Der eine oder andere wird es in den vergangenen Monaten im eigenen Haushalt erlebt haben: endlich gibt es einen Glasfaser-Anschluss und damit die Zugangsmöglichkeit zum stabilen schnellen Internet. Und man wird sich an die dafür notwendigen Bauarbeiten erinnern. Und die haben so manchem, anders als das sprichwörtliche Bohren beim Zahnarzt, doch sehr weh getan.
»Seit fast vier Jahren geht das so, alles aufgerissen, nur schlecht zugeschüttet, alles Murks. Wir finden noch nicht mal Ansprechpartner bei den Firmen, weil ständig die Bauleiter wechseln.« Mit diesen Worten wird Rüdiger Germeroth, Bürgermeister im nordhessischen Zierenberg, zitiert. In dem Artikel „Alles aufgerissen, alles Murks“ wird das nicht als bedauerliche Erfahrung einer Kommune beschrieben, sondern behauptet: »Kein Einzelfall: Was hier passiert, darüber klagen viele Kommunen.«
Dahinter steht wieder einmal wie im Lehrbuch eine an sich gute Absicht: »Bis 2030 sollen alle Haushalte und Betriebe in Deutschland bei Highspeed-Internet angekommen sein. Um das Großprojekt Glasfaserausbau zu beschleunigen, wurden im Telekommunikationsgesetz Verfahrenserleichterungen festgeschrieben. Konkret: Alle lizensierten Anbieter haben freien Zugang zum Glasfaserausbau und damit zu den öffentlichen Wegen.«
»Die Folge ist eine weitgehende Rechtlosigkeit der Kommunen. Zwar sind die Telekommunikationsunternehmen verpflichtet, die Verkehrswege wieder instandzusetzen. Aber kommen sie dieser Verpflichtung nur ungenügend nach, sind die Gemeinden den Bautrupps ausgeliefert.«
„Bei manchen Subunternehmen fragt man sich, ob die jemals was mit Tiefbau am Hut hatten“ (Dieter Hornung, Bürgermeister in Burghaun, einer Gemeinde in Osthessen)
»Neben den großen Telekommunikations-Konzernen wie Telekom und Vodafone sind derzeit mehr als 200 Glasfaserunternehmen in Deutschland aktiv, um Tempo zu machen. Denn immer noch ist Deutschland beim Breitbandausbau eine gigantische Baustelle. Dabei wollte die Politik schon 1981 Glasfaser. Das war unter Helmut Schmidt. Dann kam ein neuer Kanzler – Helmut Kohl setzte auf Kupferkabel, und das zieht sich bis heute durch die Republik.«
Man kann das, was derzeit viele Bürger in ihren Kommunen erleben, als ein wirtschaftspolitisches Fallbeispiel par excellence durchspielen. Hier aber soll die andere Seite der Medaille in den Blick genommen werden – die Bauarbeiter, die das machen (müssen). Und nein, es wird viele nicht wirklich überraschen, wenn man hier davon ausgeht, dass mal wieder das Sub-Sub-Subunternehmertum sein Unwesen treibt. Auch wenn die öffentliche Infrastruktur wie Gehwege, Straßen usw. Schaden nimmt – zuallererst einmal sind es die Menschen am Ende einer langen Verwertungskette, die Schaden nehmen. Also nicht die Hausbesitzer und Mieter, sondern diejenigen, die den Ausbau realisieren.
Hungern trotz Arbeit: Ausgebeutet im Glasfaserausbau
Unter diesem Titel hat sich das Politikmagazin „Report Mainz“ mit den Zuständen beim Glasfaserausbau beschäftigt, hier mit Blick auf die, die das machen müssen. Die »Schattenseiten zeigen sich auf etlichen Baustellen: Arbeiter, zum Beispiel aus Osteuropa oder Syrien, werden um ihren Lohn gebracht, müssen teilweise sogar hungern«, behaupten Anna Stradinger und Daniel Hoh in ihrem Beitrag Hungern trotz Arbeit: Ausgebeutet im Glasfaserausbau vom 14. Februar 2024. Das Politikmagazin hat dutzende Fälle von Arbeitsausbeutung aus verschiedenen Regionen Deutschlands dokumentiert. Gewerkschaftsvertreter sprechen von flächendeckenden, strukturellen Problemen in der Glasfaserbranche.
