Eine Verfestigung von Armutsrisiken und mehr: Der Datenreport 2021. Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland

»Wer in Deutschland einmal unter die Armutsgrenze rutscht, bleibt immer öfter länger arm. So beträgt der Anteil dauerhaft von Armut bedrohter Menschen an allen Armen 44 % – und ist damit mehr als doppelt so hoch wie noch 1998.« Das berichtet das Statistische Bundesamt am 10. März 2021 unter der Überschrift Armutsrisiken haben sich in Deutschland verfestigt und legt den Finger auf eine offene Wunde, die von vielen anderen Studien und Berichten in den vergangenen Jahren ebenfalls angesprochen wurde. Zugleich geht es aber auch um die vieldiskutierte Frage, ob und welche Auswirkungen die seit einem Jahr das Land im Würgegriff haltende Corona-Pandemie hat (so lautet der Untertitel der Mitteilung des Statistischen Bundesamtes: „Datenreport 2021 über ungleiche Lebensbedingungen und die Folgen von Corona“): »Zudem droht die Corona-Pandemie die finanzielle Situation benachteiligter Gruppen zu verschärfen: Auch wenn höhere Einkommensgruppen im ersten Lockdown häufiger Einkommenseinbußen hatten, kämpften neben Selbstständigen besonders Menschen mit niedrigen Einkommen, Geringqualifizierte und Alleinerziehende mit finanziellen Schwierigkeiten.«

Konkret geht es um diese Veröffentlichung:

➔ Statistisches Bundesamt (Destatis), Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB), Datenreport 2021. Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, März 2021

Zahlreiche Befunde zu den Lebensverhältnissen liefert der neue Datenreport 2021 – ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland. Fachleute aus amtlicher Statistik und Sozialforschung haben darin Zahlen und Fakten zu wichtigen Lebensbereichen zusammengestellt.

»2018 lebte in Deutschland fast jede/-r Sechste (15,8 %) unterhalb der Armutsrisikoschwelle. Diese lag 2018 bei 1.040 Euro monatlich für einen Ein-Personen-Haushalt. Bei einem Ein-Elternhaushalt mit einem Kind (unter 14 Jahre) bei rund 1.352 Euro. Der Anteil ist im Vergleich zum Vorjahr (17,3 %) leicht gesunken, das Armutsrisiko liegt aber deutlich über dem Niveau Ende der 1990er-Jahre (knapp 11 %). Auch verfestigen sich die Armutsrisiken. Wer einmal unter die Armutsgrenze rutscht, verbleibt immer länger in diesem Einkommensbereich: Von den Personen, die im Jahr 2018 unter die Armutsrisikoschwelle fielen, waren 88 % bereits in den vier Jahren zuvor (2014 bis 2017) zumindest einmal von Armut bedroht. Die Hälfte davon (44 %) befand sich in diesem Zeitraum 4 Jahre durchgehend in diesem niedrigen Einkommenssegment. Damit hat sich der Anteil der dauerhaft von Armut bedrohten Personen an allen Armen in den vergangenen zwanzig Jahren mehr als verdoppelt: 1998 betrug er noch 20 %. Das Risiko, in Armut zu leben, ist besonders hoch für Alleinerziehende (41 %), Menschen mit Hauptschulabschluss und ohne Berufsabschluss (35 %) und Menschen mit Migrationshintergrund (29 %).«

Quelle der Abb.: Quelle: Datenreport 2021, Kap. 6.3 (Goebel & Krause), S. 243 | Datenbasis: SOEPv35

Corona: Finanziell trifft es Geringqualifizierte, Alleinerziehende, Selbstständige und Zugewanderte

