Bevor jetzt jemand auf die Idee kommt, der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will nach den teilweise mehr als zähen und innerhalb der derzeitigen schwarz-roten Koalition überaus strittigen Gesetzgebungsverfahren beispielsweise zur „Grundrente“ oder zuletzt das „Arbeitsschutzkontrollgesetz“ mit dem Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in den Kernbereichen der Fleischindustrie nun mit einem weiteren Vorstoß Teile der Union gegen sich aufbringen (und man deshalb davon ausgehen kann, dass der nun bekannt gewordene Entwurf aus seinem Haus am Widerstand des Koalitionspartners scheitern müsse, da man dem Arbeitsminister keinen weiteren – scheinbaren – Erfolg gönnen dürfe), der möge vorher in das Vertragswerk schauen, auf dem die Zusammenarbeit von SPD und CDU/CSU seit 2018 basiert: dem Koalitionsvertrag. Dort findet man diese beiden Zielsetzungen, was die Betriebsräte angeht (S. 51 f.):
»Wir werden das allgemeine Initiativrecht der Betriebsräte für Weiterbildung stärken. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und Betriebsrat haben über Maßnahmen der Berufsbildung zu beraten. Können sich beide nicht verständigen, kann jede Seite einen Moderator anrufen mit dem Ziel, eine Einigung zu erreichen. Ein Einigungszwang besteht nicht.«
»Wir wollen die Gründung und Wahl von Betriebsräten erleichtern. Dazu werden wir das vereinfachte Wahlverfahren für alle Betriebe mit 5 bis 100 wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verpflichtend machen. Für Betriebe mit 101 bis 200 wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ermöglichen wir die Wahl zwischen dem vereinfachten und allgemeinen Wahlverfahren.
Wir setzen uns dafür ein, dass auch bei grenzüberschreitenden Sitzverlagerungen von Gesellschaften die nationalen Vorschriften über die Mitbestimmung gesichert werden.«
Der Schlüsselsatz lautet: „Wir wollen die Gründung und Wahl von Betriebsräten erleichtern.“ Und genau diesen im Koalitionsvertrag von 2018 niedergeschriebenen Anspruch der GroKo versucht Heil jetzt gesetzgeberisch mit Leben zu füllen. Gleichsam als in Aussicht gestellte weihnachtliche Bescherung (mit Lieferdatum wenn, dann im kommenden Jahr) wurde kurz vor dem Fest 2020 ein Referentenentwurf für ein „Betriebsrätestärkungsgesetz“ bekannt:
➔ Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Betriebsratswahlen und zur Stärkung der Betriebsräte (Betriebsrätestärkungsgesetz). Bearbeitungsstand: 21.12.2020
»Begründet wird die geplante Reform unter anderem mit einem Rückgang der Zahl der Unternehmen mit Betriebsrat. Verwiesen wird auch auf Erhebungen von Gewerkschaften, wonach es zu Behinderungsversuchen von Betriebsratswahlen durch Arbeitgeber kommt, etwa durch Einschüchterung möglicher Kandidaten. Geplant sind demnach ein verbesserter Kündigungsschutz für Mitarbeiter, die zu einer Betriebsratswahl einladen, sowie Vereinfachungen bei der Wahl«, so diese Meldung: Stärkung von Betriebsräten. Die FAZ hat ihren ausführlicheren Artikel dazu unter diese Überschrift gestellt: Heil baut Kündigungsschutz für Betriebsräte aus: »Wer einen Betriebsrat gründen will, den hat der Arbeitgeber schnell auf dem Kieker. Deshalb soll ein besonderer Schutz jetzt früher greifen. Mit einem anderen Vorstoß dürfte Arbeitsminister Heil Kanzlerin Merkel ärgern.«
Der Reihe nach. Es häuften sich Berichte, dass „Arbeitgeber mit zum Teil drastischen Mitteln die Gründung von Betriebsräten verhindern“, heißt es in dem neuen Gesetzentwurf. Deshalb werde „der Kündigungsschutz zur Sicherung der Wahlen zum Betriebsrat verbessert“, so die FAZ in ihrer Meldung. Schauen wir genauer in den Referentenentwurf. Dort findet man gleich am Anfang die folgenden, durchaus differenzierten Ausführungen:
Die im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) geregelte betriebliche Mitbestimmung sieht sich Herausforderungen ausgesetzt:
