei den Frauen und „nur“ 13 Prozent bei den Männern. Als Hauptursachen dafür wird angegeben, dass Frauen oft in gering bezahlten Berufen und Branchen arbeiten und sehr viel häufiger Teilzeit- oder geringfügig Beschäftigte sind.

Und in welchen Branchen gibt es häufiger niedrige Löhne? Besonders betroffen sind die Bereiche Gastgewerbe, Land- und Forstwirtschaft und Fischerei.

Ein weiterer Risikofaktor: 37 Prozent der 2023 mit Niedriglohn bezahlten Menschen haben keinen Berufsabschluss.

Wenn man einen Blick auf die Niedriglohnschwelle von 13,04 Euro pro Stunde im vergangenen Jahr wirft, dann muss man zur Kenntnis nehmen, dass alle diejenigen, die nur den gesetzlichen Mindestlohn bekommen, unter der Niedriglohnschwelle liegen. Der gesetzliche Mindestlohn belief sich 2023 nach der einmaligen (?) „Sonderanhebung“ durch eine politische Vorgabe auf 12 Euro (seit dem 1. Januar 2024 sind es 12,41 Euro und am 1. Januar 2025 soll eine weiter Anhebung dann auf 12,82 Euro stattfinden. Mit anderen Worten – selbst im kommenden Jahr liegt ein Mindestlöhner unter der Niedriglohnschwelle des Jahres 2023.

Wo diese Zahlen herkommen? Sie sind der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage im Deutschen Bundestag entnommen und die enthält im Anhang zahlreiche Tabellen, mit deren Hilfe man einen differenzierten Blick auf die Lohnverteilung werfen kann:

➔ Niedriglöhne in Deutschland, Bundestags-Drucksache 20/12721 vom 23.08.2024

Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Entwicklung des Niedriglohnsektors in Deutschland und Hinweisen auf weitere Quellen kann man diesem Beitrag entnehmen:

➔ Stefan Sell (2024): Er ist geschrumpft. Der Niedriglohnsektor in Deutschland, in: Aktuelle Sozialpolitik, 13.02.2024

Diese Schrumpfung hält nun schon seit längerem an – und besonders positiv davon betroffen sind die Menschen in Ostdeutschland, denn dort sind die Quoten der Niedriglohnbeschäftigten deutlich stärker zurückgegangen als in Westdeutschland. Die Ursache für den starken Rückgang im Osten ist der gesetzliche Mindestlohn bzw. dessen Auswirkungen. Zum einen waren und sind dort zum einen viel mehr Beschäftigte als im Westen tangiert und zugleich treibt der Mindestlohn (der ja immer noch und weiterhin unter der Niedriglohnschwelle liegt) die Löhne oberhalb des Mindestlohnes nach oben, damit der vorhandene Abstand gewahrt werden kann.