Intensivstationen deutscher Krankenhäuser: „Viele Kliniken melden uns Personalprobleme. Das Personal ist müde und wird weniger“

Man hat das in den langen Corona-Monaten fast schon verinnerlicht, das Starren auf die täglichen Meldung der Inzidenz. Am heutigen 26. August 2021 wird beispielsweise eine „7-Tage-Inzidenz“ – also neue Fälle je 100.000 Einwohnende in 7 Tagen – für Deutschland in Höhe von 66 berichtet. Die Werte für die 7-Tage-Inzidenz in den Bundesländern liegen zwischen 122,4 pro 100.000 Einwohner in Nordrhein-Westfalen und 15,5 pro 100.000 Einwohner in Sachsen-Anhalt. Das RKI berichtet von 12.626 neuen Fällen am gestrigen Tag, die von den Gesundheitsämtern gemeldet wurden. Aber auch das gehört im August 2021 erwähnt: Insgesamt haben 64,5 Prozent der Bevölkerung mindestens eine Impfung gegen COVID-19 bekommen. 59,6 Prozent wurden bereits vollständig gegen COVID-19 geimpft. Die Impfquote ist auch deshalb von besonderer Bedeutung, da die Impfung zumindest nach derzeitigem Stand wirksam vor schweren Krankheitsverläufen schützt – und damit dann auch eine möglicherweise notwendige intensivmedizinische Behandlung vermieden werden kann. Nun steigt sie also wieder, die uns so vertraut gewordene Inzidenz. Aber manchmal muss man Abschied nehmen, denn:

Künftig soll die Sieben-Tage-Inzidenz als Richtwert für die Bewertung der Pandemiesituation durch die regionale Klinikbelegung mit Corona-Patienten ersetzt werden. Laut den Vorschlägen des Ministeriums soll besonders die „Hospitalisierungsinzidenz“ zur Bewertung herangezogen werden. Diese Zahl zeigt die zur Behandlung aufgenommenen Corona-Patienten je 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner innerhalb von sieben Tagen, so diese Meldung: Krankenhausbelegung soll Inzidenz als Richtwert ablösen. Der Schwellenwert, ab dem Gegenmaßnahmen greifen (über die von den einzelnen Bundesländern entschieden werden muss), sei „jeweils unter Berücksichtigung der regionalen stationären Versorgungskapazitäten festzusetzen mit dem Ziel, eine drohende Überlastung der regionalen stationären Versorgung zu vermeiden“.

In den vergangenen Monaten stand der Endpunkt der stationären Versorgung von Covid-19-Patienten im Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung. Es gab viele Berichte über und aus den Intensivstationen. Wie stellt sich nun die Lage dort dar? Zahlen zu den intensivmedizinisch behandelten Covid-19-Patienten kann man dem DIVI Intensivregister entnehmen.

Der relative Anteil der intensivmedizinisch behandelten Covid-19-Patienten an allen hospitalisierten Covid-19-Fällen scheint nach Aussagen von Christian Karagiannidis, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN), robust zwischen 15 bis 20 Prozent zu liegen. Vor diesem Hintergrund plädiert Karagiannidis für ein Indikatorenbündel aus 1. Inzidenzen (früh), 2. Hospitalisierung und 3. Intensivbelegung (spät).

Man kann anhand der Abbildung die bisherigen drei Wellen gut erkennen – und am aktuellen Rand baut sich offensichtlich (wieder) etwas auf, von dem die einen annehmen, dass es sich um vierte Welle handelt, andere hingegen verweisen auf die Nicht-Vergleichbarkeit mit der Vergangenheit aufgrund der mittlerweile realisierten Impfquote.

Was bei aller Unsicherheit über den vor uns liegenden Verlauf beunruhigen sollte, sind die Berichte über die Menschen, die (noch) auf den Intensivstationen arbeiten. Und nach den drei schweren Wellen muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass bereits vor Corona generell der Mangel an Personal, vor allem an Pflegepersonal in vielen Kliniken thematisiert und problematisiert wurde und mit Blick auf die hier interessierenden Intensivstationen darauf hingewiesen wurde, dass es dort nicht nur zu wenig (hochqualifiziertes Fach-)Personal geben würde, sondern dass es auch an entsprechenden Fachkräften mangelt, wenn man denn zusätzliches oder Stellenabgänge kompensierendes Personal benötigt – vor allem in der Intensivpflege. Vgl. dazu aus diesem Blog nur als ein Beispiel die beiden Beiträge aus dem Jahr 2017: Eigentlich könnt ihr zufrieden sein. Oder doch nicht? Eine Studie zur Intensivpflege. Ein Lehrstück zu unterschiedlichen Wahrnehmungen der Pflegewelt (28.07.2021) sowie Immer diese Studien. Und die so wichtige Kritik daran. Die Intensivpflege in deutschen Krankenhäusern als Beispiel (31.08.2021).