»Dazu gehört zunächst die geringe Anzahl an Betriebsratsgremien. Laut den Zahlen des IAB-Betriebspanels 2019 verfügen noch neun Prozent der betriebsratsfähigen Betriebe in Westdeutschland und zehn Prozent der betriebsratsfähigen Betriebe in Ostdeutschland über einen Betriebsrat und rund 41 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Westdeutschland sowie 36 Prozent in Ostdeutschland werden von Betriebsräten vertreten. Die Ursachen für die abnehmende Vertretung durch Betriebsräte sind vielfältig. So ist es durchaus denkbar, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besonders in kleinen Betrieben bewusst auf die Gründung eines Betriebsrats verzichten. Andererseits häufen sich Berichte, dass in manchen Betrieben Arbeitgeber mit zum Teil drastischen Mitteln die Gründung von Betriebsräten verhindern. In kleineren Betrieben können daneben die Formalien des regulären Wahlverfahrens eine Hemmschwelle darstellen, die es bei der Organisation einer Betriebsratswahl zu überwinden gilt. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung es sich zum Ziel gesetzt, die Gründung und Wahl von Betriebsräten zu fördern und zu erleichtern und zugleich die Fälle der Behinderungen von Betriebsratswahlen zu reduzieren.« (S. 1).
Schauen wir uns einmal die Entwicklung der Betriebsrätelandschaft seit Mitte der 1990er Jahre etwas genauer an:
Die Anteilswerte in der Abbildung beziehen sich auf Betriebe der Privatwirtschaft mit mehr als fünf Beschäftigten.
Wie man der Zeitreihe entnehmen kann, lag der Anteil der Betriebe, in denen es einen Betriebsrat gab bzw. gibt, immer schon konstant um die 10-Prozent-Marke. Abgenommen hat in Westdeutschland hingegen die Zahl der Beschäftigten, die in Betrieben mit einem Betriebsrat arbeiten – von über 50 Prozent noch Mitte der 1990er Jahre auf nur noch knapp über 40 Prozent im vergangenen Jahr.
Auch in Ostdeutschland gab es seit 1996 eine Abnahme der von einem Betriebsrat erfassten Beschäftigten, allerdings in den beiden letzten Jahren hat sich der Anteil der Beschäftigten in Betrieben mit einem Betriebsrat wieder erhöht.
➞ Dazu passen dann solche Reportagen: Auf einmal geht was, so beispielsweise der Artikel von Jana Hensel: »So laut wie nie begehren Arbeitnehmer im Osten auf – und erleben einen Erfolg nach dem anderen. Unterwegs mit zwei Gewerkschaftern.«
Die insgesamt niedrigen Anteilswerte bei den Betrieben, die einen Betriebsrat haben, werden von der großen Zahl der Kleinbetriebe geprägt, in denen die Existenz eines Betriebsrats eher die Ausnahme ist.
Die Betriebsgröße ist von Relevanz und schon vor Jahren wollte man das erreichen, was man nun erneut erreichen möchte
Nicht wirklich überraschend ist die Feststellung, dass der Anteil der Betriebe mit einem Betriebsrat abhängig ist von der Größe des Unternehmens, hier gemessen an der Zahl der Beschäftigten:
Zur Einordnung der Zahlen sollte man zwei Aspekte im Blick behalten. Die Einrichtung eines Betriebsrates ist für Betriebe mit fünf und mehr Beschäftigte – eigentlich – keine Wünsch-dir-was-Regel oder gar ein Luxusgut, das man sich leisten können muss, sondern das hier einschlägige Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) beginnt mit einer an sich eindeutigen Ansage im § 1 BetrVG (Errichtung von Betriebsräten):
§ 1 Abs.1 BetrVG: In Betrieben mit in der Regel mindestens fünf ständigen wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen drei wählbar sind, werden Betriebsräte gewählt.
Da steht nicht etwa könnte, darf oder möglicherweise, sondern eben es „werden“ Betriebsräte eingerichtet, insofern ist der Gesetzgeber bei der Konzeption dieses Gesetzes davon ausgegangen, dass die Einrichtung eines Betriebsrates der Normalfall und alles andere eine Abweichung ist. Mit Blick auf die tatsächlichen Anteilswerte ist allerdings gerade bei den kleineren Unternehmen das Vorhandensein eines Betriebsrates eher der Ausnahmefall.
