Die Speerspitze der neuen systemrelevanten Berufe: Was ein Teil der Pflegekräfte in Krankenhäuser und in der Altenpflege in der Mitte verdient. Und was die Zahlen nicht zeigen (können)

In diesen Tagen wird an vielen Stellen über die in der derzeitigen Krisensituation systemrelevanten oder systemkritischen Berufe berichtet (vgl. beispielsweise den Beitrag So schlecht sind systemrelevante Berufe bezahlt von Annika Leister oder die am 24. März 2020 veröffentlichte Studie aus dem DIW von Josefine Koebe et al.: Systemrelevant und dennoch kaum anerkannt: Das Lohn- und Prestigeniveau unverzichtbarer Berufe in Zeiten von Corona). Dabei geht es immer auch, zuweilen nur um die Vergütung der Menschen, die in diesen Berufen arbeiten.

Und man kann sicher bilanzierend sagen, dass bislang vor allem die Pflegekräfte im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit standen und stehen – in einer ersten Phase vor allem die in den Krankenhäusern, zunehmend aber geraten auch die Altenpflegekräfte in den Fokus, da sich die Pflegeeinrichtungen zunehmend zu Hotspots der Corona-Krise entwickeln. Nun wird in diesem Kontext immer wieder gefordert, man müsse die Pflegekräfte besser bezahlen, sie würden zu wenig Geld bekommen für ihre wertvolle Arbeit. Nun stimmt das generell und man kann mit guten Argumenten für eine bessere Bezahlung plädieren, zugleich ist es aber auch hilfreich, wenn man den „den“ Pflegekräften etwas genauer hinschaut, denn tatsächlich kann man eine immer noch sehr ausgeprägte Hierarchie der Löhne im Pflegebereich beobachten. Dazu hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (relativ) neue Zahlen veröffentlicht (für das Jahr 2018, genauer: zum Stichtag 31.12.2018) und diese verglichen mit dem Jahr 2012:

Die neuen Zahlen stammen aus dieser Veröffentlichung:

➔ Jeanette Carstensen, Holger Seibert und Doris Wiethölter (2020): Entgelte von Pflegekräften. Aktuelle Daten und Indikatoren, Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 2. April 2020

Man erkennt bei diesem ersten und sehr groben Blick auf die durchschnittliche Vergütungssituation das weiterhin ausgeprägte Gefälle zwischen der Krankenhaus- und der Altenpflege, sowohl bei den Fachkräften wie auch bei den Helfern. Vereinfacht gesagt: Die Krankenhauspflegekräfte werden besser bezahlt als die in der Altenpflege Beschäftigten. So lag der Verdienstunterschied zwischen Krankenhauspflege und Altenpflege am Jahresende 2018 (2012 im Vergleich) bei den Fachkräften bei 18,7 Prozent (24,7 Prozent) und bei den Pflegehelfern waren es sogar 27,2 Prozent (35,8 Prozent).

Hinzu kommt, dass die Werte in der ersten Abbildung hoch aggregierte Zahlen über alle Bundesländer hinweg sind. Es überrascht jetzt nicht, dass die Unterschiede zwischen den Bundesländern sowohl hinsichtlich der Krankenhaus- und Altenpflege hier auch zwischen Fach- und Hilfskräfte erheblich sind. Auch diese Werte werden vom IAB ausgewiesen:

Das Gefälle zwischen Krankenhaus- und Altenpflege muss erweitert werden um ein Gefälle innerhalb der Altenpflege zwischen den Pflegeheimen und den ambulanten Pflegediensten. »Für alle vier betrachteten Pflegeberufe gilt, dass sie in Krankenhäusern die höchsten Entgelte erzielen, in der ambulanten Pflege die niedrigsten. So verdienen z. B. Fachkräfte in der Krankenpflege in Westdeutschland im Mittel 3.609 Euro, wenn sie in Krankenhäusern beschäftigt sind. Arbeiten Sie hingegen in der ambulanten Pflege, verdienen sie mit 2.732 Euro annähernd 900 Euro weniger«, so Carstensen et al. in ihrer Datenauswertung. Aber auch bezogen auf die Berufsgruppe der Fachkräfte in der Altenpflege gibt es einen durchschnittlichen Verdienstunterschied von gut 370 Euro pro Monat, die es in der ambulanten Pflege weniger gibt als in den Pflegeheimen. Das IBA schreibt dazu bereits den Finger auf mehrere Einflussfaktoren legend: »Diese ausgeprägten Unterschiede sind hier einerseits in den unterschiedlichen Versicherungssystemen zu suchen (Krankenversicherung vs. Pflegeversicherung), daneben aber auch in der Betriebsgröße (und damit in Tarifbindung und Mitarbeitervertretung) und der Trägerschaft der jeweiligen Einrichtungen (privat, gemeinnützig, öffentlich).«

