Der Arbeitsmarkt fast wieder auf Vor-Corona-Niveau. Wie immer gibt es Schattierungen und auch schwarze Löcher

„Der Arbeitsmarkt ist gut in das Jahr 2022 gestartet. Die Zahl der arbeitslosen Menschen ist im Januar zwar gestiegen, aber bei Weitem nicht so stark wie sonst üblich.“ Diese beruhigenden Worte werden uns von der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg geschickt: Trotz andauernder Eindämmungsmaßnahmen auch am Jahresanfang auf Erholungskurs, so ist die Pressemitteilung zur Arbeitsmarktlage im Januar 2022 überschrieben (eine ausführliche Darstellung findet man im Monatsbericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt Januar 2022).

Im Zuge der Winterpause hat sich die Zahl der Arbeitslosen im Januar 2022 gegenüber dem Vormonat erhöht, und zwar um 133.000 auf 2.462.000. Aufschlussreich ist der Vergleich mit dem Vorjahresmonat: Verglichen mit dem Januar 2021 werden 439.000 offiziell registrierte Arbeitslose weniger ausgewiesen in der Statistik. Und wenn an dieser Stelle verständlicherweise kritisch darauf hingewiesen wird, dass die offizielle Zahl der Arbeitslosen doch nur eine Untergrenze darstellt, sei hier die Zahl der „Unterbeschäftigten“ genannt, bei der man einige der „verloren gegangenen Arbeitslosen“ wieder einsammelt und die auch von der BA ausgewiesen wird – im Januar waren das immerhin 728.000 Arbeitslose: »Die Unterbeschäftigung, die auch Veränderungen in der Arbeitsmarktpolitik und kurzfristiger Arbeitsunfähigkeit berücksichtigt, lag im Januar 2022 bei 3.190.000 Personen. Das waren 452.000 weniger als vor einem Jahr.« Also auch hier hat es einen erheblichen Rückgang gegenüber dem Januar 2021 gegeben. Also alles gut?

Von oben betrachtet ein positives Bild, aber …

»Gute Nachrichten auf dem Arbeitsmarkt: Das Vorkrisenniveau ist fast wieder erreicht. Die Zahl der Arbeitslosen lag im Januar nur knapp 40.000 über dem Stand von Januar 2020. Zum Vergleich: Zwischenzeitlich gab es mehr als 600.000 Arbeitslose zur Zeit vor der Krise«, so das Institut der deutschen Wirtschaft unter der Überschrift Arbeitsmarkt: Gewinner und Verlierer der Krise. Aber dort findet man auch diesen Hinweis: »Dennoch hat die Corona-Krise Spuren hinterlassen: Vor allem gibt es deutlich mehr Langzeitarbeitslose als früher. Im vergangenen Monat zählte die Bundesagentur für Arbeit noch 270.000 mehr Langzeitarbeitslose als im Januar 2020.«

Rückgang ja, aber nicht bei den Langzeitarbeitslosen. Deren Zahl hat deutlich zugenommen, was sich als schwere Hypothek erweisen wird

Auch die Betrachtung der vergangenen zwölf Monat kann veranschaulichen, dass es einen ungleichgewichtigen Rückgang der Arbeitslosigkeit gegeben hat, wenn man sich die beiden Rechtskreise SGB III und II anschaut:

Die offiziell ausgewiesene Zahl der Arbeitslosen lag im Januar 2022 zwar um 15 Prozent unter der im Januar 2021 – aber man kann der Abbildung entnehmen, dass dieser Rückgang der starken Verringerung der Zahl der Arbeitslosen im Rechtskreis SGB III, also der Arbeitslosenversicherung, um fast ein Drittel gegenüber dem Vorjahreswert geschuldet ist. Im Hartz IV-System, also dem Rechtskreis SGB II, hat sich die Zahl der Arbeitslosen mit -2,7 Prozent kaum verändert. Die beiden Corona-Jahre haben einen deutlichen Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit mit sich gebracht und die Verbesserung der Arbeitsmarktlage, über die derzeit berichtet wird, hat sich fast ausschließlich im Vorfeld der verfestigten Arbeitslosigkeit abgespielt.

