Wer zahlt die Rechnung? Ein Schätzerkreis leuchtet in das Finanzloch der Krankenkassen und berichtet von einer Deckungslücke in Milliardenhöhe

Die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist schon in „normalen“ Zeiten, also ohne Berücksichtigung dessen, was wir seit dem Frühjahr 2020 als „Corona-Krise“ er- und durchleben müssen, eine komplizierte Angelegenheit, wenn man hinter die Kulissen schaut. Den meisten Menschen ist ich bewusst, dass sie als Versicherte Beiträge an die Krankenkasse zahlen. Und dass es um viel Geld geht. Die Mechanik der Finanzierung der GKV ist, wie sollte es anders sein, natürlich in der Wirklichkeit wesentlich komplexer ausgestaltet, was man beispielsweise mit Blick auf das noch laufende Jahr 2021 diesem Schaubild entnehmen kann:

Die Abbildung von Johannes Steffen basiert auf Zahlen, die vom „GKV-Schätzerkreis“ im Herbst des vergangenen Jahres veröffentlicht wurde. Und nun sind wir mittendrin im Herbst 2021 und erneut meldet sich dieses Gremium zu Wort, mit einer „frischen“ Zahlenlieferung, die das vor uns liegende Jahr in den Blick nimmt.

Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung bringt ein zentrales Ergebnis des „Schätzerkreises“ (in dem sind Experten vom Bundesgesundheitsministerium, Bundesamt für Soziale Sicherung und GKV-Spitzenverband vertreten) schon in der Überschrift auf den Zahlen-Punkt: GKV-Schätzerkreis: Für 2022 fehlen sieben Milliarden Euro: Hintergrund für dieses Defizit in Milliardenhöhe ist die Erwartung höherer Ausgaben in 2022, die nicht gedeckt sind durch entsprechende Einnahmen. Aber man muss genau hinschauen, denn es handelt sich um ein Defizit, nicht um das Defizit insgesamt:

➔ Zuerst hinsichtlich des noch laufenden Jahres zum Schätzergebnis 2021: Die Einnahmen des Gesundheitsfonds werden auf 256,4 Mrd. Euro geschätzt. Diese beinhalten den regulären Bundeszuschuss in Höhe von 14,5 Mrd. Euro sowie einen ergänzenden Bundeszuschuss in Höhe von 5 Mrd. Euro. Zudem ist eine Zuführung aus Finanzreserven der Krankenkassen in Höhe von 8 Mrd. Euro einbezogen. Hinzu kommt: Bei der Schätzung der Einnahmen des Gesundheitsfonds wird eine Zuführung aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds in Höhe von 900 Mio. Euro zum Ausgleich der Mindereinnahmen durch die Einführung eines Freibetrags auf betriebliche Versorgungsbezüge berücksichtigt. Die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds betragen entsprechend der rechtlichen Vorgaben unverändert 255,0 Mrd. Euro. Die voraussichtlichen Ausgaben der Krankenkassen für das Jahr 2021 werden auf 272,2 Mrd. Euro prognostiziert.

Und wie schätzt man das kommende Jahr ein?

Schätzergebnis 2022: Für das Jahr 2022 erwartet der Schätzerkreis Einnahmen des Gesundheitsfonds in Höhe von 256,8 Mrd. Euro. Diese beinhalten den regulären Bundeszuschuss in Höhe von 14,5 Mrd. Euro sowie einen ergänzenden Bundeszuschuss in Höhe von 7 Mrd. Euro. Zudem wird bei der Schätzung der Einnahmen des Gesundheitsfonds eine Zuführung aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds in Höhe von 2,1 Mrd. Euro berücksichtigt. Die Ausgaben der Krankenkassen im Jahr 2022 belaufen sich voraussichtlich auf 284,2 Mrd. Euro.

