Kurz vor dem Ende des nunmehr vergangenen Jahres 2020 wurde hier dieser Beitrag veröffentlicht, der einen skeptischen Unterton schon in der Überschrift enthält: Schafft er das vor dem „Nichts geht mehr“? Der Bundesarbeitsminister will Betriebsräte mit einem Stärkungsgesetz unter die Arme greifen. Am 28. Dezember 2020 war das. In dem dort besprochenen Entwurf für ein „Betriebsrätestärkungsgesetz“ (Stand: 21.12.2020) ist nicht nur die Ausweitung des Kündigungsschutzes für Arbeitnehmer enthalten, die versuchen, etwas an sich Selbstverständliches zu machen, also einen Betriebsrat ins Leben zu rufen (im hier maßgeblichen § 1 Abs. 1 BetrVG heißt es unmissverständlich: „In Betrieben mit in der Regel mindestens fünf ständigen wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen drei wählbar sind, werden Betriebsräte gewählt.“). Das deckt sich übrigens mit dem, was Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2018 als eines der vielen gemeinsamen Vorhaben fixiert haben: „Wir wollen die Gründung und Wahl von Betriebsräten erleichtern“, so heißt es dort.
Aber der vorliegende Referentenentwurf geht weiter: Mit dem Betriebsrätestärkungsgesetz »soll Betriebsräten zudem mehr Mitspracherechte in Sachen Digitalisierung zu verschaffen – zum Beispiel auch zur Frage, unter welchen Bedingungen das sogenannte mobile Arbeiten („Homeoffice“) stattfinden darf. Ebenso sollen die Betriebsräte systematisch mitreden dürfen, wie neue Systeme mit Künstlicher Intelligenz beschaffen sein müssen, wenn der Betrieb sie einführen will. Und sie sollen dabei auch eigene Sachverständige einschalten dürfen, deren Vergütung der Arbeitgeber übernehmen muss,« so dieser Artikel: Heil baut Kündigungsschutz für Betriebsräte aus. Das nun geht weit über den Ansatz hinaus, die Gründung eines Betriebsrates zu fördern. Offensichtlich will man auch eine Zuständigkeitserweiterung im Kernbereich der betrieblichen Mitbestimmung realisieren.
In dem Referentenentwurf aus dem BMAS sind zum einen Anpassungen an eine sich verändernde Arbeitswelt vorgesehen (so soll es neue Mitspracherechte dort geben, wo Betriebe neue Technologien und Systeme mit Künstlicher Intelligenz einführen wollen), andererseits versucht man offensichtlich, gleichsam von hinten einen bereits gescheiterten Ansatz wieder aus der Versenkung zu heben (in § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG soll ein neues Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit eingeführt werden). Nach den Plänen des Bundesarbeitsministers Hubertus Heil (SPD) soll die „Ausgestaltung mobiler Arbeit“ als neuer Punkt in den gesetzlichen Katalog der streng mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten aufgenommen werden. Bisher umfasst dieser Katalog 13 Punkte, darunter etwa die Verteilung der Arbeitszeit und betriebliche Regelungen zur Unfallverhütung (vgl. dazu die Aufzählung der – bislang – 13 Angelegenheiten, für die im § 87 Abs. 1 BetrVG Mitbestimmungsrechte definiert werden).
»Eine solche Mitbestimmungspflicht der Betriebsräte in Sachen mobiles Arbeiten („Homeoffice“) hatte Heil im Oktober auch schon in seinen politisch stark umstrittenen ersten Gesetzentwurf zum Thema „Recht auf Homeoffice“ aufgenommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte diesen Gesetzentwurf jedoch umgehend gestoppt, weil er zu weitreichend und zu belastend für die Wirtschaft sei. In einer überarbeiteten neuen Fassung des Homeoffice-Gesetzentwurfs hatte Heil diesen Mitbestimmungspassus dann gestrichen, um die Zustimmung des Kanzleramts dafür zu gewinnen – und nun taucht genau derselbe umstrittene Passus im Entwurf zum neuen „Betriebsrätestärkungsgesetz“ wieder auf.«
Da darf man nicht überrascht sein, wenn das Bundeskanzleramt die Ampel auf rot stellt
Vor diesem Hintergrund sind dann solche Meldungen nicht wirklich überraschend: Kanzleramt stellt sich gegen mehr Mitbestimmung für Betriebsräte, so hat Hasso Suliak seinen Beitrag überschrieben, mit dem er uns auf den neuesten Stand bringt: »Nachdem die Union bereits vor einigen Monaten einen arbeitsrechtlichen Anspruch des Arbeitnehmers auf Homeoffice abgelehnt hatte und daher jetzt nur noch darüber diskutiert wird, ob die Beschäftigten nicht zumindest das Recht bekommen sollen, über das Thema Homeoffice und mobile Arbeit mit der Arbeitgeberin zu reden, droht Arbeitsminister Hubertus Heil nun bei diesem Thema die nächste Blockade durch den Koalitionspartner.«
Das Bundeskanzleramt will den jüngsten Entwurf eines Betriebsrätestärkungsgesetzes aus dem BMAS noch gehörig zurechtstutzen, so hat es Suliak aus Kreisen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vernommen. Konkret geht es derzeit um die skizzierte zusätzliche Ziffer 14 – „Ausgestaltung von mobiler Arbeit“ -, die bei den Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates aufgenommen werden soll. »Damit soll laut Ministerium mobile Arbeit zum einen stärker gefördert, zum anderen aber auch damit verbundene Gefahren, wie etwa einer drohenden Entgrenzung von Arbeits- und Privatleben, zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besser begegnet werden«, so wird die Intention des Referentenentwurfs beschrieben.