Und dass die äußerst geringe Anzahl an tatsächlich vorhandenen Betriebsräten gerade in den kleineren und mittleren Unternehmen ein Problem ist, wurde schon vor vielen Jahren diskutiert und auch gesetzgeberisch bearbeitet, so mit der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahr 2001. Dazu berichten Ellguth/Kohaut (2020: 282 f.) in ihrem Beitrag zur Tarifbindung und betrieblichen Mitbestimmung:1)
»Bei der Reform des BetrVG 2001 ging es dem Gesetzgeber ja unter anderem darum, die Erosionsprozesse der betrieblichen Mitbestimmung zu stoppen und durch eine Entbürokratisierung des Wahlrechts die Neugründung von Betriebsratsgremien in Kleinbetrieben zu forcieren. Unabhängig davon, ob die damals zugrundeliegende Einschätzung einer beständig erodierenden institutionellen Basis den Tatsachen entsprach, wurde in der Folge die quantitative Entwicklung der betrieblichen Mitbestimmung vor allem mit Blick auf die Kleinbetriebe betrachtet. Nach allen vorliegenden Analysen haben sich allerdings die Erwartungen auf einen entsprechenden Gründungsboom von Betriebsratsgremien nicht erfüllt … Dort gingen die Anteilswerte nach 2000 eher noch zurück und bewegen sich seither ohne eine klare Tendenz um die 9 bzw. 10 % der Beschäftigten in Betrieben mit Betriebsrat.
In Ordnung scheint die Welt der betrieblichen Mitbestimmung nach wie vor in den Großbetrieben zu sein: mit Anteilswerten von knapp 90 % … Von einer Erosion (zumindest in quantitativer Hinsicht) kann hier (noch) keine Rede sein.
Besondere Aufmerksamkeit verdient aber die Entwicklung in den Betrieben zwischen 51 und 500 Beschäftigte … Der in den Gesamtwerten zu beobachtende Rückgang … ist vor allem der Entwicklung in diesem Segment geschuldet, in dem ein Betriebsrat weder eine Selbstverständlichkeit noch die Ausnahme ist. Offensichtlich verliert gerade hier die betriebliche Mitbestimmung an Boden.«
1) Hier werden ausschließlich Betriebe mit fünf und mehr Beschäftigten berücksichtigt: »Die Betrachtung der Betriebe ab fünf Beschäftigte ergibt sich aufgrund der Gesetzeslage, die erst ab dieser Betriebsgröße die Wahl eines Betriebsrats zulässt. Damit sind immerhin rund 37% der privatwirtschaftlichen Betriebe im Westen und 42 % im Osten per se ohne eine gesetzlich legitimierte Interessenvertretung. Allerdings stellt sich die Situation weniger dramatisch dar, wenn wir von der Betriebs- zur Beschäftigtenperspektive wechseln und die entsprechenden Anteilswerte betrachten. Da in der großen Anzahl Kleinstbetriebe nur ein relativ kleiner Teil der Gesamtbeschäftigten arbeitet, ergibt sich ein Anteil an Arbeitnehmern, die qua Gesetz ohne einen Betriebsrat bleiben, von 6% im Westen und 8% im Osten.«
Nun also ein erneuter Anlauf zur Stärkung der Betriebsräte als Institution
Dass sich in den vergangenen Jahren hinsichtlich der quantitativen Größenordnung kaum etwas getan hat, kann man den hier präsentierten Daten entnehmen. Und aus der betrieblichen Praxis kommen immer wieder Berichte, die auf massive Störmanöver seitens einiger Arbeitgeber gegen eine Betriebsratsgründung hinweisen – wobei darauf hinzuweisen ist, dass gerade die nur als enttäuschend zu wertende Nicht-Verbreitung von Betriebsräten in den Kleinbetrieben auch eine mehr oder weniger bewusste Entscheidung der betroffenen Arbeitnehmer sein kann, die – aus welchen Gründen auch immer – keine Notwendigkeit für so ein an sich bedeutsames Gremium der innerbetrieblichen Interessenvertretung sehen.
