Wie man in einem Gutachten über „soziale Wohnungspolitik“ das Soziale wegdefiniert und ein existenzielles Gut auf einen „Markt“ zu werfen versucht

Manche Beratungsgremien in der Politik haben eine sehr lange Geschichte. So beispielsweise der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Für alle historisch interessierten Leser: »Die Wurzeln des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie reichen zurück bis in die Zeit des Zweiten Weltkrieges. Ab 1943 trafen sich einige der späteren Beiratsmitglieder unter dem Vorsitz von Prof. Erwin von Beckerath, um die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands nach dem Krieg vorzubereiten. Diese sogenannte „Arbeitsgemeinschaft Erwin von Beckerath“ ging in dem Anfang 1948 gegründeten Beirat auf, der am 23. Januar 1948 auf Einladung der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, dem Vorläufer des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, in Königstein/Taunus formell konstituiert wurde. Der Beirat hatte 17 Gründungsmitglieder, darunter die Professoren Franz Böhm, Walter Eucken, Alfred Müller-Armack, Oswald v. Nell-Breuning, Erich Preiser und Karl Schiller.«

Dem Beirat gehören momentan 38 Mitglieder an. Alles Hochschullehrer aus den Bereichen Wirtschafts- und Rechtswissenschaften. Die melden sich regelmäßig mit Gutachten zu Wort. Er wird viele nicht überraschen, dass die Mitglieder des Beirats den Mainstream der deutschen Ökonomie repräsentieren. Was dann auch ganz bestimmte Ergebnisse erwarten lässt. Das kann man machen, wenn es beispielsweise um „Sharing Economy“ und Wirtschaftspolitik oder Zur Diskussion um Bargeld und die Null-Zins-Politik der Zentralbank geht. Aber wenn sich so ein Gremium zu Wort meldet in Kernbereichen der Sozialpolitik und dabei auch noch zu einer Frage von existenzieller Bedeutung für Millionen Menschen, nämlich der Wohnungsfrage, dann muss der Beirat damit rechnen, dass man besonders kritisch hinschaut, was da an Kritik und Empfehlungen vorgetragen wird. Und schon die Überschrift des hier interessierenden neuen Gutachtens sensibilisiert die Beobachter des Gremiums von außen: Soziale Wohnungspolitik. So kurz und knapp ist das Werk überschrieben, das sich mit einer der ganz großen sozialen Fragen unserer Zeit beschäftigt: Der Wohnraumversorgung, der Gleichzeitigkeit von Leerständen hier und Wohnungsnot dort – bis hin zur Wohnungs- und Obdachlosigkeit.

Angesichts der teilweise nur als dramatisch zu bezeichnenden Wohnungsnot (vgl. dazu beispielsweise bereits (Nicht-)Wohnen: Die alte neue soziale Frage. Von einem Sprengsatz in unserer Gesellschaft mit erheblicher Splitterwirkung vom 27. Oktober 2015) und der für Millionen Menschen immer belastender werdenden Mieten (vgl. dazu Wohnverhältnisse in den deutschen Großstädten: Hohe Mieten bringen kleine Einkommen an den Rand der Armut und darüber hinaus vom 27. September 2017) ist man auf alle Beiträge gespannt und voller Erwartung, vor allem, wenn sie mit „Soziale Wohnungspolitik“ überschrieben sind.

Aber was der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium nun vorgelegt hat, ist gelinde gesagt eine echte Zumutung: Zum einen, weil es massive inhaltliche Defizite gibt, die man nur kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen kann, zum anderen aber auch, weil mit einer unglaublichen Naivität bzw. Dreistigkeit gerade das „Soziale“ aus dem Themenfeld herausgeschrieben wird. Schauen wir genauer hin.

Man muss sich die Augen reiben, wenn man mit solchen Überschriften in der Berichterstattung über das neue Gutachten konfrontiert wird: Experten fordern Ende des sozialen Wohnungsbaus. Und offensichtlich wird sogleich eine weitere Schippe raufgelegt: »Sozialer Wohnungsbau und die Mietpreisbremse helfen nicht gegen Wohnungsknappheit – im Gegenteil. Zu diesem Schluss kommt ein Beratergremium der Regierung und fordert neue Anreize.« Das soll in dieser Veröffentlichung zu finden sein:

➔ Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) (2018): Soziale Wohnungspolitik, Berlin, Juli 2018

Der Beirat formuliert zwei zentrale Fragen, an denen man sich abgearbeitet habe:

(1) Wie kann der Staat eine effiziente Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum erreichen?
(2) Wie können soziale Härten in Anbetracht der steigenden Mieten abgefedert werden?