Hier einer der Beispielfälle:
»Für Tahir, Jovan und Sasa waren es harte Monate: Im vergangenen Sommer kamen die drei Männer aus Serbien und Bosnien nach Deutschland, um hier beim Ausbau des Glasfasernetzes zu arbeiten. In Mössingen in Baden-Württemberg rissen sie Straßen und Gehwege auf, um darin dann die Leerrohre für die hauchdünnen Glasfaser zu legen. „Alles, was ich im Leben geschafft habe, habe ich mit meinen zehn Fingern geschafft“, erzählt Tahir stolz. So sollte es auch dieses Mal sein. Doch ihre direkten Arbeitgeber aus Slowenien und Kroatien hätten sie nur ausgenutzt, sagen die drei. Das Versprechen, einen ordentlichen Arbeitsvertrag zu erhalten, kranken- und sozialversichert zu sein, sei nie eingehalten worden. Die drei Arbeiter sind im vergangenen Herbst in ihre Heimat zurückgekehrt, warten aber bis heute auf einen Teil ihres Lohns. Zwölf Euro pro Stunde seien damals vereinbart gewesen, sagt Sasa. Allein ihm fehlten noch rund 3.000 Euro. Geld, auf das der alleinerziehende Vater dringend angewiesen ist.«
Und was ist mit der Arbeitgeberseite?
»Inzwischen geben rund 20 weitere Personen an, dass ihnen bei denselben Arbeitgebern Ähnliches passiert sei. In Mössingen war es die Deutsche Glasfaser, die vor Ort das Netz baute. Allerdings bedient sich der Konzern – wie insgesamt in der Glasfaser- und Baubranche üblich – weiterer General-, Nach- und Subunternehmen, die die Arbeiten vor Ort koordinieren und ausführen.« (Quelle: Bauarbeiter ausgebeutet und schikaniert, 13.02.2024).
Das scheint kein Einzelfall zu sein, wenn man den recherchierten anderen Fällen Glauben schenkt:
»Die Palette reicht von Schwarzarbeit, illegaler Beschäftigung und Lohnprellerei über 16-Stunden-Arbeitstage bis hin zu organisierter Kriminalität und Menschenhandel – alles passiert im Glasfaserausbau.«
In einem Fall, in Rittersheim in Rheinland-Pfalz, erzählt der Ortsbürgermeister sogar von Bauarbeitern, die hungern mussten.
Und auch hier wird man mit dem seit Jahren bekannten Unwesen der Subunternehmer-Ketten konfrontiert:
»Ein Problem für die betroffenen Arbeiter ist oft die Intransparenz des Sub-Subunternehmer-Systems. Beispiel Dawid Serafin: Der Pole arbeitete vor drei Jahren auf mehreren Glasfaser-Baustellen zwischen Schleswig und Rendsburg. Als sein Arbeitgeber den ausstehenden Lohn in Höhe von mehr als 8.000 Euro netto nicht zahlte, zog er vor das Arbeitsgericht Flensburg. Das Gericht gab ihm zwar recht, doch sein früherer Arbeitgeber meldete Insolvenz an – und zahlt deshalb bis heute nicht. Jetzt müsste sich Serafin eigentlich an den nächsten in der Sub-Subunternehmerkette wenden, etwa den Generalunternehmer. Doch wer das ist, weiß er nicht – noch nicht einmal, welcher Anbieter damals in Norddeutschland den Netzbau beauftragte … Die Intransparenz erschwere es sowohl den Zollbehörden als auch den Beschäftigten, das Recht durchzusetzen.«
Frederic Hüttenhoff vom Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen verweist auf das extreme Abhängigkeitsverhältnis:
Man müsse berücksichtigen, »dass viele Bauarbeiter – ob aus Osteuropa oder aus Drittstaaten wie Nordafrika oder Nahost – oft über kein Netzwerk verfügten und es sich deshalb mit ihrem einzigen Arbeitgeber nicht verscherzen wollten. „Also gehen sie nicht gegen Arbeitsausbeutung vor.“ Noch schlimmer sei es oft für Personen aus Drittstaaten, die hier nur ein Aufenthaltsrecht hätten. „Das Aufenthaltsrecht ist hier an die Beschäftigung gekoppelt. Verlieren sie ihren Job, müssen sie zeitnah ausreisen.“ Die Arbeitnehmer befinden sich also in einem starken Abhängigkeitsverhältnis.«
Auch aus dem Saarland kommen Berichte über Arbeitsausbeutung
»Der flächendeckende Glasfaserausbau sollte hunderttausende Haushalte im Saarland mit Highspeed-Internet versorgen. So war der Plan vor rund zwei Jahren. Doch es mangelte hierzulande seit längerer Zeit bereits an qualifizierten Fachkräften, die für entsprechende Bauarbeiten benötigt werden. Firmen warben daher Personal aus dem Ausland an, etwa aus Süd- und Mittelamerika sowie Nordafrika, um mit dem Glasfaserausbau direkt loslegen zu können.« Eine Recherche des Saarländischen Rundfunks zeigt am Beispiel der Gemeinde Namborn im Kreis St. Wendel: Diese Bauarbeiter wurden offenbar ausgebeutet so der Bericht Glaserfaserausbau: Wurden Menschen im Saarland ausgebeutet? von Daniel Novickij. Und wenn man sich die Fallschilderung durchliest, dann wird man erneut Zeuge des hier vielfach beklagten Staatsversagens beim Arbeitsschutz in Deutschland:
»Es geht in Namborn um Menschen, die nach SR-Informationen aus Bolivien, Peru, Honduras, Ecuador, Venezuela oder Marokko kamen und kein Deutsch konnten, sprich sie waren von ihrem Umfeld abhängig – und das scheint offenbar gezielt ausgenutzt worden zu sein.
