In den USA rollt eine Streikwelle, mit durchaus beachtlichen Erfolgen auf Seiten der Gewerkschaften

Jahrelang wurde mit Blick auf die USA immer berichtet, dass dort die Gewerkschaften nur noch ein Schattendasein fristen und Streiks wurde als Thema des „alten Europa“ abgehandelt. Das hat sich in den vergangenen Monaten erkennbar geändert. Man kann sogar von einer Streikwelle sprechen, die sich durch ganz unterschiedliche Branchen zieht. Da sind die Drehbuchtautoren und (noch immer) die Schauspieler, die sich im Ausstand befanden bzw. befinden (vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Arbeitskämpfe als historisches Moment. Zur fundamentalen Bedeutung der Streiks von Drehbuchautoren und Schauspielern in den USA diesseits von Glanz und Glamour, der hier am 15. September 2023 veröffentlicht wurde).

Mitte September 2023 begann der Arbeitskampf der United Auto Workers (UAW) gegen die sogenannten Big Three (die Autohersteller General Motors, Ford und Stellantis). Bereits die Überschrift dieses Artikels deutet an, dass hier etwas Bedeutsames passiert: Historischer Streik bei den US-Autobauern. »Eine Besonderheit ist die Strategie des „Stand-up strike“ der Gewerkschaft. Dabei werden nicht alle Produktionsstätten gleichzeitig und mit Vorlauf, sondern im ungleichmäßigen Wechsel und nach kurzfristigen Ankündigungen bestreikt. Das erhöht den Druck auf die Konzerne, die nicht wissen, wo als nächstes die Bänder stillstehen. Gleichzeitig konnte viel öffentliche Unterstützung generiert werden«, so Barry Eidlin in seinem am 20. Oktober 2023 veröffentlichten Beitrag Die Streiks in der US-Autoindustrie sind eine Rückkehr zu alter Stärke.

Und zuweilen reicht bereits die Androhung eines Streiks, um beachtliche Ergebnisse erreichen zu können. So bei den Paketdiensten, für deren Beschäftigte die Gewerkschaft Teamsters zuständig ist. Die Gewerkschaft vertritt 340.000 UPS-Beschäftigte in den USA. Zum Stellenwert von UPS auf dem US-amerikanischen Paketmarkt: »Die 24 Millionen Pakete, die UPS täglich versendet, machen nach Angaben des globalen Versand- und Logistikunternehmens Pitney Bowes etwa ein Viertel des gesamten Paketvolumens in den USA aus. Laut UPS entspricht dies etwa sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts der USA. Millionen von Amerikanern sind inzwischen an Onlineeinkäufe und schnelle Zustellung gewöhnt. Das Beratungsunternehmen Anderson Economic Group schätzt, dass ein zehntägiger UPS-Streik die US-Wirtschaft mehr als sieben Milliarden Dollar gekostet (hätte)«, kann man einem Artikel entnehmen, der über die Einigung zwischen der Gewerkschaft und dem Unternehmen UPS berichtet. Denn es musste gar nicht erst zur Streikaktionen kommen – UPS hat auf dem Verhandlungsweg eingelenkt. »Es sei der lukrativste Vertrag, der je bei UPS ausgehandelt wurde, sagt die Gewerkschaft: Bis zu 170.000 Dollar jährlich können Fahrer des US-Zustelldienstes künftig erhalten – inklusive Sozialbeiträge.« Die Gewerkschaft hat ihre Erfolgsmeldung dazu im Sommer so überschrieben: “We’ve Changed the Game”: Teamsters Win Historic UPS Contract. Es wird darauf hingewiesen, dass »dem Logistikkonzern UPS unter Androhung eines riesigen Streiks historische Zugeständnisse abgerungen«. Die »340.000 UPS-Beschäftigte … erhalten im Rahmen der vorläufigen Einigung als Voll- und Teilzeitbeschäftigte im Jahr 2023 2,75 Dollar mehr pro Stunde. Bis zum Ende der fünfjährigen Vertragslaufzeit sind es insgesamt 7,50 Dollar mehr. Das entspricht mehr als 15.000 Dollar pro Jahr. Der Einstiegsstundenlohn für Teilzeitbeschäftigte wurde ebenfalls auf 21 Dollar angehoben – er liegt damit allerdings deutlich unter dem Lohn für Vollzeitkräfte.« Aber es gibt nicht nur mehr Geld: »Im Rahmen der Einigung erklärte sich UPS außerdem bereit, den Martin Luther King Jr. Day zu einem vollen Feiertag zu machen. Auch sollen in den Fahrerkabinen keine Kameras mehr laufen. Zudem sollen mehr Lastwagen mit Klimaanlagen ausgestattet werden.« Man muss zur Einordnung darauf hinweisen, dass UPS in den vergangenen Jahren hohe Gewinne erzielt hat, auch der Anstieg der Onlineeinkäufe während der Pandemie trug dazu bei.

In diesem Jahr hat es auch das Gesundheitswesen in den USA „erwischt“ – mit zahlreichen Parallelen zu den Auseinandersetzungen, die wir auch aus dem deutschen Gesundheitssystem kennen.