Quelle: Bundesamt für Soziale Sicherung: GKV-Schätzerkreis schätzt die finanziellen Rahmenbedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung für die Jahre 2021 und 2022, 13.10.2021

Und in der Pressemitteilung des Bundesamtes für Soziale Sicherung findet man dann diesen erst einmal kryptisch daherkommenden Hinweis: »Ein abweichender ergänzender Bundeszuschuss nach § 221a Abs. 3 Satz 3 SGB V ist nicht berücksichtigt. Dieser ist durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen und Zustimmung des Deutschen Bundestages so festzulegen, dass der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz im Jahr 2022 bei 1,3 % stabilisiert wird.«

Zur Auflösung kann man den Erläuterungen des GKV-Spitzenverbandes entnehmen: »Normalerweise ermittelt der Schätzerkreis die erwarteten Einnahmen und Ausgaben der GKV und aus der so ermittelten Differenz ergibt sich der rechnerische durchschnittliche Zusatzbeitragssatz für das jeweilige Folgejahr. Für das Jahr 2022 ist dieser Zusatzbeitragssatz allerdings bereits mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) vom Juli 2021 auf 1,3 Prozent gesetzlich festgeschrieben worden. Damit das Bundesgesundheitsministerium (BMG) den durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz in dieser Höhe festsetzen kann, muss es nach der Schätzerkreis-Sitzung eine Verordnung auf den Weg bringen, die den Bundeszuschuss um einen Betrag in Höhe des festgestellten Finanzdefizits erhöht. Das Schätzerkreis-Ergebnis ist dabei eine wichtige Orientierung.«

Versuchen wir es für diejenigen, die bis zu dieser Stelle durchgehalten haben, mit einer anderen Beschreibung:

Der Schätzerkreis rechnet »mit Ausgaben für die Krankenkassen von rund 284 Milliarden Euro, nach voraussichtlich 272 Milliarden Euro in diesem Jahr. Da gesetzlich festgeschrieben wurde, dass die Zusatzbeiträge zur Krankenversicherung im nächsten Jahr bei durchschnittlich 1,3 Prozent stabil gehalten werden sollen, muss die Lücke durch weiteres Geld vom Bund geschlossen werden. Der Bundeszuschuss fließt, wie auch die Krankenkassenbeiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, in den Gesundheitsfonds, aus dem Ausgaben der Kassen bestritten werden. Üblicherweise beträgt der Zuschuss 14,5 Milliarden Euro. Für das kommende Jahr waren bereits zusätzliche sieben Milliarden eingeplant. Mit weiteren sieben Milliarden würde der Zuschuss auf 28,5 Milliarden Euro anwachsen. Die Bundesregierung muss das per Verordnung auf den Weg bringen«, so dieser Beitrag: Krankenkassen fehlen sieben Milliarden. Komprimiert formuliert: Wir haben es bei den Bundeszuschüssen aus Steuermitteln mit diesem Rechenweg zu tun:

Bundeszuschüsse für 2022: 14,5 Mrd. € + 7 Mrd. € + 7 Mrd. Euro neu = 28,5 Mrd. €

Normalerweise würden/müssten die Krankenkassen fehlende Einnahmen über die kassenindividuellen Zusatzbeiträge organisieren, in dem diese ansteigen würden. Dieser Weg ist aber versperrt, die Sozialgarantie der Noch-Bundesregierung zieht hier eine Grenze. Bei den Sozialausgaben sollen insgesamt 40 Prozent vom Brutto nicht überschritten werden. Deshalb hat der Gesetzgeber den durchschnittlichen Zusatzbeitrag mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz für das kommende Jahr bereits auf 1,3 Prozent festgeschrieben. An der Schraube kann also nicht mehr gedreht werden.

Noch-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat bereits angekündigt, zügig eine entsprechende Rechtsverordnung zum Ausgleich des geschätzten Defizits vorzulegen und mit Finanzminister Olaf Scholz (SPD) abzustimmen.

Vom DGB kam der kritische Einwurf, dass die amtierende Bundesregierung durch ihre Maßnahmen das Loch bei den Krankenkassen geschaffen hätte und dass sie deshalb auch über einen entsprechend höheren Bundeszuschuss die Rechnung zahlen müsse (die Frage der Kostenverteilung vor allem durch die zahlreichen Zusatzausgaben im Kontext der Bewältigung der Corona-Krise wurde hier bereits in dem Beitrag Mit „Wumms“ aus der Krise – aber wer zahlt die Zeche? Beispielsweise die Beitragszahler in der Gesetzlichen Krankenversicherung vom 18. September 2020 aufgerufen). Allerdings sei jeder erneute Zugriff auf die Rücklagen der Mitglieder bei den Krankenkassen (und damit auf Beitragsgelder) ungerecht und unverantwortlich. Ein solcher Zugriff hat aber für 2021 stattgefunden und er soll auch wieder im kommenden Jahr gemacht werden.