»Große Unterschiede zeigen sich bei den finanziellen Auswirkungen der Corona-Pandemie. So berichteten für Ende März bis Anfang Juli 2020 17 % der an- und ungelernten Arbeiterinnen und Arbeiter und knapp 14 % der einfachen Angestellten von finanziellen Schwierigkeiten. Bei Bezieherinnen und Beziehern von Niedrigeinkommen war es fast jede/-r Fünfte. Bei den Facharbeiter-, Meister- und qualifizierten Angestelltenberufen fielen die Anteile mit rund 9 % deutlich niedriger aus. Am häufigsten waren Alleinerziehende (25 %) und Selbstständige (20 %) von finanziellen Problemen im Zuge der Pandemie betroffen. Auch Menschen, die nach Deutschland zugewandert sind, berichteten mit 15 % fast doppelt so häufig von finanziellen Schwierigkeiten wie Menschen ohne Migrationshintergrund (8 %).«

Und wie bereits in vielen bisherigen Studien berichtet: Corona verschärft vorher bereits vorhandene Ungleichheiten (vgl. dazu ausführlicher diesen Beitrag vom 6. März 2021: Das Corona-Virus und die Ungleichheit: Vom anfänglichen „großen Gleichmacher“ zu einem in Umrissen immer deutlicher erkennbaren „Ungleichheitsvirus“):

»In der Corona-Krise zeigt sich einmal mehr, dass auch materielle Voraussetzungen Bildungschancen beeinflussen. Augenfällig ist dies beim Zugang zu digitalen Unterrichtsformaten, für die es Computer und Tablets braucht. Familien mit höherem Einkommen besitzen im Durchschnitt mehr Endgeräte, während Familien mit niedrigen Einkommen oft nicht für jedes Kind einen Computer haben. So standen Familien mit hohem monatlichem Haushaltsnettoeinkommen (5 000 bis unter 18 000 Euro) Anfang 2020 im Durchschnitt vier PCs zur Verfügung. In der untersten Einkommensgruppe (unter 2 000 Euro) waren es durchschnittlich zwei Geräte.«

Auch das vielbeschworene Homeoffice wird angesprochen: »Während bis vor einem Jahr Homeoffice ein Randphänomen war und nur 5 % überwiegend von zuhause aus gearbeitet haben, waren es während des ersten Lockdowns 23 %. Bezogen auf diejenigen, die weiterhin beschäftigt und zum Beispiel nicht in Kurzarbeit waren, lag der Homeoffice-Anteil sogar bei knapp 30 %. Einiges spricht dafür, dass Homeoffice infolge der Erfahrungen während der Corona-Krise eine neue Normalität für viele wird.« Aber für andere eben nicht, denn die sozialen Unterschiede bei der Nutzung von Homeoffice sind enorm. »Das liegt daran, dass einige Berufe nicht für Homeoffice geeignet sind – anders als typische Büroberufe wie Marketing oder Finanzdienstleistungen. Besonders selten arbeiteten Menschen in Berufen im unteren Drittel der Einkommensverteilung im ersten Lockdown von zuhause aus. So betrug in rund der Hälfte dieser Berufe der Homeoffice-Anteil weniger als 6 %. Ganz anders zeigt sich das Bild bei Berufen im oberen Einkommensdrittel: Fast zwei Drittel dieser Berufsgruppen hatten einen Homeoffice-Anteil von 20 % und mehr.«

»Die Möglichkeiten, der Pandemie zu trotzen, hängen stark von Einkommen und Bildungsstand ab«, so Henrike Roßbach unter der Überschrift In der Krise ist keiner gleich. Der neue Datenreport zur Ungleichheit im Land, insgesamt mehr als 500 Seiten dick, zeigt in einem Corona-Kapitel, dass die Krise bestehende Ungleichheiten eher verstärkt als egalisiert hat: »So arbeiteten etwa 41 Prozent der Menschen mit hoher Schulbildung Ende März vergangenen Jahres von zu Hause aus. Unter denen mit niedriger Bildung waren es nur knapp 13 Prozent. „Arbeit von zu Hause stellt sich dabei als Privileg der oberen Bildungsgruppen dar“, heißt es in dem Report. Freistellungen und Arbeitslosigkeit wiederum trafen „insbesondere Personen, die bereits vor Einsetzen der Pandemie einen niedrigen Verdienst hatten“. Kurzarbeit dagegen war eher in den mittleren Einkommensschichten bedeutsam, weil Voraussetzung für den Bezug von Kurzarbeitergeld ein sozialversicherungspflichtiger Job ist.«

