Corona-„Familienbonus“: 300 Euro pro Kind. Warum nicht gleich 600 Euro? Für alle. Wirklich für alle?

Dass derzeit Unmengen an Geld ausgeschüttet oder zumindest versprochen werden, deren Ausmaße man sich vor wenigen Wochen, als Hinweise auf dringend erforderliche Ausgabenbedarfe selbst für existenzielle Angelegenheiten mit dem Textbaustein „das ist nicht finanzierbar“ in den Papierkorb befördert wurden, nicht annähernd vorstellen konnte, ist nun jedem bekannt. Und eigentlich sollte es, bei all den unterschiedlichen und für sich genommen sicher verständlichen Hilferufen nach staatlichen Hilfen, keinen großen Widerspruch auslösen, dass man das nicht unbegrenzt fortführen kann und das man die begrenzten Mittel fokussieren sollte zum einen auf diejenigen, die einen besonderen Hilfebedarf haben, zum anderen aber staatliche Subventionen zu vermeiden sind, wenn Mitnahmeeffekte dominieren, angestrebte Wirkungen nur zu einem Bruchteil erreichbar sind oder wo bestehende Ungleichheiten auch noch potenziert werden.

Das könnte man durchaus durchaus durchdeklinieren am Beispiel der nun doch – nach einer gewissen „Schamfrist“ im Anschluss an den „Autogipfel“ vor wenigen Wochen bei der Bundeskanzlerin – offensichtlich beabsichtigten Wiederbelebung der „Abwrackprämie“ in modernem Gewand, also einer Subventionierung des Kaufs neuer Autos durch Steuermittel. Aber das soll hier nicht passieren. Denn es tut sich ein weiteres Spielfeld auf, wo ebenfalls Milliarden-Beträge fließen würden und dann auch noch für eine augenscheinlich sozialpolitisch höchst relevante Zielgruppe: Familien. Denn die sollen einen „Familienbonus“ bekommen, eine einmalige Geldleistung in Abhängigkeit von der Kinderzahl.

Das hört sich doch gut an, wenn man an die Belastungen vieler Familien in diesen Zeiten denkt. Aber der Reihe nach:

Die Bundesregierung arbeitet an einem Konjunkturpaket zur Eindämmung der Coronakrise. Warum? »Die Wirtschaft ist von der Coronakrise geschwächt, wie päppelt man sie wieder auf? Finanzminister Olaf Scholz will mit Steuergeld für mehr Kaufkraft sorgen«, kann man unter der Überschrift Familienbonus, Gastro-Ausgleich und Kulturhilfen lesen. Mit einem Konjunkturpaket setzt Finanzminister Olaf Scholz (SPD) vor allem auf Maßnahmen, mit denen er die Kaufkraft stärken will.

»Geplant ist zum Beispiel ein Familienbonus. Eltern sollen für jedes Kind einmalig 300 Euro bekommen. Scholz orientiert sich damit an Vorschlägen von Familienministerin Franziska Giffey (SPD). Die Maßnahme würde den Fiskus fünf bis sechs Milliarden Euro kosten.«

Und nicht nur das: »Überlegt wird auch, ob Konsumgutscheine des Staates die Kauflaune der Bevölkerung heben könnten. Davon würden auch Menschen ohne Kinder profitieren. Darüber hinaus sollen Gastwirte und Kulturschaffende vom Bund einen Ausgleich für Einkommen erhalten, das ihnen während der Krise verloren gegangen ist. Vergleichsmaßstab sollen durchschnittliche Verdienste der vergangenen Jahre sein. Auch diese Maßnahme kostet den Bund etliche Milliarden Euro. Neben konsumfördernden Instrumenten planen die Beamten von Scholz auch Hilfen für Unternehmen. So wollen sie günstigere Abschreibungen zulassen oder Investitionszulagen gewähren. Das Konjunkturpaket wird eine Größenordnung von bis zu 150 Milliarden Euro umfassen.« Die Größenordnung von bis zu 150 Mrd. Euro wurde mittlerweile „aus Regierungskreisen“ angeblich als falsch zurückgewiesen.

