Unten wird es immer voller und die Luft immer dünner: Das Trauerspiel mit den (fehlenden) Sozialwohnungen

Auf „dem“ Wohnungsmarkt (den es als solchen nicht gibt, der Plural wäre hier angebrachter) gibt es seit Jahren ein enormes und weiter wachsendes Angebots-Nachfrage-Dilemma in Form eines massiven Angebotsdefizits im Bereich der halbwegs bezahlbaren Mietwohnungen. Die Problemdiagnose ist vielfach niedergeschrieben worden und sollte bekannt sein. Hier nur ein Beispiel aus dem Beitrag Die Wohnungskrise vor allem in den Städten ist allgegenwärtig. Es mangelt nicht an Problemdiagnosen, sondern an Wegen aus der Krise. Ein Vorschlag von Sebastian Dullien und Tom Krebs, der in diesem Blog am 5. März 2020 veröffentlicht wurde und der nicht nur das Dilemma beschreibt, sondern auch einen Lösungsvorschlag zur Diskussion stellt:

»Der Bedarf an Neubauten wird deutschlandweit bis 2030 auf mindestens 330.000 Wohnungen pro Jahr geschätzt. Neu gebaut wurden zuletzt aber nur rund 285.000 Wohnungen im Jahr. Und neue Wohnungen, das werden viele sofort nachvollziehen können, heißt gerade angesichts des Auseinanderfallen von volks- und betriebswirtschaftlicher Logik aufgrund einer Vielzahl von Einzelentscheidungen nicht, dass die Wohnungen neu gebaut werden, für die es eine besonders hohe Nachfrage gibt, sondern faktisch sind wir oft mit einem erheblichen Überangebot an neuem Wohnraum im Premium- oder Luxussegment konfrontiert, während es zu wenig Bauaktivitäten im Bereich der günstigen oder halbwegs bezahlbaren Wohnungen gibt, was einzelwirtschaftlich bei renditenorientierten Investoren durchaus rational sein kann, unterm Strich aber natürlich die Ungleichgewichte erhöht.
Besonders deutlich wird das Ungleichgewicht, wenn man den Bestand an Sozialwohnungen anschaut: Während es Anfang der 1980er-Jahre noch 4 Millionen Sozialwohnungen gab, sind es heute nur noch 1,2 Millionen. Jährlich fallen weiter etwa 80.000 Sozialwohnungen aus der Förderung heraus, nur eta 25.000 werden neu gebaut.«

Nun gibt es eine neue Wasserstandsmeldung aus dem Mangelland: »Menschen mit geringem Einkommen haben nach einem Gutachten immer schlechtere Chancen, eine bezahlbare Mietwohnung zu bekommen. Das Pestel-Institut in Hannover geht davon aus, dass rechnerisch mindestens 6,3 Millionen Haushalte für eine Sozialwohnung in Frage kämen, weil sie unter den entsprechenden Einkommensgrenzen liegen. Das sind 700.000 mehr als vor acht Jahren. Dazu trägt bei, dass in dieser Zeit viele Menschen in die Städte gezogen sind, wo die Mieten stark stiegen«, kann man diesem Artikel entnehmen: Bezahlbarer Wohnraum: Institut sieht Bedarf für Hunderttausende Sozialwohnungen. Und was man mindestens bräuchte erfahren wir auch: »Bis 2030 müssten jährlich 160.000 dauerhafte Sozialwohnungen geschaffen werden.«

Die angesprochene Studie des Pestel-Instituts kann man sich hier im Original anschauen:

➔ Pestel Institut (2020): Bedarf an Sozialwohnungen in Deutschland. Untersuchung im Auftrag der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, Hannover, August 2020

Die Auftraggeberin der Studie, also die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, verbreitet die Befunde unter der Überschrift Soziale Schere schneidet tief in den Wohnungsmarkt: »Die Zahl der Menschen, die auf eine Wohnung mit reduzierter Miete angewiesen sind, ist enorm gestiegen: Insgesamt werden in Deutschland derzeit mehr als 8,5 Millionen Wohnungen auf niedrigem, bezahlbarem Miet-Niveau benötigt – deutlich mehr als der Wohnungsmarkt mit seinen weniger als 1,2 Millionen Sozialwohnungen hergibt.« Der Gewerkschaftschef Robert Feiger »fordert deshalb eine „Sozialbau-Offensive“. Zugleich warnt er vor „Lohndämpfern unter Corona-Vorwand“. Dies würde immer mehr Menschen vom regulären Wohnungsmarkt abkoppeln.«

Die Gewerkschaft verweist auf eine bedenkliche Scherenentwicklung: »In den vergangenen zehn Jahren hat die Anzahl der Menschen, die auf eine Wohnung mit niedriger, bezahlbarer Miete unbedingt angewiesen sind, drastisch zugenommen – um 1,28 Millionen Personen. Das ist ein Zuwachs von 10,7 Prozent. Und das bei einer außerordentlich positiven Beschäftigungsentwicklung, die es bis zu Beginn der Corona-Pandemie gab … Allein die Mieten in den kreisfreien Städten seien im vergangenen Jahrzehnt um knapp 46 Prozent gestiegen. „Für Durchschnittsverdiener gibt es dort bezahlbare Wohnungen in der Regel nur, wenn sie einen Altmietvertrag haben. Bei einem Mieterwechsel ist dann in der Regel Schluss damit – und das trotz der bundesweiten Mietpreisbremse und des Mietendeckels in Berlin.«

Was könnte man tun?

