Erwerbsminderungsrente: Eine „erhebliche Verbesserung“ soll es geben – und diesmal nicht nur für zukünftige Rentner

In der vergangenen Jahren wurde hier immer wieder über die Situation der Menschen berichtet, die auf eine Erwerbsminderungsrente angewiesen sind – es handelt sich dabei um Menschen, die vor dem Erreichen der normalen Altersgrenzen so krank sind, dass sie nicht mehr voll oder gar keiner Erwerbsarbeit nachgehen können – sowie gesetzgeberische Aktivitäten in diesem Bereich wurden dargestellt und eingeordnet (vgl. dazu diese Beiträge). Und tatsächlich hat es in den zurückliegenden Jahren mehrfach Verbesserungen auf der Leistungsseite gegeben. Am 10. Juni 2020 wurde beispielsweise in dem Beitrag Die Erwerbsminderungsrenten steigen. Aber wie so oft kommt es darauf an, wie man was rechnet ausgeführt:

»Die Bundesregierung weist immer wieder gerne darauf hin, dass man die Situation „der“ Erwerbsminderungsrentner in den vergangenen Jahren mehrfach verbessert habe durch konkrete gesetzliche Veränderungen. Die Reformen des Leistungsrechts der Erwerbsminderungsrente seit 2014 wurden vor allem auf die Verlängerung der Zurechnungszeit ausgerichtet. Mit dem Rentenpaket 2014 wurde Zurechnungszeit bei Rentenneuzugängen ab 1. Juli 2014 um zwei Jahre verlängert. Erwerbsgeminderte wurden dadurch so gestellt, als hätten sie mit ihrem bisherigen Einkommen bis zum 62. statt wie vorher bis zum 60. Geburtstag weitergearbeitet. Das heißt, es werden zusätzliche Zeiten berücksichtigt, für die keine Beiträge gezahlt wurden. Die Zurechnungszeit steigert so die Rente. Die nächste Reform gab es dann 2017: Die Zurechnungszeit wird bei Rentenneuzugängen ab 1. Januar 2018 schrittweise um weitere drei Jahre verlängert. Ab einem Rentenbeginn im Jahr 2024 werden Erwerbsgeminderte dann so gestellt, als ob sie mit ihrem bisherigen durchschnittlichen Einkommen bis zum 65. Geburtstag weitergearbeitet hätten.«

Hört sich nicht nur gut an, das sind auch reale Verbesserungen gewesen, die der Gesetzgeber auf den Weg gebracht hat. Wie so oft im sozialpolitischen Leben kommt nun das Aber:

Denn es wurde darauf hingewiesen, dass »von Zahlen berichtet wird, die sich auf die Zugänge in eine Erwerbsminderungsrente in einem der dargestellten Jahre beziehen, also auf Neurentner, die nicht auf alle Erwerbsminderungsrentner. Und es war von Verbesserungen die Rede, die aber ebenfalls nur die zum jeweiligen Zeitpunkt der gesetzlichen Änderung zukünftigen Renter greifen, nicht aber für die, die schon drin sind im Bezug einer Erwerbsminderungsrente. Das hat in der Vergangenheit regelmäßig große Frustrationen verursacht, wenn deutlich wurde, dass die Bestandsrentner nichts von den Verbesserungen haben.«

So war das bislang immer mit diesen Verbesserungen der Erwerbsminderungsrente. Das wurde nicht nur kritisiert, sondern immer wieder wurde eine Korrektur zugunsten der „Vergessenen“ angemahnt.

Noch am 24. März 2022 wurde man damit konfrontiert: »Gewerkschaften und Sozialverbände haben die Bundesregierung zu verbesserten Leistungen für Menschen aufgerufen, die wegen Krankheit nicht mehr arbeiten können. Verbesserungen müsse es für die sogenannten Bestands-Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner geben, forderten der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und mehrere Verbände … Erwerbsgemindert zu sein, sei „eines der zentralen Armutsrisiken in Deutschland“, heißt es in dem Aufruf. Rund 40 Prozent der Menschen in Haushalten mit Erwerbsminderungsrenten (EM-Renten) seien armutsgefährdet.« In dem Bericht über diese Forderung unter der Überschrift „Mehr Erwerbsminderungsrente für alle chronisch Kranken“ konnte man außerdem lesen:

»Alle Erwerbsgeminderten müssten von den insgesamt drei Verbesserungen im Rentenrecht der letzten Jahre profitieren, fordern die Verbände, zu denen neben dem DGB der Sozialverband Deutschland (SoVD), der VdK Deutschland, der Paritätische Gesamtverband, mehrere Einzelgewerkschaften, der Deutscher Caritasverband, die Volkssolidarität und die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands gehören. Initiatoren des Bündnisses sind der Sozialverband Deutschland (SoVD) und der Sozialverband VdK Deutschland.«

Die Sozialverbände und der DGB können sich dabei auf einen Satz aus dem Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP aus dem Jahr 2021 berufen: »Wir wollen Verbesserungen für Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner im Bestand umsetzen.« (S. 58).

Das Bündnis fordert die Politik auf, nun schnellstmöglich eine gesetzliche Regelung auf den Weg zu bringen, die für Erwerbsminderungsrentner im Bestand zu einer deutlichen Verbesserung führt und damit eine Gleichbehandlung mit den Neurenten sicherstellt. Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK, wird mit diesen Worten zitiert:

„Viele frühere Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner leben heutzutage in Armut. Sie müssen Abschläge von bis zu 10,8 Prozent auf ihre Rente in Kauf nehmen. Zudem profitieren sie nicht von den Verbesserungen bei der Zurechnungszeit, die 2014 und 2019 erfolgten. Diese erhalten jeweils nur neue Erwerbsminderungsrentner. Das ist ungerecht und durch nichts zu rechtfertigen.“

Und offensichtlich soll es nicht bei einem dieser vielen Appelle an die politisch Verantwortlichen bleiben, denn dem Bericht kann man ausblickend entnehmen: »Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigte bei der Bekanntgabe der diesjährigen Rentensteigerung … bereits an, dass er im Zuge des dazu geplanten Gesetzes auch die EM-Renten verbessern will. Eine rechtliche Gleichstellung aller rund 1,8 Millionen Beziehenden einer EM-Rente würde nach früheren Schätzungen pro Jahr etwa sechs Milliarden Euro zusätzlich kosten … (Die) entsprechende Rentenerhöhung (könnte) mithilfe pauschalierter Zuschläge umgesetzt werden, „da eine nachträgliche Neuberechnung für jeden Einzelfall zu enormem Verwaltungsaufwand“ für die Rentenversicherungsträger führen würde.«

Und da ist er, der Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Situation der Bestandsrentner

»Die Bundesregierung plant erhebliche Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente … Arbeitsminister Heil verspricht höhere Renten für rund drei Millionen Menschen«, berichten Tobias Peter und Andreas Niesmann unter der Überschrift Diese Verbesserungen plant Arbeitsminister Heil bei der Erwerbsminderungsrente. Auch in diesem Beitrag taucht sie wieder auf, die bereits erwähnte Zurechnungszeit: »Wer krankheitsbedingt oder wegen eines Unfalls nicht mehr oder nur noch eingeschränkt arbeiten kann, kann eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung bekommen. Wichtig ist dabei die sogenannte Zurechnungszeit. Durch sie werden Renten wegen Erwerbsminderung so berechnet, als ob die betroffenen Menschen nach Eintritt der Erwerbsminderung wie bisher weitergearbeitet hätten. In der Vergangenheit hatte es hier Verbesserungen gegeben, von denen damals jeweils die Neurentner profitierten, nicht aber die Bestandsrentner. Das soll nun nachgeholt werden.«

Dafür gibt es einen Referentenentwurf aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), der auf den 23.03.2022 datiert ist:

Entwurf eines Gesetzes zur Rentenanpassung 2022 und zur Verbesserung von Leistungen für den Erwerbsminderungsrentenbestand (Rentenanpassungs- und Erwerbsminderungsrenten-Bestandsverbesserungsgesetz)