Bleiben wir beim „Familienbonus“. 300 Euro pro Kind wären doch mal eine Hausnummer. Aber warum so zaghaft, mag sich der eine oder andere Politiker, vor allem der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) gedacht haben, der offensichtlich bestrebt ist, in der Öffentlichkeit Punkte zu sammeln auch vor dem Hintergrund der Bewerbung um den CDU-Parteivorsitz und letztendlich um die Kanzlerkandidatur. Da muss man klotzen, nicht kleckern, scheint sich der Mann gedacht zu haben und verdoppelt man eben die genannte Summe: Scholz plant Corona-Familienbonus von 300 Euro pro Kind – NRW will sogar 600 Euro zahlen, berichtet die Online-Ausgabe des Handelsblatts: »Die NRW-Landesregierung schlägt sogar einen Familienbonus in Höhe von einmalig 600 Euro pro Kind vor, sagte Ministerpräsident Armin Laschet … Die konkrete Form hänge allerdings davon ab, was letztlich im Programm des Bundes steht. Dies werde man dann mit einem eigenen Landesprogramm ergänzen, so Laschet.«

Nachfrage- versus angebotspolitische Strategien? Und was soll Helikoptergeld sein?

Neben den nicht zu unterschätzenden politpsychologischen Aspekten, warum sich so eine pauschale Einmalzahlung aus Steuergeldern bei Politikern großer Beliebtheit erfreuen, wird an anderer Stelle versucht, eine allgemeinere Einordnung in die gängigen wirtschaftspolitischen Konzepte anzubieten, so beispielsweise in dem Kommentar Wer will noch mal, wer hat noch nicht? von Alfons Frese. In jeder wirtschaftspolitischen Einführungsveranstaltung lernt man die konzeptionellen Unterschiede zwischen einer nachfage- und einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik (und wenn man eine gute Einführung erwischt hat, sollte man auch gelernt haben, dass beide Seiten unauflösbar miteinander zusammenhängen und eine „gute“ Wirtschaftspolitik meistens ein Mix aus beiden Ansätzen darstellt). Für Frese stellt sich mithilfe der bekannten Schablone die Lage so dar: »In Scholz und Wirtschaftsminister Peter Altmaier von der CDU personalisiert sich der Widerspruch wirtschaftspolitischer Ansätze. Scholz setzt eher auf der Nachfrageseite an und will den Konsum stärken, dazu muss man Menschen oder Gruppen mit hoher Konsumquote mehr Mittel in die Hand geben; Familien gehören dazu. Altmaier konzentriert sich auf die Angebotsseite und möchte die Unternehmen mit Entlastungen stützen. Dazu zählen die Senkung von Unternehmenssteuern und die komplette Abschaffung des Soli. Zumindest Letzteres wäre allerdings eine Entlastung der Besserverdienenden, die dem Konsum und damit der Binnenwirtschaft kaum zugute käme.« Und Frese kommentiert das wohlwollend: »Für ein wirkungsvolles Konjunkturprogramm, in dem sich nicht die stärksten Lobbygruppen bedient sehen, sondern das Konsumenten und Unternehmen gleichermaßen Schwung gibt und auch Zuversicht vermittelt, kann der Widerstreit der Fachminister von Nutzen sein.«

Frese schaut auf den „Familienbonus“ und hebt hervor, »wenn das für Anfang Juni anstehende Konjunkturpaket ein dreistelliges Milliardenvolumen umfasst, dann sollten wohl fünf Milliarden für Familien gut angelegt sein. Meint offenbar der SPD-Finanzminister Olaf Scholz und schlägt 300 Euro pro Kind vor. Helikoptergeld, das über den Familien abgeworfen wir, kann ja nicht schlecht sein.«

