Die Wohnungskrise vor allem in den Städten ist allgegenwärtig. Es mangelt nicht an Problemdiagnosen, sondern an Wegen aus der Krise. Ein Vorschlag von Sebastian Dullien und Tom Krebs

Man könnte Bibliotheken füllen mit solchen Problembeschreibungen: »In Köln sind trotz der Wohnungskrise im Vorjahr wieder weniger Wohnungen gebaut worden.« Der Kölner Baudezernent Markus Greitemann wird mit diesen Worten zitiert: „2018 waren es knapp 4000, 2019 werden wir das … nicht schaffen.“ Langfristig sollen jährlich 6000 Wohnungen gebaut werden, doch davon ist Köln weit entfernt, so dieser Artikel von Matthias Hendorf: Ziel von 4000 Neubauten 2019 verfehlt. Und das mal wieder die schwächsten Glieder in der Kette betroffen sind, überrascht nicht wirklich: »Die Wohnungskrise könnte sich laut Franz-Xaver Corneth, Vorsitzender des Kölner Mietervereins, vor allem für Menschen mit einem geringeren Einkommen verschärfen. Corneth geht davon aus, dass die Quote öffentlich geförderter Wohnungen mit günstigen Mieten 2019 erstmals unter die Sechs-Prozent-Marke rutschen wird – obwohl 42 Prozent der 1,089 Millionen Kölner Anrecht auf eine solche Wohnung haben … 1996 lag die Quote bei 15,1 Prozent.«

Normalerweise könnte man erwarten, dass „der Markt“ angesichts des enormen Angebots-Nachfrage-Dilemmas mit einer entsprechenden Ausweitung der Bautätigkeiten reagiert. Aber selbst der Großinvestor Christoph Gröner wird auf die Frage, ob der freie Markt die Wohnungsprobleme löse mit dieser Antwort zitiert: „Der Markt regelt gar nix. Der Markt würde es regeln, wenn wir unendlich viel Bauland und unendlich viel Geld haben. Das ist aber nicht so.“ Sein Unternehmen, die CG Gruppe, gehört zu den großen Investoren in Deutschland, baut unter anderem in Köln für hunderte Millionen Euro. Gröner forderte von Stadt und Land, die Besitzer von brachliegenden Grundstücken zum Bau zu verpflichten – „sonst wird eben enteignet“.

Um das Kölner Beispiel abzurunden: Man hat dort so reagiert wie in vielen anderen Städten unseres Landes auch – mit Auflagen an die Investoren. »Um mehr öffentlich geförderte Wohnungen zu bauen, hat die Stadt 2014 das Kooperative Baulandmodell eingeführt. Es verpflichtet Investoren bei Großbauprojekten, 30 Prozent der Wohnfläche für öffentlich geförderte Wohnungen zu reservieren.«

Dieser Ansatz wird an vielen Stellen empfohlen: »Verfechter privatwirtschaftlicher Lösungen beim Wohnungsbau verweisen gerne darauf, dass eine bessere Allokation des Baulandes auch durch Auf­lagen an private Bauherren gelöst werden könnten. Tatsächlich haben in den vergangenen Jahren die meisten Städte versucht, in die Planungen privater Bauherren einzugreifen. Dabei ist der übliche Lö­sungsansatz, die Projekte an private Bauherren un­ter Auflagen (z.B. 30% der Wohnungen mit Miet­preisbindung) und mit Vergünstigungen (zinsgüns­tige Kredite) zu vergeben. Die Auflagen werden in einem Vertrag zwischen Kommune oder Stadt und privatem Bauherr festgehalten.« Das hört sich vorteilhaft und sinnvoll an, birgt aber zwei fundamentale Risiken:
Unvollständige Verträge und asymmetrische Information: Der Bauträger erfüllt den Vertrag de jure, aber versucht durch Lücken im Vertrag und seinen Informationsvorteil die Auflagen „aufzuweichen“.
Hold­-up Problem: Der Bauträger erfüllt nach Baubeginn die Auflagen nicht, aber die Kosten einer Vertragsauflösung für die Kommune sind sehr hoch.

