Die Spargelsaison hat begonnen und die Erntehelfer kommen aus der Wiedervorlage. Wie im vergangenen Jahr auch 2024 ein Nicht-Thema?

Am 18. Juni 2023 wurde hier der Beitrag Alles gut jetzt? Erntehelfer in Deutschland als Nicht-Thema im Jahr 2023 veröffentlicht. »Und jedes Jahr grüßt das Erntehelfer-Murmeltier. So könnte man den Tatbestand umschreiben, dass in der Vergangenheit – meist zu Beginn der Erntesaison – immer eine zwar kurze, aber heftige Welle der Berichterstattung über problematische bis skandalös schlechte Arbeitsbedingungen durch die Medien schwappt, um dann spätestens im Sommerloch zu verschwinden.« Aber für 2023 wurde ein insgesamt eher stilles „Erntehelfer-Jahr“ konstatiert, mit nur sehr wenigen Berichten über die Lage der zumeist osteuropäischen Saisonarbeiter.

Nun schreiben wir 2024 und die Spargel-Saison hat bereits begonnen. Damit assoziieren viele die Erntehelfer, die aber natürlich auch die Erdbeeren und andere Köstlichkeiten vom Feld holen. Wie sieht es dieses Jahr aus? Erneut ein Nicht-Thema?

Bislang beschränkt sich die Berichterstattung vor allem auf die Rezeption des alljährlichen Saisonberichts der Initiative Faire Landwirtschaft (vgl. dazu beispielsweise Spargelstechen zum Mindestlohn: Wie prekär ist die Saisonarbeit in der Landwirtschaft? oder Gewerkschaften treten für Rentenansprüche von Saisonarbeitern ein). Im März 2024 wurde der für das vergangene Jahr 2023 veröffentlicht, seit 2018 wird das jährlich gemacht:

➔ Initiative Faire Landarbeit (2024): Bericht 2023. Saisonarbeit in der Landwirtschaft, Frankfurt am Main: Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt IG BAU, März 2024

Die zuständige Gewerkschaft IG BAU hat ihre Pressemitteilung dazu unter den Titel Keine ausreichende soziale Absicherung, zu wenig Lohn und zu lange Arbeitszeiten gestellt, eine erste Auflistung, die zumindest verdeutlicht, dass wohl nun nicht alles in Ordnung gebracht wurde in diesem ganz besonderen Arbeitsmarkt-Segment, sondern man von fortdauernden Problemen ausgehen muss. Schauen wir genauer hin:

Aus dem Bericht über die Saisonarbeit in der Landwirtschaft für 2023 wird ein konkreter Fall herausgegriffen, an dem man die politische Forderung der Gewerkschaft IG BAU gemeinsam mit dem DGB, dass sich auch kurzfristig Beschäftigte in der Landwirtschaft einen Rentenanspruch erwirtschaften können, illustrieren kann:

»Die Polin Daria M., 45, hat zehn Jahre in Folge für jeweils sieben Monate in einem Betrieb in Deutschland gearbeitet. Trotz der langen Dauer wurde sie über Kettenverträge kurzfristig beschäftigt. Im August 2023 wurde sie zu dieser Erfahrung befragt, dabei verglich sie ihre Situation mit der ihrer Schwester, die in dieser Zeit in Polen bei einem Arbeitgeber beschäftigt war, der Sozialbeiträge abgeführt hat: „Ich habe diese zehn Jahre verloren, und das ist schlimm. Ich meine, keine Sozialbeiträge, besonders keine Rentenbeiträge. Jetzt mache ich mir große Sorgen, wenn ich die jungen Menschen heute sehe, die jedes Jahr nach Deutschland gehen, jünger als ich und sie haben keine Sozialversicherung.“«

Es wird auf die bestehende bunte Landschaft an Sonder- und Ausnahmeregelungen hingewiesen. In der Saisonarbeit und der mobilen Beschäftigung gibt es eine Vielzahl von Sonderregelungen, meist zugunsten der Arbeitgeber:

»Sie können Beschäftigte bis zu 70 Arbeitstage kurzfristig anstellen und damit Sozialversicherungsabgaben sparen. Sie können Ausnahmegenehmigungen für eine tägliche Arbeitszeit von bis zu zwölf Stunden statt der ansonsten üblichen Obergrenze von zehn Stunden einholen. Darüber hinaus können sie die Kosten für die Bereitstellung von Unterkunft und Verpflegung vom Mindestlohn abziehen und bei Aushilfstätigkeiten extrem kurze Kündigungsfristen von nur einem Tag im Arbeitsvertrag festschreiben.«

Auch für das Jahr 2023 wurde als Grundproblem benannt: die oftmals deutliche Unterschreitung des Mindestlohns. Außerdem wurde mehrfach die Arbeitszeit über die gesetzlich erlaubte Grenze ausgeweitet.

Weitere aus den Vorjahren bekannte Phänomene: Erntearbeiter, »die die oft sehr hohen Leistungsvorgaben nicht erreichten, wurden nach wenigen Tagen mit extrem kurzer Kündigungsfrist entlassen. Obendrein wurde der Lohn erst kurz vor der Abreise ausbezahlt, so dass eine eingehende Kontrolle nur schwer möglich war. Festzustellen war auch, dass mehrfach überhöhte Kosten für die Unterbringung in Drei- und Vierbettzimmern den Beschäftigten vom Lohn abgezogen wurden. Schließlich war wie schon im vergangenen Jahr der Krankenversicherungsschutz ein Ärgernis. Immer noch sind die Gruppenversicherungen üblich, die keinen ausreichenden Schutz gewähren. Oftmals bleiben Arztkosten bei den Beschäftigten selbst hängen.«

Sollte nur ein Teil dieser Punkt nicht nur in Einzelfällen zutreffen, dann kann man wohl kaum die These vertreten, dass die deutliche Abnahme der Berichterstattung über die Situation von Erntehelfern in Deutschland darauf zurückzuführen sei, dass es deutliche Verbesserung bzw. eine „Normalisierung“ der Arbeitsbedingungen gegeben hat, was es ja auch rechtfertigen würde, dann weniger oder gar nicht mehr zu berichten.

Die Arbeitgeber hatten im vergangenen Jahr erkennbar weniger Probleme, Erntehelfer zu rekrutieren, wie es noch in den Vorjahren der Fall war. Dies hängt auch damit zusammen, dass es zwischenzeitlich zu einer Reduzierung der Anbauflächen von Spargel und Erdbeeren gekommen ist, was dann natürlich auch den Personalbedarf verringert.

Interessant (und für eine statistische Befassung mit dem Thema Erntehelfer hoch relevant) ist die Beobachtung, dass »mobile Beschäftigte aus Osteuropa längst nicht mehr nur „Saisonarbeiter“ (sind), sondern (sie) arbeiten teilweise über das gesamte Jahr verteilt in der Tierhaltung, in Baumschulen oder in der Pferdewirtschaft. Somit ist die Zahl der kurzfristig Beschäftigten über die Jahre gesunken, die der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus dem Ausland jedoch gestiegen.«

Die Gewerkschaft vermutet hier auch einen Effekt der sozialrechtlichen Praxis und Rechtsprechung. Zur Abnahme der Zahl der kurzfristig Beschäftigten:

»Dafür gibt es vor allem zwei Gründe: Die Deutsche Rentenversicherung prüft die Beschäftigungsverhältnisse inzwischen offenbar strenger als zuvor an. Jüngst hat ein Sozialgericht bei einer Reihe von kurzfristig Beschäftigten entschieden, dass bei ihrer Anstellung eindeutig „Berufsmäßigkeit“ vorgelegen habe. Bedingt durch den andauernden Arbeitskräftemangel greifen viele Arbeitgeber*innen jetzt langfristig auf Männer und Frauen aus Osteuropa zu.«

Fazit: Es wird – vor allem, wenn die öffentliche Berichterstattung noch weniger wird – besonders wichtig werden, dass über ausreichende Kontrollen des Arbeitsschutzes die Arbeitsbedingungen der Saisonarbeiter im Blick behalten werden. Dafür aber gibt es derzeit bei der desaströsen Lage der Arbeitskontrollen in Deutschland, wenig Grund für Optimismus.