»Neben einer verlässlichen Absicherung im Alter ist auch die Absicherung gegen das Risiko der Erwerbsminderung ein Kernbestandteil der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Regelungen für den Bezug einer Rente wegen Erwerbsminderung wurden in der Vergangenheit wiederholt angepasst«, kann man dort lesen. »Die Verbesserungen erfolgten vor allem durch die Verlängerung der Zurechnungszeit« – und sie »haben erheblich dazu beigetragen, dass der durchschnittliche monatliche Zahlbetrag der Renten wegen Erwerbsminderung von rund 628 Euro im Rentenzugang 2014 auf rund 882 Euro im Rentenzugang 2020 gestiegen ist.« Allerdings: »Diejenigen, die vor dem Beginn der jeweiligen Leistungsverbesserung bereits eine Erwerbsminderungsrente laufend bezogen hatten, wurden von diesen Verbesserungen allerdings nicht erreicht. Ziel des Gesetzes ist es, für diesen Personenkreis die Erwerbsminderungsrenten zu verbessern.«

Der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat in diesem Zusammenhang angekündigt, dass die nunmehr geplanten gesetzlichen Änderungen dazu führen werden, dass sich die Situation von drei Millionen Rentnern verbessern werde – wir kann das sein, wenn es doch „nur“ 1,8 Millionen Erwerbsminderungsrentner im Bestand gibt? Dazu muss man sich genauer anschauen, was der Gesetzgeber konkret plant.

Wie will man die Besserstellung „im Bestand“ erreichen? Schauen wir dafür in den Referentenentwurf des zuständigen Ministeriums:

»Wer eine Rente wegen Erwerbsminderung bezieht, die in der Zeit vom 1. Januar 2001 bis 31. Dezember 2018 begonnen hat, erhält ab dem 1. Juli 2024 einen pauschalen Zuschlag zur Rente, der an die individuelle Vorleistung an Entgeltpunkten anknüpft. Einbezogen werden laufende Erwerbsminderungsrenten sowie laufende Altersrenten, bei denen unmittelbar zuvor eine Erwerbsminderungsrente mit einem Rentenbeginn in der Zeit von 2001 bis 2018 gewährt wurde. Da auch für Renten wegen Todes die Zurechnungszeit für die Berechnung berücksichtigt wird, erhalten auch diese einen pauschalen Zuschlag zur Rente. Durch diese Maßnahmen werden ca. 3 Millionen Renten einen Zuschlag erhalten.«

➞ Und zur Freude aller Kommentatoren und Rentenberater vor Ort wird dann diese Detail-Erläuterung nachgeschoben: »Die Höhe des pauschalen Zuschlags zur Rente orientiert sich – ausgehend von der individuellen Vorleistung an Entgeltpunkten – an der am 1. Januar 2019 geltenden Zurechnungszeit bis zum Alter von 65 Jahren und 8 Monaten; der Zuschlag bildet in seiner Wirkung eine Verlängerung der Zurechnungszeit bis zu diesem Alter entsprechend einem Finanzvolumen von jährlich 2,6 Mrd. Euro ab. Der Zuschlag ist der Höhe nach unterschiedlich, je nachdem, ob der Anspruch auf Erwerbsminderungsrente bzw. auf Rente wegen Todes in der Zeit vom 1. Januar 2001 bis 30. Juni 2014 oder vom 1. Juli 2014 bis 31. Dezember 2018 entstanden ist.«

Alles klar? Wenn nicht, dann nochmals in etwas anderen Worten:»Für diejenigen, die zwischen 1. Januar 2001 und 30. Juni 2014 in die Erwerbsminderungsrente eingetreten sind, gibt es einen Zuschlag von 7,5 Prozent. Für diejenigen, bei denen der Erwerbsrentenbeginn zwischen 1. Juli 2014 und 31. Dezember 2018 liegt, sind es 4,5 Prozent – da sie teils schon von vorherigen Verbesserungen profitiert haben … Viele frühere Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner befinden sich bereits im Altersrentenbezug. Deshalb werden bei der geplanten Verbesserung auch laufende Altersrenten berücksichtigt, bei denen zuvor eine Erwerbsminderungsrente mit einem Rentenbeginn in der Zeit von 2001 bis 2018 gewährt wurde«, so der Beschreibungsversuch von Tobias Peter und Andreas Niesmann.