Neben der Analyse präsentieren uns die Hochschullehrer die folgenden – einstimmig verabschiedeten –  Empfehlungen:

1. Es sollten Anreize zur Schließung von Baulücken und zur Lockerung unzureichend begründeter Bauvorschriften gegeben werden. Weitere preissteigernde Maßnahmen wie die in vielen Bundesländern erhöhte Grunderwerbsteuer sollten zurückgeführt werden.
2. Die Umgestaltung der Grundsteuer zu einer reinen Bodensteuer sollte erwogen werden.
3. Die Kommunen sollten in Form eines Planungswertausgleichs an Wertsteigerungen partizipieren, um Anreize zur Ausschreibung neuen Baulands zu haben. Zudem sollten die Verkehrsverbindungen zwischen Ballungszentren und ihrem Umland verbessert werden.
4. Die (weitgehend wirkungslose) Mietpreisbremse sollte ersatzlos gestrichen werden.
5. Der soziale Wohnungsbau sollte zurückgefahren werden, um eine Fehlleitung von Subventionen zu verhindern.
6. Das Wohngeld sollte reformiert werden, indem (i) dessen Höhe und die Grenzen für die anrechenbare Miethöhe angehoben und regelmäßig aktualisiert werden, und (ii) die Einkommensbegriffe vereinheitlicht und die Zuständigkeiten gebündelt werden. Anreize zum Arbeiten im Niedriglohnbereich sollten erweitert werden.

Also das muss man erst einmal auf sich wirken lassen: Da fordert man ernsthaft eine radikale Abkehr vom sozialen Wohnungsbau. Das vor dem Hintergrund einer massiven Klage über die seit Jahren rückläufige Zahl an Sozialwohnungen – und gerade die werden immer öfter gebraucht. Seit Jahren wird das Gegenteil der Empfehlung gefordert, also eine deutliche Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus.

Der Rückgang der Sozialwohnungen könnte sich ab dem Jahr 2020 sogar noch verstärken, denn ab dann stellt der Bund seine Zahlungen für die Förderung sozialen Wohnraums an die Länder in Höhe von über einer Milliarde Euro pro Jahr ein. »Öffentliche Wohnungsbaugesellschaften gibt es in Deutschland kaum noch, seitdem viele Kommunen während der Privatisierungseuphorie in den Neunzigerjahren ihre Liegenschaften verkauften. Und die unzähligen Förderprogramme für sozialen Wohnungsbau verpuffen offenbar weitgehend wirkungslos«, so bereits im vergangenen Jahr in diesem Artikel: Massiv gefördert, kaum gebaut. Als Ursachen für diese Entwicklung werden u.a. diese Punkte angeführt: »Sozialer Wohnungsbau ist seit gut zehn Jahren Ländersache, die Förderbedingungen unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland, meist sogar von Kommune zu Kommune. Am liebsten vergibt die öffentliche Hand aber billige Kredite. Weil gerade Pensionskassen und Versicherungsunternehmen vor allem Eigenkapital anlegen wollen, brauchen sie in der Regel überhaupt kein Darlehen von den Ländern. Dazu kommen Sorgen über die „typische sozialschwache Mieterklientel“, wie es in der Auswertung heißt. Sie soll den Investoren zufolge eine ganze Reihe Probleme verursachen: „höhere Ausgaben für Instandhaltung, höherer Verwaltungsaufwand, verschlechtertes Verkaufspotenzial der Immobilie“.«

In dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats wird allerdings eine andere argumentative Stoßrichtung gegen den sozialen Wohnungsbau eingeschlagen. Dazu im Wortlauf Friedrich Breyer von der Universität Konstanz, der offensichtlich federführend bei der Erstellung des Gutachtens beteiligt war:

»… wir haben zwei Probleme: Das eine Problem ist das der Fehlbelegung, das heißt, wenn Sie einmal das Recht hatten, in eine Sozialwohnung einzuziehen, dürfen Sie da Ihr Leben lang bleiben, auch wenn Ihr Einkommen gestiegen ist. Und die Erhebung einer Fehlbelegungsabgabe hat in der Vergangenheit nicht funktioniert. Den Ländern war das zu verwaltungsaufwendig. Also zum einen ist es eine Fehlleitung von Subventionen … Dieses zweite Problem ist, dass Sie mit noch so vielen Sozialwohnungen es nie schaffen können, alle Bedürftigen mit einer Sozialwohnung zu versorgen. Und wie ich schon sagte, wählt dann der Vermieter die ihm genehmen Mieter aus. Das ist ähnlich wie mit der Mietpreisbremse: Wenn man ein Gut verknappt, gibt man dem Anbieter dieses Gutes mehr Spielraum, sich auszusuchen, an wen er es verkauft, und damit hilft man gerade den Bedürftigsten nicht.« („Man kann nicht für jeden Bedürftigen eine Sozialwohnung schaffen“, Interview mit Friedrich Breyer im Deutschlandfunk am 25.08.2018).

Und neben dem Angriff auf die kläglichen Reste des sozialen Wohnungsbaus wird in dem Gutachten ein zweites wohnungspolitisches Instrumentarium ins Visier und unter Beschuss genommen: die Mietpreisbremse. Über dieses Instrument wurde auch in diesem Blog kritisch-ernüchternd berichtet, vgl. dazu nur beispielsweise aus dem Jahr 2015 die Beiträge Wohnungspolitik: Wenn die Bremse kaum bremst und wenn, dann für die anderen, die Makler nicht mehr so einfach auf Kosten Dritter makeln können und letztendlich einfach Wohnungen fehlen vom 12.06.2015 sowie Der „Wohnungsmarkt“. Von ungebremsten Preisspiralen über Schlupflöcher in einem vielleicht gut gemeinten Gesetz bis hin zur neuen Konkurrenz ganz unten vom 04.11.2015.

Im Gutachten wird so argumentiert (S. 9f.): »Eine Begrenzung der Mietpreise bzw. des Mietanstiegs bei Neu- oder Wiedervermietung führt gegenüber der freien Preisbildung im Markt typischerweise zu einer Verschärfung der Knappheit an Wohnraum in Ballungsgebieten. Einerseits sind zum regulierten Mietpreis weniger Wohnungs- und Hausbesitzer bereit, ihre Immobilie zu vermieten. Stattdessen werden Immobilien leer stehen oder anderen Verwendungszwecken zugeführt werden, die nicht unter die Preisregulierung fallen (etwa kurzfristige Vermietung mithilfe von Airbnb oder Verkauf an Selbstnutzer). Bei einer Kappung der Mieten für Neuvermietungen sinkt durch die niedrigeren erwarteten Renditen der Anreiz, neue Wohnungen zu bauen. Begrenzt man den Mietanstieg bei Wiedervermietungen, sinkt der Anreiz, bestehende Wohnungen zu modernisieren, was mittel- und langfristig zu einer weiteren Verknappung des Immobilienangebots und zu einem Qualitätsverlust von Altbauquartieren führt. Andererseits steigt bei einem unter dem Marktpreis festgesetzten Mietpreis die Nachfrage nach Wohnraum in den begehrten Gebieten, da etwa Mieter mehr und größere Wohnungen nachfragen als in einem Markt ohne Preisregulierung. Beide Entwicklungen führen damit tendenziell zu einer Verschärfung der in den jeweiligen Städten herrschenden Wohnungsknappheit, die eine Mietpreisbremse laut ihren Befürwortern zu lindern verspricht. Bei freier Preisbildung wären die Differenzen der Miethöhe zwischen den Ballungsräumen und ihrer Peripherie größer und damit auch der Anreiz, ins Umland zu ziehen, wo noch preisgünstige Wohnungen oder Bauland vorhanden sind.«