„Ich würde das als modernes Sklaventum bezeichnen“, sagt der Ortsvorsteher vom Ortsteil Gehweiler, Lars Haßdenteufel (Freie Liste Namborn). Seiner Einschätzung nach haben die Bauarbeiter mehr als die gesetzlich erlaubten zehn Stunden am Tag gearbeitet.
„Die Arbeiter sind im Sommer noch vor dem Morgengrauen angerückt und haben gearbeitet, bis es wieder dunkel wurde“, so Haßdenteufel. Am nächsten Tag seien es dann wieder die gleichen Arbeiter wie am Abend zuvor gewesen … Laut Anwohnern und Ortsvorstehern der Gemeinde Namborn sollen bei einigen Bauarbeitern Arbeitschutzkleidungen gefehlt haben, etwa Hörschutz, Helme oder Sicherheitsschuhe. Diese Arbeiter seien vor allem im Tiefbau eingesetzt worden, einem Bereich, bei dem eine solche Ausrüstung teils verpflichtend ist … Zudem sollen die Bauarbeiter nach SR-Informationen vereinzelt nur Dumping-Löhne erhalten haben.«
Und die „Arbeitgeber“? Das Unternehmen „Deutsche Glasfaser“ beauftragte eigenen Angaben zufolge „Geodesia“ als Generalunternehmen für den Glasfaserausbau in Namborn. Deutsche Glasfaser und Geodesia beteuerten schriftlich, nichts von solchen Missständen in Namborn gewusst zu haben.
»Nachdem Deutsche Glasfaser Geodesia mit dem Glasfaserausbau in der Gemeinde Namborn beauftragte, hat Geodesia wiederum nach eigenen Angaben mehrere weitere Subunternehmen mit den Bauarbeiten vor Ort beauftragt. Diese haben ihrerseits nach SR-Informationen selbst andere Firmen beauftragt.«
Könnte man was tun?
Anna Stradinger und Daniel Hoh lassen in ihrem Beitrag einen Politiker aus den Reihen der regierenden Ampel-Koalition zu Wort kommen – der vielen noch bekannt ist als der ehemalige Chef der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di: Frank Bsirske, der mittlerweile als Abgeordneter für die Grünen im Bundestag sitzt.
»Wegen der bundesweiten Fälle von Sozialdumping im Glasfaserausbau werden die Rufe nach schärferen Regeln lauter. Im Interview … fordert zum Beispiel Frank Bsirske, grüner Bundestagsabgeordneter und früherer Chef der Gewerkschaft ver.di, eine sogenannte Sonderregelung Glasfaser. „Das heißt, es sollen nur solche Generalunternehmen und solche Subunternehmen beauftragt werden dürfen, die nachweisen können, dass sie bei der SOKA-BAU, also der Sozialkasse der Bauwirtschaft, angemeldet sind.“ Genauso kann sich der Ampel-Politiker weitere Gesetzesverschärfungen vorstellen: zum Beispiel eine Pflicht, wonach die Telekom-Anbieter regelmäßig alle Unternehmen in der Kette kontrollieren müssen, um zu überprüfen, ob diese sich an die gesetzlichen Vorgaben halten. Auch sollten die milliardenschweren Zuschüsse von Bund, Ländern und Kommunen für den Glasfaserausbau an Sozialstandards gekoppelt sein. Denn eines sei für die Branche klar, so Bsirske: „Das sind himmelschreiende Verhältnisse, das ist organisierter Lohnbetrug, der danach schreit, zu handeln.“«
Auch wenn der eine oder andere die überschaubare Kleinteiligkeit der konkreten Vorschläge und eine vermutliche Wirkungslosigkeit dessen, was da als Möglichkeit des Handelns zur Diskussion gestellt wird, beklagen wird: ansonsten herrscht flächendeckend und parteiübergreifend Stille über dem Glasfaser-See.
Leider ist der Glasfaserausbau ein weiteres unter vielen Beispielen (gerade, aber nicht nur im Baubereich), wie durch die Globalisierung der Arbeit Dumpinglöhne nach Deutschland importiert werden können und nicht nur die Unternehmen, auch die vielen Kunden eine Ausbeutungsdividende auf der Preisseite einstreichen können.