Und Roßbach zitiert einen der Beteiligten an dem umfangreichen Werk: »Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, nannte den Datenreport alarmierend. In einer ersten Prognose könne man sagen, „die bundesdeutsche Gesellschaft ist durch Corona ungleicher geworden“. Gerade im Bildungsbereich sehe man, dass ärmere Kinder beeinträchtigt seien; da fehle es im Homeschooling an der technischen Ausstattung und Eltern könnten weniger gut helfen – auch, weil sie seltener von zu Hause aus arbeiten könnten. „Die Krise wirkt nicht als Gleichmacher, sondern als Vergrößerungsglas“, so Krüger.«

Man muss allerdings darauf hinweisen, dass der Datenstand für die erste Einschätzung der Auswirkungen der Corona-Pandemie produktionsbedingt beim Datenreport bis maximal Sommer 2020 reicht bzw. reichen kann. Insofern bewegen wir uns hier ganz besonders in unsicherem Gelände und zwangsläufig wird es erst im Nachhinein möglich sein, eine datengestützte Einordnung vornehmen zu können.

Und wieder zurück zum Thema Armut (und Reichtum) diesseits und jenseits der Corona-Krise: Der neue Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung liegt vor, zumindest als Entwurf

Wenige Tage vor der Veröffentlichung des Datenreports 2021 wurde der Entwurf des sechsten Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung bekannt (vgl. zu diesen Berichten generell die BMAS-Seite Armuts- und Reichtumsbericht). Auch in dem Entwurf dieses neuen Berichts werden die Folgen der Corona-Pandemie angesprochen:

»Weniger Rücklagen, geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt, Probleme beim Homeschooling: Geringverdiener und Arbeitslose leiden vor allem unter den Folgen der Corona-Pandemie«, berichtet die Online-Ausgabe der Tagesschau: Corona macht Arme noch ärmer. »Bis Ende August 2020 haben laut dem Bericht 15,5 Millionen Haushalte in Deutschland Einkommenseinbußen hinnehmen müssen. Gering- und Normalverdiener sind dabei am stärksten betroffen. 30 Prozent der Befragten mit besonders niedrigen Einkommen hatten seit Beginn der Pandemie Probleme, laufende Ausgaben zu decken. Die Auswirkungen der Pandemie auf den Arbeitsmarkt könnten dem Bericht zufolge insbesondere Langzeitarbeitslose treffen. Diese sähen sich verstärkt mit dem Problem eines teilweise verschlossenen Arbeitsmarktes konfrontiert. Während in der öffentlichen Verwaltung die Beschäftigtenzahlen stabil blieben, gab es bei Beschäftigten in der Gastronomie seit April einen Anstieg der Arbeitslosenzahlen um 80 Prozent. Positive Impulse gab es hingegen offensichlich durch das Kurzarbeitergeld. Insbesondere Menschen mit mittleren oder geringen Einkommen profitierten dem Bericht zufolge von der staatlichen Leistung. „Diese Hilfen haben so die sozialen Härten besonders für die untere Einkommensmitte abgefedert“, heißt es ein einer Kurzfassung des Berichts.«

Aber neben allem Verständnis für die aktuell drängende, aber aus methodischen Gründen wenn, dann nur in groben Umrissen beantwortbare Frage nach den sozialen Auswirkungen der Corona-Krise, lohnt der Blick in den Entwurf des neuen Armuts- und Reichtumsberichts aus vielerlei Hinsicht, vor allem, was die Entwicklung von Armut und Ungleichheit in unserem Land angeht. Und das war vor Corona schon ein Thema und wird nach Corona ein Thema bleiben.