Der Blick auf die ganz großen Zahlen lässt den Beginn des neuen Jahres positiv daherkommen: »Im Jahresdurchschnitt 2022 waren rund 45,6 Millionen Menschen mit Arbeitsort in Deutschland erwerbstätig. Das waren so viele wie noch nie seit der deutschen Vereinigung im Jahr 1990«, so das Statistische Bundesamt unter der Überschrift Erwerbstätigkeit 2022 auf höchstem Stand seit der deutschen Vereinigung. Und mit Blick auf das gerade abgelaufene Jahr 2022 erfahren wir, dass die Zahl der Erwerbstätigen gegenüber Vorjahr um 589.000 Personen gestiegen sei, damit haben wir den Beschäftigungsstand des letzten Jahres vor dem ersten Jahr der Corona-Pandemie nicht nur wieder erreicht, sondern mittlerweile sogar übertroffen. Der bisherige Höchststand aus dem Jahr 2019 (45,3 Millionen Personen) wurde um 292.000 Personen überschritten.
Der Beschäftigungsaufbau fand fast ausschließlich im Dienstleistungsbereich statt
93 Prozent des Beschäftigungsaufbaus fand in den Dienstleistungsbereichen statt, die im Jahr 2022 um insgesamt 548.000 Personen gegenüber 2021 auf rund 34,3 Millionen Erwerbstätige anwuchsen.
➔ Die größte absolute Zunahme darunter hatten die Öffentlichen Dienstleister, Erziehung, Gesundheit mit +189.000 Erwerbstätigen. Diese Branche hatte bereits während der Corona-Jahre 2020 und 2021 ihre Erwerbstätigenzahl in ähnlicher Größenordnung gesteigert.
➔ Die zweitstärkste absolute Zunahme verzeichneten Handel, Verkehr, Gastgewerbe mit +180.000 Erwerbstätigen, gefolgt von den Unternehmensdienstleistern, zu denen auch die Arbeitnehmerüberlassung zählt (+88.000 Personen). Aber: Diese beiden Branchen konnten gleichwohl nicht ihre Verluste an Erwerbstätigen aus den beiden Vorjahren ausgleichen.
Angesichts der immer noch im Vergleich mit anderen Ländern überdurchschnittlichen Bedeutung der Industrie in Deutschland sowohl bei der Beschäftigung wie auch hinsichtlich des Anteils an der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung sowie unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich bei vielen Jobs im Bereich der Industrie um gut bezahlte Erwerbsarbeit handelt, sind die folgenden Hinweise bedenklich:
Im Produzierenden Gewerbe (ohne Baugewerbe) stieg die Erwerbstätigenzahl 2022 nur um 31.000 auf rund 8,1 Millionen Personen. Damit wurde nur ein gutes Zehntel der Verluste aus den beiden Vorjahren, also den Corona-Jahren 2020 und 2021, ausgeglichen.
Aber was für eine Erwerbstätigkeit ist gewachsen?
Nun muss man berücksichtigen, dass die Zahl der Erwerbstätigen eine Vielzahl unterschiedlicher Beschäftigungsformen beinhaltet, von der „klassischen“ Vollzeit-Erwerbsarbeit als Arbeitnehmer über die sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeit bis hin zu den ausschließlich geringfügig Beschäftigten, den sogenannten „Minijobbern“. Auch Beamte zählen zu den Erwerbstätigen sowie die Selbstständigen und die mithelfenden Familienangehörigen. Der eine oder andere könnte vermuten (auch vor dem Hintergrund der Entwicklungen in zurückliegenden Jahren), dass der Anstieg der Erwerbstätigkeit vor allem zurückgeht auf eine Zunahme der „atypischen Beschäftigung“. Dem ist aber schon seit einiger Zeit nicht mehr so.
Entscheidend für die positive Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt war die Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die im Jahresdurchschnitt 2022 um 643.000 Personen wuchs. Zu diesem Anstieg trug maßgeblich die positive Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung bei.
Bei der Zahl der marginal Beschäftigten (geringfügig entlohnte und kurzfristig Beschäftigte sowie Personen in Arbeitsgelegenheiten) gab es leichte Beschäftigungsgewinne, die jedoch die pandemiebedingten Verluste längst nicht ausgleichen konnten. Bei den Selbstständigen einschließlich mithelfender Familienangehöriger setzte sich im Jahr 2022 dagegen der seit nunmehr 11 Jahren andauernde Abwärtstrend fort: Ihre Zahl sank gegenüber 2021 um 54.000 Personen auf 3,9 Millionen.
Was treibt die steigende Beschäftigung in Deutschland? Und wird das so weiter gehen (können)?