➔ Was um alles in der Welt soll das nun sein: Helikoptergeld? »Wie bringt man eine Volkswirtschaft, die wegen der Coronakrise zu großen Teilen heruntergefahren wurde, wieder zum Laufen? Eine der Ideen für die Lösung des Problems läuft unter dem Stichwort Helikoptergeld: Die Notenbank schafft neues Geld und stellt jedem Bürger einen Scheck aus. Um im Bild zu bleiben, kreist sie mit dem Hubschrauber über Städten und Dörfern und wirft Scheine ab.« So beginnt der Artikel Bargeld für die Bürger: Ökonomen loben das Helikoptergeld von Astrid Dörner und Jan Mallien. Und sie ergänzen sogleich: »Bislang findet sich das Konzept vor allem in Lehrbüchern. In der Praxis schreckten Notenbanken bisher davor zurück – vor allem aus Angst, die Grenzen zwischen Geld- und Finanzpolitik zu verwischen.« Aber gibt es nicht gerade in der aktuellen Corona-Krise Beispiele für Versuche, den Ansatz Wirklichkeit werden zu lassen? »So hat die US-Regierung jüngst beschlossen, den meisten Bürgern einen Scheck in Höhe von je 1200 Dollar auszuhändigen. Nach wissenschaftlicher Definition handelt es sich dabei noch nicht um echtes Helikoptergeld, weil die Mittel nicht von der Notenbank Federal Reserve (Fed) kommen. Eine gewisse Nähe gibt es aber, weil fast jeder Bürger die Zahlung bekommt und die Fed den amerikanischen Staatshaushalt durch Anleihekäufe finanziert.«
Man muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass der Ursprung des Begriffs „Helikoptergeld“, das in der aktuellen Diskussion vor allem oder ausschließlich nachfrageorientiert instrumentalisiert wird, ganz woanders zu verorten ist: Der Ausdruck „Helikoptergeld“ wurde erstmals 1969 von Milton Friedman verwendet. In seinem modellhaften Gedankenexperiment zur Illustration der Grundprinzipien seiner monetären Theorie des Geldes stellte Milton Friedman die Frage, was geschehen würde, wenn eine Zentralbank das von ihr gedruckte Geld in einen Helikopter laden und über den Bürgern einer Modell-Gemeinde abwerfen würde. Vereinfacht gesagt wolle Friedman mit dem Modellbeispiel zeigen, dass die einmalige Einkommenserhöhung zu einer entsprechenden Erhöhung der Preise führen wird, mithin also die resultierende höhere Inflation dazu führen wird, dass der Einfluss auf die Realwirtschaft gleich Null sein wird. Dass Helikoptergeld durchaus eine Form expansiver Fiskalpolitik auf der Basis von Zentralbank-Geld sein könne, betonen beispielsweise Stephen Cecchetti und Kim Schoenholtz in ihrem 2016 veröffentlichten Beitrag A primer on helicopter money.
Aber bleiben wir in Deutschland. Astrid Dörner und Jan Mallien berichten: »Auch der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, spricht sich für Helikoptergeld aus. Allerdings versteht er darunter nicht Transfers der EZB, sondern Zahlungen der Regierung an eine größere Gruppe, die an keine Bedingungen geknüpft sind. „Die Stärke des Helikoptergelds ist es, dass es schnell und unbürokratisch bei den betroffenen Menschen ankommt“, sagt er. Aus Sicht von Fratzscher ist Schnelligkeit in Krisenzeiten essenziell bei der Stabilisierung der Wirtschaft. In diesem Punkt sind sich viele Ökonomen einig. Auch der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Gabriel Felbermayr, hält es für wichtig, schnell zu handeln, auch wenn die Wirtschaft noch stillsteht. „Es wäre geboten, schon jetzt klare Ankündigungen über ein Konjunkturpaket nach dem Ende der Teilabschaltung der deutschen Volkswirtschaft zu machen, denn es ist davon auszugehen, dass dann Nachfrage fehlen wird“, sagt er. Von Pauschalzahlungen hält er jedoch wenig, weil sie teuer und wenig zielgenau wären.«