Wie sind diese Zahlen zu verstehen?

So hilfreich solche Datenauswertungen immer auch sind – man muss aufpassen bei der Verwendung und Interpretation. Sowohl die Medien wie auch die Bevölkerung sind verständlicherweise gerne auf der Suche nach der einen übersichtlichen Zahl. Um ein Beispiel aus dem Themenfeld Pflege aufzurufen: Vor dem Ausbruch der Corona-Krise hatten wir eine Debatte über den Mangel an Pflegekräften. Dabei wurde dann immer wieder gerne die Frage aufgeworfen: Wie viele Pflegekräfte fehlen denn in den Kliniken und in den Pflegeheimen (und in den ambulanten Pflegediensten, die man immer gerne vergisst). Das Problem: Zum einen kommt es bei der Beantwortung darauf an, von welchen Annahmen hinsichtlich der Personalausstattung man ausgeht, also geht es um die Anzahl an fehlenden Pflegekräften unter den gegenwärtig bestehenden Bedingungen einer teilweise nur noch als skelettös zu bezeichnenden Personalausstattung oder bezieht man sich auf einen besseren Personalschlüssel? Und selbst wenn man weiß, dass derzeit 100.000 Pflegekräfte mehr da sein müssten (nur in den Pflegeheimen) – was hilft uns diese eine Zahl, wenn man berücksichtigt, dass es eben nicht den einen bundesdeutschen Markt für Pflegekräfte gibt, sondern wir konfrontiert sind mit einer Vielzahl an regionalen, oftmals nur lokalen Teilarbeitsmärkten?

Und auch bei den nun aktualisierten Daten des IAB die Vergütung der Pflegekräfte betreffend besteht die Gefahr, dass man – siehe die erste Abbildung in diesem Beitrag – nach einem flüchtigen Blick auf die Zahlen die Botschaft unters Volk bringt, dass qualifizierte Pflegekräfte im Krankenhaus 3.415 Euro brutto im Monat nach Hause bringen. Und bei den Fachkräften, die in der Altenpflege arbeiten, sind es 2.877 Euro im Monat. Das stimmt – und stimmt auch wieder nur sehr eingeschränkt.

Den methodischen Erläuterungen des IAB (2020, S. 7) kann man entnehmen: »Die Entlohnung von Pflegekräften wird in dieser Untersuchung durch die Bruttoarbeitsentgelte ermittelt, die im Meldeverfahren zur Sozialversicherung erhoben werden. Diese Angaben entsprechen den tatsächlichen Zahlungen der Arbeitgeber (inklusive Sonderzahlungen und Zuschläge für Nachschichten sowie Sonn- und Feiertagsdienste). Zudem werden Nominallöhne betrachtet, das heißt die Kaufkraft des Entgelts wird nicht ermittelt.«

Darin finden wir eine erste wichtige Hintergrundinformation – vor allem, wenn es um einen (siehe die erste Abbildung) Vergleich mit allen Beschäftigten geht. Deren Bruttomonatsentgelt wird mit 3.304 Euro ausgewiesen – die Fachkräfte in der Krankenpflege hingegen kommen auf 3.415 Euro und damit liegen sie knapp über dem Durchschnitt aller Beschäftigten. Aber: »Bei der Beurteilung der Pflegeentgelte ist zu berücksichtigen, dass sowohl in der Kranken- als auch in der Altenpflege häufig Zuschläge für Nachtschichten sowie Wochenend- bzw. Feiertagsdienste anfallen, die in den hier präsentierten Entgelten bereits enthalten sind«, so das IAB (2020, S. 2). Und viele „normale“ Beschäftigte haben keine Arbeitszeiten an Wochenenden, an Feiertagen oder in der Nacht. Und die Zuschläge werden ja gezahlt für die Arbeit zu (sehr) ungünstigen Zeiten., die beispielsweise bei den meisten Büroberufen grundsätzlich arbeitsfrei sind.