Und vor der möglicherweise vierten Welle erreichen uns nun solche Meldungen: Pflexit in der Intensivpflege nimmt zu: »Die personellen Engpässe in der Intensivpflege nehmen zu. Das legen Auswertungen des seit Frühjahr 2020 betriebenen Melderegisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) nahe. Die Zahl der betreibbaren Intensivbetten mit Beatmungsmöglichkeit gehe von Monat zu Monat zurück, twitterte der Präsident der Gesellschaft für Internistische Intensiv- und Notfallmedizin (DGIIN) und wissenschaftlicher Leiter des DIVI-Intensivregisters, Christian Karagiannidis … Als Folge der permanenten Überlastung des Personals und dem bereits bestehenden Mangel an Pflegefachpersonen würden die großen Krankenhäuser ihren Bestand an Intensivbetten mit invasiver Beatmungsmöglichkeit reduzieren.« Hier manifestiert sich erneut die Lebensweisheit: Betten pflegen keine Patienten.

Und Karagiannidis wird in dem Artikel Ausgebranntes Pflegepersonal: Bis zu 30 Prozent wollen aussteigen mit diesen Worten zitiert: „Die Zahl der betreibbaren Intensivbetten mit Beatmungsmöglichkeit geht von Monat zu Monat zurück auf jetzt etwa 9000. Viele Kliniken melden uns Personalprobleme. Das Personal ist müde und wird weniger … 20 bis 30 Prozent der Pflegekräfte auf Intensivstationen wollen ihren Beruf verlassen, weil es zu anstrengend geworden ist.“

»Das hat seiner Meinung nicht nur mit Corona zu tun, sondern auch mit struktuellen Bedingungen. Während in Deutschland eine Pflegekraft tagsüber zwei Intensivpatienten und nachts drei betreue, sei das Verhältnis zum Beispiel in den Niederlanden oder den skandinavischen Ländern eins zu eins.«

»Als Folge der permanenten Überbelastung des Intensivmedizin-Personals und dem bereits bestehenden Mangel an Fachkräften würden die großen Krankenhäuser ihren Bestand an Intensivbetten mit invasiver Beatmungsmöglichkeit, sogenannnten High-Care-Betten, reduzieren. „Mitte Dezember gab es davon in Deutschland noch rund 12.000, nun sind es nur noch rund 9.000“, so Karagiannidis.«

Selbst wenn die vierte Welle hinsichtlich der Belastungen der Intensivstationen etwas oder deutlich geringer ausfallen sollten aufgrund der anderen Ausgangslage mit dem Impfschutz großer Teile der Bevölkerung, hätte man schon längst strukturell auf strukturelle Probleme, die schon lange vor Corona da waren und durch Corona potenziert wurden, antworten müssen. Wie eine deutlich bessere Vergütung (und wir sprechen hier nicht von einigen wenigen Prozenten mehr) und massive Investitionen in die Fort- und Weiterbildung der Pflegekräfte, deren Aufwand sich dann aber auch lohnen muss sowie eine generelle Aufwertung der Pflegeberufe und nicht das, was wir leider derzeit eher zur Kenntnis nehmen müssen: eine fortschreitende Dequalifizierung durch eine Ausrichtung auf Pflegehilfskräfte (besonders relevant in der Langzeitpflege) und ein Kleinhalten der Ausbildung der generalistischen Pflegefachpersonen.

„Hätte, hätte – Fahrradkette“: Mit diesem prägnanten Lehrsatz hat Peer Steinbrück (SPD) handwerkliche Fehler in seinem Wahlkampf wegzubügeln versucht. Der Lehrsatz würde auch auf Jens Spahn (CDU) und seine Kollegen in den Länderministerien passen.