Nicht immer sind es böse Arbeitgeber, die mit legalen, halblegalen oder auch illegalen Methoden versuchen, die Gründung eines Betriebsrates zu verhindern. »Gerade bei kleineren Betrieben wird immer wieder darauf verwiesen, dass der direkte, individuelle Austausch zwischen Beschäftigten und der Geschäftsführung keine Notwendigkeit für die Errichtung eines Betriebsrats entstehen lassen muss und die „betriebsratsfreie Zone“ keineswegs eine völlig partizipationsfreie Zone darstellt«, so Steffen Müller in seinem 2018 publizierten Beitrag Warum gibt es Widerstand gegen Betriebsräte? Aber er ergänzt: »Unter den Betrieben, die keinen Betriebsrat haben, lassen sich aber auch Betriebe finden, in denen die Errichtung eines Betriebsrats am aktiven Widerstand der Geschäftsführung scheitert. Schlecker, Lidl und Aldi sind in dieser Hinsicht wohl nur besonders bekannte Fälle. Wie häufig allerdings solch ein Widerstand der Geschäftsführung gegen neue wie auch gegen bereits bestehende Betriebsräte vorkommt und welche Intensität der Widerstand aufweist, ist trotz vereinzelter empirischer Analysen unbekannt.«
Dass es die „bösen“ Arbeitgeber auch ganz praktisch gibt, zeigt die seit vielen Jahren geführte Debatte und die dort auch präsentierten Beispiel für das sogenannte „Union Busting“ – und die Tatsache, dass sich eine ganze Industrie an Juristen ausdifferenziert hat, die ihre Dienstleistung einer Verhinderung von Betriebsräten oder gar der Zerstörung bereits vorhandener Betriebsratsstrukturen gegen ordentliche Honorare der Arbeitgeberseite andienen. Vgl. dazu in diesem Blog beispielsweise den Beitrag Die Branche der Arbeitnehmer unter Druck setzenden Betriebsrats- und Gewerkschaftsbekämpfungssanwälte wird selbst unter Druck gesetzt vom 22. September 2015. Dort wurde auch auf diese bereits 2014 veröffentlichte Studie hingewiesen:
➔ Werner Rügemer und Elmar Wigand: Union-Busting in Deutschland. Die Bekämpfung von Betriebsräten und Gewerkschaften als professionelle Dienstleistung. Eine Studie der Otto Brenner Stiftung, Frankfurt am Main 2014
Gegen die vielfältigen Ausformungen des „Union Busting“ engagiert sich auch die „Aktion gegen Arbeitsunrecht“ – vgl. dort die Seite Brennpunkt Betriebsrat mit regelmäßigen „Frontberichten“ über das, was in manchen Betrieben so abgeht.
Auf der anderen Seite muss man aber auch darauf hinweisen, dass die Dichotomie zwischen „bösen Arbeitgebern“ und „guten Betriebsräten“ eine ziemlich unterkomplexe und so auch falsche Zuspitzung darstellt. Es gibt nicht nur sogenannte „gelbe Gewerkschaften“ (vgl. dazu beispielsweise den Beitrag Reale Tarifflucht im Einzelhandel, der Protest dagegen sowie ein Blick auf „unkonventionelle“ Arbeitgeberverbände und „gelbe“ Gewerkschaften vom 16. Juli 2018), sondern auch Betriebsräte, die teilweise von der Arbeitgeberseite gefördert oder sogar ins Amt gehoben werden, um den Unternehmensinteressen dienlich zu sein. Aber selbst wenn das nicht der Fall ist, so muss man immer wieder auch die Erfahrung machen, dass es Betriebsräte geben kann, die sich nicht ansatzweise für die Beschäftigten einsetzen, sondern ihr Unternehmen schalten und walten lassen. Dazu als ein Beispiel dieser Artikel: Der Betriebsrat schaut nur zu: Wie ist es, bei der Firma Deuerer in Bretten zu arbeiten von Hansjörg Ebert: »Der Brettener Tiernahrungsmittelhersteller Deuerer beschäftigt auch viele Leiharbeiter aus Osteuropa. Diese wohnen häufig auf eigene Kosten unter widrigen Umständen in überteuerten Unterkünften.« Christian Schick, Sekretär der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätte Mittelbaden-Nordschwarzwald, ist auch für diesen Betrieb zuständig. Im Interview führt er aus: »Der Betriebsrat schaut tatenlos zu. Er ist nicht bereit, Konflikte mit der Geschäftsführung auszutragen. Es gibt keine schriftlichen Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung über Arbeitszeiten, Schichtpläne, Pausenregelungen, Urlaubszeiten oder Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM). In vielen Fällen erfolgt nicht die ordnungsgemäße Anhörung bei Kündigungen oder Einstellungen. Alles wird oder wurde seitens der Geschäftsleitung so beschlossen und umgesetzt. Der Betriebsrat nimmt dies so hin, ohne das er selbst aktiv wird oder sich mit eigenen Ideen einbringt. Im letzten halben Jahr unserer Kenntnis nach fanden keine Betriebsratssitzungen statt. So ist das Gremium ein stumpfes Schwert.«
Was soll sich nun mit dem „Betriebsrätestärkungsgesetz“ ändern?