Und was hat es mit dem „Durchschnitt“ auf sich? Es ist eben nicht der „normale“ Durchschnitt, also das arithmetische Mittel, sondern man verwendet hier völlig zu Recht den Median, also den „mittleren Wert“. Was das bedeutet? Wenn für Ostdeutschland für den Bereich der ambulanten Pflegedienste für eine Pflegefachkraft ein am Median gemessener Bruttomonatslohn in Höhe von 2.357 Euro ausgewiesen wird, dann verdienen 50 Prozent der Fachkräfte weniger als diesen Betrag und die andere Hälfte liegt darüber. Eigentlich wäre es vor diesem Hintergrund von entscheidender Bedeutung zu wissen, wie es mit der Streuung um diesen mittleren Wert aussieht, denn natürlich macht es einen Unterschied, ob die meisten Einzelverdienste eng um den mittleren Wert liegen – oder ob es eine eben nicht kleine Zahl an Pflegekräften geben sollte, deren Verdienste deutlich unter dem mittleren Wert liegen.

Und damit nicht genug – wir lesen weiter in den methodischen Erläuterungen des IAB: »Da für die Teilzeitbeschäftigten keine Angaben zur vereinbarten Stundenzahl vorliegen, können sich die Analysen nur auf die Vollzeitbeschäftigten (ohne Auszubildende) beschränken.« Das ist eine datentechnisch bedingte Restriktion, die aber überaus bedeutsam ist für die inhaltliche Interpretation: Die hier ausgewiesenen Monatsverdienste beziehen sich ausschließlich auf Vollzeitbeschäftigte, Teilzeitbeschäftigte sind ausdrücklich ausgeklammert. Das kann aber dann durchaus zu einem Problem werden, wenn der Teilzeitanteil relativ hoch ist und wir nicht wissen, ob die Teilzeitkräfte möglicherweise noch schlechter bezahlt werden als die Vollzeitkräfte.

Zum Teilzeitaspekt nur einige wenige Daten:

➔ Nach der amtlichen Pflegestatistik von Ende 2017 stellt sich mit Blick auf die ambulanten Pflegedienste die Situation so dar: Insgesamt arbeiteten in den ambulanten Pflegediensten 390.000 Personen im Rahmen des SGB XI. (Dies entspricht bei einer Gewichtung nach der jeweiligen Arbeitszeit ungefähr 266 000 Vollzeitäquivalenten). Die Mehrzahl der beschäftigten Personen (86 %) war weiblich. Mit 69 Prozent war die Mehrheit des Personals teilzeitbeschäftigt. 28 Prozent der Beschäftigten arbeitete Vollzeit.
➔ In den Pflegeheimen waren insgesamt 765.000 Personen beschäftigt. (Dies entspricht bei einer Gewichtung nach der jeweiligen Arbeitszeit ungefähr 552,000 Vollzeitäquivalenten). Weniger als ein Drittel (29 Prozent) der Beschäftigten arbeitete Vollzeit – also ein etwas höherer Anteil als im ambulanten Bereich. Teilzeitkräfte machten knapp zwei Drittel (63 Prozent) der Beschäftigten aus.

