Und der „Gewinner“ ist … Eine neue Qualifikations- und Berufsprojektion zeigt: 2040 soll das Gesundheits- und Sozialwesen der größte Wirtschaftsbereich sein

Auch wenn derzeit verständlicherweise alles von den beobachtbaren Auswirkungen und den (möglichen) Folgen der Corona-Krise beherrscht wird – die großen Entwicklungslinien, die wir vor Corona diskutiert haben, sind ja nicht verschwunden und sie werden wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden. Beispielsweise die demografische Entwicklung, die auch erhebliche Auswirkungen haben wird auf den Arbeitsmarkt.

Mittlerweile liegt der Altersschwerpunkt der Belegschaften in den meisten Unternehmen zwischen 50 und 60 Jahren, auch die Zahl der 60 bis 65 Jahren alten Beschäftigten hat erheblich zugenommen. Die „Babyboomer“ dominieren den Arbeitsmarkt der Gegenwart. Viele dieser Arbeitnehmer werden zum einen aufgrund der rentenrechtlichen Änderungen der zurückliegenden Jahre und Jahrzehnte so lange wir möglich arbeiten müssen (was wiederum neue Herausforderungen für viele Unternehmen bedeutet, die in der Vergangenheit eine eher jugendzentrierte Strategie haben fahren können), zugleich werden aber Jahr für Jahr viele Arbeitnehmer altersbedingt den Arbeitsmarkt verlassen und in den Ruhestand wechseln (oder wechseln müssen). Und zugleich werden „unten“ deutlich weniger Arbeitskräfte „nachwachsen“ aufgrund der demografischen Entwicklung, denn die Geburtenrate seit Anfang der 1970er Jahre lag kontinuierlich in einem Bereich, in dem es zu Schrumpfungsprozessen kommen muss, auf alle Fälle sind die jüngeren Jahrgänge, aus denen heraus die altersbedingten Abgänge kompensiert sowie ggfs. wachstumsbedingte Zusatzbedarfe gedeckt werden müssten, deutlich kleiner bestückt als die geburtenstarken Jahrgänge. Das kann nicht ohne Folgen bleiben für das Arbeitsangebot auf dem Arbeitsmarkt. Vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Eine scheinbar widersprüchliche Angelegenheit: Einerseits Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel, anderseits eine konjunkturell und strukturell steigende Arbeitslosigkeit vom 10. August 2019, dort auch diese Abbildung:

Das löst seit längerem (nicht nur) sozialpolitisch hoch umstrittene Diskussionen aus, beispielsweise über das Ausmaß der Zuwanderung, eine (weitere) Erhöhung der Erwerbsbeteiligung der Frauen sowie die immer wieder geforderte und von anderen vehement abgelehnte Verlängerung der Lebensarbeitszeit, um nur einige Stichworte in den Raum zu stellen. Zugleich wird aber auch die Zahl der älteren Menschen deutlich ansteigen, sowohl absolut wie aus relativ. Und die müssen versorgt werden. Daraus kann man ohne weiteres Nachdenken einen Anstieg der Nachfrage nach Leistungen ableiten, die im Gesundheits- und Sozialwesen erbracht werden (müssen) – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Nachfrage nach Arbeitskräften in diesem Sektor.

In diesem Kontext ist es grundsätzlich hilfreich, wenn Arbeitsmarktforscher versuchen, eine Abschätzung der vor uns liegenden Auswirkungen der demografischen Entwicklung wie auch der strukturellen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft auf die Arbeitsmärkte vorzunehmen. Das kann dann im positiven Sinne Schneisen schlagen im Sinne einer Veranschaulichung der möglichen Entwicklungsrichtung, wobei man die über komplexe Berechnungen ermittelten Zahlen niemals als eine exakte Vorhersage interpretieren sollte, dazu muss dort mit zu vielen Annahmen gearbeitet werden.

Wo geht es für wie viele (nicht) hin? Eine neue Studie versucht, Antworten zu geben

»Die Alterung der Bevölkerung sorgt dafür, dass das Gesundheits- und Sozialwesen mit bundesweit sieben Millionen Beschäftigten im Jahr 2040 die meisten Erwerbstätigen stellen wird, ca. 660.000 mehr als noch in diesem Jahr. Dies geht aus einer Projektion des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) hervor. Die Corona-Pandemie dürfte das Wachstum der Branche zusätzlich verstärken.« Das berichtet das IAB unter der Überschrift Qualifikations- und Berufsprojektion: 2040 wird das Gesundheits- und Sozialwesen der größte Wirtschaftsbereich sein. Und wie sieht es in den anderen Bereichen aus?