Die Ausführungen zur Mietpreisbremse sind nach der Veröffentlichung auf heftige Kritik gestoßen: Ökonomen unterläuft bei Kritik an Mietpreisbremse schwerer Fehler. »Die Experten des wissenschaftlichen Beirats legten eine falsche Annahme zugrunde. Sie waren davon ausgegangen, dass die Mietpreisbremse auch für Neubauten gilt – beziehungsweise dass auch bei einer Wiedervermietung in einem Neubau die Mieten gedeckelt sind. Das wäre de facto ein Mietenstopp. Denn Neubaumieten liegen meist weit über der zulässigen Grenze der Mietpreisbremse, die zehn Prozent oberhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete greift. In dem Gutachten heißt es: „Ausgenommen vom Gesetz sind Wohnungen, die erst nach dem 1. Oktober 2014 erstmalig genutzt oder vermietet werden und Wohnungen, die nach einer umfassenden Modernisierung zum ersten Mal vermietet werden. Die Mietpreisbremse greift jedoch bei allen anschließenden Mietverhältnissen.“ Genau dieser zweite Satz ist unzutreffend. Denn tatsächlich sind Neubauten ab Oktober 2014 dauerhaft befreit.«

Natürlich wurde der Beirat damit konfrontiert. Die Antwort lässt tief blicken: „Wir geben zu, dass in dem Absatz nicht ausreichend herausgearbeitet wurde, dass wir uns hier nicht auf die bereits gültige Version der Mietpreisbremse beziehen, sondern auf ein Eingreifen in den Mietmarkt im Allgemeinen, das vielleicht in der Zukunft stattfinden könnte“, sagte Friedrich Breyer. „Wir beziehen uns auf staatliche Eingriffe allgemein, nicht auf die Mietpreisbremse nach dem Mietnovellierungsgesetz“, so Breyer. Jedoch findet sich an keiner Stelle des Gutachtens ein Hinweis auf die Allgemeinheit dieser Aussage. Stattdessen wird mehrfach Bezug auf die aktuell gültige Mietpreisbremse genommen. Und deren Streichung gefordert.

Und noch ein schwerer Fehler. So schreiben die Beiratsmitglieder in ihrem Gutachten: „Begrenzt man den Mietanstieg bei Wiedervermietungen, sinkt der Anreiz, bestehende Wohnungen zu modernisieren.“ „Das ist blanker Unsinn“, wird Daniel Halmer, Rechtswissenschaftler und Geschäftsführer des Verbraucherportals wenigermiete.de, zitiert. „Die Miete kann ja bei der Erstvermietung nach umfassender Modernisierung ungebremst angehoben werden. Jeder Nachmieter muss diese Miethöhe dann akzeptieren, da die Vormiete Bestandsschutz genießt“, erklärt er mit Verweis auf § 556e Absatz 1 BGB.

Aber der sozialpolitisch brisante Hammer kommt erst noch. Offensichtlich folgen Breyer & Co. ihrer theoriegetriebenen Abneigung gegen eine bestimmte Art und  Weise der Förderung (S. 11 f. des Gutachtens): »Beim Sozialen Wohnungsbau handelt es sich um ein Instrument der Objektförderung: Im Gegensatz zur Subjektförderung, bei der eine Subvention direkt an Angehörige einer bestimmten Personengruppe (z.B. Mieter, Sportler oder Schüler) ausgezahlt wird, wird bei einer Objektförderung die Erstellung eines Gutes oder einer Leistung (Wohnungen, Sportplätze bzw. Schulen) subventioniert, die dieser Personengruppe zu Gute kommen soll. Der Staat subventioniert demnach die Erstellung von Wohnungen und beschränkt im Gegenzug sowohl die Miethöhe auf die sog. „Kostenmiete“ als auch den Personenkreis, an den eine geförderte Wohnung vermietet werden darf.«

Man ahnt schon, was der Beirat bzw. die Hauptverfasser des Gutachtens von der Objektförderung halten: Nichts. Vor diesem Hintergrund wird dann auch das Eindampfen des sozialen Wohnungsbaus gefordert. Und die Alternative? Man ahnt es schon: die Subjektförderung. Dazu führt Friedrich Breyer aus: »… der Staat subventioniert ja im Augenblick die Erstellung von Wohnraum, und statt … das Objekt zu subventionieren, sollte das Subjekt, also die Bürger selber subventioniert werden, weil das viel zielgenauer ist als der soziale Wohnungsbau.« Und dazu gibt es das Wohngeld. Genau das soll nach den Vorstellungen des Beirats aufgeblasen werden. Breyer im Original-Ton: »… meiner Meinung nach müssen die Mietgrenzen, bis zu der eben Wohngeld gezahlt wird, deutlich angehoben werden, auch der Empfängerkreis sollte angehoben werden.«