Das muss man natürlich bei der Interpretation der Zahlen berücksichtigen. Das IAB fasst das mit Blick auf die präsentierten Verdienstangaben so zusammen: »Insgesamt konnten die Entgelt-Daten von über 427.000 Fachkräften und gut 126.000 Helfern in den Pflegeberufen mit Vollzeit-Beschäftigungsverhältnissen ausgewertet werden. Zu berücksichtigen ist, dass wegen des hohen Teilzeitanteils nur 38 Prozent der in den ausgewählten Pflegeberufen Beschäftigten in die Analysen einfließen. Die vielen Teilzeitbeschäftigten in der Pflege erreichen gegenüber den hier ausgewiesenen Vollzeitlöhnen entsprechend niedrigere Lohnpositionen.«

Wie bereits berichtet, stammen die Zahlen des IAB aus dem Meldeverfahren zur Sozialversicherung – sie entsprechen den tatsächlichen Zahlungen der Arbeitgeber (inklusive Sonderzahlungen und Zuschläge für Nachschichten sowie Sonn- und Feiertagsdienste). Wie dargestellt erst einmal aber nur für die Minderheit der Vollzeitkräfte in den Pflegeberufen.

Der Vollständigkeit halber und weil das in vielen Medienberichten aufgegriffen wurde: Ebenfalls für die Teil-Gruppe der Vollzeitbeschäftigten hat auch das Statistische Bundesamt diese Tage im Kontext der Debatte über „systemrelevante Berufe“ eine Teilauswertung der Monatsverdienste veröffentlicht, die sich auf das Jahr 2019 bezieht. Vgl. dazu Systemrelevante Berufe: Fachkräfte in Krankenhäusern verdienten 2019 durchschnittlich 3 502 Euro brutto im Monat vom 27. März 2020. Die Daten, die man der folgenden Tabelle entnehmen kann, stammen aus einer anderen Quelle, konkret der „Vierteljährlichen Verdiensterhebung„:

Laut Statistischem Bundesamt »verdienten vollzeitbeschäftigte Fachkräfte in Krankenhäusern (zum Beispiel Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und -pfleger) im Jahr 2019 im Durchschnitt 3.502 Euro brutto im Monat. Fachkräfte in Altenheimen (zum Beispiel Altenpflegerinnen und -pfleger) kamen auf 3.116 Euro und Fachkräfte im Lebensmitteleinzelhandel auf 2.186 Euro. Der Durchschnittsverdienst von Fachkräften in der Gesamtwirtschaft (Produzierendes Gewerbe und Dienstleistungen) betrug 3.327 Euro.« In einem anderen Beitrag zu den Ergebnissen der Verdienststatistik (vgl. Verdienste 2019: durchschnittlich 3 994 Euro brutto im Monat) wird dieser Durchschnittswert für alle Arbeitnehmer ausgewiesen: »Ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer verdiente im Jahr 2019 durchschnittlich 3.994 Euro brutto im Monat. Sonderzahlungen, zum Beispiel in Form von Urlaubs-, Weihnachtsgeld oder Gratifikationen, sind hier noch nicht be­rück­sichtigt.«

Methodisch muss man hier darauf hinweisen: Die Vierteljährliche Verdiensterhebung ist eine repräsentative, einstufig geschichtete Stichprobenerhebung mit Auskunftspflicht. Befragt werden rund 40.500 Betriebe mit 10 beziehungsweise 5 und mehr Arbeitnehmern. Die Ergebnisse werden dann hochgerechnet. Wichtig vor dem Hintergrund der Ausführungen zu den IAB-Daten, die sich auf die Medianwerte beziehen: Die Verdienstangaben des Statistischen Bundesamtes sind arithmetische Mittelwerte, die bekanntlich empfindlicher sind gegenüber Ausreißerwerten (vor allem im oberen Bereich) als der Median, der eine Verteilung in zwei Hälften zerlegt. Die Bundesstatistiker merken dazu selbst an: »Wichtig für die Interpretation dieser Werte ist eine Vorstellung über die Verteilung der Beschäftigten um diesen Mittelwert: Aus der Verdienststrukturerhebung 2014 ist bekannt, dass knapp 2 von 3 Vollzeitbeschäftigten (63 %) weniger verdienen als den gesamtwirtschaftlichen Durchschnittswert; nur ein gutes Drittel (37 %) hat höhere Bruttoverdienste. Dieses Drittel hat so hohe Verdienste, dass der Durchschnittswert für alle Beschäftigten „nach oben“ gezogen wird.«