»Gerade erst hat die schwarz-rote Regierungskoalition ein Verbot von Zeitarbeit und Werkverträgen in Fleischbetrieben durchgesetzt. Nun nimmt Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) das nächste Gesetzespaket in Angriff, das Arbeitnehmerrechte stärken soll. Er will damit unter anderem mehr Kündigungsschutz für Beschäftigte einführen, die in ihrem Betrieb einen Betriebsrat gründen«, so der bereits zitierte FAZ-Artikel Heil baut Kündigungsschutz für Betriebsräte aus. Der 29 Seiten umfassende Referentenentwurf eines „Betriebsrätestärkungsgesetzes“ »soll Betriebsräten zudem mehr Mitspracherechte in Sachen Digitalisierung zu verschaffen – zum Beispiel auch zur Frage, unter welchen Bedingungen das sogenannte mobile Arbeiten („Homeoffice“) stattfinden darf. Ebenso sollen die Betriebsräte systematisch mitreden dürfen, wie neue Systeme mit Künstlicher Intelligenz beschaffen sein müssen, wenn der Betrieb sie einführen will. Und sie sollen dabei auch eigene Sachverständige einschalten dürfen, deren Vergütung der Arbeitgeber übernehmen muss.« Das nun geht weit über den Ansatz hinaus, die Gründung eines Betriebsrates zu fördern. Offensichtlich will man auch eine Zuständigkeitserweiterung im Kernbereich der betrieblichen Mitbestimmung realisieren.
Hinsichtlich der angesprochenen Problematik einer Behinderung von Betriebsratsgründungen besteht das Hauptelement des vorliegenden Gesetzentwurfs in einer Erweiterung des Kündigungsschutzes: »Mit dem Kündigungsschutz greift der SPD-Minister eine Forderung auf, die Gewerkschafter seit vielen Jahren erheben: Arbeitnehmer, die einen Betriebsrat neu gründen wollen, sollen schon in der Vorbereitungsphase einen verstärkten Schutz vor Entlassung genießen. Bisher gilt der besondere Kündigungsschutz für Betriebsräte erst dann, wenn ein Arbeitnehmer Mitglied des Wahlvorstands für die geplante Betriebratswahl ist. Wer aber für den Wahlvorstand kandidiert und als Initiator einer Betriebsratsgründung erkennbar wird, genießt diesen Schutz noch nicht.«
Es sind drei wesentliche Erweiterungen des Kündigungsschutzes, die man dem Referentenentwurf für ein „Betriebsrätestärkungsgesetz“ entnehmen kann:
➔ »So beginnt der Kündigungsschutz für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die erstmals einen Betriebsrat gründen möchten, erst mit der Einladung zur Wahlversammlung und umfasst nur die ersten drei in der Einladung genannten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. In der Praxis stellen die drei Einladenden häufig auch den aus drei Personen bestehenden Wahlvorstand. Fällt aber eine der drei Personen etwa wegen Krankheit aus oder wird eingeschüchtert, besteht die Gefahr, dass die Betriebsratswahl zunächst nicht erfolgreich durchgeführt werden kann, da nicht die erforderliche Anzahl an Wahlvorstandsmitgliedern vorhanden ist. Deshalb wird die Zahl der geschützten Einladenden auf Sechs erhöht.« (S. 14)
➔ »Darüber hinaus fehlt den Einladenden ein vergleichbarer Schutz vor außerordentlichen Kündigungen, wie er z.B. im Rahmen des Wahlverfahrens schon für den Wahlvorstand und die Wahlbewerber besteht. Dies bietet die Möglichkeit, engagierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit unbegründeten außerordentlichen Kündigungen bis zur gerichtlichen Klärung aus dem Betrieb zu entfernen und somit die Betriebsratswahl gezielt zu sabotieren. Um diesem Problem zu begegnen, sollen auch die Einladenden zur Wahlversammlung einen besonderen Schutz vor außerordentlichen Kündigungen erhalten.«