Der „Familienbonus“ zwischen Rezessionsbekämpfung und „Wiedergutmachung“ für krisengebeutelte Familien – und zwei große Fragezeichen

Die Befürworter des geplanten „Familienbonus“ verweisen gerne darauf, dass man diese Maßnahme zum einen als „klassische“ konjunkturpolitische Maßnahme auf der Nachfrageseite der Wirtschaft verstehen kann, also eine Erhöhung der Kaufkraft der Familien, die dann das zusätzliche Einkommen in den Konsum fließen lassen, so dass man darüber einen Gegenimpuls zu der erwarteten schweren und sich möglicherweise selbst verstärkenden Rezession setzen könne. Zugleich aber wird auf einer zweiten Begründungsschiene darauf abgestellt, dass die Familien in den vergangenen Wochen besonders belastet gewesen seien und es immer noch sind, da sich bei ihnen mehrere negative Effekte der staatlicherseits verhängten Beschränkungen kumulieren, also nicht nur Einkommensausfälle durch Arbeitslosigkeit und vor allem Kurzarbeit, sondern auch die zahlreichen Probleme, die sich aus der Stilllegung der Kitas und Schulen ergeben haben. Und die immer noch weitgehend Bestand haben. In diesem Sinne wäre der Familienbonus eine Art „Wiedergutmachungsprämie“.

Beide Argumentationslinien sind allerdings mehr als fragwürdig, wenn man genauer hinschaut. Ausgangspunkt für jede kritische Perspektive sollte der Hinweis sein, dass es eben „die Familien“ nicht gibt – was wiederum enorme Auswirkungen hat auf die Beurteilung der möglichen ökonomischen Wirkungen wie auch mit Blick auf die angeblich angestrebten „Wiedergutmachungseffekte“. Es gibt nicht nur eine an sich schon sehr heterogene Familienlandschaft. Besonders relevant ist die Tatsache, dass es arme, durchschnittliche und reiche Familien gibt. Und allein schon dieser Tatbestand löst Zweifel aus hinsichtlich der Sinnhaftigkeit des Begründungsmusters für einen „Familienbonus“, denn der soll ja durch unmittelbare Kaufkrafterhöhung zu einem Konsumeffekt führen, der dann wiederum der rezessionsgeplagten Wirtschaft aus dem Tal der Tränen verhilft. Das setzt allerdings voraus, dass „die“ Familien den monetären Stimulus in konkrete Kaufentscheidungen umsetzen, also die Kohle raushauen. Das wäre dann sicher der Fall, wenn sie eine marginale Konsumquote von 100 Prozent haben (würden). Eine solche Quote haben durchaus einige Familien – vor allem die Familien, die von der Hand in den Mund leben, also die im unteren Einkommensbereich herumkrebsen müssen. Bei denen würde der zusätzliche Euro-Betrag mit großer Sicherheit sofort wieder in den Wirtschaftskreislauf eingebracht werden. Aber es gibt eben auch andere Familien, die sich durch bereits gegebene Sparquoten von 10, 20 oder noch mehr Prozent auszeichnen. Was werden die mit dem zusätzlichen Geldbetrag machen? Dass die das Geld nicht für den zusätzlichen Konsum nutzen werden, ist eine durchaus plausible Annahme angesichts der heute bereits bestehenden Konsum- und Sparmuster.