»Im Vergleich dazu wird die Zahl der Erwerbstätigen im Verarbeitenden Gewerbe abnehmen. Die Forscherinnen und Forscher rechnen hier mit einem Rückgang von 1,4 Millionen Erwerbstätigen auf 6,1 Millionen Erwerbstätige bis 2040. Dies sei auf die nachlassende Dynamik der Exporte und den Anpassungsdruck zum Beispiel in der Automobilindustrie zurückzuführen. Im Dienstleistungsgewerbe verringern sich vor allem in den Bereichen Handel sowie Instandsetzung und Reparatur von Kraftfahrzeugen die Erwerbstätigenanteile. Der weniger personalintensive Online-Handel stellt dabei eine Ausnahme dar.«

Und das Arbeitsangebot? Die Wissenschaftler »haben auch untersucht, wie sich die Zahl der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Personen entwickelt. Die Zahl der Erwerbspersonen ist bis zum Jahr 2040 in allen Bundesländern außer den Stadtstaaten Berlin und Hamburg rückläufig, insbesondere in den östlichen Bundesländern ist ein starker Rückgang zu erwarten. Damit verbunden nimmt die Zahl der Erwerbstätigen ebenfalls fast überall ab, sodass mit Engpässen in verschiedenen Wirtschaftsbereichen und Berufen zu rechnen ist. Absolut betrachtet werden die meisten Arbeitsplätze in den großen bevölkerungsstarken Flächenstaaten auf- und abgebaut. Relativ betrachtet, also bezogen auf die Zahl der Erwerbstätigen im Jahr 2020, entstehen bis 2040 die meisten Arbeitsplätze in Berlin und Hamburg und die wenigsten in den Flächenstaaten im Osten des Landes.«

»Für Arbeitgeber dürfte die Rekrutierung von Arbeitskräften in vielen Wirtschaftsbereichen und Regionen in der längeren Frist zunehmend schwieriger werden. Wolle man die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft nicht aufs Spiel setzen, seien gut ausgebildete Arbeitskräfte unabdingbar. Die Forscherinnen und Forscher schreiben: „Dies erfordert eine bestmögliche Bildung und Qualifizierung der nachfolgenden Jahrgänge und die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen ebenso wie die Attraktivität des Standorts Deutschland für qualifizierte und vom Arbeitsmarkt benötigte Migrantinnen und Migranten.“«

Und hier findet man das Original der Studie:

➔ Markus Hummel et al. (2021): Qualifikations- und Berufsprojektion bis 2040 nach Bundesländern: Demografie und Strukturwandel prägen weiterhin die regionaleEntwicklung der Arbeitsmärkte. IAB-Kurzbericht 1/2021, Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Januar 2021

Die Langfassung der Studie mit detaillierten Ergebnissen die einzelnen Bundesländer und Stadtstaaten betreffend:
➔ Gerd Zika et al. (2021): Die langfristigen Folgen von Covid-19, Demografie und Strukturwandel für die Bundesländer. IAB-Forschungsbericht Nr. 1/2021, Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), Januar 2021

Vor dem Hintergrund der immer wieder thematisierten demografischen Entwicklung hier einige Zitate aus dem Kurzbericht des IAB über die neuen Berechnungsergebnisse der Projektion:

»Neben der Konjunktur bestimmt vor allem die zu erwartende Bevölkerungsentwicklung sowohl die zukünftigen Konsumstrukturen als auch das zur Verfügung stehende Arbeitskräfteangebot … Hinsichtlich der Nettozuwanderung wird davon ausgegangen, dass sie sich nach dem aktuellen Einbruch aufgrund der Pandemie zunächst wieder auf ihrem ursprünglichen hohen Niveau von rund 300.000 Personen bewegen wird. In der langfristigen Projektion sinkt sie auf rund 150.000 Personen im Jahr 2040 … dieser Rückgang (ist) weniger den Abwanderungen als vielmehr einer zurückgehenden Zuwanderung zuzuschreiben. So bewirkt die demografische Entwicklung auch in den süd- und osteuropäischen Ländern, aus denen bisher viele Zuwanderer kamen, längerfristig eine Alterung der dortigen Bevölkerung und in der Folge ein geringeres Migrationspotenzial – zumal in diesen Ländern ebenfalls von einem zunehmenden Wohlstand auszugehen ist, welcher den Abwanderungsdruck reduziert. Insgesamt ergibt sich infolge der Migration ein Bevölkerungsanstieg bis auf rund 84,1 Millionen im Jahr 2030. Bis zum Jahr 2040 geht die Bevölkerungszahl auf rund 83,7 Millionen Personen zurück und liegt damit etwas höher als im Jahr 2020. Die Erwerbsbevölkerung, also Personen im Alter von 15 bis unter 70 Jahren, sinkt aufgrund der Alterung der Bevölkerung um 9 Prozent beziehungsweise 5,2 Millionen Personen.

Da sich Außen- und Binnenwanderung regional unterschiedlich verteilen, wird sich die Bevölkerung in den deutschen Bundesländern nicht gleichmäßig entwickeln. Während die Gesamtbevölkerung in einigen Regionen noch steigt, geht die Erwerbsbevölkerung fast überall zurück … Den größten Anstieg der Bevölkerung insgesamt erwarten wir für die Stadtstaaten Berlin und Hamburg. Aber auch in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Bremen kommt es noch zu einer leichten Zunahme. In allen anderen Bundesländern geht die Einwohnerzahl bis zum Jahr 2040 zurück, vor allem in den fünf ostdeutschen Bundesländern (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen- Anhalt und Thüringen) sowie im Saarland.