➔ »Zeitlich hat sich beim Kündigungsschutz als Problem herausgestellt, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Regel schon deutlich vor der Einladung zur Wahlversammlung mit Vorbereitungshandlungen für die Betriebsratswahl beginnen. Werden diese Vorbereitungshandlungen bekannt, so können diese sogenannten Vorfeld-Initiatoren Ziel von Behinderungsmaßnahmen werden. Zu diesem Zeitpunkt genießen die Betroffenen keinen besonderen Kündigungsschutz. Mit der vorgesehenen Änderung des Kündigungsschutzgesetzes erhalten die Vorfeld-Initiatoren erstmals einen speziellen befristeten Kündigungsschutz vor personen- und verhaltensbedingten ordentlichen und außerordentlichen Kündigungen, wenn sie eine öffentlich beglaubigte Erklärung abgegeben haben, dass sie einen Betriebsrat gründen möchten, und auch entsprechende Vorbereitungshandlungen dafür unternommen haben.«
Und was die Wahl eines Betriebsrates selbst angeht: das vereinfachte Wahlverfahren für kleinere Betriebe soll künftig bis zur Größe von 200 statt bisher 100 Mitarbeitern möglich sein. Konkret sind laut Referentenentwurf die folgenden Neuregelungen vorgesehen:
»Mit der Betriebsverfassungsgesetzreform hat der Gesetzgeber im Jahr 2001 ein vereinfachtes Wahlverfahren in das Gesetz aufgenommen, das die Betriebsratswahl in allen Betrieben mit 5 bis 50 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vereinfacht und beschleunigt. In Betrieben mit 51 bis 100 Beschäftigten wurde die Möglichkeit geschaffen, die Durchführung des vereinfachten Wahlverfahrens zwischen Arbeitgeber und Wahlvorstand zu vereinbaren.
Das vereinfachte Wahlverfahren nach Vereinbarung fand ausweislich der Auswertungen zur Betriebsratswahl 2018 … in rund der Hälfte der Betriebe mit 51 bis 100 Beschäftigten Anwendung. Die durchschnittliche Wahlbeteiligung lag bei Betrieben, die das vereinfachte Wahlverfahren anwendeten, bei rund 83 Prozent, wohingegen die durchschnittliche Wahlbeteiligung in Betrieben bei Anwendung des normalen Wahlverfahrens bei rund 73 Prozent lag.« Vor diesem Hintergrund soll nunmehr die folgende Erweiterung greifen:
»Vor diesem Hintergrund soll das vereinfachte Wahlverfahren für Betriebe mit 5 bis 100 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verpflichtend zur Anwendung kommen. In Betrieben mit 101 bis 200 Beschäftigten sollen Arbeitgeber und Wahlvorstand die Durchführung des vereinfachten Wahlverfahrens vereinbaren können. Die kurzen Fristen des vereinfachten Wahlverfahrens können auch einen Beitrag zur Reduzierung der Behinderungen von Betriebsratswahlen in kleineren Betrieben leisten.« (S. 13)
Eine weitere Änderung, um die Gründung von Betriebsräten in kleinen Betrieben zu erleichtern und zu fördern: Nach dem Betriebsverfassungsgesetz gibt es das Erfordernis von Stützunterschriften, das insbesondere dazu dient, nicht ernstgemeinte Bewerbungen für das Betriebsratsamt zu vermeiden. Das soll unten aufgehoben werden: »In sehr kleinen Betrieben mit bis zu 20 wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern soll auf diese Voraussetzung verzichtet werden; in kleineren und mittleren Betrieben werden die Schwellenwerte für die Stützunterschriften positiv festgeschrieben und abgesenkt, um formale Hürden bei der Wahl eines Betriebsrats abzubauen.« (S. 13)
Wie sind die kündigungsschutzrechtlichen Veränderungen zu bewerten?