Man könnte ergänzend anmerken: Brauchen die eben auch vorhandenen Familien mit guten oder gar überdurchschnittlichen Einkommen wirklich einen solchen Bonus? Sind es nicht gerade im Schnitt die Familien mit mittleren und höheren Einkommen, die in der Regel auch in den vergangenen Wochen keine oder nur minimale Einkommensrestriktionen erfahren haben? Währenddessen gerade in den unteren Einkommensbereichen überdurchschnittliche viele Entlassungen (man denke hier auch an die vielen Minijobber) verzeichnet wurden, viele der Kurzarbeiter mit erheblichen Einkommensausfällen konfrontiert waren (denn ihre Netto-Entgelte als Bemessungsgrundlage sind schon unter Normalbedingungen sehr niedrig und meistens arbeiten sie in Branchen, in denen es keine tarifvertraglichen Aufstockungen des Kurzarbeitergeldes gibt) und wenn Kinder vorhanden sind, dann fallen gerade hier zusätzliche Kosten durch die notwendige Infrastruktur für Homeschooling weitaus mehr ins Gewicht als in den allermeisten Mittel- und Oberschichtsfamilien, wo das alles schon vorhanden ist und wenn, dann vor allem das Nervenkostüm der Eltern übermäßig strapaziert wurde und wird. Nicht vergessen sollte man die Tatsache, dass die Angehörigen der unteren Einkommensbereiche zugleich überdurchschnittlich den Risiken der Corona-Pandemie ausgesetzt sind, denn viele von ihnen arbeiten in Berufen, für die sich das Thema Rückzug in das eigene Heim und Arbeit im „Homeoffice“ überhaupt nicht stellt, denn deren Arbeit ist in aller Regel gerade nicht heimarbeitsfähig.

Zwischenfazit: Wenn man tatsächlich einen schnellen und möglichst vollständigen wirksamen nachfrageseitigen Effekt erreichen will, dann sollte man die Maßnahmen bei denen fokussieren, bei denen der größte Bedarf besteht, also im unteren Einkommensbereich. Hier würde jeder verausgabte Euro unmittelbare Wirkungen in der Volkswirtschaft entfalten. Zugleich könnte man mit einer Konzentration hier die nachgewiesenermaßen im Durchschnitt am stärksten von den Krisenfolgen betroffenen Familien erreichen.

Aber das hätte man doch für einen Teil der Familien schon längst haben können? Genau, hätte, wenn es nicht abgelehnt worden wäre

Nun wird der eine oder andere aufmerksame Beobachter der krisenpolitischen Szenerie an dieser Stelle einwenden, dass das alles doch vor kurzem wenigstens für einen Teil der einkommensarmen Familien sogar als Antrag im Deutschen Bundestag eingebracht worden ist. Ein Antrag, der hervorgegangen ist aus der parlamentarischen Auseinandersetzung mit dem sogenannten „Sozialschutzpaket II“ der Bundesregierung. Dort wurden von den Linken und von den Grünen ein „Corona-Zuschlag“ für die Bezieher von Grundsicherungsleistungen nach SGB II und SGB XII gefordert.

Dazu von den Grünen der Antrag „Mit einem Corona-Aufschlag in der Grundsicherung das Existenzminimum sichern“, Bundestags-Drucksache 19/18705 vom 21.04.2020 sowie von den Linken der Antrag „Sozialen Schutz auch während der COVID-19-Pandemie umfassend gewährleisten“, Bundestags-Drucksache 19/18945 vom 05.05.2020.

So haben die Grünen als eine befristete Akutmaßnahme für die Zeit der Corona-Krise einen Aufschlag auf die Regelsätze in der Grundsicherung nach den Sozialgesetzbüchern (SBG) II und XII und dem Asylbewerberleistungsgesetz gefordert, um existentielle Notlagen zu verhindern und sicherzustellen, dass sich für die Ärmsten die Situation nicht weiter verschärft. Konkret wird
➞ ein monatlicher Zuschlag auf den Regelsatz in der Grundsicherung nach SGB II und XII sowie im Asylbewerberleistungsgesetz in Höhe von 100 Euro monatlich für Erwachsene gefordert. Die Mehrbedarfszuschläge für behinderte, (chronisch) kranke, schwangere und alleinerziehende Menschen werden ebenso anteilig erhöht.
➞ Um den Wegfall verschiedener Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) sowie steigende Kosten etwa für Lebensmittel zu kompensieren, wird ein monatlicher Zuschlag für anspruchsberechtigte Kinder und Jugendliche in Höhe von 60 Euro monatlich gewährt und automatisch ausgezahlt.