Das Pestel Institut hat mehrere Handlungsansätze zur Verbesserung der Wohnungsverfügbarkeit auch für Haushalte mit niedrigen Einkommen zur Diskussion gestellt (vgl. Pestel Institut 2020: 13):

Einmal Sozialwohnung – immer Sozialwohnung: Sozialwohnungen sollten dauerhaft Sozialwohnungen bleiben, d.h. kein Auslaufen von Preisbindung und Belegungsrechten. Damit würde sich langfristig die Förderung auf die Modernisierung bestehender Sozialwohnungen konzentrieren, was im Durchschnitt preiswerter sein dürfte als der stetige Neubau. Damit würde einem Abschmelzen des Sozialwohnungsbestandes dauerhaft entgegengewirkt. Als Bauherren von Sozialwohnungen kämen auch künftig vom Privatinvestor bis zur öffentlichen Einrichtung alle wohnungswirtschaftlich interessierten Personen und Institutionen infrage. Allerdings ist davon auszugehen, dass mit dem Übergang zur Schaffung dauerhafter Sozialwohnungen vor allem öffentliche Wohnungsunternehmen Genossenschaften als Investoren verbleiben.

Regionale Differenzierung: Der Bedarf an bezahlbaren Wohnungen ist regional höchst unterschiedlich. So reichten die Anteile der Bezieher von Mindestsicherungsleistungen 2018 von 2,2 % im Kreis Unterallgäu bis 22,3 % in der Stadt Gelsenkirchen. Diesen Unterschieden ist bei der Schaffung von Sozialwohnungen Rechnung zu Tragen.

Neue Wohnungsgemeinnützigkeit: Vor über 30 Jahren wurde die Wohnungsgemeinnützigkeit abgeschafft. Angesichts der Entwicklung der letzten Jahre wurde bereits von verschiedener Seite die Einführung einer „neuen“ (also nicht der Wiedereinsetzung der alten rechtlichen Regelungen) Wohnungsgemeinnützigkeit angedacht oder gefordert. Im Kern würde die Einführung einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit mehr Transparenz beim Wohnungsangebot schaffen. Die Eigentümer der Unternehmen würden sich zu ihrer sozialen Verantwortung bekennen, wenn sie ihr Unternehmen dem neuen Gemeinnützigkeitsregime unterwerfen. Damit könnten die Wohnungen dieser Unternehmen als dauerhaft bezahlbar definiert werden, was die regionalisierte Festlegung von Zielen zur zusätzlichen Schaffung sozialen/bezahlbaren Wohnraums erheblich erleichtern würde.

Der letztgenannte Vorschlag wird schon seit Jahren diskutiert. Vgl. dazu beispielsweise diese Studie:

➔ Andrej Holm, Sabine Horlitz und Inga Jensen (2017): Neue Wohnungsgemeinnützigkeit. Voraussetzungen, Modelle und erwartete Effekte, Berlin 2017

Das Lösungspotenzial einer „neuen Wohnungsgemeinnützigkeit“ wird von anderer interessierter Seite ganz anders gesehen – auch darauf muss hingewiesen werden. Vgl. hierzu exemplarisch diese Auftragsstudie, die vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) erstellt wurde:

➔ Michael Voigtländer (2016): Sieben gute Gründe gegen eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit (NWG). Eine Studie im Auftrag der LEG Immobilien AG und dem ZIA Deutschland, Köln: Institut der deutschen Wirtschaft, Juli 2016

Die „andere“ Seite fokussiert die „Lösungsdebatte“ seit geraumer Zeit auf das Instrument des Wohngeldes – ökonomisch gesprochen soll über eine entsprechende Kaufkraftstärkung auf der Nachfrageseite angesetzt werden. Vgl. dazu kritisch den Beitrag Wie man in einem Gutachten über „soziale Wohnungspolitik“ das Soziale wegdefiniert und ein existenzielles Gut auf einen „Markt“ zu werfen versucht vom 29. August 2018.

Angesichts der Ausmaße und der sich weiter spreizenden Angebots-Nachfrage-Schere im Bereich der bezahlbaren oder gar günstigen Mietwohnungen muss ein fundamentaler Lösungsansatz auf der Angebotsseite ansetzen – doch da tut sich offensichtlich seit Jahren viel zu wenig (genauer: im großen Segment der bezahlbaren Wohnungen, im Premium- und Luxussegment sieht das vielerorts ganz anders aus, dort sind wir aufgrund der unzähligen betriebswirtschaftlich dominierten Einzelentscheidungen von Investoren mit einem Überangebot konfrontiert). Wenn dann gleichzeitig auf der Nachfrageseite immer mehr nicht gedeckter und auch nicht zu deckender Bedarf entsteht aufgrund der Polarisierung der Einkommensverhältnisse aufgrund einer Zunahme der Menschen, die von der Lohnentwicklung im mittleren und höheren Einkommensbereich abgeschnitten sind, dann wird der ebenfalls seit Jahren immer wieder behauptete „soziale Sprengstoff“, der der nicht überall, aber in vielen Städten und Großstädten offensichtlich zunehmenden Wohnungsnot zugeschrieben wird, neben den zahlreichen individuellen Notlagen und Katastrophen, die tagtäglich ablaufen, an Sprengkraft gewinnen. Und das in einem Feld, in dem es keine einfachen Lösungen gibt und geben kann (vgl. hierzu bereits ausführlicher den Beitrag Ein symbolpolitischer Gipfel mit 60 Sekunden-Wortmeldungen zu einer (wiederauferstandenen) „neuen“ sozialen Frage: Wohnen in Zeiten des Wohnraummangels vom 22. September 2018). Aber man sollte wenigstens und erkennbar mutiger einige seit langem diskutierten Teillösungen angehen.