Man kann auf der einen Seite deutlich die Absicht erkennen, den kündigungsschutzrechtlichen Schutzschirm nicht nur quantitativ zu erweitern, sondern diesen auch schon im Vorfeldbereich einer Betriebsratsgründung wirken zu lassen. Damit versucht der Gesetzgeber, auf den immer wieder berichteten Tatbestand von Einschüchterungsversuchen am Anfang des Gründungsprozesses zu reagieren. Insofern ist das sinnvoll und nachvollziehbar.
Es gibt natürlich auch Stimmen, die in eine andere Richtung argumentieren. So beispielsweise die Beurteilung von Thomas Niklas in seinem Blog-Beitrag BMAS legt Entwurf eines Betriebsrätestärkungsgesetzes vor – Der Wahlkampf hat begonnen! vom 23.12.2020. Der sieht sogleich „Missbrauchspotenziale“: »So mag eine Ausweitung des vereinfachten Wahlverfahrens und des besonderen Kündigungsschutzes durchaus geeignet sein, Betriebsratswahlen zu erleichtern und die Verhinderung durch den Arbeitgeber zu vermeiden. Sofern ein Arbeitgeber tatsächlich Betriebsratswahlen verhindern möchte, wird sich aber auch durch die geplanten Neuregelungen wenig ändern. Schließlich stellt die Behinderung einer Betriebsratswahl schon jetzt sogar eine Straftat dar (vgl. § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG), ohne dass sich entsprechende Fälle vollständig vermeiden ließen. Und ob die vermeintliche Komplexität des „normalen“ Wahlverfahrens und die vereinzelte Verhinderung von Betriebsratswahlen durch Arbeitgeber Grund für die verhältnismäßig geringe Zahl von Betriebsräten ist, darf bezweifelt werden. Stattdessen werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei einer Realisierung der geplanten gesetzlichen Regelungen mitunter vermehrt versuchen, Betriebsratswahlen einzig und allein mit dem Ziel einzuleiten, in den Genuss des besonderen Kündigungsschutzes zu kommen. Dieses Phänomen lässt sich schon jetzt – insbesondere bei anstehenden Restrukturierungen – vielfach beobachten.«
Und wie sieht es aus mit der Erweiterung der Zuständigkeiten für den Betriebsrat?
Hier sind zum einen Anpassungen an eine sich verändernde Arbeitswelt zu beobachten (so soll es neue Mitspracherechte dort geben, wo Betriebe neue Technologien und Systeme mit Künstlicher Intelligenz einführen wollen), andererseits versucht man offensichtlich, gleichsam von hinten einen bereits gescheiterten Ansatz wieder aus der Versenkung zu heben (in § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG soll ein neues Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit eingeführt werden), so die Darstellung in dem Artikel Heil baut Kündigungsschutz für Betriebsräte aus: »Weitere Neuerungen in dem Gesetzentwurf sollen überdies den Einfluss von Betriebsräten auf die Unternehmen erweitern – vor allem dort, wo es um den digitalen Wandel geht. Einige davon sind auch politisch pikant. So soll Heils Plänen zufolge die „Ausgestaltung mobiler Arbeit“ als neuer Punkt in den gesetzlichen Katalog der streng mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten aufgenommen werden. Bisher umfasst dieser Katalog 13 Punkte, darunter etwa die Verteilung der Arbeitszeit und betriebliche Regelungen zur Unfallverhütung.
Eine solche Mitbestimmungspflicht der Betriebsräte in Sachen mobiles Arbeiten („Homeoffice“) hatte Heil im Oktober auch schon in seinen politisch stark umstrittenen ersten Gesetzentwurf zum Thema „Recht auf Homeoffice“ aufgenommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte diesen Gesetzentwurf jedoch umgehend gestoppt, weil er zu weitreichend und zu belastend für die Wirtschaft sei. In einer überarbeiteten neuen Fassung des Homeoffice-Gesetzentwurfs hatte Heil diesen Mitbestimmungspassus dann gestrichen, um die Zustimmung des Kanzleramts dafür zu gewinnen – und nun taucht genau derselbe umstrittene Passus im Entwurf zum neuen „Betriebsrätestärkungsgesetz“ wieder auf.«
Man braucht keine umfangreiche Phantasie, um sich vorzustellen, dass der Referentenentwurf an dieser Stelle im weiteren Gesetzgebungsverfahren in anderer Form wieder herauskommen wird.