Einer der größte Streik im US-amerikanischen Gesundheitswesen datiert auf das Jahr 2023 – und war erfolgreich

Am 3. Oktober 2023 wurde dieser Beitrag veröffentlicht: The Largest Health Care Strike in US History Is Set to Begin Tomorrow – und der eine oder andere wird sich an die Arbeitskämpfe in deutschen Krankenhäuser erinnert fühlen, zumindest hinsichtlich der Stoßrichtung: »Morgen werden 75 000 Beschäftigte des Gesundheitswesens in Hunderten von Kaiser-Einrichtungen in mehreren Bundesstaaten in den Streik treten – der größte Streik dieser Art in der Geschichte der USA. Ihr Hauptkritikpunkt ist die niedrige Personalausstattung, die nach Ansicht der Gewerkschaften sowohl den Patienten als auch den Beschäftigten schadet.«

Kaiser Permanente betreibt zahlreiche Gesundheitseinrichtungen (darunter 39 Kliniken und mehr als 600 „Medical offices“) und ist ein großer gemeinnütziger Krankenversicherer in den USA. Das Unternehmen hat seinen Hauptsitz in Kalifornien. Derzeit hat das Unternehmen 213.000 Beschäftigte in den USA, darunter 24.000 Ärzte und mehr als 68.000 Nurses. Über Kaiser Permanente sind 12,7 Millionen Menschen krankenversichert.

Kaiser hat in jüngster Zeit enorme Gewinne, obwohl es sich um einen gemeinnützigen, mitgliederbasierten Gesundheitsdienstleister handelt. Nach Angaben der SEIU-UHW hat das Unternehmen in den letzten fünf Jahren mehr als 24 Milliarden Dollar Gewinn gemacht. Sein CEO erhielt 2021 eine Vergütung von mehr als 16 Millionen Dollar – und er hat 113 Milliarden Dollar in Branchen investiert, die von fossilen Brennstoffen über Kasinos bis hin zu gewinnorientierten Gefängnissen reichen. Darüber hinaus zahlt Kaiser aufgrund seiner gemeinnützigen Struktur keine Einkommenssteuern auf seine Gewinne und nur äußerst geringe Vermögenssteuern.

»Fünfundsiebzigtausend Beschäftigte des Gesundheitswesens bei Kaiser Permanente, dem größten gemeinnützigen Gesundheitsdienstleister in den Vereinigten Staaten, werden am Mittwoch, dem 4. Oktober, in den Streik treten, nachdem die Vertragsverhandlungen letzte Woche gescheitert sind … Der Streik, der Anfang September genehmigt wurde, wird drei Tage lang in Hunderten von Kaiser-Einrichtungen in Kalifornien, Colorado, Oregon, Washington, Virginia und Washington DC stattfinden.«

Und weiter heißt es in dem Beitrag: »Die Hauptbeschwerde der Gewerkschaften bei den Verhandlungen war die geringe Personalausstattung, die nach Ansicht der Beschäftigten sowohl den Patienten als auch den Beschäftigten schadet. „Wir haben der Unternehmensleitung von Kaiser wiederholt unsere Besorgnis über den Personalmangel mitgeteilt, aber sie verhandeln in böser Absicht und weigern sich, uns zuzuhören“, sagte Audrey Cardenas Loera, eine Spezialistin für Beiträge und Sozialleistungen bei Kaiser Permanente in Hillsboro, Oregon. In einer kürzlich durchgeführten Umfrage unter dreiunddreißigtausend Kaiser-Beschäftigten gaben zwei Drittel der Arbeitnehmer an, dass sie erlebt haben, dass die Behandlung aufgrund von Personalmangel verzögert oder verweigert wurde.«

»Doppelschichten und Nächte im Auto: Beim Krankenhausverband Kaiser Permanente wird gestreikt«, berichtet Julian Hitschler in seinem Beitrag US-Klinikbeschäftigte am Limit. Der dreitägige Streik von 75.000 Beschäftigten hatte unmittelbar keine Auswirkungen im Sinne der Beschäftigten. Grösster Gesundheitsstreik in der Geschichte der USA: 75 000 Angestellte legen ihre Arbeit nieder, so ist einer der vielen Berichte in Europa, hier aus der Schweiz überschrieben. In dem zitierten Artikel von Hitschler heißt es weiter:

»Die Kritik der Beschäftigten richtet sich vor allem gegen die schlechten Arbeitsbedingungen und die chronische Unterbesetzung in den Krankenhäusern. Angeprangert wird der eklatante Widerspruch zwischen der Rhetorik über „Frontbeschäftigte“ und „unverzichtbare Arbeitskräfte“ während der Corona-Pandemie und dem Mangel an konkreten Verbesserungen für die Arbeiterinnen und Arbeiter im Gesundheitswesen … Die geschäftsführende US-Bundesarbeitsministerin Julie Su will den Verhandlungen ebenfalls beiwohnen und als Vermittlerin auftreten. Die größte Einzelgewerkschaft im Verband, die Service Employees International Union (SEIU), kündigte für Anfang November einen »größeren, stärkeren« Streik an. Dann läuft ein Tarifvertrag für Kaiser-Beschäftigte im Bundesstaat Washington im Nordwesten des Landes aus.«

Doch der konnte abgeblasen werden, denn: Am 19. Oktober 2023 konnte Michael McQuarrie unter der Überschrift Health care workers gain 21% wage increase in pending agreement with Kaiser Permanente after historic strike ausführen: »Die Beschäftigten von Kaiser erhalten während der Vertragslaufzeit eine 21%ige Lohnerhöhung, davon 6% im Oktober 2023 und 5% im Oktober 2024, 2025 und 2026. Und: Die Einigung zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeber enthält insbesondere auch einen neuen Mindeststundenlohn für Kaiser-Mitarbeiter in Kalifornien, der bis 2026 auf 25 US-Dollar steigen wird. Dieses Lohnniveau wird jedoch bis dahin für alle kalifornischen Arbeitgeber im Gesundheitswesen vorgeschrieben sein, da der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom ein entsprechendes neues Gesetz unterzeichnet hat.

Es ist eine Menge los auf der anderen Seite des Atlantik.