Das nun ist wahrlich keine Idee des Beirats, sondern die machen sich hier zu Wiederkäuern entsprechender Vorschläge von interessierter Seite. Schon im vergangenen Jahr hatte Nicolai Kwasniewski in seinem Artikel berichtet: »Statt günstiger Kredite und langer Förderzeiträume schlagen die wichtigsten Player auf dem Wohnungsbaumarkt eine für sie viel attraktivere Lösung vor: Der Staat solle ärmeren Haushalten unter die Arme greifen, beispielsweise durch die Ausweitung des Wohngelds – eine Umstellung von der Objektförderung zur Subjektförderung. Der Vorteil für die Investoren: Sie müssten sich nicht auf Förderbedingungen einlassen und könnten die Miete frei festlegen.«

Wie praktisch. Man kann die Mieten nach oben treiben, denn bei einem Wohngeld nach den Vorstellungen der Immobilienwirtschaft und des Beirats würde diese aus Steuermitteln aufzubringende Leistung schön mitwachsen. Was werden wohl Vermieter machen, wenn es eine solche „Stütze“ gibt?

Dankenswerterweise gab es schnell fundierte Reaktionen auf das fragwürdige Gutachten. Beispielsweise der Artikel Wie sich die Mietpreisexplosion bremsen lässt von Norbert Häring in der Online-Ausgabe des Handelsblatts. Mit Blick auf die burschikose Verdammung des sozialen Wohnungsbaus legt der Verfasser dem Beirat eine Reise nach Wien ans Herz. Auch wenn die das gar nicht interessiert, weil es ihre theoretischen Kreise irritieren würde, lohnt ein Blick auf Härings Argumentation: In Wien hat sich die Stadt nie von ihrer aktiven Rolle im Wohnungsmarkt zurückgezogen, um sich allein auf den Finanzmarkt zu verlassen. »Das Ergebnis ist ein deutlich entspannterer Wohnungsmarkt und viel günstigere Mieten als in vergleichbaren Städten wie München. Die österreichische Statistikbehörde beziffert die Durchschnittsmiete 2017 auf 5,68 Euro pro Quadratmeter. Das ist nur etwas mehr als halb so hoch wie in München. Und das, obwohl Wien ebenfalls sehr beliebt ist und stark wächst.« Wie konnte das gelingen? Es ist kein einfaches Rezept, mit dem man diesen Erfolgskuchen gebacken hat:

»Dazu gehören relativ hohe Einkommensgrenzen für das Wohnen in geförderten, mietbegünstigten Wohnungen. Das soll Ghettoisierung vermeiden. Damit die besonders Einkommensschwachen nicht zu kurz kommen, gibt es für Wohnungen, die für sie reserviert werden, eine höhere Förderung. Da sich die Stadt nie dauerhaft aus dem sozialen Wohnungsbau zurückzog und ihre Wohnungen nicht an private Investoren verkaufte, besitzt sie heute 220.000 „Gemeindewohnungen“, die über die ganze Stadt verstreut sind. Hinzu kommen weitere 200.000 dauerhaft sozial gebundene Wohnungen von gemeinnützigen Wohnungsbauvereinigungen. Insgesamt hat die Stadt rund 900.000 Wohnungen. Nur ein Drittel der Wohnungen sind frei finanziert und nicht sozial gebunden. Wenn für Sanierung von Altbauten Wohnungsbaufördermittel verwendet werden, bleiben die Mieten 15 Jahre lang gedeckelt … Damit der soziale Wohnungsbau für die Stadt und die Wohnungsbaugesellschaften wegen steigender Grundstückspreise nicht unbezahlbar wird, hat Wien einen Fonds namens „wohnfonds_wien“ gegründet. Dieser kauft vorausschauend potenzielles Bauland auf. Das führt allerdings nur deshalb zu günstigen Preisen, weil die Baulandausweisung mit dem Flächenankauf koordiniert wird. Verkaufen die Besitzer geeigneter Flächen nicht, um auf steigende Preise zu spekulieren, wenn ihre Grundstücke als Bauland ausgewiesen werden, dann warten sie wahrscheinlich vergebens, weil die Ausweisung dann nicht stattfindet.«