Nicht zuletzt aufgrund der gegebenen Altersstruktur entwickelt sich die Erwerbsbevölkerung in den einzelnen Bundesländern ebenfalls unterschiedlich. Bis auf Berlin und Hamburg verzeichnen alle Bundesländer aufgrund der Alterung einen Rückgang. Hierbei sind ebenfalls die ostdeutschen Bundesländer und das Saarland besonders stark betroffen. Aber auch Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein müssen mit einer Abnahme der erwerbsfähigen Bevölkerung um über 10 Prozent rechnen. Am stärksten sinkt sie in Sachsen-Anhalt mit über 22 Prozent.

Quelle: Hummel et al. (2021)

Entwicklung der Erwerbstätigenzahlen nach Wirtschaftsbereichen

Die Alterung der Bevölkerung sorgt dafür, dass das Gesundheits- und Sozialwesen mit bundesweit rund 7 Millionen Personen im Jahr 2040 die mit Abstand meisten Erwerbstätigen stellen wird. Allein zwischen den Jahren 2030 und 2040 ist in diesem Wirtschaftsbereich mit einem Anstieg der Erwerbstätigenzahl um rund 0,5 Millionen Personen zu rechnen. Hingegen nimmt die Erwerbstätigkeit im Verarbeitenden Gewerbe zwischen 2020 und 2040 um rund 1,4 Millionen Personen ab. Hier wirkt die nachlassende Dynamik der Exporte ebenso wie der Anpassungsdruck in einzelnen Wirtschaftsbereichen wie der Automobilindustrie. Die Bauinvestitionen werden nach ihrer gegenwärtigen Boomphase langfristig demografiebedingt ebenfalls zurückgehen. Zwar werden weiterhin viele neue Wohnungen gebaut, der Zubau wird aber über die Jahre abnehmen. Insgesamt wird das warenproduzierende Gewerbe im Jahr 2040 noch 8,8 Millionen und damit 20,1 Prozent aller Erwerbstätigen stellen (23,8 % im Jahr 2020). Im Dienstleistungsgewerbe verringern sich vor allem in den Bereichen Handel sowie Instandsetzung und Reparatur von Kraftfahrzeugen die Erwerbstätigenanteile. Bereits vor Beginn der Covid-19-Pandemie zeigte sich ein starker Zuwachs im Anteil des weniger personalintensiven Online-Handels am Einzelhandel.

Nun gibt es nicht nur einen Abbau von Arbeitsplätzen, sondern auch einen Aufbau. Nach Bundesländern sortiert ergeben sich nach den Berechnungen in der Studie diese Werte:

Quelle: Hummel et al. (2021)

Die Zahl der auf- und abgebauten Arbeitsplätze berechnet sich über einen Vergleich der Arbeitswelt im Jahr 2040 mit der im Jahr 2020, wobei sich der Strukturvergleich auf den branchen- und berufsspezifischen Arbeitskräftebedarf bezieht. Aus der Abbildung wird ersichtlich, dass sich der Strukturwandel weniger bei der Zahl der Erwerbstätigen insgesamt bemerkbar macht, sondern vielmehr in der Zahl der auf- und abgebauten Arbeitsplätze, also in der Verschiebung der Erwerbstätigenzahl in den einzelnen Wirtschaftsbereichen und Berufshauptgruppen.

Nicht verwunderlich ist, dass – absolut betrachtet – die meisten Arbeitsplätze in den großen bevölkerungsstarken Flächenstaaten auf- beziehungsweise abgebaut werden. Dort halten sich Auf- und Abbau von Arbeitsplätzen in etwa die Waage. Relativ betrachtet, also bezogen auf die Zahl der Erwerbstätigen im Jahr 2020, entstehen bis 2040 die meisten Arbeitsplätze in den beiden Stadtstaaten Berlin und Hamburg und die wenigsten in den Flächenstaaten im Osten des Landes. Hinzu kommt, dass hier auch prozentual der größte Arbeitsplatzabbau erwartet wird. Beides, der geringe Arbeitsplatzaufbau und der hohe Arbeitsplatzabbau, korrespondiert mit den erwarteten hohen Bevölkerungsrückgängen und damit mit dem starken Rückgang an Arbeitskräften.

Obwohl die Erwerbsbevölkerung wie beschrieben im Projektionszeitraum um 5,2 Millionen Personen sinkt, nimmt das Arbeitskräfteangebot – also die Zahl der Erwerbspersonen – nur um 1,8 Millionen ab (2020: 46,5 Mio.; 2040: 44,7 Mio.). Dahinter steht eine weiter steigende Erwerbsbeteiligung, vor allem bei den Älteren und den Frauen mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Der Arbeitskräftebedarf – also die Zahl der Erwerbstätigen – sinkt dementsprechend zwar auch, allerdings nur um rund 1,4 Millionen Personen von 45,1 Millionen im Jahr 2020 auf 43,7 Millionen im Jahr 2040.«

Soweit einige Ergebnisse der neuen Studie von IAB und BIBB.