Wird es zu einer Blockade dieses Gesetzgebungsverfahrens kommen, weil die Union in eine Totalblockade gehen wird? Das wohl eher nicht. So das Fazit von Thomas Niklas: »Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Referentenentwurfs überrascht. Dies nicht nur wegen der Nähe zu den weihnachtlichen Festtagen und dem Jahresende, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass angesichts der aktuellen Pandemielage andere Sachthemen drängender erscheinen. Insoweit lässt sich der Eindruck nicht erwehren, dass der Referentenentwurf vor allem Teil des aufkommenden Wahlkampfs ist. Teile des Entwurfs enthalten jedoch Regelungen, die bereits im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 12. März 2018 angelegt sind, sodass eine zumindest teilweise Umsetzung nicht unwahrscheinlich ist. Es bleibt jedoch zu hoffen, dass sich das Gesetzgebungsverfahren noch mäßigend auswirken wird.« Und die FAZ resümiert: »Im Grundsatz kann sich der Arbeitsminister mit seinem neuen Projekt auf den Koalitionsvertrag berufen, mit pauschalen Ablehnung durch die Union ist daher nicht zu rechnen. „Wir wollen die Gründung und Wahl von Betriebsräten erleichtern“, heißt es unter anderem in dem Vertrag. Außerdem misst dieser der betrieblichen Mitbestimmung „im digitalen Wandel große Bedeutung zu“. Neben der geplanten Einschränkung befristeter Arbeitsverhältnisse zählt auch dieses Gesetz zu den Vorhaben, die die SPD noch rechtzeitig vor der Bundestagswahl durchsetzen will. Offen ist bisher, inwieweit sich die Union an einen Koalitionsbeschluss aus dem Frühjahr gebunden sieht, Unternehmen in der Corona-Krise von vermeidbaren Belastungen zu verschonen.«
Die parteipolitische Dimension
Natürlich ist der sozialdemokratische Bundesarbeitsminister bestrebt, angesichts der im kommenden Jahr anstehenden wichtigen Landtagswahlen (in der ersten Jahreshälfte 2021 werden die Landtage von Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen-Anhalt gewählt sowie am 26.09.2021 das Abgeordnetenhaus in Berlin und der Landtag im Mecklenburg-Vorpommern) und der am 26. September 2021 angesetzten Bundestagswahl seine SPD als Arbeitnehmerpartei in Szene zu setzen. Passend zu dem nun vorliegenden Referentenentwurf hat die SPD-Bundestagsfraktion kurz vorher dieses Positionspapier veröffentlicht: Mehr Mitbestimmung und mehr Teilhabe – 100 Jahre Betriebsverfassung und Schwerbehindertenrecht. Allerdings gab es im parlamentarischen Raum seitens der Grünen und der Linken bereits vor längerem Vorstöße in die Richtung, die nun mit dem Entwurf eines „Betriebsrätestärkungsgesetz“ eingeschlagen werden soll.
Aber das hat gedauert. Bereits 2014 haben beispielsweise die Grünen diesen Antrag im Bundestag eingebracht:
➔ Mehr Betriebsrätinnen und Betriebsräte braucht das Land, Bundestags-Drucksache 18/2750 vom 08.10.2014.
Darin findet man beispielsweise hinsichtlich der Ausweitung des kündigungsschutzrechtlichen Schutzschirms alle Punkte, die nun auch im Entwurf eines Betriebsrätestärkungsgesetzes auftauchen. Parallel dazu ein Antrag der Linksfraktion:
➔ Die Wahl von Betriebsräten erleichtern und die betriebliche Interessenvertretung sicherstellen, Bundestags-Drucksache 18/5327 vom 24.06.2015
Beide Oppositionsparteien haben in den Jahren danach weitergemacht und das Thema immer wieder aufgerufen, so beispielsweise die Linken mit ihrem Antrag Betriebsratswahlen erleichtern und Betriebsräte besser schützen, Bundestags-Drucksache 19/860 vom 21.02.2018 sowie die Grünen mit ihrem Antrag Betriebsratswahlen erleichtern – Aktive Beschäftigte besser schützen, Bundestags-Drucksache 19/1710 vom 18.04.2018.
Warten wir mal ab, was aus dem nun vorliegenden Referentenentwurf am Ende wird und ob die Zeit reichen wird, bevor es in Berlin mit Blick auf die Wahlen heißen wird: Rien ne va plus.