»Im Ergebnis erhöht sich damit eine Bestandsrente pauschal um 7,5 Prozent für Rentenzugänge in der Zeit vom 1. Januar 2001 bis 30. Juni 2014 bzw. 4,5 Prozent für Rentenzugänge in der Zeit vom 1. Juli 2014 bis 31. Dezember 2018«, so Johannes Steffen in seiner Veröffentlichung Übersicht zu den wesentlichen Änderungen eines Gesetzes zur Rentenanpassung 2022 und zur Verbesserung von Leistungen für den Erwerbsminderungsrentenbestand (Rentenanpassungs- und Erwerbsminderungsrenten-Bestandsverbesserungsgesetz) aus dem März 2022.

➔ Die zeitliche Begrenzung bedeutet aber auch, dass alle Bestandsfälle, deren Rentenzugang vor dem Jahr 2001 stattgefunden hat, keinen Zuschlag bekommen werden.

Das ist alles natürlich nicht umsonst zu haben. Zu den damit verbundenen Kosten: Die geplanten Verbesserungen führen laut Gesetzentwurf zu zusätzlichen Rentenausgaben von 1,3 Milliarden Euro in dem Jahr, in dem die Regelung zur Jahresmitte eingeführt wird. Im Jahr darauf sind es 2,6 Milliarden Euro.

Es bleibt eines an dieser Stelle festzuhalten: Endlich wird der langjährigen Forderung nach einer Verbesserung auch für die (ehemaligen) Erwerbsminderungsrentner, die in der Vergangenheit nie partizipieren konnten an den so bedeutsamen Verlängerungen der Zurechnungszeiten, Rechnung getragen.

Erste Reaktionen auf den Entwurf aus dem BMAS

Positiv, aber mit Einschränkungen, so könnte man die Reaktion aus den Gewerkschaften umschreiben: »Deutliche Rückendeckung bekommt Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für die Einbeziehung von Langzeit-Erwerbsgeminderten in die Verbesserungen bei den Erwerbsminderungsrenten seit 2014. Der vorgesehene Zwei-Stufen-Pauschalzuschlag von 4,5 und 7,5 Prozent – je nach Zeitraum des individuellen Rentenbeginns – sei „sinnvoll differenziert“, heißt es in der DGB-Stellungnahme zum Gesetzentwurf. Kritisch merkt das Gewerkschaftspapier jedoch an, die Höhe des Zuschlags sei „sehr knapp geraten und hätte höher ausfallen müssen“«, so die Zusammenfassung in dem Artikel Sozialpartner beurteilen geplantes Rentengesetz kontrovers.

Erwartbar anders hingegen die Positionierung der Arbeitgeber-Seite. Für die hat die BDA eine Stellungnahme zum Gesetzentwurf vorgelegt: »Kritisch sehen die Arbeitgeber … die geplante nachträgliche Besserstellung aller Langzeit-Empfängerinnen und -Empfänger einer Erwerbsminderungsrente. Der ab Mitte 2024 geplante Zuschlag zur Rente von 4,5 oder 7,5 Prozent für Menschen, die bereits seit vielen Jahren nicht mehr erwerbsfähig sind, „sollte unterbleiben“, fordern die Arbeitgeber. Sie begründen ihre Position damit, dass Bestands-Erwerbsgeminderte von rentenrechtlichen Vorteilen profitieren würden, „die für den Rentenneuzugang nicht mehr gelten“. Beispielhaft nennt die BDA-Stellungnahme in diesem Zusammenhang schulische Ausbildungszeiten, die nur bei Beginn einer Erwerbsminderungsrente vor 2009 „rentensteigernd berücksichtigt“ worden seien.«

Einen ziemlich großen Wermutstropfen (neben der diskussionsbedürftigen Höhe des pauschalen Zuschlags) sollte man am Ende dieses Beitrags nicht verschweigen – auch und gerade mit Blick auf die Betroffenen, die nach solchen Berichten mit den Hufen scharren und schnellstmöglich auf eine Entlastung hoffen, denn die Leistungsbeträge in der Erwerbsminderungsrente sind wahrlich nicht üppig und da kann man jeden Euro sofort gebrauchen:

Den geplanten pauschalen Zuschlag erhält man – wenn das Gesetz in der bislang vorliegenden Entwurfsfassung die parlamentarischen Hürden nimmt – frühestens ab dem 1. Juli 2024, also nicht mehr in diesem und auch nicht im kommenden Jahr. Da muss man sich also noch gedulden.