Die Bundesagentur für Arbeit schreibt dazu in ihrem Arbeitsmarktbericht:

»Die Corona-Krise hat zu einer deutlichen Verfestigung der Arbeitslosigkeit geführt. Im Vergleich mit dem Monat vor Einsetzen der Corona-Krise, dem März 2020, hat die Zahl der Langzeitarbeitslosen, also der Personen, die länger als 12 Monate arbeitslos waren, um 281.000 oder 40 Prozent auf 990.000 zugenommen. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen ist in diesem Zeitraum von 30,3 auf 40,2 Prozent gestiegen.«

Übrigens betrifft die Langzeitarbeitslosigkeit – also eine länger als zwölf Monate andauernde Arbeitslosigkeit – nicht nur das Hartz IV-System. Dazu die BA: »Die Zahl der Langzeitarbeitslosen hat sich im Vergleich zum Vorkrisenniveau vom März 2020 im Rechtskreis SGB III um 50 Prozent und im Rechtskreis SGB II um 38 Prozent erhöht. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen stieg im Rechtskreis SGB III von 8,9 auf 13,6 Prozent und im Rechtskreis SGB II von 44,4 auf 55,6 Prozent. Bei Langzeitarbeitslosen im Rechtskreis SGB III handelt es sich zum einen um Nicht-Leistungsempfänger, die entweder nie einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hatten (z.B. Berufseinsteiger) oder die nach dem Auslaufen des Leistungsbezuges wegen fehlender Bedürftigkeit kein Arbeitslosengeld II erhalten. Zum anderen sind hier Arbeitslosengeld-Empfänger enthalten, die Leistungsansprüche von mehr als 12 Monaten haben.«

Auch wenn sich erfreulicherweise die Gesamtzahl der Arbeitslosen also wieder zurückbildet auf das Vor-Krisen-Niveau, muss doch die durch Corona verstärkte (weil auch schon vor der Pandemie als Problemstelle des deutschen Arbeitsmarktes vorhandene) Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit besonders beunruhigen, denn wir wissen aus der Vergangenheit, wie schwer es gerade auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist, nach einer gewissen Dauer der Erwerbslosigkeit auch bei einer wieder anziehenden Arbeitskräftenachfrage zurückkehren zu können. Viele Arbeitgeber sind aus unterschiedlichen Gründen nicht bereit, langzeiterwerbslosen Menschen wieder eine Beschäftigungschance zu geben. Deshalb wäre es arbeitsmarktpolitisch so wichtig (gewesen), genau diese Verhärtung der Arbeitslosigkeit zu vermeiden oder wenigstens zu verringern, beispielsweise durch ein Hochfahren sinnvoller Qualifizierungs- und/oder öffentlich geförderter Beschäftigungsmaßnahmen. Aber das ist nicht in dem erforderlichen Maße passiert und zugleich hatte und hat Corona auch bei der Arbeitsförderung wie in vielen anderen Bereichen auch an sich restringierende Auswirkungen hinsichtlich der praktischen Durchführung angesichts der Beschränkungen, die hier auferlegt wurden und die teilweise noch in Kraft sind. Zur Qualifizierungspolitik vgl. auch Weniger Weiterbildung: »Die Pandemie hat zu massiven Ausfällen bei der Weiterbildung geführt. Dabei sind Beschäftigte und Arbeitslose dringend auf sie angewiesen.« Die kritischen Anmerkungen beziehen sich auf diese Veröffentlichung: Gerhard Bosch (2021): Weiterbildung in der Corona-Krise, in: WSI-Mitteilungen, Heft 6/2021: »Die Covid-19-Krise führt zu erheblichen Einbrüchen in der Weiterbildung. Das informelle Lernen in der Arbeit entfiel ersatzlos in den oft sehr langen Kurzarbeitsperioden. Viele Weiterbildungskurse wurden gerade im ersten Lockdown 2020 und auch nach dessen Ende abgebrochen oder verschoben. Besonders betroffen von diesem Einbruch waren Alleinerziehende aufgrund ihrer zusätzlichen Betreuungsverpflichtungen und gering Qualifizierte.«

Und dann sind da auch noch die vielen Minijobber, die es erwischt hat. Und die Soloselbstständigen, Kleinstunternehmer …

Wenn nun überall berichtet wird, dass es mit „dem“ Arbeitsmarkt wieder aufwärts geht und sich dort wieder alles „normalisiert“, dann sollte man angesichts der Tatsache, dass es nicht „den“ Arbeitsmarkt, sondern sehr viele sehr unterschiedliche Teil-Arbeitsmärkte gibt, grundsätzlich skeptisch sein. Denn die Fokussierung auf die Zahl der (registrierten) Arbeitslosen verdeckt zwangsläufig die Schicksale, die gar keinen Niederschlag finden (können) in der Arbeitslosenstatistik.