Interessanterweise taucht der zitierte Großinvestor Christoph Gröner in einer anderen Stadt als Beispiel für das „Hold-up-Problem“ auf:

»Ein typisches Beispiel für das erste Problem ist der Fall des Investors Christoph Gröner, der am Post­scheckamt in Berlin­-Kreuzberg ein gemischtes Pro­jekt (Wohnen, Büros, Gewerbe) mit 623 geplanten Wohnungen umsetzen wollte. Dieser Investor hatte im Sommer 2018 einseitig die Vertragsbedingun­gen geändert und den Anteil des Wohnraums am Gesamtprojekt um 7 Prozentpunkte reduziert, was zu einem spürbaren Rückgang des Anteils bezahlbaren Wohnraums geführt hätte … Zudem lieferte er sich einen medienwirksamen Schlagabtausch mit dem Bezirks-Baustadtrat Florian Schmidt. Die Stadt (der Bezirk) kann (und hat) in diesem Fall die Genehmigung für den von dem Investor eingebrachten Änderungsvorschlag verweigern, aber das führt in der Regel zum Baustopp. Die ökonomische Lösung zu die­sem Problem wäre, die Kosten bzw. die Strafe für ein vertragswidriges Verhalten des Investors zu er­ höhen, aber eine solche ökonomische Lösung steht häufig im Widerspruch zum geltenden Rechtsrah­men oder ist in der juristischen Praxis schwierig durchzusetzen (langjährige Prozesse mit unbestimmten Ausgang).«

Die Problemhinweise und das konkrete Beispiel stammen aus dieser neuen Veröffentlichung, die ansonsten etwas versucht, was wir dringend brauchen – Hinweise auf einen möglichen Lösungsansatz, um die Wohnungskrise wenn nicht zu lösen, so doch zumindest deutlich zu verringern:

➔ Sebastian Dullien und Tom Krebs: Wege aus der Wohnungskrise. Vorschlag für eine Bundesinitiative „Zukunft Wohnen“. IMK-Report 156, Düsseldorf: Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), März 2020

Im Zentrum ihres Vorschlags stehen drei neue Bundesgesellschaften, die den Bundesländern und vor allem den Kommunen vor Ort helfen sollen, endlich mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen zu können.

Drei bundeseigene Gesellschaften als Kern einer Bundesinitiative „Zukunft Wohnen“:
➔ Erstens eine Beratungsgesellschaft, die Städten und Gemeinden Planungskapazitäten zur Verfügung stellt.
➔ Zweitens ein Bodenfonds, der Kommunen bundesweit finanziell und konzeptionell dabei hilft, Bauland zu erwerben und Infrastruktur zu finanzieren.
➔ Drittens eine Beteiligungsgesellschaft, die das Eigenkapital kommunaler Wohnbauunternehmen durch finanzielle Beteiligung stärkt.

Die Zielsetzung für eine Bundesinitiative „Zukunft Wohnen“ ist mehr als ambitioniert: Sie soll in erster Linie dafür sorgen, dass mehr Wohnungen gebaut werden. Weitere Ziele sind: eine stärkere soziale Durchmischung der Städte, die Förderung ökologisch nachhaltigen Bauens und eine Senkung der Baukosten. „Diese Ziele lassen sich nur sinnvoll mit einer Zentralisierung bestimmter Elemente des Wohnungsbaus erreichen“, so Dullien und Krebs. Damit adressieren sie die tatsächlich an vielen Stellen zu beobachtende Überforderung zahlreicher Kommunen, wenn es um die Ausweitung des öffentlichen Wohnungsbaus geht, selbst wenn man das will.

Nach Berechnungen der Wissenschaftler ließen sich mit zehn Milliarden Euro an Bundesmitteln kurzfristig rund 90.000 zusätzliche Wohnungen bauen. Mittelfristig wäre das Modell beliebig skalierbar, je nachdem, wie viele Wohnungen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten gebraucht werden, kann man dieser Zusammenfassung entnehmen.