Auch das muss an dieser Stelle erwähnt werden: »Weil Neubürger erst einmal keinen Zugang zu einer Gemeindewohnung oder Genossenschaftswohnung haben, kann für sie die Wohnungssuche durchaus schwer und teuer werden.«

Zusammenfassend zitiert Norbert Häring einen ausgewiesenen Praktiker der bislang erfolgreichen Wohnungspolitik in Wien: Michael Ludwig, neuer Bürgermeister und Landeshauptmann von Wien, vorher war er der für Wohnen zuständige Stadtrat. Und dieses Zitat von Ludwig sollten sich Breyer & Co. hinter die Ohren schreiben:

„Wien favorisiert die Objektförderung, also die Förderung der Errichtung von Wohngebäuden, die im Unterschied zur alleinigen Subjektförderung den Bestand an dauerhaft sozial gebundenen Wohnungen erhöht.“

Und dann legen wir einen weiteren fundierten Beitrag nach: »Durch die Entfesselung der Marktkräfte will der Wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums die Wohnungsnot in den Städten lindern. Doch diese Empfehlung beruht auf einer fehlerhaften Analyse. Tatsächlich könnte ein kluger öffentlicher Wohnungsbau die Ungleichheit reduzieren und gleichzeitig das wirtschaftliche Wachstum steigern«, so Tom Krebs in seinem Kommentar Mehr Markt ist nicht die Lösung auf Makronom, dem Online-Magazin für Wirtschaftspolitik. Er argumentiert auf zwei Ebenen:

Die »Empfehlung der Ökonomen beruht auf einer fehlerhaften Analyse, die zwei theoretisch fundierte und empirisch belegte Eigenschaften des Wohnungsmarkts nicht berücksichtigt. Erstens kann in vielen Städten das Angebot an Bauland nur begrenzt ausgeweitet werden, so dass Mietzuschüsse hauptsächlich die Mieten hochtreiben ohne die Anzahl der verfügbaren Wohnungen zu steigern. Zweitens ist Wohnraum nicht nur ein Konsumgut, sondern auch ein Produktionsfaktor, der den Zugang zum Arbeitsmarkt und damit die Produktivität der Erwerbspersonen beeinflusst. Dieser Zusammenhang zwischen Wohnort und Produktivität hat zur Folge, dass rein marktwirtschaftliche Lösungen zu Fehlallokationen führen und sich negativ auf die gesamtwirtschaftliche Produktion auswirken.«

Und Krebs weist darauf hin, was man bedenken sollte, wenn man den Empfehlungen des Beirats folgen würde: »Die Entfesselung der Marktkräfte ist ein Vorschlag, der insbesondere in den USA intensiv verfolgt wurde und dort zu teilweise desaströsen Ergebnissen geführt hat – und zu einem Umdenken: Die aktuelle Wohnungspolitik in vielen größeren amerikanischen Städten beschränkt sich nicht auf die Vergabe von Wohnungszuschüssen für bedürftige Haushalte, wie es der Wissenschaftliche Beirat vorschlägt, sondern setzt verstärkt auf die aktive Förderung von sozial ausgewogenen Stadteilen mit gemischter Nutzung.«

»Was die Politik in Deutschland jetzt braucht, sind innovative Konzepte, wie der Staat die notwenige Offensive im öffentlichen Wohnungsbau effizient und transparent verwirklichen kann. Eine erfolgversprechende Option ist die Schaffung eines öffentlichen Investitionsfonds, der in enger Zusammenarbeit mit Kommunen und Bauwirtschaft den Ausbau sozial ausgewogener Wohnquartiere vorantreibt«, so Krebs (vgl. dazu auch den Beitrag Deutschland braucht einen Zukunftsfonds von Tom Krebs und Aart De Geus).

Darüber nachzudenken würde sich mehr als lohnen. Das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats kann in diesem Kontext dahin, wo es hingehört. In die Mottenkiste.