Hier würde also bei einer Aufnahme in die konkret aufgelisteten Mitbestimmungsrechte im § 87 BetrVG nicht nur eine kosmetische Operation vorgenommen werden. Folglich grätscht das Kanzleramt im Auftrag der Unionsfraktion genau an dieser Stelle rein: »Doch dass die gewählten Betriebsräte künftig bei möglichen individuellen Homeoffice-Belangen ein Wörtchen mitreden sollen, geht der Union, die traditionell eher die Interessen von Arbeitgebern vertritt, deutlich zu weit.« Formal zieht man sich seitens der Fraktion zurück auf eine enge Auslegung des Koalitionsvertrages: „Die Erleichterungen zur Betriebsratswahl sind Bestandteil des Koalitionsvertrages und werden von der Union begrüßt. Ein erweitertes Mitbestimmungsrecht bei Homeoffice steht nicht im Koalitionsvertrag. Deshalb besteht schon das Kanzleramt auf einer Streichung dieses Passus“, so wird beispielsweise der Abgeordnete Peter Weiß, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, zitiert.
Hasso Suliak bilanziert und prognostiziert: »Dass sich am Ende bei dieser Frage eher Angela Merkel durchsetzen wird, gilt als ausgemacht – und damit dann auch der nächste Tiefschlag beim Thema Homeoffice für Arbeitsminister Heil und die SPD. Auch bei den den Sozialdemokraten nahestehenden Gewerkschaften dürfte die Enttäuschung groß sein. Diese hatten erst kürzlich vehement den Gesetzgeber angemahnt, im Kontext mobile Arbeit endlich tätig zu werden.«
Suliak berichtet auch über einige Stimmen von Arbeitsrechtlern – und die deuten an, dass auch bei den Arbeitsrechtlern die Sicht auf eine mögliche Ausweitung der Mitbestimmungsrechte von Zustimmung bis vehementer Ablehnung reicht: »Jürgen Markowski, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Mitglied im Geschäftsführenden Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht und im Ausschuss Arbeitsrecht des Deutschen Anwaltvereins DAV, begrüßt den Vorstoß aus dem BMAS.« Ihm zufolge kann über die Mitbestimmung sichergestellt werden, „dass auf betrieblicher Ebene Lösungen gefunden werden, die tatsächlich auf den Betrieb und seine Beschäftigten zugeschnitten sind. Tatsächlich wäre sogar ein Initiativrecht wünschenswert, damit der Betriebsrat solche modernen Arbeitsformen, die dem Betrieb und der Belegschaft nützlich sein können, auch gegen Vorbehalte der Arbeitgeber durchsetzen kann.”
»Andere Arbeitsrechtler, die in ihrer anwaltlichen Praxis anders als Markowski eher die Interessen von Unternehmen vertreten, winken bei dem Thema jedoch ab. Beispielsweise Dr. Patrick Mückl, Fachanwalt für Arbeitsrecht in der Kanzlei Noerr: „Bereits heute greifen bei der Einführung von Homeoffice-Arbeitsplätzen oder mobiler Arbeit regelmäßig verschiedene Beteiligungsrechte des Betriebsrats ein. Ich halte eine entsprechende Erweiterung von § 87 Abs. 1 BetrVG daher für überflüssig. Der damit verbundene Eingriff in die unternehmerische Freiheit ist nicht gerechtfertigt“, meint er.« Auch der Arbeitsrechtler Michael Fuhlrott sieht bereits ausreichende Flexibilitätsspielräume: Für den Bereich des Homeoffice gebe es vielfältige Beteiligungsrechte: „Diese beginnen bei der Beteiligung bei Versetzungen in oder aus dem Homeoffice – § 99 BetrVG – und gehen über Fragen des Arbeitsschutzes bis hin zur Ausgestaltung der Tätigkeit und Ausgestaltung des Homeoffices-Arbeitsplatzes, insb. §§ 87 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 6 BetrVG.“