Die Linken sind in ihrem Antrag darüber hinaus gegangen: So sollen das Arbeitslosengeld II und alle weiteren Leistungen, die das Existenzminimum absichern sollen (die Hilfe zum Lebensunterhalt, die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und die Asylbewerberleistungen) rückwirkend zum 01.03.2020 um 200 Euro pro Person pro Monat erhöht werden. Als zweite Komponente ist vorgesehen: Für schulpflichtige Kinder soll ein einmaliger Zuschuss für Computer und weitere IT-Ausstattung gewährt werden. Der Zuschlag soll 500 Euro betragen und über das Bildungs- und Teilhabepaket gewährt werden, damit er alle Familien erreicht, die ALG II, Hilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung bei Erwerbsminderung, Wohngeld, Kinderzuschlag und Asylbewerberleistungen beziehen.

Bleiben wir bei den bereits als Kompromissangebot formulierten Antrag der Grünen, denn deren Zuschlag in Höhe von 100 Euro wird von einem breiten Bündnis unterstützt: »In einem gemeinsamen Aufruf fordern Spitzenvertreter*innen des Deutschen Gewerkschaftsbundes, des Paritätischen Gesamtverbands und weiterer bundesweiter Organisationen die Bundesregierung auf, allen Menschen, die auf existenzsichernde Sozialleistungen angewiesen sind, einen pauschalen Mehrbedarf von 100 Euro monatlich unbürokratisch zukommen zu lassen. Es seien auch heute die Ärmsten, die die Auswirkungen der Corona-Krise existentiell und mit besonderer Härte treffe«, wurde bereits Anfang Mai berichtet. Gemeint ist der Aufruf „100 Euro mehr sofort: Solidarisch für sozialen Zusammenhalt und gegen die Krise“. »Millionen Beziehende von Hartz IV und Altersgrundsicherung lebten schon vor Corona von Unterstützungsleistungen, die schlicht nicht ausreichten, um halbwegs über den Monat zu kommen bzw. das soziokulturelle Existenzminimum sicherzustellen, heißt es in einem begleitenden Anschreiben an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Mit der Corona-Krise habe sich die Situation für die Betroffenen noch einmal drastisch verschärft, so dass unabhängig von der zum 1.1.2021 ohnehin anstehenden Neufestsetzung der Regelsätze, alle schon jetzt von Einkommensarmut betroffene Menschen ab sofort 100 Euro zusätzlich erhalten und damit in der Krise praktische Solidarität erfahren müssten. Mit „ein bisschen Catering für wenige Schulkinder“ sei es schlicht nicht getan.«

➞ Zu der tatsächlich deaströsen Lage und den völlig unzureichenden staatlichen Maßnahmen vgl. ausführlicher diesen Artikel von Florian Diekmann und Silke Fokken: Leere Mägen statt Laptops: »Kein Schulmittagessen mehr, aber ein Laptop muss her: Armen Familien droht durch den Fernunterricht die finanzielle Überforderung. Die staatliche Unterstützung ist umständlich und kommt zu spät.«

Allerdings konnten sich die Koalitionsfraktionen noch nicht einmal zu diesem überschaubaren und dann auch noch befristeten Zuschlag durchringen – der Antrag der Grünen wurde im Bundestag mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD (aus deren Reihen gab es eine (!) Gegenstimme) abgelehnt. Vgl. zu diesem Trauerspiel auch den Beitrag Am ausgestreckten Arm … Die Bundesregierung und der Nicht-Zuschlag für Menschen in der Grundsicherung. Die bleiben beim Sozialschutz-Paket II weiter außen vor vom 12. Mai 2020.