Der Bedarf an Neubauten wird deutschlandweit bis 2030 auf mindestens 330.000 Wohnungen pro Jahr geschätzt. Neu gebaut wurden zuletzt aber nur rund 285.000 Wohnungen im Jahr. Und neue Wohnungen, das werden viele sofort nachvollziehen können, heißt gerade angesichts des Auseinanderfallen von volks- und betriebswirtschaftlicher Logik aufgrund einer Vielzahl von Einzelentscheidungen nicht, dass die Wohnungen neu gebaut werden, für die es eine besonders hohe Nachfrage gibt, sondern faktisch sind wir oft mit einem erheblichen Überangebot an neuem Wohnraum im Premium- oder Luxussegment konfrontiert, während es zu wenig Bauaktivitäten im Bereich der günstigen oder halbwegs bezahlbaren Wohnungen gibt, was einzelwirtschaftlich bei renditenorientierten Investoren durchaus rational sein kann, unterm Strich aber natürlich die Ungleichgewichte erhöht.

Besonders deutlich wird das Ungleichgewicht, wenn man den Bestand an Sozialwohnungen anschaut: Während es Anfang der 1980er-Jahre noch 4 Millionen Sozialwohnungen gab, sind es heute nur noch 1,2 Millionen. Jährlich fallen weiter etwa 80.000 Sozialwohnungen aus der Förderung heraus, nur eta 25.000 werden neu gebaut.

Wie kann man dieses Problem lindern? Mit den Bundesgesellschaften, so Dullien und Krebs, lassen sich Engpässe auflösen, die aus Sicht vieler Experten den nötigen großflächigen Neubau von preisgünstigem Wohnraum massiv behindern. »So haben viele Kommunen nach langjährigem Personalabbau zu wenig Fachkräfte in den Bauverwaltungen, um Anträge schnell zu bearbeiten oder Baugebiete zu entwickeln. Finanziell schwache Städte und Gemeinden verkauften Bauland in ihrem Eigentum lange Zeit an den meistbietenden Investor, der dann häufig überwiegend hochpreisige Wohnungen errichtete. Kommunale Wohnungsgesellschaften blieben in vielen Städten weit unter ihren Möglichkeiten«, so der Bericht über die neuen Veröffentlichung von Dullien/Krebs.

Warum eine Beratungsgesellschaft, weit sich der eine oder andere fragen? Zur Begründung erfahren wir:

»Die Beratungsgesellschaft würde die kommunalen Verwaltungen bei der Entwicklung von Wohn- und Stadtteilprojekten unterstützen. Solche Projekte sind häufig hochkomplex und erfordern die Beteiligung vieler Fachleute … Zudem müssen komplizierte Finanzierungsfragen beantwortet und Öffentlichkeitsarbeit gemacht werden. In vielen Fällen sind die Kommunen damit überfordert. Eine Gesellschaft auf Bundesebene, die auf die Entwicklung von Wohnquartieren spezialisiert ist, könnte ihre Expertise bei Bedarf zur Verfügung stellen – ähnlich wie es etwa die Stadt Hamburg mit der Gründung der HafenCity Hamburg GmbH auf Landesebene praktiziert hat. Diese Gesellschaft – eine hundertprozentige Tochter der Stadt – hat sich um Planung und Management des Stadtteils HafenCity gekümmert.«

Der Hinweis auf Hamburg ist interessant – auch vor dem aktuellen Hintergrund der erst vor kurzem stattgefunden Bürgerschaftswahl in Hamburg, bei der die rot-grüne Koalition bestätigt wurde. Bei der Analyse des abweichend vom Bundestrend guten Abschneidens der ansonsten gebeutelten SPD wurde und wird immer wieder darauf hingewiesen, dass es dem Senat in Hamburg anders als in vielen anderen Städten gelungen sei, in erheblicher Zahl neue Wohnungen in die Welt zu setzen. Dazu finden wir bei Dullien/Krebs 2020 diese Ausführungen zu der erforderlichen Professionalisierung, die in Hamburg stattgefunden habe: »Ein Beispiel … ist die Gründung der stadteigenen HafenCity Hamburg GmbH (hundertprozenti­ge Tochter der Stadt Hamburg), die das Manage­ment der Entwicklung des Stadtteils HafenCity übernommen hat. Ein weiteres Beispiel ist die IBA Hamburg, die die Entwicklung neuer Quartiere wie z.B. im Stadtteil Wilhelmsburg begleitet. Die Bün­delung von nicht-­hoheitlichen Aufgaben in diesen Gesellschaften sichert die Effizienz und Qualität der Stadtentwicklungsaufgabe. Die Ergebnisse der von der Stadt Hamburg verfolgten Strategie bei der Entwicklung größerer Stadtteilprojekte sind über­ wiegend positiv.« (S. 9). Und sie belegen das mit Zahlen:

»In dem Zeitraum 2011­-2017 wurde in Hamburg die An­zahl der jährlich fertiggestellten Wohnungen verdoppelt, sodass die stark steigende Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum auf ein entsprechendes Angebot getroffen ist und der Anstieg der Mietpreise gedämpft werden konn­te. Dieser Erfolg der Hamburger Wohnungspolitik wird auch in einer Studie des IW Köln (Henger und Voigtländer 2019)* bestätigt: Von den Städten mit mehr als einer Mio. Einwohnern war Hamburg am erfolgreichsten, den wach­senden Wohnbedarf durch Neubau zu decken – Hamburg hat im Zeitraum 2016­-2020 86 % des geschätzten neuen Wohnungsbedarfs durch Neubau gedeckt, Schlusslicht Köln nur 46 %.« (Dullien/Krebs 2002, S. 9, Fußnote 5).

*) Henger, R. / Voigtländer, M. (2019): Ist der Wohnungsbau auf dem richti­gen Weg? Aktuelle Ergebnisse des IW­-Wohnungsbedarfsmodells. IW­-Report 28/2019, Köln: Institut der deutschen Wirtschaft (IW), 2019

Und der Bodenfonds? Welche Funktion hat dieses Instrument?

»Eine der Voraussetzungen für eine gemeinwohlorientierte Wohnpolitik ist, dass Grund und Boden in öffentlicher Hand bleiben. Der Bodenfonds soll die finanziellen Mittel dazu bereitstellen. Dank der Unterstützung durch den Fonds könnten es sich die Kommunen leisten, Bauland zu behalten oder sogar zuzukaufen, statt es Investoren zu überlassen. Derzeit werden Vorkaufsrechte auf kommunaler Ebene oftmals nicht genutzt, weil es den Kommunen entweder an Geld für den Grundstückserwerb mangelt oder die Mittel für eine baldige Nutzung durch die öffentliche Hand fehlen. Zusätzlich zu finanziellen Beiträgen könnte der Bodenfonds auch Grundstücke aus Bundeseigentum und organisatorisches Know-how beisteuern.«

Und dann ist da noch als Dritte im Bunde der vorgeschlagene Beteiligungsfonds: »Der Beteiligungsfonds würde die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften durch Aufstockung des Eigenkapitals finanziell stärken und die Kommunen oder Länder bei der Gründung öffentlicher Wohnungsbaugesellschaften unterstützen. Obwohl viele kommunale Wohnungsbaugesellschaften ihre Bautätigkeit zuletzt ausgeweitet haben, halten sich einige immer noch mit dem Neubau zurück, um nicht ihre Eigenkapitalquote zu sehr abzusenken. Niedrige Eigenkapitalquoten führen zu höheren Finanzierungskosten bei Baukrediten. Eine Aufstockung des Eigenkapitals mit Mitteln aus dem Beteiligungsfonds würde die Lage für öffentliche Wohnungsbaugesellschaften entspannen.«

Die drei Bundesgesellschaften sollten rechtlich selbständige Einheiten sein, deren Eigentümer zu hundert Prozent die öffentliche Hand ist. Das Grundkapital der Gesellschaften würde sich im Wesentlichen aus Finanzmitteln des Bundes speisen. Und in Zeiten einer heftig umstrittenen, aber nun mal im Grundgesetz verankerten „Schuldenbremse“ weisen Dullien und Krebs auf einen weiteren interessanten Punkt hin: »Die Finanzierung dieser Unternehmen über Kredite wäre dabei für den Bund eine „finanzielle Transaktion“ und würde daher nicht unter die Regeln der Schuldenbremse fallen. Die Bundes-AGs könnten zudem Geld durch Fremdfinanzierung aufnehmen.«