Die Minijobs wurden von der coronabedingten Krise schwer getroffen: Im November 2021 gab es fast 400.000 ausschließlich geringfügig Beschäftigte weniger als im November 2019. Die waren ja auch die ersten, die es 2020 erwischt hat, denn deren Jobs konnten nicht einmal durch Kurzarbeit stabilisiert werden.

Auch viele Solo-Selbstständige und Kleinstunternehmer sind überdurchschnittlich hart getroffen von der bisherigen Corona-Krise. Das ifo-Institut berechnet seit August 2021 den „Jimdo-ifo-Geschäftsklimaindex“ für Soloselbstständige und Kleinstunternehmen (weniger als 9 Mitarbeiter). Wie im Gesamtindex sind alle Sektoren abgebildet. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf dem Dienstleistungssektor. Die Gewinnung der neuen Teilnehmer erfolgt in Kooperation mit Jimdo, einem Anbieter von Online-Tools speziell für Soloselbstständige und kleine Unternehmen. Am 13. Januar 2022 meldet das Institut unter der Überschrift Geschäftsklima für Soloselbständige und Kleinstunternehmen tiefer im Minus: Dieser spezielle Index »sank im Dezember auf minus 7,7 Punkte …, nach minus 6,4 im November. Dies liegt deutlich unter der Gesamtwirtschaft mit plus 7,0 Punkte.«

Rund 25 Prozent der Kleinstunternehmen und Soloselbstständigen sehen sich gegenwärtig in ihrer Existenz bedroht. Dies ist deutlich mehr als für die gesamte Wirtschaft, wo der Wert bei 14 Prozent liegt. „Für viele kleine Unternehmen wird das wirtschaftliche Überleben immer schwieriger, je länger die Pandemie dauert“, so Klaus Wohlrabe vom ifo-Institut.

Und man darf nicht vergessen …

Mit Blick auf die Zunahme der Zahl der Langzeitarbeitslosen wurde kritisiert, dass man deutlich mehr hätte machen müssen, um die Verfestigung und Verhärtung der Arbeitslosigkeit im Vorfeld der Langzeitarbeitslosigkeit zu verhindern. Auf der anderen Seite kann man mit Blick auf die Arbeitslosigkeit (und damit die Gesamtzahl an Arbeitslosen) sagen, dass genau das durchaus erfolgreich gemacht wurde mit dem Instrument der Kurzarbeit. Mit Hilfe des konjunkturellen Kurzarbeitergeldes können bestehende Beschäftigungsverhältnisse stabilisiert werden – bis hin zur „Kurzarbeit Null“, wo also eigentlich vollständige Arbeitslosigkeit vorliegt.

Hätte es das Instrument der Kurzarbeit nicht gegeben, dann wäre die Arbeitslosigkeit im Frühjahr 2020, aber auch im Winter 2020/21 in ganz andere Dimensionen emporgeschnellt.

Die Beschäftigung nimmt zu – aber auch hier zeigen sich ganz unterschiedliche Entwicklungen

Im Zusammenhang mit den positiven Meldungen wird neben dem generellen Rückgang der Zahl der Arbeitslosen immer auch auf die wieder steigenden Beschäftigtenzahlen hingewiesen. So meldet das Statistische Bundesamt am 1. Februar 2002: Dezember 2021: Erwerbstätigkeit steigt weiter an: »Im Dezember 2021 waren saisonbereinigt 0,4 % oder 198.000 Personen weniger erwerbstätig als im Februar 2020, dem Monat vor Beginn der Corona-Krise in Deutschland.« Und auch hier wird darauf hingewiesen: »Bei den Ergebnissen ist zu beachten, dass Kurzarbeitende nach den Konzepten der Erwerbstätigenrechnung und der Arbeitskräfteerhebung als Erwerbstätige zählen.«

Zu der besonders wichtigen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung berichtet das Institut der deutschen Wirtschaft (IW): »Während die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung insgesamt zunimmt, mussten einige Branchen Beschäftigungsverluste hinnehmen. Das gilt in erster Linie für das verarbeitende Gewerbe sowie das Gastgewerbe. Einen besonders hohen Zuwachs neuer Jobs gab es dagegen bei den sozialen Diensten: Im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen entstanden seit Krisenbeginn fast 240.000 Arbeitsplätze. Auch der Sektor Information und Kommunikation profitierte: Hier gibt es seit Pandemiebeginn knapp 80.000 neue Jobs.«