Und nun kommt man uns mit einem „Familienbonus“ in Höhe von einmalig 300 Euro je Kind (in Anlehnung an die Kindergeldregelung, also bei Kindern bis zum 25. Lebensjahr)? Ein Betrag, der umstandslos an alle Familien gehen soll? An der Diskrepanz zwischen dem Erlebten im Bundestag – wo es um (abgelehnte) konkrete und zielgerichtete Hilfen für einen Teil der Einkommensarmen ging – und den Versprechungen, die uns nun unter dem Terminus „Familienbonus“ gemacht werden, kann man erkennen, dass hier offensichtlich ganz andere Interessen mitschwingen und das Zepter führen.

Stellen wir uns mal vor, dass der „Familienbonus“ als Bestandteil des Konjunkturpakets kommen wird. Dann könnte man nun immerhin argumentieren, dass auch die gerade erst erneut ausgeschlossenen Grundsicherungsempfänger von dem Bonus profitieren werden. Eine gute Nachricht.

Auch die ganz unten werden vom Familienbonus profitieren. 300 Euro, vielleicht auch noch mehr, pro Kind. Werden Sie? Kommt darauf an

Mit Blick auf die vielen Kinder und Jugendlichen, deren Eltern vollständig oder aufstockend auf Hartz IV-Leistungen angewiesen sind, stellt sich die Frage, ob es wirklich so ist, dass auch sie von dem Bonus profitieren werden. Das scheint so, denn es heißt ja, dass alle Familien beglückt werden sollen mit diesem Betrag. Aber wie immer im deutschen Leben muss die richtige Antwort lauten: Es kommt darauf an.

Denn normalerweise würde der Betrag im bestehenden Grundsicherungssystem auf den Leistungsanspruch gegenüber dem Jobcenter (SGB II) bzw. dem Sozialamt (SGB XII) angerechnet werden. Die Familien im Hartz IV-Bezug kennen das bei einer Anhebung des Kindergeldes – wenn das beispielsweise um 10 oder 50 Euro erhöht wird, dann kommt bei ihnen nichts in der Schatulle an, da der Erhöhungsbetrag als durchlaufender Posten behandelt wird, er wird an anderer Stelle wieder von den staatlichen Leistungen abgezogen. Anderes Beispiel: Viele Mütter, die Grundsicherung im Alter nach SGB XII beziehen, haben die gleiche Verrechnungserfahrung bei der aufgestockten „Mütterrente“ machen müssen, denn auch die hat den Grundsicherungsbetrag, der vom Sozialamt ausgezahlt wird, reduziert,so dass gerade sie nichts von der höheren Mütterrente hatten.

Bleiben wir im Hartz IV-Bereich, also dem SGB II. Die hier relevante Rechtsgrundlage ist der § 11 SGB II: „Zu berücksichtigendes Einkommen“. Vereinfacht gesagt: Bis auf wenige Ausnahmen wird alles angerechnet. Und die wenigen Ausnahmen findet man zum einen im § 11a SGB II: „Nicht zu berücksichtigendes Einkommen“, zum anderen im § 11b SGB II, dort sind die Absetzbeträge geregelt, wenn der Leistungsempfänger Einnahmen aus einer Erwerbstätigkeit hat. Vgl. für detaillierte Ausführungen auch die Fachlichen Weisungen §§ 11-11b SGB II Zu berücksichtigendes Einkommen der Bundesagentur für Arbeit (Stand: 07.02.2020).

Kurzum: Wenn man sich die gegebene, sehr harte Anrechnung von Einkommen im SGB II anschaut, dann muss man zu dem Befund kommen, dass eine Nicht-Anrechnung des „Familienbonus“ seitens des Gesetzgebers explizit im SGB II und XII normiert werden muss, da man ansonsten den Geldbetrag als vorrangig zu verwertendes Einkommen ansehen muss.