Zu den Ursachen für den neuen Rekordwert bei der Beschäftigung schreiben die Bundesstatistiker:
»Eine Ursache für die Beschäftigungszunahme im Jahr 2022 war die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte. Hinzu kam eine gesteigerte Erwerbsbeteiligung der inländischen Bevölkerung. Diese beiden Wachstumsimpulse überwogen die dämpfenden Effekte des demografischen Wandels auf den Arbeitsmarkt, der mittelfristig zu einem deutlichen Rückgang der Bevölkerung im Erwerbsalter führen wird.«
Da ist er wieder, der Hinweis auf die „dampfenden Effekte“ des demografischen Wandels, die angesichts der in den kommenden Jahren ablaufenden Verrentungswelle der Baby-Boomer-Generation zunehmend in der öffentlichen Berichterstattung thematisiert und problematisiert werden (vgl. dazu beispielsweise den Beitrag Das große Ausscheiden ist sicher. Fast jede dritte Erwerbsperson erreicht in den nächsten 15 Jahren das Rentenalter vom 8. August 2022).
Auch das statistische Bundesamt verweist auf diesen Aspekt. Am 2. Dezember 2022 wurde von der Behörde über die neuesten Daten aus der Bevölkerungsvorausberechnung, die nunmehr bis zum Jahr 2070 zu rechnen versucht, berichtet: 2035 werden in Deutschland 4 Millionen mehr ab 67-Jährige leben. Nun soll hier gar nicht bis zum Jahr 2070 geschaut werden, was angesichts des langen Zeitraums nicht viel mehr als eine modelltheoretische Spielerei ist, sondern die nächsten vor der Tür stehenden Jahre reichen völlig aus, um einen Eindruck zu bekommen, dass wir tatsächlich mit einer „Zeitenwende“ auf dem Arbeitsmarkt und darüber hinaus in der ganzen Gesellschaft konfrontiert sein werden:
Bis Mitte der 2030er Jahre wird in Deutschland die Zahl der Menschen im Rentenalter (ab 67 Jahren) um etwa 4 Millionen auf mindestens 20,0 Millionen steigen. Die Zahl der ab 80-Jährigen wird dagegen noch bis Mitte der 2030er Jahre relativ stabil bleiben und zwischen 5,8 und 6,7 Millionen betragen. Danach wird die Zahl der Hochaltrigen und damit voraussichtlich auch der Pflegebedarf in Deutschland massiv zunehmen. Ab Mitte der 2030er Jahre rücken die Babyboomer-Jahrgänge in die Altersgruppe der ab 80-Jährigen auf. In den 2050er und 2060er Jahren werden dann zwischen 7 und 10 Millionen hochaltrige Menschen in Deutschland leben.
»Der Alterungsprozess wird nicht überall in Deutschland gleich ablaufen, sondern vor allem die westdeutschen Flächenländer und die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen treffen: So wird die Zahl der 67-Jährigen und Älteren in den westdeutschen Flächenländern bis zum Jahr 2040 besonders stark um voraussichtlich 28 % bis 35 % steigen und sich anschließend stabilisieren. Die ostdeutschen Flächenländer haben bereits heute eine deutlich ältere Bevölkerung. Hier wird die Zahl der 67-Jährigen und Älteren bis Ende der 2030er Jahre nur noch um 10 % bis 17 % steigen und anschließend wieder auf das Niveau des Jahres 2021 sinken.«
Besonders relevant sind die demografischen Entwicklungen für die Angebotsseite auf den Arbeitsmärkten in den direkt vor uns liegenden Jahren: »Die Zahl der Menschen im Erwerbsalter von 20 bis 66 Jahren wird in den kommenden Jahren abnehmen. Aktuell gehören in Deutschland 51,4 Millionen Menschen dieser Altersgruppe an. Selbst bei hoher Nettozuwanderung würde es bis Mitte der 2030er Jahre zu einer leichten Abnahme um 1,6 Millionen Personen kommen. Bei niedriger Nettozuwanderung könnte die Zahl um 4,8 Millionen Personen sinken.«
Auch hier wieder regionale Unterschiede: »In den westlichen Flächenländern ist bis Ende der 2030er Jahre mit tendenziell schrumpfender und dann mit stagnierender Bevölkerung im Erwerbsalter zu rechnen. In den ostdeutschen Flächenländern wird die Zahl der 20- bis 66-Jährigen unabhängig von den getroffenen Annahmen abnehmen. In den Stadtstaaten wird sie tendenziell wachsen und nur bei relativ niedriger Nettozuwanderung sinken.«